Teilnehmer*innen

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Mediterrane Konferenz zur Kriegsdienstverweigerung auf Zypern

Ein Bericht

von Rudi Friedrich

Vom 31. Januar bis 3. Februar 2014 fand auf Zypern die erste Mediterrane Konferenz zur Kriegsdienstverweigerung statt. Über 30 Aktive aus Griechenland, Zypern, Israel, Palästina, Ägypten und der Türkei konnten daran teilnehmen. Weitere Gäste aus Deutschland, Großbritannien und der Schweiz ergänzten die Runde.

Geteilte Insel

Seit 1974 ist Zypern eine geteilte Insel. Der international nicht anerkannte Norden wird von türkischen Zyprioten verwaltet und steht praktisch unter der Kontrolle der Türkei. Der südliche (griechische) Teil ist als Republik Zypern Teil der Europäischen Union. Die beiden Teile werden durch eine Demarkationslinie geteilt, die auch mitten durch die Hauptstadt Nicosia/Lefkoşa läuft und von der UN Peacekeeping Force in Cyprus (UNFICYP) kontrolliert wird.

Auf der Insel, die bis 1960 Teil des britischen Kolonialreiches war, gibt es zwei britische Militärstützpunkte: Akrotiri und Dekelia. Sie gehören völkerrechtlich als Exklaven zu Großbritannien.

Genau genommen ist die Insel also in fünf Gebiete geteilt. Weiterhin wird englisch gesprochen, neben griechisch im Süden und türkisch im Norden. Die Kolonialzeit ist auch noch an verschiedenen Regelungen des Alltags zu erkennen. Auf beiden Seiten wird z.B. wie in Großbritannien auf der linken Seite gefahren.

Die Mediterrane Konferenz zur Kriegsdienstverweigerung fand in der Hauptstadt mitten in der Pufferzone statt. Dort bietet das Cyprus Community Media Centre (Medienzentrum der zypriotischen Gemeinschaft – CCMC) Organisationen auf beiden Seiten Räume für Tagungen und Projekte. Das hat seinen guten Grund: Die Pufferzone ist über die Checkpoints auf beiden Seiten für alle auf der Insel zu erreichen. Übrigens ist dort auch das Goethe-Institut angesiedelt, das u.a. Deutschkurse anbietet.

Grenzen und Reisebeschränkungen

Die Möglichkeit, den Tagungsort von beiden Seiten der Insel zu erreichen, war auch ein Grund, die Mediterrane Konferenz zur Kriegsdienstverweigerung genau dort durchzuführen. Für türkische Staatsbürger ist es wesentlich einfacher, Nordzypern zu erreichen, da dieses Gebiet faktisch als türkisches Staatsgebiet verwaltet wird. Der Süden als Teil der Europäischen Union war für viele ohne Visum zu erreichen – oder es gelang, ein Visum zu erhalten.

Allerdings konnten einige nicht kommen. In Ägypten wie auch in der Türkei sind Kriegsdienstverweigerer vom sogenannten „Zivilen Tod“ betroffen. Sie haben keinen Pass, keinen Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten, können kein Konto eröffnen und ohne Reisepass auch nicht ins Ausland reisen. Auch einige Aktivisten aus Palästina konnten nicht kommen, da sie unter der Besatzung Israels keine Ausreisegenehmigung erhielten. Zudem wurden zwei Kriegsdienstverweigerer aus Griechenland an der Ausreise gehindert, weil die griechischen Grenzbehörden sie als weiterhin wehrpflichtig ansehen.

Und auch in Zypern selbst waren die TeilnehmerInnen von den Einschränkungen betroffen. Der größte Teil der türkischen Delegation übernachtete im Norden der Insel und konnte die Demarkationslinie nicht überschreiten, da sie kein Visum der Europäischen Union hatte. Der Rest der TeilnehmerInnen war im Süden der Insel, immerhin mit der Möglichkeit, auch in den Norden zu gehen, um zumindest gemeinsam die Abende zu verbringen.

Länderberichte

Die Idee für die Konferenz war vor etwa eineinhalb Jahren auf einem Seminar in Istanbul entstanden. In vielen Ländern der Region sind Kriegsdienstverweigerer, in Israel auch Verweigerinnen, von Rekrutierung und Strafverfolgung bedroht. Kriege, Besatzung und militarisierte Gesellschaften sind an der Tagesordnung. Die Konferenz sollte einen ersten Austausch ermöglichen und die Chance bieten, gemeinsame Projekte zu entwickeln.

Um die Situation in den verschiedenen Ländern zu realisieren und zu verstehen, begann die Konferenz mit Länderberichten.

Die VertreterInnen aus Griechenland berichteten über die 2013 erneut begonnene Verfolgung der Kriegsdienstverweigerer. Sechs der Verweigerer wurden letztes Jahr verhaftet, zum Teil mit alten Anklagen überzogen oder aufgrund neuer Einberufungen. Die Verfahren endeten fast alle mit Bewährungsstrafen durch Militärgerichte. Einige erhielten auch eine Geldstrafe wegen Militärdienstentziehung, die seit 2010 6.000 € beträgt. Zudem lehnt das für die Prüfung der Anträge zuständige Komitee immer mehr Kriegsdienstverweigerungsanträge ab.

