Eritrea: Zerstörte Träume von der Freiheit

von Eva-Maria Bruchhaus

(01.05.2006) Es waren die italienischen Kolonisatoren, die dem Land seinen heutigen Namen gaben: Eritrea ist die griechische Bezeichnung für das Rote Meer, an dessen westlichem Ufer sich das Land über 1.151 km hinstreckt, zwischen Sudan und Dschibuti. Eritrea ist so groß wie Österreich und mit ca. 4 Millionen Einwohnern relativ dünn besiedelt - abgesehen vom nördlichen Hochland, wo sich auch die Hauptstadt des Landes, Asmara, befindet.

Weite Teile des Landes bestehen aus Halbwüsten und Dornsavannen. Nur ca. 5 Prozent der Staatsfläche - vor allem in der südwestlichen Tiefebene und im südlichen Hochland - sind landwirtschaftlich nutzbar. 60 Prozent dienen als Weideland.

Die Bevölkerung setzt sich aus neun teilweise sehr verschiedenen ethnischen Gruppen zusammen. Die vor allem im Hochland siedelnden, überwiegend christlich-orthodoxen Tigrinja bilden mit 50 Prozent die größte Gruppe, gefolgt von den meist muslimischen Tigre (32 Prozent), die traditionell als halbnomadische Viehzüchter in den westlichen und östlichen Ebenen und im nördlichen Sahel leben. Die restlichen 18 Prozent setzen sich aus mehrheitlich muslimischen Saho, Afar, Hedareb, Kunama, Bilen, Nara und Rashaida zusammen.

Eritrea gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, obwohl es beträchtliche, aber bisher kaum genutzte, Bodenschätze besitzt. Aufgrund der klimatischen und ökologischen Bedingungen reicht die landwirtschaftliche Produktion bei weitem nicht für die Versorgung der Bevölkerung aus. Nach mehrjährigen Dürreperioden ist ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

Altes Land und junger Staat

Das Gebiet zwischen dem Roten Meer und dem Nil, zwischen Äthiopien und Sudan, war seit jeher ein Grenzgebiet der Kulturen und ein Durchgangsland für den Handel. Lange Zeit war Adulis, eine heute durch Korallenriffe verschlossene Bucht, der wichtigste Hafen an der Ostküste Afrikas, von dem Gold, Elfenbein, Straußenfedern, Wachs, Honig und Weihrauch, aber auch Sklaven, exportiert und vor allem Seidenstoffe aus Indien, Öl aus Griechenland und Datteln aus Arabien importiert wurden. Als Adulis nicht mehr zugänglich war, entwickelte sich Massawa zum wichtigsten Hafen der Region. Auf Grund der strategisch wichtigen Lage versuchten die damaligen Großmächte - die osmanischen, ägyptischen und abessinischen Reiche - die Region unter ihre Kontrolle zu bringen, was ihnen teilweise und vorübergehend auch gelang. Alle Teilregionen des heutigen Eritreas konnten sich jedoch über die Jahrhunderte als autonome, aber vielfältig miteinander verbundene, Einheiten behaupten, bis in der Mitte des 19. Jahrhunderts die äthiopische Expansion einerseits und die italienische Kolonisierung andererseits versuchten, die weitgehende Unabhängigkeit der Region zu beenden. Dabei siegte Italien und erklärte am 1. Januar 1890 Eritrea zu seiner "erstgeborene(n) Kolonie" in Afrika.

Der Kampf um die Unabhängigkeit

Nach dem Sieg Großbritanniens über das faschistische Italien 1941 am Horn von Afrika wurde das gesamte italienische Kolonialreich - zu dem neben Eritrea auch Äthiopien und ein Teil Somalias gehörte - unter britische Militärverwaltung gestellt. Elf Jahre später wurde das Mandatsgebiet auf UN-Beschluss, und gegen den massiven Protest einer nach New York entsandten eritreischen Delegation, mit Äthiopien föderiert. Es war eine Kompromisslösung, die vor allem von den USA favorisiert wurde. Deren Interessen stimmten mit denen Kaisers Haile Selassie von Äthiopien überein, denen das Selbstbestimmungsrecht der Eritreer geopfert wurde, wie es der damalige US-Außenminister John Foster Dulles in einer Rede vor dem UN-Sicherheitsrat einräumte: "Unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit müssen die Interessen des eritreischen Volkes berücksichtigt werden. Dennoch verlangen die strategischen Interessen der Vereinigten Staaten am Roten Meer, sowie die Überlegungen zu Sicherheit und Weltfrieden, dass das Land mit unserem Alliierten Äthiopien verbunden wird."

