Israel: Kriegsdienstverweigerung - außerhalb des Rampenlichts

von Adam Keller

(Oktober 2005) Zu Beginn des Jahres 2005 haben mehrere Hundert junger Israelis den neuen Brief von AbiturientInnen (Shministim) unterzeichnet und dabei ihre umfassende Verweigerung verkündet, der Besatzung zu dienen. Aus der Erfahrung mit früheren Protestbriefen wussten sie, dass sie aufgrund ihrer Unterschrift wahrscheinlich hinter Gittern landen werden. Aber im Unterschied zu ihren Vorgängern hatten die neuen Verweigerer mit einer nahezu vollständigen Ignoranz durch die Medien zu kämpfen.

In der Phase vor der Evakuierung der Gaza-Siedlungen hatten die Siedler und ihre extrem rechten Unterstützer die organisierte Verweigerung von militärischen Befehlen auf ihre Fahnen geschrieben. Sie hatten keine Skrupel, von den Flugblättern und Erklärungen der Anti-Besatzungsverweigerungsbewegung abzuschreiben, was immer ihnen passte - ohne die jeweiligen Quellen zu zitieren.

Von Bescheidenheit konnte bei ihnen keine Rede sein. Bei ihrer Pressekonferenz in Jerusalem im April wurde behauptet, dass "die ersten Zehntausend" schon einen Aufruf unterzeichnet hätten, wonach sie eher ins Gefängnis gehen würden als sich am Abbruch der Gaza-Siedlungen zu beteiligen. Ihr verkündetes Ziel war, "bis zu diesem Tag nicht weniger als 30.000 Unterschriften zu haben".

Die Tatsache, dass ihr Chef-Organisator der Bruder von Sharons Erziehungsminister war, verschaffte dieser Kampagne den Charakter eines pikanten Medienereignisses. Untermauert wurde dies durch die Verwendung geheimnisvoller mythischer Begriffe, vehement ermuntert durch Siedler-Rabbis.

Im Vergleich dazu schienen "die linken" Verweigerer offensichtlich ein "alter Hut" zu sein - obwohl dann tatsächlich nur sehr wenig Siedler-Sympathisanten Befehle verweigerten oder ins Gefängnis gingen. Bis die Vorbereitungen für die Aufgabe des Gazastreifens begannen, gab es tatsächlich nichts, was sie hätten verweigern können; sie sahen sicherlich kein Problem darin, an den Kontrollpunkten zu stehen oder Razzien in palästinensischem Gebiet durchzuführen.

Die hypothetische Verweigerung der Siedler wurde in den Leitkommentaren heiß diskutiert und in Fernseh-Diskussionsrunden debattiert. Wie üblich waren es aber die Gegner der Besatzung, die unbeachtet von den Medien weitermachten: Einer nach dem anderen übergab an die Rekrutierungsbeamten im Einberufungszentrum Tel Hashomer gut begründete persönliche Verweigerungserklärungen. Sie wurden daraufhin in die Militärgefängnisse geschickt.

Zur Ehre der Siedler-Verweigerer muss gesagt werden: Nicht alle waren Schwindler. Als der Zeitpunkt gekommen war, haben einige von ihnen couragiert ihre Überzeugung gezeigt; auch wenn es nur sehr wenige waren, im Vergleich mit den Zahlen, mit denen sie zuvor geprahlt hatten. Die meisten von ihnen wurden jedoch nicht ins Gefängnis geschickt, sondern zumeist zu einer anderen Einheit verlegt oder ihnen wurde für die Zeit des Gaza-Rückzugs ein anderer Dienst zugewiesen. Im Anschluss daran war von ihnen kaum noch etwas zu hören.

Genau in die Zeit des Abzugs legte die Armee das Einberufungsdatum für den Tel Aviver Shaul Mograbi-Berger. Er ist ein führender Aktivist im Kampf gegen die Trennmauer in der Ortschaft Bil’in und stand mehrere Male dort, wo die Armee ihren Schwall an Tränengaskanistern hingeschossen hat. Dies hat sicher seine letzten Zweifel am Dienst in der Armee beseitigt - sofern er sie gehabt hat. Für den Fall seiner Einberufung hatte er einen Brief vorbereitet, in dem er mit eindeutigen Worten seine "komplette und entschiedene Verweigerung" erklärt, "an der Unterdrückung des palästinensischen Volkes teilzunehmen".

