Turkmenistan – Familie eines Kriegsdienstverweigerers verfolgt

Hausdurchsuchung bei Familie Nasyrlaev

von Felix Corley, Forum 18

(14.02.2013) Sieben Wochen nachdem das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen aufgrund einer Beschwerde von 10 Kriegsdienstverweigerern, die den Zeugen Jehovas angehören, von der turkmenischen Regierung eine Stellungnahme angefordert hat, führten etwa 30 Polizeibeamte eine Hausdurchsuchung bei der Familie des führenden Beschwerdeführers in der im Norden gelegenen Stadt Dashoguz durch. Zwei Angehörige der Familie Nasyrlaev und vier Gäste wurde in Polizeigewahrsam genommen, drei von ihnen für 40 Stunden festgehalten. Nach ihren Erklärungen, die Forum 18 vorliegen, wurden alle sechs geschlagen und gefoltert, eine Person von ihnen schwer. Einer Person wurde angedroht, sie auf einem Tisch in der Polizeistation zu vergewaltigen. Drei erhielten schließlich eine Geldstrafe. Religiöse Literatur wurde konfisziert.

Die Misshandlungen fanden vor allem in der Polizeistation Nr. 1 in der Nähe der Wohnung der Familie Nasyrlaev in Dashoguz statt. Die schwersten Schläge gab es aber in der Hafteinrichtung der Polizei der Stadt Dashoguz, wo einer der Inhaftierten mit Armen und Beinen gefesselt aufgehängt wurde, bis er das Bewusstsein verlor, so die Zeugen Jehovas.

Die zuständigen Beamten in den verschiedenen Polizeistationen in Dashoguz weigerten sich wiederholt, den Leiter der Stadtpolizei zu nennen oder irgendeine Nummer von ihm herauszugeben. „Kommen Sie einfach hier in die Polizeistation“, sagte einer am 14. Februar gegenüber Forum 18. Jedes Mal, wenn Forum 18 Auskunft zu Hausdurchsuchung, Verhaftungen, Folter, Schlägen und Bedrohungen erbat, legte der zuständige Beamte einfach auf.

Einer der Söhne der Familie, Navruz Nasyrlaev, verbüßt derzeit seine zweite Strafe im Arbeitslager in Seydi, die er wegen seiner Kriegsdienstverweigerung aus religiösen Gründen erhielt. Er wurde im Mai 2012 zu zwei Jahren unter strikter Aufsicht im Arbeitslager verurteilt. Die Strafe wurde im Juli 2012 vom Obersten Gericht Turkmenistans bestätigt. Nasyrlaev und neun weitere Kriegsdienstverweigerer richteten daraufhin einen Antrag an das UN-Menschenrechtskomitee, die ihre Beschwerden registrierten (UN reference G/SO 215/51 TKM (10)-(19)) und sie wie üblich am 7. Dezember 2012 an die Regierung Turkmenistans zur Stellungnahme überstellte.

Die Hausdurchsuchung, die Verhaftungen, Folter, Schläge, Bedrohung und Geldstrafe „waren offensichtlich mit der Absicht verbunden, die Familie von Nasyrlaev wegen der zehn Beschwerden von Kriegsdienstverweigerern gegen Turkmenistan zu bestrafen und einzuschüchtern“, erklärte der Anwalt der Verweigerer am 6. Februar 2013 gegenüber den Vereinten Nationen.

Nächtliche Hausdurchsuchung und Beschlagnahme von Literatur

Über 30 Polizeibeamte durchsuchten das Haus der Familie Nasyrlaev in Dashoguz um 10 Uhr abends des 24. Januar, berichteten die Zeugen Jehovas. Die Familie hatte ein verheiratetes Paar zu Gast und einen weiteren Mann namens Hudayar Ismailov. Alle sind Zeugen Jehovas. Ein vierter Gast, Bahram Shamuradov, auch ein Zeuge Jehova, kam um 11 Uhr abends zur Familie, nachdem die Hausdurchsuchung bereits begonnen hatte.

