Saeed Ibrahim

Saeed Ibrahim

Eritrea: „Sie übergossen mich mit einem Gemisch aus Milch und Zucker“

von Saeed Ibrahim

Ich wurde am 27.12.1978 in Asmara geboren. Von der 1. bis 6. Klasse ging ich in die Jalia-Schule, von der 7. bis zur 11. Klasse in die Kidisti Mariam-Schule. 1993 beendete ich meine Schulzeit und konnte im Anschluss durch die Hilfe von Familienangehörigen ein kleines Geschäft aufmachen. 1996 wurde ich zwangsweise zum Nationaldienst nach Sawa einberufen.

In der Grundausbildung war die Ernährung und Schulung schlecht. Die Ausbilder hielten sich nicht an das Schulungsprogramm, sondern ließen uns z.B. Klamotten von ihnen waschen oder Wasser holen. Sie zwangen uns, sich ihrem Willen zu unterwerfen. Es gab auch nicht genügend zu essen. Es wurde verdorbenes Mehl verwandt.

Nach der sechsmonatigen Militärschulung machten wir einen Militärmarsch von über 120 Kilometern von Ketan nach Sahel. Anschließend wurden wir nach Nakfa gebracht, um etwa 15 Tage lang Schützengräben auszuheben. Es war nicht klar, wofür wir das gemacht haben, die Gräben waren völlig nutzlos. Zudem war es dort kalt, aber wir erhielten keine Decken, so dass wir sogar manchmal Erde benutzten, um uns abzudecken.

Danach kam ich zurück in die Division 2001, 2. Brigade, 1. Bataillon, 3. Einheit, 2. Gruppe. Wir waren in Ambori im Gebiet Dembelas stationiert, eine gefährliche Gegend, da es dort die Djihad gab und es zu Konflikten kommen konnte.

Nach einem Monat schickten sie uns einmal los, um die Gegend abzusuchen. Der Bataillonsführer ordnete an, dass wir uns durch die Bevölkerung versorgen sollten, mal ein Schaf, mal eine Ziege beschlagnahmen, uns ohne zu zahlen bedienen sollten. Sie schickten uns ohne Essen, ohne Wasser und Verpflegung fort. Ich dachte nur: „Ich bin doch da, um die Bevölkerung zu verteidigen, nicht, um sie zu berauben oder ihr das Vieh wegzunehmen.“ Ich war damit nicht einverstanden.

Im November 1997 wurde ich für einen Militärkurs nach Mensura verlegt, um das amerikanische System zu lernen: In kleinen Einheiten zu kämpfen. Es war zwei Monate vor dem normalen Ende meines Nationaldienstes. Später begriff ich, dass wir den Kurs machten, da schon der Krieg vorbereitet wurde. Sie hatten den Krieg schon vorhergesehen oder geplant.

Ende Dezember kam ich zur Einheit zurück. Der Stellvertreter des Divisionsführers, Brigadegeneral Abraham Andom, mit Spitznamen Afahn, berief eine Versammlung ein, um über die regierende Partei PFDJ zu berichten. Zu der Zeit erzählte Sergeant Serai, der für die Aufklärung zuständig war, dass es der Bevölkerung im Bereich Sefa und Badime nicht gut geht. Der Brigadegeneral sagte dazu: „Lass nur, wir werden uns schon darum kümmern. Wenn sie es nicht anders haben wollen, können wir sie auch nach Mekele umsiedeln.“ Der bevorstehende Krieg war schon zu spüren.

Bis Ende März waren wir ständig in Bereitschaft und hatten das amerikanische System zu trainieren, um den Krieg vorzubereiten.

Anfang April wurden die Reservisten einberufen, die in der 1. bis 4. Runde der Einberufungen zum Nationaldienst eingezogen worden waren. Als Vorwand wurde genannt, dass sie bei Entwicklungsmaßnahmen tätig sein sollten. Tatsächlich wurden sie zum Krieg einberufen und kamen zu uns. Die 2. Einheit musste das ganze Gebiet von Katseaiy bis Shambuco und verschiedene Ecken bei Mensura überwachen. Die 3. Einheit, wir selbst, wurden in Hatsino in Richtung Mendefera eingesetzt. Eine Gruppe aus der 2. Einheit ging nach Sefa, um mit den Äthiopiern zu verhandeln. Es kam zu einem Konflikt. Sechs von ihnen starben, unter ihnen der Sergeant Sergai. So fing der Krieg an.

Am 6. Mai 1998 marschierten wir von Hatsino nach Badime. Die anderen Bataillone nahmen ihre Stellungen ein. Die 2. Einheit, bei denen die sechs gestorben waren, bezog in der Nähe Stellung, kam aber nicht mehr an die Front. Am 12. Mai griffen wir Badime an. Wir marschierten bis nach Dembegedamu, 18-20 Kilometer in äthiopisches Gebiet hinein, besetzten das Gebiet und bezogen in Dembegedamu Stellung. Nach einer Woche löste uns die Division 381 ab. Wir wurden nach Zorona verlegt.

Dort war zu Anfang nicht viel zu tun. Wir hoben Schützengräben aus. Die Einheitsführer ließen uns private Arbeiten verrichten, z.B. beim Gemüseanbau. Nachdem es geerntet wurde, mussten wir das Gemüse mit unserem Geld kaufen. Der Erlös wanderte in ihre Taschen. Sie setzten z.B. auch einen sich im Militärdienst befindlichen Ingenieur dazu ein, für sich ein Haus bauen zu lassen.

