Wiesbaden, 16. April 2022

Wiesbaden, 16. April 2022

Wehrpflichtige und Berufssoldaten in der russischen Armee

Erfahrungsberichte aus der russischen Armee

von Alexia Tsouni

(21.03.2022) In der russischen Armee gibt es sowohl Wehrpflichtige wie auch Berufssoldaten. Wehrpflichtige werden für ein Jahr zur Armee eingezogen und gelten nicht als Berufssoldaten. Ein Berufssoldat ist eine Person, die einen Vertrag mit einer Laufzeit von mindestens 2 Jahren mit dem Verteidigungsministerium abgeschlossen hat und dafür Gehalt bekommt.

Zu Beginn der Militäroperation behauptete die russische Regierung, dass nur Berufssoldaten daran teilnehmen würden. Am 9. März 2022 meldete das Verteidigungsministerium, dass alle Wehrpflichtigen aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet abgezogen worden seien und es ergreife alle notwendigen Maßnahmen, um gefangene Wehrpflichtige zurückzuholen. „Leider wurden verschiedene Fakten über die Anwesenheit von Wehrpflichtigen in den Einheiten der russischen Streitkräfte bekannt, die an einer militärischen Sonderoperation auf dem Gebiet der Ukraine teilnehmen“, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums am 9. März 2022.1

Wer wird Berufssoldat und wie läuft das ab?

Nach Ableistung des Militärdienstes

Theoretisch können Personen nach Ableistung der Wehrpflicht Berufssoldat werden. Dies ist jedoch nicht der häufigste Fall. Personen aus strukturschwachen Regionen des Landes, in denen es keine Arbeit für sie gibt, gehen oft mit der Hoffnung einen Vertrag ein, dass dies zumindest ihr Einkommen absichert.

Studenten

Studenten der Universitäten können in militärischen Ausbildungszentren und -lagern trainiert werden und den Rang eines Reserveoffiziers erhalten. Einige Studenten machen dies, um nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden. Wenn sie diese Option nicht wahrnehmen wollen, werden sie mit Abschluss des Studiums wehrpflichtig.

Hochschulabsolventen können einen Vertrag als Berufssoldat abschließen statt Militärdienst im Rahmen der Wehrpflicht abzuleisten.

Für manche Männer ist das Versprechen attraktiv, dass sie zu Hause leben können und nicht in der Kaserne stationiert werden, dass sie für ihren Dienst ein Gehalt bekommen und anderes. In der Praxis finden sie sich jedoch oft in der gleichen Lage wieder wie die Wehrpflichtigen, nur für einen längeren Zeitraum. Die Wehrpflicht beträgt ein Jahr, die Vertragsdauer als Berufssoldat mindestens zwei Jahre. Danach kann der Vertrag verlängert werden.

Vertrag zum Berufssoldaten

Ein Vertrag wird am häufigsten von Wehrpflichtigen unterzeichnet, die bereits mehrere Monate Dienst abgeleistet haben.

Angehörige informierten Menschenrechtsaktivisten über Fälle, in denen Wehrpflichtige gezwungen wurden, einen Vertrag zu unterschreiben. Manchmal wurden sie getäuscht, indem behauptet wurde, der Vertrag sei nur für zwei Monate gültig, also den Rest seiner Dienstzeit als Wehrpflichtiger. Andere berichteten, dass ihr Verwandter ein Wehrpflichtiger sei. Er wie auch andere aus seiner Einheit hätten keinen Vertrag unterzeichnet. Aber es stellte sich heraus, dass sie als Vertragsnehmer auf den Listen standen. Die Dokumente waren also gefälscht.

Persönliche Dokumente

Die persönlichen Dokumente der Soldaten sind ein besonderes Problem. Sehr oft berichteten Angehörige von Soldaten, dass sie keine Dokumente in den Händen halten, die ein Soldat haben sollte: weder einen Militärausweis noch einen Reisepass als Bürger der Russischen Föderation.

Telefone in der Armee

Nach russischem Recht ist es Soldaten untersagt, auf dem Gelände einer Militäreinheit oder eines Truppenübungsplatzes Smartphones zu benutzen. Sie dürfen nur Telefone ohne Internetzugang verwenden. Das Gesetz sieht auch vor, dass der Befehlshaber einer Militäreinheit die Regeln für die Nutzung von Telefonen festlegen kann. Die überwiegende Mehrheit der Angehörigen sagte, dass die Telefone der Soldaten eingezogen wurden. Es ist ihnen nicht erlaubt, sie zu benutzen. Manchmal erlaubt ihnen der Kommandeur, Verwandte von seinem eigenen Telefon (dem des Kommandeurs) aus anzurufen. Manchmal verstecken die Soldaten das Telefon und rufen damit an, wenn der Kommandant sie nicht sieht.

Berichte von Angehörigen

1. Ein junger Mann, Berufssoldat, diente als Musiker in einer Militärkapelle. Eines Tages wurde ihm mitgeteilt, dass er ins Manöver gehen müsse. Er wurde an die Grenze zur Ukraine geschickt. Als sie dort ankamen, mussten sie sich in Reih und Glied aufstellen. Ihnen wurde gesagt, dass es sich nicht um ein Manöver handele. Vielmehr würden sie an einer militärischen Sonderoperation teilnehmen. Jetzt versucht seine Familie, ihn zurückzubekommen.

2. Es gibt Berichte von Berufssoldaten, die sich an der Grenze zur Ukraine aufhalten. Sie sind sich bewusst, dass bereits ein Krieg im Gange ist. Sie reichten einen Antrag ein, um den Vertrag zu kündigen, weil sie aus Gewissensgründen nicht daran teilnehmen können.

3. Ein Soldat wurde in die Ukraine geschickt. Seine Schwester lebt in Europa, die Mutter im Norden Russlands. Er diente im Osten Russlands, in Chabarowsk. Man sagte den Soldaten, dass sie auf dem Weg zur Ausbildung seien und schickte alle aus der Einheit mit dem Zug nach Westen. Im Zug wurden die Wehrpflichtigen gezwungen, einen Vertrag zu unterschreiben. So kamen sie als Berufssoldaten auf dem Gebiet der Ukraine an. Von der Ukraine aus rief er seine Mutter mehrmals von einem fremden Telefon aus an. Er bestätigte, dass er sich auf dem Hoheitsgebiet der Ukraine befände.

4. Ein Soldat, der in der Ukraine eingesetzt wurde, verlor den Kontakt zu seiner Einheit. Er wusste nicht, wohin er gehen sollte. Eine Anwohnerin nahm ihn auf, gab ihm zu Essen und brachte ihn in ihrem Haus unter. Diese Frau rief die Mutter des Soldaten von ihrem Telefon aus an. Sie sprachen über seine Situation. Der Soldat hatte keinerlei Dokumente dabei. Sein Status ist ungeklärt. Er will nach Hause zurückkehren.

Die hier aufgeführten Informationen stammen entweder von Angehörigen von Militärangehörigen oder von anderen Menschenrechtsaktivist*innen, deren Namen aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden.2

1 https://lenta.ru/news/2022/03/09/srochniki/; https://www.interfax.ru/world/827191

2 Quellen: https://realarmy.org/zaklyuchenie-kontrakta-v-armii-delo-dobrovolnoe/https://t.me/trtnarusskom/27470

Alexia Tsouni, EBCO President: About the Russian army. Auszüge. 21. März 2022. https://ebco-beoc.org/node/529. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2022

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