Gibt es im Kongo Friedensarbeit?

Ein Reisebericht

von Heinz Rothenpieler

Auf dem Weg in den Kongo war spätestens beim Umsteigen in Addis Abeba klar, dass wir in ein Kriegsgebiet reisen: Gut die Hälfte der Fluggäste mit Destination Bujumbura/Burundi waren Soldaten in vollem Kampfanzug.

In den meisten Orten im Kongo ist inzwischen mehr oder weniger Frieden. Plötzlich, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, kommen aber irgendwelche Milizen nach Kanyabayonga und massakrieren die Bevölkerung, treiben zehntausende Menschen in die Flucht.

Ein Problem kennt also Friedensarbeit in Afrika nicht: Mangelndes Interesse, Gleichgültigkeit, Sattheit, Müdigkeit der eigenen Bevölkerung. Nichts ist wichtiger als Frieden hier, nach sieben Jahren Krieg. Die Grundschüler von Luhwinja, tief in der Provinz, empfingen uns mit dem Lied "Wir wünschen uns Frieden, wir wünschen uns Frieden, nichts sehnlicher wünschen wir uns als Frieden". Nach Luhwinja kamen am 4. Oktober 1997 300 Soldaten, die 74 Menschen ermordeten, 99 verwundeten und 164 Waisenkinder hinterließen, die in der Zwischenzeit bei Verwandten oder Nachbarn unterkamen. Oben, auf der Hochebene von Burhinyi, wo die Durchgangsstraße ist, kamen die Milizen häufiger und drangsalierten die Bevölkerung, die mehrmals komplett flüchten musste, über 20.000 Menschen.

Heute ist wieder Ruhe eingekehrt. In Burhinyi wurde sogar für rund zwei Dutzend ehemalige Kindersoldaten eine Schreinerwerkstatt eingerichtet - ohne fremde Hilfe. Doch das ist die Ausnahme. In den meisten Regionen der ostkongolesischen Provinzen des Nord- und Südkivu gibt es keinerlei Demobilisierung und Wiedereingliederung für Kindersoldaten.

So finden sich also an den zahllosen Straßensperren bis an die Zähne bewaffnete Halbwüchsige und verlangen keinen "Narrenzoll", wie die Kinder in diesen Tagen im rheinischen Karneval in Deutschland, sondern je nach Laune mehr oder wenig viele Geldscheine. Eine Fahrt von 40-50 km trifft im Durchschnitt vielleicht auf 4-5 solche. Auch das erwachsene Militär will nicht darben. Neulich wurde bekannt, dass die Regierung in Kinshasa ungefähr 1.000.000 Dollar zur Bezahlung der Soldaten in den Osten überwiesen hatte. Bei den Einheiten kamen gerade mal ungefähr 200.000 Dollar an.

Dabei ist die Bevölkerung im Südkivu derzeit gar nicht mal so unglücklich mit diesen Soldaten, denn nach eigenem Bekunden produzieren sie tatsächlich etwas mehr Sicherheit (oder wenigstens ein solches Gefühl) und sprechen vor allem wieder die Sprache des Volkes: kisuaheli. Bis vor kurzem standen nämlich Soldaten im Einsatz, die nur die Sprache der Hauptstadt (und des unseligen Mobutu) sprachen: lingala oder gar kinyaruanda, so dass die Bevölkerung sich gar nicht mit ihnen verständigen konnte.

Wo muss hier Friedensarbeit anfangen? So wie die Soldaten satt werden wollen und deshalb Abgaben von der Bevölkerung fordern - und wer kein Geld hat, gibt von den Früchten des Feldes, die er zum Markt trägt - so wissen auch die meisten anderen Menschen morgens beim Aufstehen nicht, ob sie mittags etwas zu essen haben - oder müssen dafür hart auf den Feldern arbeiten.

So wenig wie sich mit einem hungrigen Bauch studieren lässt, so wenig ist Friedensarbeit möglich, wenn die Menschen nicht genug zu essen haben. Pax Christi und Twese Hamwe, unsere wichtigen lokalen Partner in der Friedensarbeit der Region, fördern deshalb zunächst einmal die Menschen in den Partnergruppen, damit sie etwas erwirtschaften können, um genug zu essen zu haben. Erst das Brot, so heißt die Devise, dann der Frieden.

Doch Friedensarbeit muss glücklicherweise trotzdem nicht unbedingt von Europa importiert werden.

Auf den Trümmern eines implodierten Staates ist eine Zivilgesellschaft entstanden, die für die Bevölkerung des Kongo, bzw. für die Ärmsten, den Alltag so strukturiert und organisiert, dass ein Überleben möglich ist. Im gesamten Kongo haben sich die Menschen in gemeinnützigen Vereinen zusammengeschlossen, wie vielleicht nirgends sonst in Afrika. Diese haben bedeutende Funktionen übernommen. Derzeit wird intensiv an der Vorbereitung der geplanten Wahlen gearbeitet. Die Reste des Staates treffen bisher keinerlei Wahlvorkehrungen, obwohl dies bei den Verhandlungen von Sun City/Südafrika von allen Vertragspartnern feierlich vereinbart worden war.

