Von der lokalen zur globalen Apartheid

Südafrikas "Normalisierung"

von Michael Graaf

(April 2003) 1994 wurde in Südafrika der auf niedrigem Niveau geführte Bürgerkrieg durch einen strategischen Kompromiss der verschiedenen kriegführenden Parteien beendet. Er war durch die Apartheid und die Opposition gegen die Apartheid ausgelöst worden. Ein wichtiges einigendes Moment war 1994 die liberale Verfassung, die als ausgleichende Struktur von allen Seiten akzeptiert wurde, wenn auch mit einem gewichtigen Widerspruch - dem eingebauten Status der "traditionellen Führer". Dennoch, wenn man das scheinbare Wunder aus der Nähe kritisch untersucht, ist die Situation labil und unsicher.

Die ursprünglich zulu-nationalistische Inkatha-Freiheitspartei (IFP), die einen Groll wegen gebrochener Versprechen der internationalen Vermittlung über den Status der Provinz KwaZulu-Natal hatte, nahm in der Folge Konservative aller Hautfarben auf und machte dann sogar einen Weißen zum Bürgermeister in der größten Stadtverwaltung, die sie regiert, Mhlatuze (Richards Bay und Umgebung). Im Augenblick ist die Kontrolle der IFP über die Provinz KwaZulu-Natal in Gefahr, da der African National Congress (ANC)1 seine Mehrheit auf nationaler Ebene dazu benutzte, die Verfassung zu ändern; wonach Abgeordnete nun die Parteien wechseln können. In der Praxis läuft das auf eine Stärkung des ANCs hinaus, dessen sicheren Parlamentssitzen sich Abgeordnete oppositioneller Parteien anschließen. Das könnte zu einem erneuten Konflikt führen, da die Kontrolle über wenigstens eine Provinz, zusammen mit einem Sitz im nationalen Kabinett für IFP-Anführer Buthelezi als Eintrittskarte angesehen wurde, die die IFP dazu bewog, den Übergang zur Mehrheitsherrschaft im Jahre 1994 anzuerkennen und die gegen den ANC gerichteten kriegerischen Aktivitäten um die Macht in den Gebieten unter ihrer Kontrolle einstellte.

Andere rechte Gruppen schienen dahinzuschwinden - bis zur Welle von Bombenanschlägen Ende des Jahres 2002 in Soweto, für die Mitglieder einer extremen weißen Gruppierung vor Gericht stehen. Solche Zwischenfälle bieten dem ANC eine Gelegenheit - mit dem Argument des Rassismus - vom Mangel an sozialem Fortschritt im Lande, und damit von den eigenen Schwächen, abzulenken.

Die Vereinigung der verschiedenen Armeen, der South African Defence Force (SADF)2, der Bantustanarmeen3, der Umkhonto weSizwe (MK)4 und der Azanian People´s Liberation Army (APLA)5, führte zu einer übergroßen Berufsarmee. Die Wehrpflicht wurde abgeschafft, gleichwohl kommt sie den Politikern immer wieder als Antwort auf die problematische Jugendarbeitslosigkeit in den Sinn. Nach der Verfassung ist die Wiedereinführung durchaus möglich, mit der Einschränkung, dass die Gewissensfreiheit zu respektieren ist.6 Obwohl die Integration auf der Führungsebene problemlos vonstatten gegangen zu sein scheint, gab es Rassenspannungen auf niedriger Ebene, mit zumindest zwei Vorfällen, bei denen schwarze Soldaten ihre des Rassismus beschuldigten weißen Vorgesetzten getötet haben. Es gibt auch ernsthafte Unzufriedenheit bei einigen ehemaligen "Freiheitskämpfern", denen die Anerkennung als solche verweigert wird, z.B. weil sie ihre militärische Ausbildung noch nicht beendet hatten, deswegen keine Arbeit und keine Entschädigung erhalten und sich dadurch betrogen fühlen. Die neue südafrikanische Armee, die South African National Defence Force (SANDF) ist auf dem Papier zur Geschlechtergleichheit verpflichtet, aber es ist unklar, wie das in der Realität aussieht, gerade wenn sie ständig verkleinert wird.