Mit ihm ging Alex Cohn in das Einberufungszentrum, ein "Veteran", der seit März immer wieder das Ritual durchläuft: Er bekommt die Aufforderung, sich zum Militär zu melden, er geht hin, erklärt seine Verweigerung und wird dann ins Gefängnis geschickt. Ihn begleiteten Dutzende von Jugendlichen, denen das alles noch bevor steht. Vor dem Tor verbrannten sie feierlich ihre Einberufungspapiere.

"Ich bewundere die Sechziger und wusste immer, dass ich das eines Tages tun werde", sagte ein langhaariger Siebzehnjähriger. Das Foto dieser herausfordernden Feier kam am nächsten Tag in der Ha’aretz - seit langer Zeit die erste Medienreaktion über die Verweigererbewegung.

Zwischenzeitlich hatte der seit Beginn des Jahres inhaftierte Verweigerer Eyal Brahmi die von ihm beantragte Anhörung vor dem "Gewissenskomitee" der Armee. Das Komitee hat schon viele Verweigerer abgelehnt, aber so ist nun mal die Lage. Seine eloquente Rede schien bei dem sechsköpfigen Gremium sehr gemischte Eindrücke hinterlassen zu haben. Zwei von ihnen erklärten, dass er ein gefährlicher Subversiver sei, der vor das Kriegsgericht gestellt werden solle. Major Yossi Malka gelangte hingegen zur Überzeugung, dass Eyal unverzüglich zu entlassen sei, was er ihm auch mitteilte. Die drei Vorsitzenden dieses Tages stellten schließlich fest, "dass Brahmi nur gegen Kriegsverbrechen und nicht gegen den Krieg an sich" sei, so dass er nicht aus Gewissensgründen entlassen werden könne.

Anschließend konfrontierten Brahmi und sein Freund Misha Hadar die Verantwortlichen des Gefängnisses mit ihrer Weigerung, die Militäruniform anzunehmen und deren Befehle auszuführen, wofür sie in Isolationshaft kamen.

Schließlich kamen sie auf einfachem Weg raus: Ein Militärpsychiater diagnostizierte "Untauglichkeit aus psychischen Gründen" und ordnete ihre Entlassung an. Zur selben Zeit entzündete Shministim an einem Kindergarten nahe dem Wohnsitz des Stabchefs der Armee, Halutz, Hunderte von Kerzen, um aller israelischen und palästinensischen Kinder zu gedenken, die während der Intifada getötet worden sind. "Sie waren unschuldig, im Gegensatz zu Halutz!" sagte ein Demonstrant, als die zwei ankamen.

Alex Cohn, der seit März kontinuierlich inhaftiert ist (sieben Mal zu je einem Monat), lehnte es dagegen ab, dem Psychiater vorgeführt zu werden. "Hier geht es um kein psychisches Problem, sondern um eines des Gewissens. Es ist auch nicht mein Problem, sondern das der Armee. Sie können sicher sein, dass ich niemals in einer Besatzungsarmee dienen werde, wie lange sie mich auch hinter Gittern halten werden. Was sie damit machen, ist ihr Problem."

Mitte August bekam Cohn von den Beamten des Einberufungszentrums die Mitteilung, dass er vom "Unvereinbarkeitskomitee" angehört werden wird. Dieses hat die Befugnis, Soldaten zu entlassen, ohne ihren Gesundheitszustand zu überprüfen und ohne ihre Gewissensentscheidung anzuerkennen. Ja, er bekam sogar gesagt, er könne bis dahin eine Woche zu Hause verbringen. Aber schon nach ein paar Stunden bekam er einen Anruf mit der Aufforderung, wieder zurückzukehren. Er musste wieder ins Gefängnis. Der Grund für die Meinungsänderung der Armee ist bislang unklar.

Shministim gibt es nun ja schon seit einiger Zeit. Etliche Mitglieder der Gruppe waren bereits inhaftiert worden. Nun kommt die Gruppe immer mehr in Kontakt zu einer anderen Gruppe von Verweigerern, die einen anderen sozialen und ethnischen Hintergrund hat. Aber sie haben den gleichen politischen Ausgangspunkt. Sie weigern sich, der Besatzung zu dienen und sind bereit, dafür ins Gefängnis zu gehen. Es sind die Angehörigen der drusischen Gemeinschaft. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass von den arabischen Bürgern Israels nur sie der Wehrpflicht unterliegen - mit allen Lasten und Risiken des Militärdienstes. Und entgegen der Militärpropaganda führt der Dienst in der Armee gerade nicht dazu, dass sie von der institutionellen Diskriminierung verschont bleiben, der Araber bei der Arbeitssuche, bei Wohnungen, Landbesitz usw. ausgesetzt sind. Auch sie sind von anti-arabischen Vorurteilen betroffen, die in weiten Teilen der israelischen Gesellschaft vorherrschen.