Über zehn der Beamten waren in Uniform. Die anderen etwa 20 Eindringlinge trugen zivil, einige von ihnen rochen nach Alkohol. „Sie hatten keinen Haftbefehl oder irgendein anderes Schriftstück, was ihre unrechtmäßige Hausdurchsuchung legitimierte“, so ein Angehöriger der Zeugen Jehova. „Sie nannten uns keine Namen und gaben auch keine Gründe an, warum sie die Hausdurchsuchung durchführen.“

Die Eindringlinge packten die persönlichen Habseligkeiten der Familie Nasyrlaev und ihrer Gäste ein, einschließlich von Literatur der Zeugen Jehovas wie auch des Computers von Shamuradov. „Die Opfer erkannten, dass die meisten der Polizeibeamten vom 6. Revier der Polizei Dashoguz sind und zumindest einer der Beamten aus dem Büro der Staatsanwaltschaft kam.“

Einer der Beamten wurde als Serdar Saparov identifiziert. Von ihm ist bekannt, dass er befohlen hat, 2012 die Gewissensgefangenen der Zeugen Jehovas zu schlagen. Das 6. Revier ist theoretisch zuständig für die Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität, ist aber oft aktiv gegen Personen, die ihr Recht auf Religions- oder Glaubensfreiheit ausüben.

Folter im Polizeirevier

Die Polizei brachte Tahir Nasyrlaev und seinen Sohn Abdurasul in die nahegelegene Polizeistation Nr. 1, zusammen mit ihren vier Gästen. „Auf der Polizeistation schlugen die Beamten wiederholt alle sechs Personen mit mit Wasser gefüllten Plastikflaschen auf die Nieren und in den Nacken“, erklärten die Zeugen Jehovas. „Das taten sie, um keine blauen Flecke zu hinterlassen.“

Die Polizei setzte die Zeugen Jehovas unter Druck, Erklärungen zu unterschreiben, dass sie an einem „illegalen“ religiösen Treffen teilgenommen hätten. Nachdem dies zunächst alle verweigerten, unterschrieben schließlich zwei der sechs und wurden am 25. Januar um 2 Uhr morgens freigelassen.

Die Polizei schlug weiter den Ehemann des verheirateten Paares, obwohl er unter einem Bandscheibenvorfall und einer Schwellung des Schienbeins leide, sagten die Zeugen Jehovas aus. Sie schlugen auch Tahir Nasyrlaev, „neben Spott und Verfluchungen“. Um vier Uhr des 25. Januars hörte die Polizei auf, sie zu schlagen und brachte sie in eine Haftzelle, wo sie für die nächsten zehn Stunden festgehalten wurden.

Die beiden Männer wurden dann in das Hauptquartier der Polizei der Stadt gebracht, wo sie mit Artikel 205 des Gesetzbuches über Ordnungswidrigkeiten angeklagt wurden wegen Verletzung des Gesetzes zu religiösen Organisationen, da sie ein „illegales“ religiöses Treffen abgehalten hätten. Um 11 Uhr des 25. Januar brachte die Polizei sie zurück zur örtlichen Polizeistation, wo sie zusammen mit zehn weiteren Gefangenen in einer Haftzelle untergebracht wurden.

Folter und Androhung einer Vergewaltigung

Die Frau des verheirateten Paares wurde für eine, so die Zeugen Jehovas, „besonders verachtenswerte Behandlung“ auf der Polizeistation Nr. 1 separiert. Sie hatte protestiert und versucht einzugreifen, als die Polizei in ihrer Anwesenheit ihren Ehemann schlug. Beamte brachten sie dann in einen anderen Raum, wo sie weiter die Schläge hören konnte.

Beamte versuchten sie unter Druck zu setzen, damit sie eine Erklärung unterschreibt, dass sie und ihre Freunde „illegale“ religiöse Handlungen begingen. Die Beamten sagten ihr, dass sie sonst ihren Ehemann wegen krimineller Handlungen anklagen würden. Sie verweigerte dies aber. Dann schrieen die Beamten sie an, schlugen sie in ihre Nieren, spuckten ihr ins Gesicht und zogen sie an den Haaren. Als sie sagte, dass sie eine Beschwerde gegen die Beamten einreichen werde, wenn sie nicht aufhörten, drohten diese ihr damit, sie und ihren Ehemann zu ermorden.

Dann drohte ihr die Polizei damit, sie zu vergewaltigen, wenn sie sich weigere, eine Erklärung zu unterzeichnen, dass sie nicht misshandelt worden war. Einer der uniformierten Beamten erklärte ihr, dass sie zehn Minuten Zeit habe, sich zu entscheiden. „Er zeigte auf einen Tisch im Raum und sagte, er wäre der erste, um sie auf dem Tisch zu vergewaltigen und die anderen Beamten würden es anschließend machen“, klagten die Zeugen Jehovas an. „Dieser Polizeibeamte ging dann zu den anderen Beamten zurück und sagte ihnen, dass diejenigen, die sich an der Vergewaltigung beteiligen wollten, bleiben sollten. Der Rest solle gehen. Einige der Polizisten gingen daraufhin. Die verbleibenden drohten dann damit, dass sie ihren Ehemann in den Raum bringen würden, damit er Zeuge ihrer verachtenswerten Handlung werde.“

Unter diesem Druck unterzeichnete sie eine Erklärung, dass sie keinerlei Beschwerde gegen die Polizei erheben werde. Sie wurde am 25. Januar um 3.30 Uhr freigelassen und in einem weißen Auto von der Polizei nach Hause gefahren.