Die Aufgaben der SANDF sind beileibe nicht auf die "Landesverteidigung" beschränkt. Im südlichen Afrika ist sie Teil des "Regionalen Sicherheitsrahmens" der South African Development Community (SADC)7, die ihrerseits in die neue, den afrikanischen Teil des Kontinents umfassende Afrikanische Union eingebunden ist. In der Praxis sind das "friedenserhaltende" Missionen, wie die jüngste Invasion der SANDF in Lesotho, zwecks Umkehrung eines Putsches, und die gegenwärtigen Pufferoperationen in Ruanda und in der Demokratischen Republik Kongo. Es ist eindeutig, dass Südafrika eine regionale Supermacht darstellt, was auch die gemeinsamen Marine-/Luft-/Wasser-Manöver mit nichtafrikanischen Mächten wie Frankreich und Indien (z.B. Operation Blauer Kranich) bezeugen.

Der Widerstand damals und heute

Wo bleibt in diesem niederschlagenden, militaristischem "nationenbauendem" Szenario die Hinterlassenschaft der Bewegung gegen Wehrpflicht und Militarismus der 1980er und frühen 1990er Jahre? Die Antwort darauf ist kurz: Sie ist nicht Teil der offiziellen Geschichtsschreibung. Wer aber danach Ausschau hält, kann die Spuren der damaligen Bewegung sehr wohl noch sehen. Die neuen Generationen in Südafrika sind sich im Allgemeinen nicht bewusst, dass die Apartheid auf diese Weise herausgefordert wurde, und - was noch schlimmer ist - die militärische Seite des Kampfes wird als die einzige und entscheidende auf eine Art und Weise verklärt, die nur noch wenig mit der damaligen Realität gemein hat.

Die damaligen AktivistInnen haben sich gemäß ihrem Hintergrund in sehr gegensätzliche Richtungen entwickelt: Das eine Extrem sind jene, für die der Militarismus der Apartheid das Problem war, nicht aber der Militarismus an sich. Von ihnen nehmen heute viele hohe Positionen in der Regierung ein. Das extremste Beispiel ist Nozizwe Madlala-Routledge, die als entschiedene Quäkerin und Kommunistin in der Vergangenheit an internationalen Antikriegsaktionen teilgenommen hat, und deren Ehemann Kriegsdienstverweigerer war. Sie ist jetzt stellvertretende Verteidigungsministerin. Im Allgemeinen hat die von der Regierung eingeschlagene Politik der positiven Diskriminierung weiße Männer benachteiligt, so dass nur ein paar wenige mit ausgezeichneten Parteibeziehungen in der Öffentlichkeit verblieben sind, wie zum Beispiel Chippy Olver, einst ein prominenter Aktivist der End Conscription Campaign (ECC)8 und jetzt leitendes Regierungsmitglied.

Im Wesentlichen sind aus der antimilitaristischen Bewegung einige kleinere Organisationen, wie Gun-Free South Africa"9 und Ceasefire10

hervorgegangen, die, obwohl sie von altgedienten Aktiven gegründet wurden, eine neue Generation junger, zumeist schwarzer Freiwilliger und Mitarbeiter, angeworben haben. Diese Organisationen sehen sich jedoch einer prekären Zukunft ausgesetzt, da ihre Finanzierung immer schwieriger wird.

Die exilierte Kriegsdienstverweigerungsbewegung, die ihren Sitz in Großbritannien und den Niederlanden hatte, der Kongress der südafrikanischen Kriegsgegner (COSAWR), die dem ANC angeschlossen war, löste sich auf und verschwand spurlos nach der Wiederzulassung des ANC. Viele ihrer Mitglieder verblieben in ihren Zufluchtsländern oder kehrten dorthin zurück, nachdem sie das neue Südafrika besucht hatten.