Doch die Zivilgesellschaft des Kongo wird eine allzu lange Hinauszögerung der ersten freien Wahlen seit 1960 nicht hinnehmen. Und wenn es sein muss, wird "ville morte" organisiert, ein Generalstreik, der schon jetzt immer wieder mal ausgerufen wird und bei dem einen Tag lang nichts mehr geht.

In Bukavu wurden auch schon mal neue Autoschilder boykottiert, welche das ruandaphone Besatzungsregime seinerzeit einführen wollte und in der Provinz Kasai zirkuliert wohl noch heute der alte "Franc congolaise", weil man dort in Mobutus letzten Tagen irgendwann einen Währungsschnitt nicht mehr mitmachte.

Als wir in Bukavu Ende November hörten, ruandische Soldaten seien mal wieder im Nordkivu einmarschiert, wurden schlimmste Befürchtungen wach und wir überlegten schon, ganz schnell die Koffer zu packen. Am nächsten Morgen schien trotz Regenzeit die Sonne. Zehntausende von Schülern hatten einen Sternmarsch auf Bukavu organisiert, wo sie auf dem Platz der Kathedrale demonstrierten und forderten, dass ihre Lehrer vom Staat bezahlt werden, damit die Eltern dies nicht mehr als Schulgeld aufbringen müssen.

Die Zivilgesellschaft bezieht ihre Stärke daraus, dass in den vielen gemeinnützigen Organisationen eine Art Schattenwirtschaft entstanden ist, welche den Mitgliedern beim Überleben hilft.

Dies sind also die Bedingungen einer Friedensarbeit, die auf dieser Ebene funktioniert: Während des Krieges gab es Beziehungen zu allen Milizen, so dass jeweils ein Schutz der Stadt Bukavu immer wieder neu ausgehandelt wurde. Nur einmal funktionierte das nicht, im Juni 2004, als der ruandaphone General Nkunda Bukavu besetzte. In den 14 Tagen seiner Machtübernahme wurden Schäden angerichtet, die 7 Jahre Krieg vorher nicht hinterlassen hatten. In den Gruppen wurden viele Frauen vergewaltigt, manche unter den Augen ihrer eigenen Kinder. Oft wurde der Ehemann gezwungen zuzusehen. Einige haben darüber bis heute den Verstand verloren.

Alle, aber auch wirklich alle Kriegsparteien haben im Kongo Frauen vergewaltigt. Manchmal ganz brutal, indem das Opfer körperlich mit Macheten verletzt und wehrlos gemacht wurde. Manche wurden gleich von einer ganzen Horde Soldaten hintereinander missbraucht. Als Krönung des Unheils ist seit Mai 2004 über britische Berichte der Weltpresse bekannt, dass sogar UNO Truppen Frauen vergewaltigten, die sie eigentlich hätten schützen sollen.

Wir besuchten die Mamans UMOJA. Sie organisierten westlich von Bukavu ein Projekt für 350 missbrauchte Frauen, geben ärztliche Hilfe, sorgen für Traumaarbeit und Mikrokredite.

Zu Beginn des Kongokrieges hatten die Nichtregierungsorganisationen aus dem Kongo zahllose Friedensappelle in die Welt gesandt, am eindrücklichsten auch die Frauen - fast ohne Resonanz. Man erwartet heute wirklich nicht mehr viel von uns. Afrika wurde vergessen, wie immer - und diese Lücke ist üppig gefüllt worden von Abenteurern, die in kriminellen Netzwerken in den letzten Jahren den Kongo nach Strich und Faden ausgeplündert haben. Die Reichtümer des Kongo brauchen in der Regel weder Eisenbahn noch Lastwagen. Sie passen in jede Aktentasche: Diamanten, Gold, Coltan... Und diese Plünderung funktionierte reibungslos, wie ein UNO-Bericht vor zwei Jahren akribisch zusammengetragen hat.

Die Profiteure - darunter die Staaten Uganda, Ruanda und Burundi - sind nach wie vor bevorzugte Empfänger nördlicher Entwicklungshilfe, werden im Fall Ugandas sogar als vorbildlich dargestellt.

Im Gegensatz zu Zentralafrika haben die Friedensgruppen im Norden der Welt den großen Vorteil, dass sie an alle möglichen Informationen ohne größere Schwierigkeiten kommen können. Aber sie haben den Nachteil, dass sie sich dadurch verzetteln und müde werden.

Wenn die kritische Öffentlichkeit auch schläft oder vergesslich ist, die "Zuständigen" bleiben hellwach. Ihr Kreis ist überschaubarer als manche denken. Nord-Süd-Friedensarbeit würde sich hervorragend ergänzen, doch vorher müsste der Norden lernen, bescheidener zu werden.

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Heinz Rothenpieler: Gibt es denn im Kongo Friedensarbeit? Auszüge. Entnommen aus: Der Pazifist, Ausgabe Nr. 200 vom 1. Februar 2005. Der vollständige Text kann über http://www.dialog-international.org bezogen werden. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und Antimilitaristische Angolanische Menschenrechtsinitiative (Hrsg.): Broschüre »Das andere Afrika: Widerstand gegen Krieg, Korruption und Unterdrückung«, Offenbach/M., April 2005. Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Katholischen Fonds, den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), die Aktion Selbstbesteuerung e.V. (asb), das Bildungswerk Hessen der DFG-VK sowie den Fonds der EKHN »Dekade zur Überwindung der Gewalt«.

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