Ukraine: Zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung

von Connection e.V.

(18.11.2017) Nach Artikel 35 Absatz 3 der ukrainischen Verfassung von 1996 gibt es ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung: „Wenn die Ableistung des Militärdienstes im Gegensatz zu den religiösen Überzeugungen eines Bürgers steht, soll die Dienstpflicht durch einen alternativen Dienst erfüllt werden.“1 Genauer definiert wird dies in Artikel 2 des Alternativdienstgesetzes. Danach ist die Wahrnehmung dieses Rechtes auf Personen begrenzt, die Angehörige von registrierten religiösen Gemeinschaften sind, deren Lehre es verbietet, Waffen zu benutzen und Dienst in der Armee abzuleisten.2 In der Liste finden sich u.a, Adventisten, Baptisten, Zeugen Jehovas und die Pfingstbewegung. Ein Antrag ist mit einem offiziellen Schreiben der jeweiligen religiösen Gemeinschaft einzureichen.
Eine weitere Einschränkung erfährt das Recht durch die Regelung, dass ein Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Einberufung gestellt werden muss. Soldaten und Reservisten haben kein Recht auf Antragstellung.3
Im Juli 2013 überprüfte das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen den Siebten Regelmäßigen Bericht der Ukraine zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. In den Schlussfolgerungen drückt das Komitee seine Besorgnis darüber aus, dass keine Maßnahmen getroffen wurden, um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung von Wehrpflichtigen auf Personen auszuweiten, die eine Gewissensentscheidung ohne religiösen Hintergrund getroffen haben oder anderen Religionen angehören. Das Komitee betont im Folgenden, dass die Regelungen zum Alternativen Dienst allen Kriegsdienstverweigerern offen stehen müsse unabhängig von ihrer Überzeugung, ob sie religiös oder nicht religiös motiviert sei.4
Als Mitgliedsland des Europarates ist die Ukraine auch verpflichtet, Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte umzusetzen. Am 7. Juli 2011 stellte die Große Kammer des Gerichtshofes fest, dass „die Ablehnung des Militärdienstes – wenn sie motiviert ist durch einen ernsthaften und unüberwindlichen Konflikt zwischen der Pflicht, Dienst in der Armee abzuleisten, und dem Gewissen oder tiefen und aufrichtigen religiösen oder anderen Überzeugungen des Einzelnen – eine Überzeugung oder einen Glauben mit einer ausreichenden Schlüssigkeit, Ernsthaftigkeit, Bindekraft und Bedeutung bildet, um unter die Garantien des Artikels 9 zu fallen“5. Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.
Ein Gesetz, so bereits 1987 das Ministerkomitee des Europarates, „soll auch die Möglichkeit vorsehen, dass ein Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt werden kann, wenn die Bedingungen für die Antragstellung erst während der Ableistung des Militärdienstes oder bei militärischen Übungen nach der Grundausbildung eintreffen“6.
Damit ist in der Ukraine das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht garantiert, da es den Zugang auf Angehörige einiger religiöser Gemeinschaften einschränkt und zudem die Antragstellung zeitlich limitiert ist.

Fußnoten

1 Quaker Council for European Affairs: The Right to Conscientious Objection in Europe - Ukraine. 15. Mai 2005
2 European Bureau for Conscientious Objection: Report on conscientious objection to military service in Europe 2013, S. 42
3 Quaker 2005 ebd.
4 United Nations Human Rights Committee: Concluding observations on the seventh periodic report of Ukraine, adopted by the Committee at its 108th session, 8.-26. Juli 2013, Punkt 19
5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 7. Juli 2011. Antrag Bayatyan gegen Armenien, AZ 23459/03, www.connection-ev.org/article-1411
6 Committee of Ministers to Member States: Recommendation No. R (87) 8 Regarding Conscientious Objection to Compulsory Military Service. 9. April 1987

Quelle: Connection e.V.: Dossier zu Ruslan Kotsaba. 18. November 2017. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2017.

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