Mein persönlicher Eindruck ist, dass die größte Hinterlassenschaft der ECC und des graswurzlerischen Kampfes gegen die Apartheid allgemein in einer Kultur liegt, die man als teilhabende Demokratie beschreiben könnte. So bringen Tausende, zumeist unbekannte Aktive, seit 1994 Themen wie Geschlechterbeziehungen, Wirtschaft, Umwelt und Gerechtigkeit für HIV-Infizierte in die Bürgergesellschaft ein und prägen sie mit dem damals entstandenen Geist. Man sieht das auch in der Art, wie Leute oder auch Institutionen versuchen, Probleme zu lösen: im Konsens statt mit einer Mehrheitsentscheidung, in den permanenten Versuchen demokratische Fertigkeiten zu vermitteln, in der Aufteilung der Verantwortung und durch rotierende Posten - und, falls notwendig, in der Bereitschaft zur direkten Aktion.

Die Kultur des Widerstandes gegen zentralisierte Kontrolle manifestiert sich am Stärksten in den verschiedenen Gruppen des anti-neoliberalen Bewegung. Sie erlangten die größte, auch internationale Aufmerksamkeit während des Weltgipfels zur Nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg Ende des Jahres 2002. Den DemonstrantInnen begegnete damals eine Polizeibrutalität, die in diesem Ausmaß seit den Tagen der Apartheid nicht mehr gesehen worden war. Das war die Antwort des Staates auf den Versuch, die Politik der Regierung anzuprangern, mittels einer Demonstration, die jene des ANC in den Schatten stellte. Diese Bewegung ist auch die wichtigste Quelle des Protests gegen die imperialistischen Kriege in Afghanistan und dem Irak.

Wirtschaft und Militär

Die Beziehung zwischen Militarismus und neoliberaler Wirtschaft ist eindeutig illustriert durch die massive Wiederaufrüstung des südafrikanischen Staates, die Teil des makroökonomischen Programms Growth, Employment and Reconstruction (GEAR)11 ist. Es ersetzt einseitig das von der Bevölkerung unterstützte Reconstruction and Develmopment Program (RDP)12. Nun wird zum Beispiel Wasser und Strom von Haushalten abgeschaltet, die den gängigen Marktpreis für solche Grundleistungen nicht zahlen können. Die Kosten werden auch als Argument benutzt, um den Armen den Zugang zu billigen retroviralen Arzneimitteln zu verweigern, von denen gesagt wird, dass sie die Übertragungsrate von Mutter zum Kind bei HIV auf 50% verringern. Der verstorbene Sprecher des Präsidenten, Parks Mankahlana, führte in einem Interview als Argument für die Weigerung der Übernahme dieser Kosten an, dass bereits die Pflege der zusätzlichen Waisen eine langfristige Bürde für den Staat darstellen würde.

Teil der oberflächlichen Demokratisierung des südafrikanischen Staates war der Beratungsprozess zur "Überprüfung der Verteidigung", in dem Militärangehörige, die für ihre Anwesenheit bezahlt wurden, die Vertreter der Zivilgesellschaft, die zumeist als Freiwillige dort waren, zahlenmäßig überstiegen. Dabei wurde unter Verwendung verhüllender Schlagworte wie strategische Verteidigungskapazität und forschem Professionalismus ein "Konsens" erzielt, der im Wesen ein Mandat für eine Einkaufsliste darstellt, die all die Dinge enthält, die zuvor für das südafrikanische Militär aufgrund des von den Vereinten Nationen gegen das Apartheidregime verhängten Waffenembargos unerreichbar waren. Da die heimatliche Waffenindustrie stark subventioniert wurde, konnte sie sowohl die SADF - mit der Ausnahme einiger Hightechartikel - mit allem, was sie brauchte, beliefern, als auch exportieren, wenn sich die Gelegenheit ergab, wie z.B. Artillerie für den Irak, als er sich im Krieg mit dem Iran befand.

