Tschad: Ursachen der Gewalt: soziales Elend und Korruption

Interview mit Koussetogue Koudé

Wir sprachen mit Koussetogue Koudé, der im Tschad in Gruppen zur Gewaltfreiheit aktiv war und nun in Frankreich lebt.

Wie stellt sich die derzeitige politische und soziale Situation im Tschad dar? Kannst Du uns einen kurzen Überblick geben?

An erster Stelle ist zu sagen, dass die politische Lage im Tschad davon geprägt ist, dass der Präsident Deby an der Macht bleiben will, obwohl die Verfassung von 1996 eine dritte Amtszeit untersagt. Aber um an der Macht zu bleiben kann er sich auf eine Nationalversammlung stützen, die ihm völlig ergeben ist, um wichtige Verfassungsänderungen herbeizuführen, die ihm in der Realität erlauben würden, lebenslang Präsident zu sein...

Zudem hat die Krise in Darfour erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität im Tschad. Die süd-sudanesische Bevölkerung, Opfer der Verfolgung durch die der sudanesischen Regierung nahestehenden Milizen (traurig berühmt als "Janjawids"), gehört mehrheitlich der Volksgruppe der Zaghawa an, aus der der Präsident Deby wie auch die meisten hohen Offiziere der tschadischen Armee stammen. Nach mehr und mehr übereinstimmenden Gerüchten gibt es eine große Unzufriedenheit unter den obersten Rängen der tschadischen Armee, die solidarisch mit der Rebellion in Darfour sind und selbst ethnischen Gruppen angehören, die im Grenzgebiet von Tschad und Sudan leben.

Auf der sozialen Ebene sind Armut und Elend das tägliche Los des Großteils der Bevölkerung. Arbeiter und Angestellte, insbesondere in der öffentlichen Verwaltung, werden nicht verschont: Einige unter ihnen erhalten monatelang keinen Lohn - in entfernten Regionen bis zu zehn Monate lang. Das gibt der Korruption Auftrieb, ein echter nationaler Sport, der bis in die Spitzen des Staates praktiziert wird, auch wenn kürzlich ein Ministerium für öffentliche Sittenförderung und Staatskontrolle eingerichtet wurde. Zudem wird seit 1990 kaum noch jemand beim öffentlichen Dienst, dem größten Arbeitgeber im Tschad, eingestellt. Die Zahl der arbeitslosen Akademiker steigt und die Jugend ist vollkommen beschäftigungslos; viele von ihnen fliehen aus dem eigenen Land in die Nachbarländer, um zu studieren oder Arbeit zu finden, während die Bessergestellten gehen, weil sie bessere Aussichten am Horizont sehen. Unsere Universitäten, Schulen, Gesundheitszentren usw. sind nicht das, was ihr Name verspricht - aufgrund der sozialen Unzufriedenheit, die alle Bereiche lähmt...

Welche Gewaltstrukturen stellen das größte Hindernis dar, um eine gewaltfreie, demokratische Gesellschaft aufzubauen?

Es sind das soziale Elend, die Armut, die weit verbreitete Korruption insbesondere in der öffentlichen Verwaltung, wo sich nichts bewegt, so lange du die Hand nicht an der Tasche hast, die politischen Seilschaften (Klientelismus) usw. All das sind die wichtigsten Ursachen der Gewalt und der Rückschritte beim Prozess der Demokratisierung, der mit der "souveränen" nationalen Konferenz von 1993 eingeleitet worden war. Hinzuzufügen sind die Ideologien des Hasses und der Ablehnung wie Ausgrenzung von Anderen, die leicht das ganze Land erfassen. All diese Elemente stellen wahre Hindernisse für den Frieden und die Demokratie in unserem Land dar.

Welche Aktivitäten führen nichtstaatliche Organisationen wie AJAC derzeit durch?

Heute herrscht im Tschad eine Art allgemeiner Pessimismus vor. Er hat sich nach mehr als fünfzehn Jahren Kampf für demokratische Verhältnisse der Zivilgesellschaft bemächtigt. Die tschadische Bevölkerung lebt in Fatalismus und Resignation... Die Organisationen der Zivilgesellschaft, die so viel für Frieden und Demokratie investiert haben, glauben immer noch daran. Aber es fehlt die Begeisterung der neunziger Jahre.