Schwere Schläge

Shamuradov, der zum Haus der Nasyrlaevs kam, als die Polizei bereits mit der Hausdurchsuchung begonnen hatte, wurde unverzüglich in die Polizeistation Nr. 1 gebracht, wo er nach seinen Aussagen mehrmals in die Nieren geschlagen und getreten wurde. Die Polizei versuchte ihn dazu zu bringen, eine Erklärung zu unterschreiben, dass er an einem Treffen einer „illegalen Sekte“ teilgenommen habe. Um Mitternacht wurde er in die Hafteinrichtung der Polizei der Stadt gebracht. Als die neue Schicht am 25. Januar um 9 Uhr kam, begannen die Verhöre. Er wurde wieder geschlagen und verspottet.

Am frühen Nachmittag kam die Polizei mit einem Seil und fesselte Shamuradov an ausgestreckten Händen und Füßen am Gitter der Zelle, so die Zeugen Jehovas. Er konnte den Boden nicht berühren. Über mehrere Stunden musste er in dieser Stellung bleiben und wurde vor Schmerzen ohnmächtig. Nachdem er sein Bewusstsein wiedererlangt hatte, wurde er in die Polizeistation der Stadt Dashoguz gebracht, wo er gemeinsam mit den beiden anderen angeklagt wurde. Er wurde mit den beiden anderen in eine Haftzelle der Polizeistation Nr. 1 gesteckt.

Erkenntnisse des UN-Komitees gegen Folter

2011 stellte das UN-Komitee gegen Folter fest, dass in Turkmenistan „Personen, die ihrer Freiheit beraubt sind, von Beamten gefoltert, misshandelt und bedroht werden, vor allem während ihrer Festnahme und der Voruntersuchungen, um Geständnisse zu erzwingen und als zusätzliche Bestrafung nach dem Geständnis“. (CAT/C/TKM/CO/1)

Geldstrafen

Am Morgen des 26. Januar brachte die Polizei die drei Männer Tahir Nasyrlaev, Shamuradov und den Ehemann des verheirateten Paares – in das Gericht der Stadt Dashoguz. In „sehr kurzen“ getrennten Verhandlungen erklärte der Richter Maksat Myradov alle drei schuldig nach Artikel 205 Absatz 1 und 2 des Gesetzbuches über Ordnungswidrigkeiten. Alle wurden zu einer Geldstrafe von 750 Manat verurteilt (195 €), bestätigte ein Vertreter des Stadtgerichtes am 13. Februar. Die Summe entspricht zwei Monatslöhnen. Die drei wurden dann nach über 40 Stunden Inhaftierung freigelassen.

Das Urteil zu Shamuradov besagt, er habe im Haus der Familie Nasyrlaev am Abend des 24. Januar „an einer Handlung der religiösen Gruppe der Zeugen Jehovas teilgenommen, die nicht offiziell vom turkmenischen Justizministerium registriert ist“. Das Urteil besagt, dass keine Berufung eingelegt werden könne.

Alle Handlungen bezüglich Religions- und Glaubensfreiheit durch nicht registrierte Gruppen von Personen sind in Turkmenistan ungesetzlich. Forum 18 konnte von Richter Myradov nicht in Erfahrung bringen, warum er den drei Zeugen Jehovas eine Geldstrafe auferlegt hat. Bei jedem Anruf am 13. Februar nahm ein Mann den Hörer ab, schwieg eine Weile und legte schließlich auf.

Forum 18 konnte auch nicht den neuen Beauftragten der Region Gengesh für Religiöse Angelegenheiten erreichen, A. Repov, bzw. seinen Vertreter Hudainazar Artykov. Das Telefon in ihrem Büro in Dashoguz wurde am 13. und 14. Februar nicht abgehoben. Einige der staatlichen Vertreter für Religiöse Angelegenheiten der Region Gengesh, die für alle die Religons- und Glaubensfreiheit einschränken, sind auch als Geistliche in religiösen Gemeinschaften.