Nach dem auf 15 Jahre konzipierten Beschaffungsprogramm werden europäische transnationale Gesellschaften, darunter Daimler-Chrysler, Kampfflugzeuge, U-Boote, Korvetten, Hubschrauber und dazugehörige elektronische Systeme an die SANDF liefern. Die dafür vorgesehene Summe wächst ständig und hat 10 Milliarden Euro bereits überschritten. Als Schluckmittel wurden der südafrikanischen Bevölkerung verschiedene Counter-Deals angeboten. So sollen die Firmen, die die Aufträge bekommen, in die industrielle Entwicklung in Südafrika investieren. Diese unterliegt natürlich den wechselnden Marktbedingungen, und können geändert und aufgeschoben werden usw., sollten sie sich als unprofitabel (oder nicht ausreichend profitabel) für die Investoren erweisen. Ein großer Teil des Counter-Trade ist wiederum tatsächlich Teil des Wiederaufrüstungsprogramms, in der Form von Unterverträgen an die südafrikanische Waffenindustrie.

Weniger strategisch, aber umso verlustreicher, wurden Teile der Industrie privatisiert, mit Vorrang für die Klientel des neuen Regimes unter der Fahne des Black Empowerment13. Es gibt Beweise für Korruption auf hohem Niveau bei der Vertragsvergabe, wenn es auch nur ein Strafverfahren gibt, nämlich gegen den Daimler-Chrysler-Geschäftsführer, Michael Wörfel, und Tony Yengeni, einem ehemaligen südafrikanischen Parlamentspräsidenten.

Die südafrikanische Waffenindustrie ist weitgehend im Staatsbesitz verblieben; sie wird mehr oder minder versteckt subventioniert und ist auch deshalb ein gewichtiges Feld des Gönnertums. So werden beispielsweise Direktorenposten Mitgliedern der neuen Elite zugeschanzt, und es kommt auch vor, dass ihre Kinder Stipendien für "verteidigungsrelevante" Studiengänge erhalten.

Das Zusammenspiel von Subvention und Korruption zeigt sich derzeit in extremen Ausmaß bei der Anschaffung von zwölf Rooivalk-Angriffshubschraubern. Der Rooivalk14 war das ehrgeizigste Forschungs- und Entwicklungsprojekt des Apartheidregimes, das von diesem in seinen letzten Jahren in Auftrag gegeben wurde. Die Kosten stellten aus politischen Gründen kein Hindernis dar, da eine solche Bewaffnung zur Niederhaltung des Kommunismus für notwendig angesehen wurde und das erwähnte UNO-Waffenembargo den Ankauf beispielsweise des Apache-Hubschraubers verhinderte, der in diesen Tagen so oft auf unseren Fernsehbildschirmen zu sehen ist.

Zum Zeitpunkt der formellen Machtübergabe an das neue Regime, 1994, hatte das Rooivalkprojekt bereits Hunderte Millionen gekostet - und war immer noch weit entfernt von der Fertigstellung. Mit der Begründung, dass der Hubschrauber auch in Konkurrenz mit dem Apache ein profitables Ausfuhrgut darstelle, wurde beschlossen, das Projekt fortzuführen - und weiter zu finanzieren. Immer wieder wurden Ausfuhrabkommen angekündigt, bzw. dass sie in Vorbereitung seien; interessanterweise mit Ländern mit Bürgerkriegen und/oder erschreckenden Menschenrechtsverletzungen, wie Indonesien (vor dem jüngsten Regimewechsel), China und Algerien. Könnte es sein, dass ihnen deshalb Ankäufe des Apache oder ähnlicher Systeme von westlichen Mächten verweigert wurden? Trotz hochrangiger Delegationen, die hin und her flogen, ist schließlich dennoch das Eis geschmolzen, ohne dass die Korken flogen. Die Welt wollte den Rooivalk nicht.

