Onur Erden

Onur Erden

Türkei: "Ich aber verweigere!"

Redebeitrag in Erlangen

von Onur Erden

Auf einer Veranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Erlangen berichtete Onur Erden über seine Kriegsdienstverweigerung (d. Red.)

Mein Name ist Onur Erden, ich komme aus der Türkei. Heute werde ich Ihnen erzählen, was ich durchgemacht habe, weil ich mich geweigert habe, in der Türkei Soldat zu sein. Weil ich mich geweigert habe, zu sterben, zu kämpfen, Gewalt und Waffen anzuwenden.

Unter dem Druck meiner Familie und Freunde trat ich 2006 meinen Militärdienst an. Aber nach 3 Monaten floh ich aus diesem unmenschlichen System, das nur auf Hass und Gewalt aufgebaut ist. Denn beim Militär lehren sie nur Gewalt und Hass, Sterben und Töten. Ich aber will lernen, ohne Gewalt und mit Liebe zu leben und leben zu lassen.

Sie wollen, dass ich mich für das Land aufopfere, für die türkische Rasse und für ihre Vorstellung von Gott. Sie wollen, dass ich die Macht und das Vermögen der Reichen beschütze. Ich verweigere mich dem.

Sie wollen, dass ich den Waffenfirmen diene, alle hasse, die keine Türken sind, und immer bereit bin, gegen diese Menschen zu kämpfen. Ich aber verweigere mich dem.

Weil ich keine Waffe in die Hand nehmen wollte, war ich immer wieder Gewalt und Beleidigungen ausgesetzt. Nachdem ich desertiert war, wurde ich zuerst von meiner Familie, Verwandten und Freunden geächtet, gedemütigt und bedroht. Dann wurde ich vom Staat gewaltsam verhaftet und ins Militärgefängnis geworfen. Im Gefängnis war ich unmenschlicher Behandlung und Gewalt ausgesetzt, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Sie rissen mir die Kleider vom Leib und drohten mir eine Vergewaltigung mit einem Knüppel an. Sie steckten mich zwangsweise in eine Uniform. Wenn ich durch all diese Gewalt ohnmächtig wurde, gossen sie einen Eimer kaltes Wasser über mich und schlugen mich erneut.

Nachdem ich eine Beschwere über diese Behandlung eingelegt habe, sagten sie mir: „Bei wem beschwerst du dich?“ Und dann schlugen sie mich erneut.

Jetzt habe ich gesundheitliche und psychische Probleme, die wahrscheinlich ein Leben lang anhalten werden.

Seit meiner Desertion sind Polizei und Militär hinter mir her, als wäre ich ein Serienmörder. Viele Male wurde ich gejagt. Sie richteten Waffen auf mich, einmal schossen sie sogar auf mich.

Bislang bin ich etwa 30 Mal verhaftet worden. Drei Mal war ich einem Militärgefängnis in Haft, einmal in einem Zivilgefängnis.

Ich wurde daran gehindert zu arbeiten und zu reisen. Alles, was einen Menschen mit dem Leben verbindet, war mir versperrt. Ich konnte auch keinen Anwalt finden, der mich verteidigt. Der erste Anwalt, zu dem ich ging, sagte zu mir: „Verlassen Sie das Land, sonst werden Sie wieder gefoltert. Sie können keinen Anwalt finden, der Sie verteidigt, weil auch Ihre Anwälte verhaftet werden.“

2009 ging ich illegal in die Republik Zypern und beantragte Asyl. Etwa vier Jahre versuchte ich, eine Anerkennung zu erhalten. Aber Zypern lehnte meinen Antrag ab und schickte mich 2013 zurück in die Türkei. In der Türkei kam ich zunächst in ein Militärgefängnis. Und auch nach der Freilassung wurde ich immer wieder verhaftet. Zwischen 2018 und 2019 erhielt ich zwei weitere Strafen wegen Verstößen gegen das Militärstrafgesetzbuch, eine Gefängnisstrafe und eine Geldstrafe. Ich legte Berufung gegen die Geldstrafe ein, aber sie wurde abgelehnt. Gegen die Gefängnisstrafe konnte ich keine Berufung einlegen. Nach einiger Zeit wurde ich auf Bewährung aus der Haft entlassen. Ich hoffte nun darauf, legal ausreisen zu können.

Im Juli 2020 fand ich eine Möglichkeit, aus der Türkei zu fliehen. Im August 2020 erreichte ich Deutschland und beantragte Asyl. Deutschland ist ein sicheres Land, aber das Leben als Flüchtling ist auch hier schwierig.

Es ist keine Lüge, wenn ich sage, dass es in der Geschichte der Republik Türkei noch nie eine nicht-militaristische Regierung gegeben hat. Als Erdoğans Regierung erstmals an die Macht kam, hatte sie Auseinandersetzungen mit der türkischen Armee und ging nicht mehr so scharf gegen die Kriegsdienstverweigerung vor. Aber nach der vollständigen Übernahme der Macht über die türkischen Streitkräfte wurde die Regierung unter Erdoğan zum größten Feind der Kriegsdienstverweigerer. Sie schloss Militärgerichte und Militärgefängnisse, aber Richter an Zivilgerichten fingen an, militaristischer zu handeln als Militärrichter. Sie machten das Volk militaristischer als zuvor. Wenn die Regierung in der Türkei heute die Kriegsdienstverweigerung akzeptieren würde, würden die Menschen sie nicht zulassen, weil sie den Menschen mit Lügen weismachen würden, dass der Militärdienst eine heilige Pflicht sei.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Onur Erden. Redebeitrag in Erlangen am 13. Mai 2022. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2022

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