Zeynettin Er

Zeynettin Er

Türkei: "Wir müssen die Feindbilder überwinden"

von Zeynettin Er

Auf einer Veranstaltung in Bernau bei Berlin berichtete Zeynettin Er am 15. Mai 2008 über die Situation der Kriegsdienstverweiger in der Türkei und über die Schwierigkeiten der Aktiven der Initiative der türkisch-kurdischen Kriegsdienstverweigerer, in Deutschland Asyl zu erhalten. (d. Red.)

 

Liebe Friedensfreunde, liebe Friedensfreundinnen

ich freue mich, heute als Vertreter der Initiative der kurdischen und türkischen Kriegsdienstgegner sprechen zu können. Als Kriegsdienstverweigerer aus der Türkei bin ich gegen jede Gewalt. Ich weiß, dass die türkische Armee die Verantwortung für den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung trägt. Deswegen kann ich es nicht vor meinem Gewissen verantworten, dieser Armee als Soldat zu dienen.

Die Türkei erkennt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung jedoch nicht an. Verweigerer werden zum Militär einberufen. Wer sich dem Dienst verweigert, wird von einem Militärgericht verurteilt. Nach der Haft gibt es eine erneute Einberufung und eine neue Verurteilung. Das ist ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Wehrpflicht erlischt in der Türkei nämlich erst, wenn man den Dienst auch abgeleistet hat. Es droht also eine lebenslange Verfolgung. So erging es z.B. Osman Murat Ülke, Mehmet Tarhan oder auch Mehmet Bal. Nach mehrmaliger Haft wurden sie zwar auf freien Fuß gesetzt, aber nun leben sie praktisch illegal in ihrem eigenen Land. Sie können keinen Pass beantragen, kein Konto eröffnen, nicht heiraten, ihre Kinder nicht anerkennen. Sie sind von erneuter Rekrutierung, Haft und Strafverfolgung bedroht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte dies scharf und bezeichnete es als „zivilen Tod”. Geändert hat sich aber nichts.

Vor 16 Jahren floh ich aus der Türkei nach Deutschland. Ich floh aus einem Land, in dem auch heute noch schwerste Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Ich floh aus einem undemokratischen Land in ein demokratisches Land. Aber in diesem demokratischen Land wird die drohende Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern nicht als Asylgrund anerkannt.

So erging es auch mir. Obwohl in der Türkei verschiedene Verfahren wegen meiner öffentlichen Erklärungen zur Kriegsdienstverweigerung eröffnet wurden, obwohl mir die Rekrutierung zur türkischen Armee und damit als Kriegsdienstverweigerer Haft und Folter droht, wurde mein Asylantrag abgelehnt. Wir kurdischen und türkischen Pazifisten sind damit von Abschiebung bedroht.

Das bedeutet: Obwohl in der Europäischen Union das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht anerkannt ist, obwohl die Europäische Union von der Türkei demokratische Reformen einfordert, unterstützen deutsche Behörden mit der Abschiebung von Kriegsdienstverweigerern die menschenrechtsfeindliche Politik der Türkei.

Die Türkei ist eigentlich ein multikulturelles Land. Es gibt verschiedene Völker, Kulturen und Religionen. Aber nur wenn sich diese frei entfalten können, kann meiner Meinung nach von einem demokratischen Land gesprochen werden. Es ist Aufgabe der Regierung, den dafür notwendigen friedlichen Dialog z.B. zwischen Sunniten und Aleviten oder zwischen Kurden und Türkein zu ermöglichen.

Vor allem muss die dominierende Rolle des Militärs in der türkischen Gesellschaft abgebaut werden. Eine Grundbedingung dafür ist die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung. Doch in der Türkei wird das Militär nach wie vor als Heiligtum angesehen. Militärdienst zu leisten gilt als Ehrenpflicht. Wer sich weigert, wird als Landesverräter angesehen, verfolgt und bestraft. Für dauerhaft im Ausland lebende türkische Wehrpflichtige gibt es zwar die Möglichkeit, sich mit viel Geld vom Militärdienst freizukaufen: Aber dies bedeutet, dass das Militär direkt mit finanziellen Mitteln gestützt wird.

Alle Völker sind Brüder und Schwestern. Sie kommen von sich aus nicht auf den Gedanken, sich gegenseitig im Krieg abzuschlachten. Krieg ist keine Naturkatastrophe, es ist ein schmutziges, aber profitables Geschäft. Für den Krieg produzieren Militär und Regierung Feindbilder. Das Leid wird in militärischen Befehlszentralen geplant und der Bevölkerung aufgezwungen. Damit gewinnt das Militär in einem Land, wie in der Türkei, immer mehr an Macht und Einfluss. Alle Bedürfnisse des Militärs haben Vorrang. Das Militärische bestimmt schließlich die Politik. Aber Krieg wird niemals eine Lösung für Probleme sein.

Wenn Staaten oder auch bewaffnete Gruppen zur Durchsetzung ihrer Interessen oder zur Verteidigung militärische Gewalt anwenden, wird alles Menschliche zerstört. Angesichts des menschlichen Leides spielt es dann auch keine Rolle mehr, welche Partei Recht oder Unrecht hat. Die Krieg führenden Parteien handeln wie in einem Rausch. Im Strudel der Gewalt werden die Verteidiger des Friedens und der Vernunft zerrieben.

Die Geschichte der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten zeigt uns auch, dass ein dauerhafter Frieden nicht durch eine militärische Intervention einer außenstehenden Macht - die imperiale Interessen verfolgt - erreicht werden kann. Sowohl in Israel/Palästina, wie auch im Irak kann der Frieden nur von der betroffenen Bevölkerung selbst geschaffen werden. Dazu muss das Denken in Feindbildern überwunden werden. Zivile und demokratische Organisationen müssen gestärkt werden. Die Interessen des Militärs und der Rüstungsindustrie dürfen nicht mehr die Politik bestimmen. Dies gilt auch für den Weg der Türkei zu einem demokratischen Staat.

Frieden schaffen ohne Waffen! Das bleibt eine aktuelle Aufgabe für uns. Wir bitten Euch, uns dabei und ganz konkret beim Kampf auf Durchsetzung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung zu unterstützen.

Kontakt

Kürt ve Türk Savas Karsitlari Inisiyatifi

Initiative der türkisch/kurdischen KriegsgegnerInnen (KTSKI)

Zeynettin Er, Marktstr. 18, D-35452 Heuchelheim

Tel.: 0162-6997237

eMail: ktski(at)gmx(Punkt)de

Redebeitrag von Zeynettin Er, 15. Mai 2008

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