Der 20 Jahre alte Wissam Qablan aus dem Dorf Beit Jan hat die letzten zwei Jahre damit verbracht, entweder im Militärgefängnis (wo er mehr als 100 Tage verbrachte) zu sein oder sich vor den "Deserteursfängern" der Armee in den Hügeln Galiläas zu verstecken. Er sieht die Armee als wichtigstes Instrument einer Politik an, die sich auf Israelis wie Palästinenser gleichermaßen destruktiv auswirkt. Qablan blieb nicht lange der Einzige - zu ihm gesellte sich sein jüngerer Dorfkamerad Orwa Zidan, der bereits zum zweiten Mal inhaftiert ist.

Die ersten Kontakte zwischen den zwei Gruppen kamen durch die Hadash-Kommunisten zustande, welche traditionell die drusischen Verweigerer unterstützen. Später kam es zu direkten Kontakten sowohl im Gefängnis selbst (Shaul Berger und Orwa Tzidan lernten sich als Zellenkameraden kennen), als auch in Demonstrationen draußen und in gemeinsamen Aufrufen nach internationaler Unterstützung. Auch die jeweiligen Eltern der Verweigerer haben immer mehr Verbindungen aufgebaut. Einige von ihnen, Juden wie auch Drusen, haben selbst eine Vergangenheit als Verweigerer.

Als Letzter von Shministim ist Uri Natan am 28. September zum Einberufungszentrum vorgeladen worden. Sein Name ist in der Verweigerungsbewegung bekannt, denn er und mehrere Mitschüler seiner Oberschule hatten sich vor einem Jahr aus Protest gegen einen Vortrag eines von der Schule eingeladenen Offiziers an das Schultor angekettet.

Schon vor dem Einberufungstermin hatte er an den Verteidigungsminister geschrieben: "Ich habe mein ganzes Leben in Israel gelebt, 18 Jahre, und ich habe noch immer nicht verstanden, warum die israelische Seite auf die Gewalt der palästinensischen immer wieder und bevorzugt mit Gewalt reagiert. Die Anwendung von Gewalt, Erniedrigungen, Drohungen, und Töten sind für mich ungerechtfertigt. Ich sehe keinen Nutzen in der Einschüchterung einer ganzen Bevölkerung. Alles was ich sehe, ist, dass auf Leid noch mehr Leid folgt und Rache mit noch mehr Rache beantwortet wird. Deshalb lasse ich Sie wissen, dass ich in der israelischen Armee nicht dienen werde."

Er und Shaul Mograbi-Berger, der zu seiner dritten Inhaftierung kam, wurden von etwa hundert UnterstützerInnen bis vor das Tor begleitet. Die DemonstrantInnen ignorierten die Anderen nicht, die auf dem gleichen Weg waren. Es waren Jugendliche, die bereit waren, den Einberufungsbefehlen zu folgen. Die Verweigerer und ihre UnterstützerInnen überreichten ihnen "ein Geschenk für die neuen Soldaten". Darin enthalten waren ein Paar Plastik-Handschellen und ein Tuch, um die Augen zu verbinden. Gleichzeitig demonstrierten mehreren AktivistInnen, gekleidet in parodierenden Militäruniformen, ihre Anwendung an anderen, die palästinensische Gefangene darstellten.

Das ist nicht fair! Ihr ruiniert meinen Einberufungstag, den ich feierlich begehen möchte!", schrie fanatisch ein patriotischer Jugendlicher seinen verweigernden Landsleuten entgegen. "Falls du in Uniform zur Westbank gehst und die Befehle, die Dir gegeben werden, befolgst, wirst Du nicht nur die Feiern von vielen Leuten ruinieren, es kann auch sein, dass Du damit auch Deine eigenen Feiern ein für alle Mal ruinierst", antwortete eine junge Frau mit umgehängten Plakat aus der Reihe der Shministim.

Adam Keller: Outside the limelight - Forgotten COs take to street theater. Aus: The Other Israel Nr. 120/121 - October 2005. Übersetzung aus dem Englischen und Bearbeitung: fn. Der Beitrag erschien im Rundbrief »KDV im Krieg«, Januar 2006.

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