Die Föderation sollte nur 10 Jahre existieren: Ohne den geringsten Protest der Weltgemeinschaft annektierte Äthiopien 1962 Eritrea rechtswidrig als 14. Provinz. Kurz darauf begann unter der Führung der Eritreischen Befreiungsfront (ELF) der bewaffnete Kampf um die Unabhängigkeit, der 30 Jahre dauern sollte, Hunderttausenden das Leben kostete und mehr als eine halbe Million Menschen zu Flüchtlingen machte. In einem erbitterten Bruderkrieg erkämpfte Ende der 70er Jahre die von der ELF abgespaltene Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF) die Vorherrschaft und errang mit der Eroberung Asmaras im Mai 1991 den Sieg über die äthiopische Armee. Zudem unterstützte die EPLF im Anschluss die verbündete nordäthiopische Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) bei der Verfolgung der äthiopischen Restarmee, der Einnahme Addis Abebas und dem Sturz des Mengistu-Regimes. 1993 wurde die Unabhängigkeit Eritreas, des jüngsten afrikanischen Nationalstaats, durch ein international beaufsichtigtes Referendum mit großer Mehrheit bestätigt.

Der Traum von der Freiheit

Die EPLF unter der Führung von Isayas Afewerki bildete eine Übergangsregierung, in der sie praktisch alle wichtigen Positionen besetzte. Indem sie sich unter dem Namen Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PFDJ) neu verfasste, öffnete sie sich für neue Bevölkerungsschichten und versprach eine demokratische Verfassung und die Zulassung von anderen Parteien, solange sie sich nicht auf ethnischer oder religiöser Basis bildeten. Sie verkündete, weiterhin eine Politik der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit verfolgen zu wollen und sich keinen Bedingungen zu unterwerfen. Dieses Selbstbewusstsein stieß bei den westlichen Regierungen und Medien keineswegs auf Ablehnung, im Gegenteil: Zusammen mit den zur gleichen Zeit an die Macht gekommenen ehemaligen Guerillaführern Meles Zenawi (Äthiopien) und Yoweri Museveni (Uganda) galt der eritreische Präsident in den westlichen Medien bis zum sogenannten Grenzkrieg mit Äthiopien (siehe Beitrag von Konrad Melchers) als einer der "neuen Führer" Afrikas.

Sechs Jahre nach Ende des letzten Krieges mit Äthiopien scheint sich die internationale Öffentlichkeit kaum mehr für die Vorgänge in Eritrea zu interessieren. Sie werden allenfalls als Facette des allgemeinen afrikanischen Horrorszenarios zur Kenntnis genommen. Tatsächlich verschlechtert sich die Situation von Jahr zu Jahr: Der Krieg kann jederzeit wieder ausbrechen. Die wirtschaftliche Situation ist auf Grund aufeinander folgender Dürrejahre, steigender Ölpreise und des durch Zwangsrekrutierung und unbegrenzten Militärdienst entstandenen Mangels an Arbeitskräften desolat. Weder wurde die Verfassung in Kraft gesetzt, noch wurden andere Parteien zugelassen. Seit im September 2001 in einer Nacht- und Nebelaktion 11 prominente Regimekritiker aus den eigenen Reihen sowie alle führenden Journalisten der kurz vorher erst zugelassenen unabhängigen Zeitungen festgenommen wurden, nimmt die Repression zu. Abgesehen von einzelnen Haftentlassungen werden Tausende von politischen Gefangenen an unbekannten Orten ohne Kontakt zur Außenwelt, Rechtsbeistand und ordentliche Gerichtsverfahren festgehalten. Die Verhaftungen von Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und praktizierenden Angehörigen vor allem evangelikaler Religionsgemeinschaften gehen weiter. Eine Opposition wird durch weitverbreitetes Spitzelwesen und willkürliche Verhaftungen unterbunden. Die außenpolitische Isolation und das internationale Desinteresse erleichtern die anhaltende straflose Verletzung der Menschenrechte.

