Israel: Verweigerer des Libanonkrieges

von Alex Cohn

(Oktober 2006) "Irgendeiner muss der Erste sein, um den falschen Konsens für diesen Krieg zu brechen", erklärte Itzik Shabat, bevor er zum ersten Verweigerer (Refusnik) des zweiten Libanonkrieges wurde. Der 28-jährige Shabat weigerte sich, Dienst in der Westbank abzuleisten, weil er damit Soldaten ersetzen sollte, die in den Libanon geschickt wurden. Shabat sah, dass "die Verweigerung des Militärdienstes der einzige Weg zur Beendigung dieses Wahnsinns ist" und er damit "das falsche Gefühl aufbricht, dass das ganze Land vereint hinter dem unnötigen Krieg stehe".

Am 12. Juli 2006 hatte die Hisbollah in einem Grenzgefecht in der Nähe der israelisch-libanesischen Grenze acht israelische Soldaten getötet und zwei gefangen genommen. Weithin wird angenommen, dass die Hisbollah diesen Angriff durchführte, um einen Gefangenenaustausch mit libanesischen und palästinensischen Gefangenen zu erreichen, die in israelischen Gefängnissen sitzen. Ein ähnlicher Austausch fand im Jahre 2004 statt. Stattdessen antwortete Israel mit einem Luftangriff, der das Signal für den Beginn des zweiten Libanonkrieges gab. Die Ziele, so die israelische Regierung seien: die Freilassung der gefangen genommenen Soldaten; die Entwaffnung der Hisbollah und die Stärkung der Abschreckungswirkung der israelischen Armee. Keines dieser Ziele wurde in den fünf Wochen Krieg erreicht. Dennoch wurden 1.187 libanesische und 44 israelische Bürger getötet, über eine Million Libanesen wurden zu Flüchtlingen gemacht, Hunderttausende libanesischer Häuser und der größte Teil der Infrastruktur im Libanon wurden zerstört.

Es wird weithin angenommen, dass die israelische Friedensbewegung den Krieg unterstützte, aber das trifft so nicht zu. Um zu verstehen, was in der Friedensbewegung geschah, ist es wichtig zu verstehen, dass die israelische Linke traditionell in zwei Lager gespalten ist: die zionistische Linke und die radikale Linke. Obwohl diese Aufteilung die Situation vereinfacht darstellt, ist sie überaus vielsagend.

Die zionistische Linke teilt mit der israelischen Rechten die Auffassung, dass Israel ein ethnisch jüdischer Staat sein muss, Meinungsverschiedenheiten gibt es jedoch bei der Frage, welcher Weg zu dieser Vision der beste sei. Die politischen Unterschiede zwischen den linken und den rechten Zionisten treten gewöhnlich in Krisen zutage, wie dem Beginn des ersten Libanonkrieges im Jahre 1982 oder im Jahre 2000, als die zweite Intifada begann.

Allgemein gesprochen kann die radikale israelische Linke als eine Friedensbewegung angesehen werden, die die zionistische Ideologie ablehnt. Das ist bei verschiedenen Gelegenheiten zu beobachten, aber am deutlichsten bei den Wurzeln, die den aktuellen Konflikt verursacht haben. Während die zionistische Linke den Konflikt als eine Folge der israelischen Besatzung des Gazastreifens, der Westbank und von Ostjerusalem im Jahre 1967 sieht, ist die radikale Linke der Auffassung, dass der Konflikt aus dem Beginn der jüdischen Kolonisation im Mandatsgebiet Palästina herrührt.

Als der Krieg begann, standen viele der zionistischen Linken gemeinsam mit rechten politischen Parteien auf der Seite der Kriegsunterstützer und schufen so den "falschen Konsens", wie es Itzik Shabat nennt. Diese Koalition trug dazu bei, die Anstrengungen von Tausenden jüdischer und palästinensischer Menschen in den Schatten zu stellen, die Woche für Woche in Tel-Aviv gegen den Krieg demonstrierten, wie auch von zweitausend DemonstrantInnen in der israelisch-palästinensischen Stadt Tira, von den Aktivisten, die den Eingang der Luftwaffenbasis im Norden Israels blockierten oder von der Entscheidung vieler Israelis, den Dienst in der Armee zu verweigern.

"Keine Chance, ich trage keine Uniform"

Itzik Shabat war nicht der Einzige, der sich dem Libanonkrieg verweigerte. Zohar Milchgrub, Amir Pasteur, Itamar Shapira, Daniel K., Nir A., A.A., Y.D. (von einigen wurden nur die Initialen veröffentlicht) und andere gingen aus dem gleichen Grund ins Gefängnis. Dutzende weitere verweigerten. Die meisten von ihnen wurden einfach nach Hause geschickt, andere werden noch wegen Desertion strafrechtlich belangt werden. Und darüber hinaus gab es viele, die sich dem Reservedienst entzogen, indem sie ausgemustert wurden oder das Land verließen.