Natürlich wurde uns gesagt, dass es unsinnig sei, von anderen Ländern zu erwarten, dass sie Angriffshubschrauber kaufen, in die wir selbst kein Vertrauen hätten. Wir sollten deswegen - um den Export anzuregen - auch wenn wir keinen Bedarf haben, einige kaufen. Wir könnten sie ja vielleicht bei einer zukünftigen friedenserhaltenden Mission benutzen... Die Aktiven von Ceasefire waren so unpatriotisch, dass sie vor der Waffenschau, bei der der Rooivalk den Händlern und Ankäufern aus aller Welt angeboten wurde, protestierten. So konnte bis heute kein Ausfuhrabkommen abgeschlossen werden - und auch der Rooivalk ist nicht mehr länger in den Nachrichten.

Es wurde aber Artillerie an Indien, Pakistan und einige Golfstaaten verkauft. In diesem Bereich kam es zu einer weiteren Enttäuschung, als die USA durch eine Schwarze Liste den Verkauf eines waffensuchenden Systems für Panzer an "terroristische Staaten" mit einem Veto belegten.

Die anti-neoliberale Bewegung sieht, wie die ANC-Regierung die Rüstungsfirmen subventioniert und hat damit den Beweis, dass Geld für Sozialausgaben vorhanden ist. In der Tat kommt die schärfste Kritik für das Wiederaufrüstungsprogramm von der Treatment Action Campaign15, die sich für die Behandlung von HIV-Infizierten und ihren Zugang zu antiretroviralen Arzneien einsetzt. Sie erwähnt bei den größten Protesten und Demonstrationen seit Ende der Apartheid regelmäßig die Waffengeschäfte.

Leider wird die Atomindustrie nicht in gleicher Weise herausgefordert. Sie stellt ein weiteres Feld des "strategischen" staatlichen Investments dar. Als der ANC den einzigen Staate erbte, der je freiwillig sein atomares Potenzial abgerüstet hatte (vor seinem Abgang hat Präsident F.W. de Klerk das Vorhandensein des zuvor geleugneten Waffenprogramms und seine Auflösung bekannt gegeben, als eine Vorstufe zu Verhandlungen mit den ehemaligen Feinden), übernahm er auch die Kontrolle über die dazugehörigen industriellen und wissenschaftlichen Anlagen. Dann erlaubte er dem staatlichen Energieunternehmen Eskom eine Partnerschaft mit transnationalen Firmen einzugehen um eine neue Reaktorgeneration zu entwickeln, die als Kieselbettmodularreaktor (PBMR)16 bekannt ist. Wie beim Rooivalk-Debakel hat Eskom den Außenhandel mit dem Ankauf von zehn Produktionsreaktoren angestoßen, falls das Pilotmodell, das derzeit in der Nähe von Koeberg17 gebaut wird, wie erwartet funktioniert.

Vertrauensverlust des ANC

Wie zuvor angedeutet, kommt der Zuwachs der außerparlamentarischen Opposition gegen den ANC größtenteils aus dem Lager seiner ehemaligen Anhänger. Der Vertrauensverlust zeigt sich auch in einem steilem Abfall der Wahlbeteiligung; bei den städtischen Wahlen im Dezember 2000 beteiligten sich weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten. Besonders auffällig ist das bei den Jugendlichen, von denen sich von Jahr zu Jahr weniger ins Wahlregister eintragen. Eine Ursache dafür ist das Fehlen einer glaubwürdigen parlamentarischen Opposition, links von der Regierung. Eine andere ist das durch die parlamentarischen Überläufer und das Entstehen neuer Parteien hervorgerufene Durcheinander, wodurch der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit außer Kraft gesetzt wird.