Die Organisationen der Zivilgesellschaft arbeiten heute vor allem im Erziehungs- und Bildungswesen, Grundlagen für eine echte langfristige Änderung. In der Association Jeunesse Anti-Clivage (AJAC - Jugendvereinigung gegen Spaltung) setzen wir einen besonderen Akzent auf die Bekämpfung bestimmter kultureller Gewaltformen, wie im Fall von "Hirtenkindern". Sie sind praktisch Sklaven in den Händen ihrer Meister. Sie werden von ihren Familien freiwillig nomadischen Züchtern anvertraut, die sie als Hirten einsetzen. Als Gegenleistung können die Familien eine Kuh erhalten. Das ist ein Naturalhandel, der auf dem Rücken armer Kinder ausgehandelt wird. Sie werden regelmäßig misshandelt, ausgebeutet und sind der Gewalt der Landwirte ausgesetzt, wenn die Herde die Felder verwüstet. AJAC setzt sich für die Befreiung dieser Kinder aus der Knechtschaft und ihre soziale Wiedereingliederung ein, indem sie ein Handwerk erlernen...

Welche Rolle spielen Industrieländer im Ölprojekt?

Zahlreiche befreundete Länder sowie internationale Organisationen, die Interesse am tschadischen Ölprojekt haben, bestanden darauf, dass die Ölförderung positive Auswirkungen für die Bevölkerungen des Tschad haben solle, insbesondere in den Regionen, in denen die Ölfelder liegen oder die von Pipelines durchzogen sind und somit die Bevölkerung Opfer von Enteignungen für das Gemeinwohl geworden sind. Die Bevölkerung des Tschad, wie ich oben erläuterte, lebt im sozialen Elend, in Armut. Diejenigen, die von den Enteignungen betroffen waren, wurden nicht in angemessener Form entschädigt. Und der Gipfel ist: Ein Teil des Fonds aus der Erdölförderung wurde benutzt, um die tschadische Armee mit Waffen auszustatten! Die Zukunft wird uns zeigen, ob die Erdölförderung der Bevölkerung im Tschad Glück bringt - im Gegensatz zu dem, was in anderen afrikanischen Ölländern wie Angola, Congo-Brazzaville oder Nigeria passiert.

Wir von AJAC sagen, dass die Einnahmen aus dem Erdöl dazu dienen müssen, das Elend und die Armut zu bekämpfen. Die gesamte Bevölkerung muss davon profitieren, nicht nur einige Individuen, Clans oder Gruppen, die der Macht nahe stehen.

Wie wichtig ist der Austausch von afrikanischen nichtstaatlichen Organisationen zu gewaltfreien Aktivitäten und Menschenrechten?

Die afrikanischen Länder sind mit ähnlichen Situationen konfrontiert. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den afrikanischen nichtstaatlichen Organisationen, der regelmäßige Austausch auf nationaler und internationaler Ebene nützt den Initiativen für Frieden und Demokratie und stärkt sie. Es bestehen zahlreiche Netzwerke, auch wenn sie nicht immer effektiv arbeiten.

Seit vier Jahren arbeite ich in einem Kurs für afrikanische Ausbilder mit - im Bereich Menschenrechte und Bekämpfung der Folter. Dieser Kurs zielt darauf, viele in dem Bereich Tätige, Verantwortliche aus Organisationen für Gewaltfreiheit oder Menschenrechte zusammenzubringen, um ihre Kapazitäten für Aktionen in ihren jeweiligen Ländern zu stärken. Jedes Jahr treffen sich fünfzig TeilnehmerInnen aus etwa zwanzig afrikanischen Ländern. Der Kurs ist zugleich auch ein Ort für den Erfahrungsaustausch und für konkrete Absprachen, um gemeinsam zu handeln. Die TeilnehmerInnen werden ihr Wissen an andere Personen weitergeben und diese ausbilden... Sie müssen auch regelmäßig Berichte schreiben, über den Stand der Aktivitäten, aufgetretene Schwierigkeiten, mögliche Verbesserungen sowie Erwartungen. Diese Art von Initiative ist sehr ermutigend, weil sie weiter trägt!

Wie können europäische Initiativen Eure Arbeit oder die Arbeit anderer Organisationen unterstützen?

Über eine finanzielle Unterstützung hinaus denke ich, dass echte Partnerschaft, die auf unseren jeweiligen Erfahrungen im Norden und Süden beruht, auf unseren Erfolgen und Misserfolgen in dem einen oder anderen Bereich, anzustreben ist.

Kontakt

Koussetogue Koudé

28, Rue de la Quarantaine, F-69005 Lyon

Tel.: +33-661 499 629, Fax: +33-472 779 535

E-Mail: koude(at)caramail(dot)com

Interview mit Koussetogue Koudé, 17. Februar 2005; Fragen, Übersetzung und Bearbeitung: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und Antimilitaristische Angolanische Menschenrechtsinitiative (Hrsg.): Broschüre »Das andere Afrika: Widerstand gegen Krieg, Korruption und Unterdrückung«, Offenbach/M., April 2005. Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Katholischen Fonds, den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), die Aktion Selbstbesteuerung e.V. (asb), das Bildungswerk Hessen der DFG-VK sowie den Fonds der EKHN »Dekade zur Überwindung der Gewalt«.

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