Die feministische Bewegung New Profile, die sich mit dem Militarismus in der israelischen Gesellschaft beschäftigt, bietet Beratung für SoldatInnen an, die den Militärdienst verlassen wollen. Die Organisation berichtete, dass es Anfragen von mehreren hundert Soldaten gab, die nicht im Libanonkrieg Dienst leisten wollten und damit das Risiko einer Haftstrafe im Militärgefängnis eingingen. Zur Zeit gibt es immer noch über 100 Soldaten, die sich während des Krieges nicht bei ihren Einheiten meldeten und deshalb bestraft werden können. Zudem muss gesehen werden, dass sich nicht alle Soldaten, die sich dem Dienst entzogen, an New Profile wandten, so dass die tatsächliche Zahl wesentlich höher sein wird.

Das Gefühl vieler Verweigerer drückte der gut bekannte Pilot der Luftwaffe, Yonathan Shapira, der selbst verweigert hatte, in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Ha’aretz aus: "Unter keinen Umständen werde ich für diesen Krieg eine Uniform tragen, in welcher Situation auch immer, während das Militär das macht, was es macht". Shapira räumte ein, dass die Hisbollah die israelische Souveränität verletzt hatte, sah aber, dass Israel den Konflikt zu einem "Machokampf" machte und "libanesische Ortschaften zerstört und eine Blockade über die Städte verhängt, nur um das Gefühl zu vermitteln, dass dies das Land schütze."

"Wenn ich einberufen werde, entscheide ich mich"

Eines der Themen, die die zionistische Linke normalerweise von der radikalen Linken unterscheidet, ist die Frage der Kriegsdienstverweigerung. An der Grenzlinie dazu - zwischen der zionistischen Linken, die zumeist den Militärdienst unterstützt und der radikalen Linken, die ihn zumeist ablehnt - steht die Organisation Courage to Refuse (Mut zum Verweigern). Sie wurde 2002 anlässlich einer Petition von israelischen Soldaten und Offizieren gegründet, die sich als Zionisten verstehen und sich weigerten, außerhalb der Grenzen von 1967 Dienst zu leisten. Diese Position - sich als Zionist zu sehen und zugleich den Dienst zu verweigern - bringt Courage to Refuse Kritik von beiden Seiten der Friedensbewegung ein. Das wurde während des Libanonkrieges erneut deutlich.

David Zonsheine, einer der Gründer der Gruppe zeigte dies, als er in einem Interview gefragt wurde, ob er den Dienst im Libanon verweigern würde. "Wenn man mich einberuft, werde ich aufgrund des Einberufungsbefehls entscheiden. Wir werden sehen, was mir befohlen wird, zu tun. Derzeit scheint mir der Krieg berechtigt zu sein, mehr als 1982. Er beinhaltet nicht die moralische Lüge, wie der militärische Einsatz in den besetzten Gebieten. Aufgrund dieses Krieges wäre Courage to Refuse nicht gegründet worden."

Trotzdem stellte Zonsheine auch klar, dass er die Kriegführung der israelischen Regierung nicht unterstützt: "Was mich jetzt stört, ist das Verhalten der Regierung. Ich verlange von der Regierung, dass sie das Verhältnis wahrt und sich an die entsprechenden Standards hält, um eine Krise zu meistern. Was ich aber sehe, ist eine Regierung von Amateuren. Für die israelischen Verteidigungsstreitkräfte würde ich mein Leben aufs Spiel setzen. Aber für eine Armee, die sich wie ein Schläger verhält und deren Ziele der halben Welt unbegreiflich sind, würde ich es nicht tun. Das ist der Punkt, den ich derzeit abwäge."

Courage to Refuse schien den Krieg als legitim anzusehen, war aber besorgt darüber, dass Israel überreagiert hatte und Zivilisten Schaden zufügte. Auf der einen Seite teilten sie wie die meisten linken Zionisten die Ansicht, dass der Krieg als Antwort auf einen Angriff auf israelische Soldaten durch eine kleine Gruppe von Guerillas legitim war. Auf der anderen Seite führte die israelische Besatzung in den palästinensischen Gebieten zu einer ernsthaften Vertrauenskrise mit dem Oberkommando der Armee. Und Mitglieder von Courage to Refuse stellten die Moralität der Kämpfe im Libanon in Frage. Am Ende zögerten viele Mitglieder der Gruppe, bevor sie sich bereit erklärten, am Krieg teilzunehmen.