Die Situation in Griechenland ist allerdings nicht allein für Kriegsdienstverweigerer prekär. Wirtschaftliche Depression, massive Arbeitslosigkeit und die erhebliche Reduzierung von Löhnen und Gehältern haben nationalistische und faschistische Gruppen und Parteien gestärkt. Und weiterhin ist das Militär trotz der enormen Ausgaben eine hoch angesehene Institution. Es sind extrem schwierige Bedingungen, unter denen Menschenrechts- und andere Organisationen arbeiten müssen. Die vier aktiven Gruppen der Kriegsdienstverweigerer, unter anderem in Athen und Thessaloniki, sind daher unbedingt auf internationale Unterstützung angewiesen. (...mehr)

Die Bewegung No to Compulsory Military Service (Nein zum Kriegsdienstzwang) aus Ägypten berichtete von der prekären Situation von aktuell drei Verweigerern aus ihrer Gruppe. Nachdem sie den Einberufungsbefehlen nicht nachkamen, unterliegen sie nun dem „Zivilen Tod“, können keine Arbeit aufnehmen, nicht studieren, keinen Pass erhalten und daher auch nicht aus dem Land ausreisen. Darüber hinaus sind sie von Rekrutierung und Strafverfolgung bedroht.

Nach der Machtübernahme durch das Militär, ist es für die Gruppe extrem schwierig, weiterzuarbeiten. Sie sind nicht offiziell zugelassen und erhalten auch keine Unterstützung durch andere Parteien und Organisationen im Land. Deshalb machten auch sie deutlich, dass ihnen internationale Unterstützung sehr wichtig ist, um ihre Ziele weiterverfolgen zu können. Sie fordern ein Ende der Wehrpflicht und als einen ersten Schritt die Möglichkeit, den Dienst im zivilen Bereich abzuleisten.

Onur Erem vom Verein für Kriegsdienstverweigerung aus der Türkei (Istanbul) schilderte, dass es insgesamt eine Million Militärdienstentzieher gibt. Sie sind wie auch die Kriegsdienstverweigerer, die öffentlich ihre Verweigerung erklärten, vom „Zivilen Tod“ betroffen. Zudem unterliegen Kriegsdienstverweigerer wiederholt Strafverfahren, da sie nach jeder Verurteilung erneut einberufen werden können. (...mehr) Der Verein fordert das Ende der Wehrpflicht und als einen ersten Schritt dahin die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung. Gürsel Yıldırım, der in Hamburg aktiv ist, ergänzte dies durch Informationen über die sogenannte Freikaufsregelung für türkische Staatsbürger, die auf Dauer im Ausland leben. Wer nicht bereit ist, dieses Kopfgeld als Teil der Wehrpflicht zu zahlen, kann praktisch auf Dauer nicht mehr in die Türkei reisen. (...mehr)

Der Süden Zyperns erkennt als Mitgliedsstaat der Europäischen Union die Kriegsdienstverweigerung an und hat eine dem griechischen Modell sehr ähnliche Regelung. Während der Militärdienst 24 Monate dauert, beträgt die Dauer des Ersatzdienstes 33 Monate. Die Regierung weigert sich, Informationen über die Zahl der Antragsteller herauszugeben. Im Norden Zyperns gibt es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Wehrpflichtige unterliegen nach ihrer Rekrutierung zu Einheiten der zypriotischen Armee praktisch der Befehlsgewalt der türkischen Armee, die im Land stationiert ist. Der Initiative der Kriegsdienstverweigerer, die 2007 gegründet wurde, gelang es über ein Verfahren am Verfassungsgericht eine vorläufige Aussetzung der Strafverfahren gegen Kriegsdienstverweigerer zu erreichen. Das Verfassungsgericht urteilte in dem Verfahren gegen Murat Kanatlı zudem, dass nach den Grundsatzurteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Kriegsdienstverweigerung als Teil der Europäischen Menschenrechtskonvention anzusehen ist und verwies zurück an das Militärgericht. Einen Tag nach der Konferenz fand dieses Verfahren statt, an dem ein Vertreter des türkischen Vereins und von Connection e.V. teilnehmen konnten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung trugen ihre Argumentation vor. Die Urteilsverkündung soll am 23. Februar 2014 erfolgen.

Noam Gur, die in der Organisation New Profile in Israel aktiv ist, berichtete für die Gruppe über die Situation in einem hochmilitarisierten Land, das seit 1967 Gebiete der Palästinenser besetzt hält. Es besteht Wehrpflicht für jüdische Männer und Frauen. Grundsätzlich gibt es zwar keine Wehrpflicht der Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft, allerdings sind von dieser Regelung Drusen und Tscherkessen ausgenommen. Viele versuchen mit Erfolg, über Ausmusterung der Wehrpflicht zu entgehen, so dass nur etwa 40-45% der israelischen Staatsbürger im Wehrpflichtigenalter die volle Dienstzeit ableisten. Allerdings gibt es nur wenige, die öffentlich ihre Kriegsdienstverweigerung erklären, zumeist in Ablehnung der Besatzungspolitik. Sie riskieren damit wiederholte Gefängnisstrafen, die jeweils einige Wochen betragen.

