Kriegsdienstverweigerung in Südkorea

Vorwort zur Broschüre

von Rudi Friedrich

(15.06.2010) Nach einer Phase der vorsichtigen Entspannung zwischen Süd- und Nordkorea spitzte sich die Lage in den letzten Wochen zu. Das südkoreanische Kriegsschiff Cheonan war im Gelben Meer gesunken. Nach fast zwei Monaten erhob die südkoreanische Regierung schließlich den Vorwurf, das Schiff sei in internationalen Gewässern von Nordkorea versenkt worden, was Nordkorea bestreitet.

Wie es auch gewesen sein mag: Der Vorfall spielt der Hardlinerpolitik der südkoreanischen Regierung unter dem Präsidenten Lee Myung-bak ein weiteres Argument zu, das Land zu militarisieren, die Zusammenarbeit mit den USA zu intensivieren und die auf Ausgleich bedachte Opposition zu schwächen. Die Regierung setzte umgehend einen Handelsstopp mit Nordkorea und ein Durchfahrverbot für nordkoreanische Schiffe in südkoreanischen Gewässern um. Die Ausstrahlung von Propagandasendungen nach Nordkorea wurde wieder aufgenommen.

Die Politik und auch das Leben in Südkorea sind nach wie vor von der immer wieder geschürten Angst vor einer neuen Invasion durch Nordkorea bestimmt, auch wenn in den letzten Jahren eine Veränderung und Öffnung festzustellen war. Immer noch ist es Südkoreanern durch das Nationale Sicherheitsgesetz verboten, Kontakt nach Nordkorea aufzunehmen. Auch darf Nordkorea in der Öffentlichkeit nicht gelobt oder für Nordkorea geworben werden. Das Gesetz wurde am 1. Dezember 1948 beschlossen, 1963 und 1980 geändert und ist bis heute in Kraft. Es wurde vor der Demokratisierung als „Gummiparagraph“ zur Unterdrückung politischer Opposition missbraucht, denn es ist inhaltlich sehr unbestimmt, und sieht auch schon für regierungsfeindliche Äußerungen, Besitz und Weitergabe entsprechenden Materials, Mitgliedschaft in regierungsfeindlichen Organisationen und Nichtanzeige derartiger Straftatbestände Strafen bis hin zur Todesstrafe vor. Das Verfassungsgericht hat das Gesetz im August 2004 überprüft und für verfassungskonform erklärt, die Nationale Menschenrechtskommission im September desselben Jahres hingegen deren Abschaffung empfohlen. Der deutsche Staatsbürger und Exilkoreaner Prof. Song Du-yul war im März 2004 auf Grund diees Gesetzes zu sieben Jahren Haft verurteilt worden, die in der nächsten Instanz in eine Bewährungsstrafe umgewandelt wurde.

Südkorea ist eine wirtschaftliche Macht in Südostasien und engster Verbündeter der USA. Das Land hält bei 50 Millionen Einwohnern eine Armee von 685.000 Männern und Frauen in vier Teilstreitkräften und zwei paramilitärischen Organisationen vor und hat damit die fünftgrößte Armee der Welt. Schon in den Schulen gibt es Militärunterricht. Die Wehrpflicht für Männer wird rigide umgesetzt. Die Dauer des Militärdienstes beträgt 24-26 Monate.

Die USA haben etwa 37.500 Soldaten in Südkorea stationiert. In den letzten Jahren wurden neue Stationierungsorte in einem Ring im Westen des Landes aufgebaut, womit das US-Militär nicht nur auf Nordkorea zielt, sondern auch die Einsatzmöglichkeiten gegenüber China stärkte.

Ein Ausdruck der Militarisierung des Landes ist der Umgang mit Kriegsdienstverweigerern. Seit 1939 sind mehr als 15.000 Kriegsdienstverweigerer im Gefängnis gewesen, vor allem Zeugen Jehovahs. Früher wurden sie zu mehreren Jahren Haft verurteilt, manchmal sogar mehrmals.

Lange war deren Situation völlig unbekannt. Erst seit dem Entstehen einer politischen Kriegsdienstverweigerungsbewegung im Jahre 2000 und den ersten öffentlichen Verweigerungen von nicht-religiösen Verweigerern (oder zumindest Verweigerern anderer Religionszugehörigkeit) zeichneten sich Veränderungen ab. Das übliche Strafmaß wurde von drei Jahren auf 18 Monate reduziert. Es gab eine wichtige Entscheidung des Menschenrechtskomitees der Vereinten Nationen aufgrund einer Beschwerde von zwei Verweigerern, womit Südkorea aufgefordert wurde, die Kriegsdienstverweigerung zu legalisieren. Immer wieder gibt es Gerichte, die das südkoreanische Verfassungsgericht anrufen, um die Praxis überprüfen zu lassen. Die Nationale Menschenrechtskommission Südkoreas gab die Empfehlung, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen. Und: es gibt eine lebendige Bewegung von Verweigerern, die zusammen mit anderen Organisationen Verweigerer unterstützen, Aktionen gegen die US-Standorte oder Streumunition durchführen.

Im Februar 2006 kündigte aufgrund des internationalen Drucks schließlich das Verteidigungsministerium an, einen Ersatzdienst einführen zu wollen. Die neue konservative Regierung, die Anfang 2008 die Macht übernahm, nahm dies jedoch umgehend zurück. So sind also erneut 500 bis 600 Verweigerer pro Jahr in Haft, die in der Regel zu 18 Monaten Gefängnisstrafe verurteilt werden.

All dies sind genügend Gründe, uns mit dieser Broschüre dem Schwerpunkt „Kriegsdienstverweigerung in Südkorea“ zu widmen. Anlass war aber auch ein Artikel von dem in Oslo lehrenden Prof. Wladimir Tichonov, der ausführlich und beeindruckend die Militärgeschichte Südkoreas in Verbindung setzt mit der neu entstandenen Verweigerungsbewegung. Er kommt darin zu dem Schluss: „Die Kriegsdienstverweigerungsbewegung greift das staatlich sanktionierte Vorbild des männlichen Bürgers, der sich freiwillig der Armeedisziplin unterwirft, an und geht damit über die Debatte um Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung hinaus. Wenn der Militärdienst eine Frage der Wahl - mit dem individuellen Gewissen als Entscheidungskriterium - ist, könnte das gleiche auch für das gesamte Spektrum der Beziehungen zwischen Individuen und den mächtigen institutionellen Akteuren des sozialen Lebens gelten. (…) Kurz, der Angriff auf die ‚Heiligkeit’ der Wehrpflicht ist in seiner Konsequenz ein umfassender Angriff auf alle Bereiche der offiziell gestützten Überzeugungen und Werte, die in ihrer Gesamtheit die Herrschaftsideologie Koreas bilden.“

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Kriegsdienstverweigerung in Südkorea«, Juni 2010

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