Beschwerden

In den Tagen nach dem Martyrium schrieben fünf der Inhaftierten Beschwerdebriefe an verschiedene staatliche Stellen, auch an Präsident Gurbanguly Berdimukhamedov, die Generalstaatsanwaltschaft im der Hauptstadt Ashgabat, die Staatsanwaltschaft in Dashoguz und die staatliche Kommission zur Überprüfung von Bürgeranliegen zu Exekutivorganen in Ashgabat. In seiner am 30. Januar verfassten Beschwerde erklärt Shamuradov gegenüber Präsident Berdimukhamedov, dass er nur verurteilt worden sei, weil er seinem Glauben folge. „Niemand hat das Recht, mich zu schlagen, mich zu demütigen oder mich zu hängen, bis ich bewusstlos bin“, da die turkmenische Verfassung nach Artikel 12 jedem Bürger Turkmenistans die freie Wahl der Religion garantiert. Deshalb bitte ich Sie, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, die Gesetzesbrecher zu bestrafen.“ Die fünf haben zu ihren Beschwerden bislang keine Antwort erhalten.

Der Anwalt der fünf Zeugen Jehovas richtete am 6. Februar auch eine Beschwerde an das Büro des Beauftragten für Menschenrechte der Vereinten Nationen, mit Kopie an Präsident Berdimukhavedov und die Staatsanwaltschaft in Ashgabat. Er macht darin deutlich, dass sie davon ausgehen, dass die Hausdurchsuchung der Polizei und die Brutalität in direktem Zusammenhang mit den Beschwerden der zehn Kriegsdienstverweigerer der Zeugen Jehovas stehen. „Die oben beschriebenen Handlungen, die sich gegen die Familie von Navruz Nasyrlaev und deren Gäste richteten – gerade mal ein paar Wochen nachdem die oben genannten zehn Beschwerden an Turkmenistan weitergeleitet worden waren – waren offensichtlich mit der Absicht verbunden, die Familie von Nasyrlaev wegen der zehn am 7. September 2012 eingereichten Beschwerden von Kriegsdienstverweigerern gegen Turkmenistan zu bestrafen und einzuschüchtern. Für Navruz Nasyrlaev und die anderen neun Beschwerdeführer beantrage ich, dass das UN-Komitee Turkmenistan dazu auffordert, jede weitere Handlung zu unterlassen, die auf eine direkte oder indirekte Nötigung der Beschwedeführer zielt.“

Turkmenistan inhaftiert weiter Kriegsdienstverweigerer. So gab es im Dezember 2012 und Januar 2013 vier neue Inhaftierungen.

Kein Kommentar – wie üblich

Wie üblich im Falle solcher Menschenrechtsverletzungen gab es keine offiziellen Stellungnahmen aus Ashgabat zur Hausdurchsuchung, Folter, den Schlägen, Drohungen und Geldstrafen. Gurbanberdy Nursakhatov. Stellvertreter der staatlichen Kommission für Religiöse Angelegenheiten, meldete sich selbst bei einem Anruf von Forum 18 am 13. Februar. Aber er legte den Hörer auf, nachdem sich Forum 18 zu erkennen gab. Weitere Anrufe wurden nicht angenommen.

Pirnazar Hudainazarov, Vorsitzender der parlamentarischen Kommission zum Schutz der Menschenrechte und Freiheiten, bestand gegenüber Forum 18 am 13. Februar darauf, dass die Fragen zu Hausdurchsuchung, Folter, den Schlägen, Drohungen und Geldstrafen „nicht an mich gerichtet werden, sondern an das Außenministerium“. Und er ergänzte: „Ich bin nicht dazu befugt, mich mit solchen Fragen zu beschäftigen.“ Dann legte er auf.

Ein Vertreter des Nationalen Instituts für Demokratie und Menschenrechte in Ashgabat sagte Forum 18 am 13. Februar, dass deren Leiter, Yazdursun Gurbannazarova, irgendwo in Turkmenistan unterwegs sei. Aber Shemshat Atajanova, Leiterin einer Abteilung des staatlichen Insituts, bestand am gleichen Tag darauf, dass sie am Telefon „nichts sagen könne“. „Wir brauchen konkrete Fakten. Wir müssen prüfen, was geschehen ist.“ Auf die Frage, ob ihr Institut das machen würde, antwortete sie, dass die Betroffenen ihre Beschwerden an das Insititut senden sollten. Auf die Frage, warum Hausdurchsuchung, Folter, Schläge, Drohungen und Geldstrafen vorkommen, antwortete sie, dass man nicht auf Grundlage von Gerüchten handeln könne. Sie gab keinen Kommentar zu den Feststellungen des UN-Komitees gegen Folter ab.

Felix Corley, Forum 18: Turkmenistan – Raid, Two-Day Detentions, Torture, Rape Threat, Fines, 14. Februar 2013. www.forum18.org/Archive.php?article_id=1801. Auszüge. Übersetzung: rf

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