Noam betonte das Verständnis von New Profile, dass auch die Militärdienstentzieher als Teil des Widerstandes gegen Militär zu begreifen sind und es darum gehen müsste, eine Politik zur Kriegsdienstverweigerung zu entwickeln, die deren Schritt mit einbezieht. New Profile bietet daher grundsätzlich eine umfassende Beratung an, die die verschiedenen Möglichkeiten (und Konsequenzen) mit einbezieht, sich dem Militärdienst zu entziehen.

Die VertreterInnen des Drusischen Initiativkomitees, einer palästinensischen Gruppe aus Israel zeigten einen kürzlich erstellten Film, in dem VerweigerInnen zu Wort kommen. Als Drusen unterliegen sie auch der Wehrpflicht in Israel, die sie als Teil der Besatzung ablehnen. Auch wenn sie in Israel leben, sehen sie sich als Opfer der Besatzungspolitik und schilderten, dass allein ihr Dorf in den letzten Jahrzehnten 85% des Landes verloren habe. Kriegsdienstverweigerer der Drusen sind in aller Regel auch stärkeren Repressionen bei Strafverfolgung unterworfen.

Gemeinsames und Unterschiede

Mit den Berichten wurde offenkundig, dass es eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Ländern gibt. Kriegsdienstverweigerer unterliegen in verschiedenen Formen Repressionen und Strafverfolgung. Militär und Polizei halten in hochmilitarisierten Gesellschaften Unterdrückung von Minderheiten, Besatzung und Ungerechtigkeit aufrecht. Internationales Recht wird missachtet.

Aber die TeilnehmerInnen sahen auch die Unterschiede. In manchen Ländern gibt es zumindest der Form nach ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, in anderen fehlt dies völlig. Eine weitere Besonderheit, die vor allem auf die Türkei und Israel zutrifft: Hier werden Angehörige von Minderheiten oder Bevölkerungsteilen, die unter Besatzung und Unterdrückungspolitik leiden, in ein Militär der Herrschenden rekrutiert. Die aus dieser Gruppe verweigernden Rekruten sehen ihre Handlung als Protest und Widerstand gegen diese Politik an.

Gemeinsames Netzwerk

Viel Zeit beanspruchte die Frage, ob eine gemeinsame Erklärung von der Konferenz aus erstellt werden sollte oder nicht. Ein Entwurf war relativ schnell geschrieben, aber es gelang in einer sehr langen Diskussion nicht, unterschiedliche politische Vorstellungen in der Erklärung zu vereinbaren, wie Ercan Aktaş in seinem Beitrag schildert (...mehr). Letztlich scheiterte es an der Frage, welche Form von Widerstand gegen Besatzung zu akzeptieren sei. Während einige auch gewalttätige Formen nicht ausschließen wollten und sich nicht als Pazifisten verstehen, beharrten andere auf ausschließlich gewaltfreien Aktionen und Handlungen, darunter eben auch die Kriegsdienstverweigerung. Auch wenn es nicht gelang, hier eine Position zu finden: Die Diskussion war entscheidend, um ein besseres Verständnis voneinander zu erhalten und auch die jeweils andere Seite mit ihren Hintergründen zu verstehen.

Zum Abschluss vereinbarten die TeilnehmerInnen daher auch, die gemeinsame Arbeit trotz aller Unterschiede fortzusetzen.

  • Es soll eine eigene Website erstellt werden, in der Inhalte, Aktionen und Urgent Actions für Kriegsdienstverweigerer aus den beteiligten Ländern veröffentlicht werden sollen.
  • Berichte über die jeweils individuelle Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern sollen zusammengetragen werden und über RechtsanwältInnen als Beschwerden bei internationalen Gremien eingereicht werden.
  • Eine eMail-Gruppe soll eingerichtet werden, um Diskussionen fortzuführen und Informationen auszutauschen. Berichte von Aktionen und Ideen sollen dafür sorgen, dass diese auch in anderen Ländern aufgegriffen werden können.
  • Ein gemeinsamer internationaler Aktionstag soll dazu dienen, die Forderungen auf Abschaffung der Wehrpflicht und Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung stark zu machen.

Das Wichtigste, so meine Einschätzung, ist jedoch der persönliche Kontakt, der über die Tage entstanden ist. Es war zu spüren, wie das gegenseitige Interesse wuchs und Beziehungen geknüpft wurden. Sie sind letztlich die entscheidende Voraussetzung dafür, dass ein Mediterranes Netzwerk zur Kriegsdienstverweigerung auch arbeiten kann.

Rudi Friedrich: Mediterrane Konferenz zur Kriegsdienstverweigerung – Ein Bericht. 10. Februar 2014. Wir danken dem AJ Muste Fund (USA), American Friends Service Committee und der Bewegungsstiftung für ihre finanzielle Unterstützung. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2014.

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