"Sich weigern, den neuen Nahen Osten zu akzeptieren"

Am 12. August 2006 organisierte die Verweigererorganisation Yesh Gvul (Es gibt eine Grenze) eine Demonstration gegen den Krieg zur Unterstützung der Verweigerer. Die Aktion fand auf einem Berg gegenüber dem Militärgefängnis Nr. 6 statt. Der ganze Berg ist bewachsen und von dort ist das Mittelmeer zu sehen. Das einzige, was in der Landschaft stört, ist das mit Stacheldraht bewehrte Gefängnis. Im Gefängnis ist es möglich, die Demonstration draußen mitzubekommen. Von einigen Stellen aus lässt sie sich sogar sehen. So ist das eine Möglichkeit, um mit dem Protest die Verweigerer im Gefängnis zu unterstützen. Bei der Demonstration wurden Reden gehalten und Musik gespielt. Yonathan Shapira, dessen Bruder Itamar wegen seiner Verweigerung des Libanonkrieges inhaftiert war, rief seinem Bruder zu: "Ich weiß, dass Du Dir einen Platz auf dem Dach des Gefängnisses gesucht hast. Ich möchte dir sagen, dass wir stolz auf Dich sind und Dich lieben".

Khulood Badawi, ein palästinensischer Aktivist in der Association for Civil Rights (Verein für Bürgerrechte) und einer der Führer der Protestaktion stellte die Aktion in einen größeren Zusammenhang. Er sagte, dass die Verweigerer nicht nur den Krieg im Libanon verweigern, sondern auch die Vision eines Nahen Ostens verweigern, die die Außenministerin der USA, Condoleezza Rice, zu Beginn der Krieges verkündet hatte. "Ich möchte allen Verweigerern in israelischen Gefängnissen sagen, dass Ihr Händler des Friedens seid - für unser aller Frieden. Wegen Euch glauben die arabischen Bürger Israel noch daran, dass wir einen gemeinsamen Platz hier haben und zusammenleben können. Ich kann für mich selbst sprechen. Oft war ich an dem Punkt aufzugeben, dem Rassismus nachzugeben, den ich fühle. Aber ich bin mir bewusst, dass dieser Krieg uns erfassen will, jeden von uns entsprechend seiner persönlichen Zugehörigkeit, damit arabische gegen jüdische Menschen stehen, palästinensische und libanesische gegen israelische. Wir weigern uns, den ’neuen Nahen Osten’ zu akzeptieren, dass wird uns nur einen neuen Irak in Israel bringen."

Dieser Krieg machte mir selbst auf politischer und persönlicher Ebene klar, wie wichtig der Kampf gegen die aggressive militaristische Politik Israels ist. Meine Eltern, die im Norden von Israel leben, wurden durch das Raketenfeuer aus dem Libanon bedroht. Mein Bruder war an der Nordgrenze stationiert und ich sah, dass er sein Leben für Nichts riskierte. Durch den ganzen Krieg hindurch ärgerte ich mich über die Regierung und die Armee, die mit Menschenleben spielten und Israelis schicken, um gegen Libanesen und Palästinenser zu kämpfen.

Der Krieg führte mir erneut vor Augen, dass nicht allein die Anwesenheit des Militärs in den besetzten palästinensischen Gebieten das Problem Israels ist, vielmehr das rassistische und militaristische Gedankengut, das die Entscheidungsträger antreibt. Eine militarisierte Gesellschaft sieht die Realität nur noch in der Sicht von Waffengewalt: Es geht um Wir oder Sie, Leben oder Tod, töten oder getötet werden. So wird jeder Widerstand gegen Israel zu einer existenziellen Bedrohung. Ich sehe die Verweigererbewegung - zu denen ich auch die palästinensischen Bürger Israels rechne, die nicht die Möglichkeit der Verweigerung haben - als eine Alternative zum militarisierten Leben an, das Israel von einem Krieg zum nächsten treibt.

 

Alex Cohn, 19 Jahre alt, ist israelischer Kriegsdienstverweigerer und Friedensaktivist. Er war wegen seiner Verweigerung fünf Monate in Haft.

Alex Cohn: Refusniks of War, Oktober 2006. Entnommen aus: http://www.afsc.org/israel-palestine/Alex-Cohn.htm. Übersetzung: Rudi Friedrich. Der Beitrag erschien in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre "Israel: Stimmen für Frieden und Verständigung - Kriegsdienstverweigerung und Antikriegsarbeit", November 2006.Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Katholischen Fonds, den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), dem Bildungswerk Hessen der DFG-VK, dem Fonds der EKHN "Dekade zur Überwindung der Gewalt" und Brot für die WeltDie Broschüre ist vergriffen.

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