Auf der Ebene der Kommunalverwaltung gibt es Verbindungen zwischen den anti-neoliberalen Bewegungen und gewählten Politikern. Der bekannteste ist Trevor Ngwane, einst ANC-Stadtrat in Soweto. Er wurde wegen seiner Kampagne gegen die Privatisierung aus der Partei ausgeschlossen, blieb aber weiterhin unabhängiges Mitglied des Stadtrates. Er ist führendes Mitglied des Soweto Electricity Crisis Committee (SECC)18, das vom Protest zum Widerstand übergegangen ist, indem es Freiwillige ausbildet, die Haushalte wieder an das Stromnetz anschließen, denen er wegen fehlender Zahlungen abgeschaltet wurde. SECC ist eine der größten Organisationen beim Antiprivatisierungsforum, einer wachsenden Koalition auf landesweiter Ebene.

Im Parlament von eThekwini (Durban und Umgebung) gibt es zwei von 200 Abgeordneten, die mit der außerparlamentarischen Bewegung verbunden sind: Einer ist von den Anti-Neoliberalen und einer ist von EcoPeace, einer grünen Aktionsgruppe, die eine Rückkehr zu den Grundsätzen des Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramms vertritt. Die meisten der Anhänger von EcoPeace, einschließlich meiner selbst, sind seit langem als Antimilitaristen aktiv und sind ehemalige Aktive der Bewegung gegen die Apartheid. Die Gruppe hat sich bewusst mit den neuen sozialen Bewegungen, die die neoliberale Globalisierung weltweit herausfordern, identifiziert, auch indem sie innovative gewaltfreie Methoden benutzt.

Die Forderung der Armen nach einer ausreichenden Grundversorgung beantwortete die Regierung mit Freimengen an Wasser und Strom für den persönlichen Bedarf für alle. Finanziert wird dies über einen Zuschlag für Vielverbraucher. Das wurde so weitgehend unterstützt, aber die Umsetzung war äußerst problematisch. So wurden die Freimengen auf der Basis von 4-Personen-Haushalten berechnet, was nahe am Durchschnitt liegen mag, aber die Tatsache verdeckt, dass ärmere Personen in größeren Haushalten leben, und deshalb pro Kopf nur einen Bruchteil dessen erhalten, den die Reicheren bekommen. Eine andere Schwierigkeit rührt daher, dass in der Zeit der Apartheid in vielen Townships19 keine Strom- und Wasseruhren angebracht wurden, und dafür eine vom Verbrauch unabhängige Standardgebühr galt. Als nun die Techniker Strom- und Wasseruhren installieren wollten, wehrte sich die Bevölkerung dagegen. So musste z.B. die Stadtverwaltung von eThekwini in den vergangenen Jahren ihre Stadtpolizei zum Schutz der Techniker einsetzen

EcoPeace ist der Auffassung: Solange der Staat nicht die Grundversorgung der Bevölkerung garantieren kann, darf er das Prinzip der "Kostendeckung" (eine der heiligen Kühe des Neoliberalismus) nicht anwenden. Die notwendigen Dienstleistungen sollen durch Mittel subventioniert werden, die für die Anschaffung von Waffen bereit stehen.

Es darf angenommen werden, dass Südafrikas Wiederaufrüstungsprogramm die Zustimmung der Weltbank, des IWF usw. hat, da sie nicht eingeschritten sind, wie das in anderen Ausgabenbereichen der Fall war. Aus der Sicht des globalen Kapitalismus inspiriert eine starke Armee das Vertrauen der Investoren. Das ist auch die Ansicht von Südafrikas Verteidigungsminister Mosioua Lekota, der die Gründung des New Program für African Development (NEPAD)20 mit dem Marshallplan für Europa verglich. NEPAD wurde mit der Umwandlung der Organisation für Afrikanische Einheit (OAE) zur Afrikanischen Union (AU) ins Leben gerufen, hat es aber nicht geschafft, die von der internationalen Finanzwelt erwartete Unterstützung zu bekommen. Einer der interessantesten Aspekte von NEPAD ist "peer review", wonach die Mitgliedsstaaten sich mit einer Reihe von Maßnahmen bei der Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten gegenseitig unterstützen. Es wundert nicht, dass gerade das von den afrikanischen Regierungen als Kompromittierung ihrer Souveränität abgelehnt wurde.

