15. Mai: Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerung

15. Mai: Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerung

Wegweisender Bericht bricht Tabu über Gewalt in der türkischen Armee

von Naharnet Newsdesk

(12.10.2012) Hunderte von Wehrpflichtigen erleiden in der türkischen Armee harte Misshandlung oder sogar Folter, so ein am Freitag veröffentlichter Tabu brechender Bericht. Der von der Initiative für die Rechte der Wehrpflichtigen (Asker Hakları Platformu) vorgestellte Bericht führt 432 Fälle auf, bei denen die Opfer während des Militärdienstes unterschiedlich schweren Misshandlungen unterlagen. Die Fälle reichen von brutalen Initiationsriten, über übermäßige körperliche Aktivitäten bis zur Folter, die zu bleibenden körperlichen oder seelischen Schäden oder sogar zum Tode führten.

Tolga İslam, einer der Initiatoren des Projektes, sagte: „Die Zahl, die wir hier veröffentlichen, stellt nur ein Bruchteil der Vorkommnisse in der Armee dar.“ Ein Dutzend der Fälle wurden dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgetragen.

Die Aktiven des Projekts hoffen, dass sie mit ihrer Arbeit die Wahrnehmung in der Türkei verändern können. „Ich möchte, dass alle Verantwortlichen lebenslange Haft erhalten, so dass junge Menschen nicht einfach sterben, weil sie als Wehrpflichtige in der Armee dienen“, sagte Aydın Kantar, dessen Sohn Uğur letztes Jahr in der türkischen Armee starb. „Als mein Sohn ins Krankenhaus gebracht wurde, waren seine Lippen so stark geschwollen wie eine Trommel. Er sah so aus, als ob er sich verbrüht hätte, aber nichts davon stand im Arztbericht.“

Musa Abravcı, Vater eines Mannes, der als Behinderter von der Armee zurückkehrte, sagte, er hege keinen Widerwillen gegen die Armee an sich. Aber es gäbe viele in der mächtigen Institution, die eine höhere Bestrafung verdient hätten. Sein Sohn hatte Quetschungen erlitten und seine Hüfte war gebrochen, nachdem er tagelang von seinem Feldwebel geschlagen worden war. Noch heute leidet er unter körperlichen und seelischen Schäden, so dass er nicht arbeiten könne. Der Feldwebel wurde zu einer sechsmonatigen Haftstrafe und einer Geldstrafe von 3.000 Türkische Lira (1.250 €) verurteilt, die zu einer Geldstrafe von 1.500 Türkische Lira und der Aussetzung der Haftstrafe umgewandelt wurde. Der verantwortliche Leutnant wurde freigesprochen.

“Die Armee erzählt uns, dass dies Ausnahmen seien”, sagte eine andere führende Person der Initiative, Yiğit Aksakoğlu. Er merkt an, dass dieses Argument „eine exakte Kopie“ dessen sei, was die Polizei in den 1990er Jahren gegenüber dem Vorwurf der Folter vorgebracht habe. „Es ist aber ein systemisches Problem, das letztlich angegangen werden muss“, ergänzte Aksakoğlu. „Das muss ein Ende haben.“

Das türkische Strafgesetzbuch stellt die Kritik an der Armee unter Strafe, was junge Männer dazu bringen könne, sich gegen die Wehrpflicht zu wenden. Etwa 400.000 werden jedes Jahr einberufen. Huseyin Celik, stellvertretender Vorsitzender der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), sagte letztes Jahr: „Niemand würde einem Wehrpflichtigen glauben, wenn er sagt: ‚Ich wurde in der Armee nicht ein einziges Mal geschlagen‘.“

Der türkische Generalstab antwortete bislang nicht auf die Anklagen im Bericht. Aber für Uğurs Familie, und die Angehörigen vieler Opfer der Gewalt in der Armee, sind die Misshandlungen sehr wohl bewiesen. „Diese Menschen haben Verbrechen begangen – und mehr als 20 Personen können das bezeugen“, sagte Kantar zu den mysteriösen Umständen des Todes seines Sohnes, der in einer Zelle starb, in die er nach einem Streit mit einem Mitsoldaten gebracht worden war. „Ich vertraue der Armee nicht mehr“, sagte er. „Ich sage: Niemand sollte mehr seine Kinder in die Armee schicken.“

Naharnet Newsdesk: Taboo of Turkish Army Violence Broken in Landmark Report. 12. Oktober 2012. Quelle: www.naharnet.com/stories/en/56857-taboo-of-turkish-army-violence-broken-in-landmark-report. Übersetzung: rf. Der Originalbericht kann bezogen werden über www.askerhaklari.com. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2012

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