Flucht und Exil

Ende der siebziger Jahre begann eine massive Flüchtlingsbewegung, als die brutale Repression durch die äthiopische Besatzung, die zunehmenden Bombardierungen und die Kriegshandlungen zwischen den rivalisierenden Befreiungsbewegungen ab Ende der siebziger Jahre Hunderttausende in die Flucht trieben. Sie flüchteten vor allem in den Sudan, wo noch heute die meisten der 120.000 verbliebenen eritreischen Flüchtlinge in Lagern leben, die vom UNHCR verwaltet werden. Wer es sich leisten konnte, zog weiter: nach Europa, den USA, Australien und Saudi-Arabien. Insgesamt leben mehr als eine halbe Million EritreerInnen im Ausland, viele von ihnen seit 20 bis 30 Jahren. Die eritreische Diaspora ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für das Heimatland. Im Jahr 2002 wurden privat 206 Millionen US-Dollar an die Familien in Eritrea überwiesen. Das entsprach ungefähr einem Drittel des Bruttosozialproduktes und war weit mehr als die offizielle Entwicklungshilfe. Zudem sind nach einem Regierungserlass von 1995 alle im Ausland lebenden EritreerInnen verpflichtet, 2 Prozent ihres Einkommens an die eritreische Regierung abzuführen. Dadurch erhält sie insgesamt 5,9 Millionen US-Dollar pro Jahr, zusätzlich zu den Millionen freiwilligen Spenden und den gezeichneten Staatsanleihen.

Ursprünglich wollten viele nur für eine befristete Zeit ins Ausland gehen. Inzwischen wurde das Exil für die meisten aber zur zweiten Heimat. Nur wenige sind nach der Unabhängigkeit nach Eritrea zurückgekehrt. Viele, die zurück kehrten, verließen Eritrea erneut. Die Fluchtbewegungen nahmen nach dem sogenannten Grenzkrieg mit Äthiopien sogar wieder zu. Seit 2001 setzen sich jährlich Tausende EritreerInnen ins Ausland ab, zusätzlich zu Tausenden, die aus der Armee oder dem Nationaldienst nach Äthiopien oder in den Sudan fliehen. Insgesamt wird von jährlich 40.000 Flüchtlingen ausgegangen, die jedes Jahr illegal ihr Land verlassen. All dies wird in den westlichen Medien erst thematisiert, wenn es zu einer spektakulären Aktion kommt, z.B. der Entführung eines Flugzeugs durch 78 Flüchtlinge, die im Sommer 2004 aus Libyen nach Eritrea abgeschoben werden sollten. Erfahrungsgemäß haben es eritreische Flüchtlinge nach der Unabhängigkeit schwer, in Deutschland Asyl zu erhalten. Die Inhaftierung auf Grund von Flucht durch Zwangsrekrutierung oder Fluchthilfe wird nicht als Asylgrund anerkannt. Allerdings ist in der letzten Zeit eine weniger restriktive Auslegung zu beobachten und es wurde ein Abschiebestopp für eritreische Flüchtlinge in Deutschland verfügt.

 

Eva-Maria Bruchhaus lebt in Köln und ist entwicklungspolitische Gutachterin

Der Beitrag erschien in: Connection e.V. und Eritreische Antimilitaristische Initiative: Gegen Krieg und Diktatur in Eritrea, Mai 2006. Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Katholischen Fonds, den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), die Aktion Selbstbesteuerung e.V. (asb) sowie den Fonds der EKHN "Dekade zur Überwindung der Gewalt"

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