Die südafrikanische Regierung schweigt zum Thema der imperialistischen Invasionen Afghanistans und des Iraks. Nelson Mandela war als pensionierter Präsident in der Lage, sich dagegen auszusprechen und richtete seine Kritik an die Personen George W. Bush und Tony Blais. Zweifellos würden viele in der Regierung gerne den Imperialismus kritisieren, fürchten aber die Konsequenzen. Für den ANC hat die Verbesserung der Situation Südafrikas eindeutig Priorität vor der Verbesserung der Welt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Südafrika von einem einzigartigen, verrückten sozialen System sich schnellstens in Richtung auf ein typisches Mitglied der "Zwei-Drittel-Welt" bewegt hat. Wer die Geschichte der nationalistischen Bewegungen dieser Welt und die der neokolonialen Systeme kennt, sollte nicht überrascht sein.

Fußnoten

1 ehem. südafrikanische Befreiungsbewegung, nun Regierungspartei (Anm. fn)

2 Armee des Apartheidregimes mit Wehrpflicht für weiße Männer und Berufssoldaten aller Hautfarben

3 die von der SADF gegründet und weitgehend von ihr befehligt wurden

4 der bewaffnete Flügel des ANC

5 Armee des Pan Africanist Congress

6 Ein ausdrückliches Recht auf Kriegsdienstverweigerung findet sich darin aber nicht. Anm. fn

7 Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft

8 Kampagne zur Abschaffung der Wehrpflicht

9 Waffenfreies Südafrika

10 Waffenstillstand

11 Wachstum, Arbeit und Wiederaufbau

12 Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm

13 Stärkung Schwarzer

14 afrikaans für Roter Falke

15 Treatment Action Campaign

16 Pebble-Bed Modular Reactor

17 dem Gelände des Atomkraftwerkes, das das Waffenprogramm zu Apartheidzeiten verbarg und belieferte

18 Stromkrisenkomitee in Soweto

19 während der Apartheid geschaffene, außerhalb der für Weiße vorbehaltenen Stadt liegende Siedlung für Schwarze (Anm. fn)

20 Neues Programm für Afrikanische Entwicklung

Kontakte

Michael Graaf

POBox 657, Durban 4000, Südafrika

http://www.ecopeace.org.za


GunFree South Africa

POBox 31532, Braamfontein

Johannesburg 2017, Südafrika

Tel: +27-11-4034590, Fax: -4034596

E-Mail: gunfree(at)wn(dot)apc(dot)org

 

Ceasefire Campaign

POBox 31740, Braamfontein

Johannesburg 2017, Südafrika

Tel.: +27-11-4035315, Fax: -3397863

E-Mail: stopwar(at)sn(dot)apc(dot)org

Michael Graaf: From Local To Global Apartheid: South Africa´s "Normalisation". April 2003. Übersetzung aus dem Englischen: Hubert Gieschen; Bearbeitung und Zur Person: fn. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und Antimilitaristische Angolanische Menschenrechtsinitiative (Hrsg.): Broschüre »Das andere Afrika: Widerstand gegen Krieg, Korruption und Unterdrückung«, Offenbach/M., April 2005. Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Katholischen Fonds, den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), die Aktion Selbstbesteuerung e.V. (asb), das Bildungswerk Hessen der DFG-VK sowie den Fonds der EKHN »Dekade zur Überwindung der Gewalt«.

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