Ich hatte akzeptiert, den Nationaldienst abzuleisten. Ich war Eritreer und bereit, für einen guten Grund Soldat zu sein und Krieg zu führen, z.B. wenn Eritrea wirklich gefährdet ist. Nun sollte ich aber sterben, während die anderen für sich arbeiten lassen und nur reicher und reicher werden. Das sah ich nicht ein. Das ist kein Grund, mein Leben zu opfern. Ich hätte nach Ableistung des Nationaldienstes entlassen werden müssen, stattdessen war ich nun ihr Untertan.

Die Situation wurde schlimmer und schlimmer. Die Fehler der Vorgesetzten zeigten sich immer deutlicher. Aber sie halten zusammen. Ein Gruppenführer kann es sich leisten, sich ein kleines Mädchen zu halten und für sich kochen zu lassen - nicht nur kochen. Dabei ist er z.B. Vater von drei Kindern und hat zu Hause eine Frau. Die Mädchen mussten den Vorgesetzten sogar willig sein. Manche haben das akzeptiert, damit sie nicht sterben müssen. Andere haben sich verteidigt: „Wenn ich etwas arbeiten will, könnte ich das doch für meine Familie machen. Wenn ich Soldatin bin, tue ich etwas anderes.“ Solche Frauen gaben auch uns selber Mut. Danach ging es ihnen aber auch schlecht, weil sie schikaniert wurden.

Ein Gruppenführer hat sogar die Autorität, seinen Willen durchzusetzen, auch gegenüber den Frauen. Die anderen müssen die Arbeit für ihn leisten. Beim Einheitsführer ist es noch schlimmer, erst recht beim Bataillonsführer. Die Situation wurde immer unerträglicher.

Ich fing an, ihnen zu widersprechen. Ich sagte: „Ich leiste Militärdienst. Obwohl ich nicht dafür bin, was hier abläuft: Ich bin Soldat. Warum lässt Du uns dann für Deine eigenen privaten Interessen arbeiten? Das sehe ich nicht ein.“

Ich wurde verhaftet, entlassen, wieder verhaftet. Einmal wurde ich für drei Monate inhaftiert und musste mit 22 anderen Soldaten von morgens 6 bis 12 Uhr und nachmittags von 14 bis 16 Uhr Feldarbeit verrichten. Es war als eine Art Gehirnwäsche gedacht. Wir ernteten Tomaten und Zwiebeln. Andere Soldaten wurden damit bestraft, Schützengräben auszuheben. Wir mussten nun stattdessen auf dem Feld arbeiten. Die Ernte, die der Bataillonsführer oder auch der Brigadeführer für sich beanspruchte, wurde an die Einheit verkauft, musste von ihr abgenommen werden.

Danach boten sie mir an, selbst Gruppenführer zu werden. Sie ordneten es nicht an, weil ich gut bin. Sie beabsichtigten, mich irgendwann dranzukriegen. Ich musste diese Tätigkeit übernehmen und eine Gruppe von vier Soldaten führen.

In dieser Zeit, es war Februar 1999, begann die 2. Invasion. Wir befanden uns in Onoshahok, als für 1 ½ Tage ununterbrochen geschossen wurde. Zum Glück bin ich unverletzt herausgekommen. Aus meiner Gruppe wurde ein Junge und ein Mädchen verletzt. Das Mädchen war an die Front gekommen, weil sie sich weigerte, den Führern willig zu sein.

Wir blieben bis zum Mai dort stationiert. Dann sollte ich einen einmonatigen Kurs für Einheitsführer absolvieren, um eine Einheit von 12-13 Leuten zu führen. Ich weigerte mich. Ich wollte mich nicht an den Privatgeschäften beteiligen. Und ich wollte meine Freunde nicht unterdrücken.

Daraufhin wurde ich festgenommen. Sie übergossen mich mit einem Gemisch aus Milch und Zucker, fesselten mich und legten mich in die Sonne. Das war Ende Mai/Anfang Juni 1999. zweieinhalb Tage lag ich ununterbrochen gefesselt da. Die Tage waren sehr heiß, nachts war es total kalt. Da verbrannte meine Haut, nach zweieinhalb Tagen war mein Gesicht voller Blasen. Ich hatte auch schreckliche Kopfschmerzen. Vor lauter Schmerzen bin ich fast umgefallen. Ein Arzt kam und forderte eine ärztliche Behandlung. Der Bataillonsführer verweigerte dies zunächst. Der Arzt sagte: „Das kann ich nicht verantworten. Wenn irgendwas passiert, trägst Du die Verantwortung.“ Da erklärte sich der Bataillonsführer mit einer Behandlung einverstanden. Sie haben mich in ein Lazarett in der Nähe gebracht, meine Haut abgemacht, das Fleisch mit Desinfektionsmitteln gesäubert und gaben mir Tetrazeiklin, Antibiotika-Tabletten. Das war es schon.

Ich blieb zwei Wochen im Lazarett. Trotz der Tabletten bekam ich eine Infektion. Es wurde sehr schlimm und sie wollten mich zur Strafe nicht richtig behandeln. Schließlich brachten sie mich doch nach Alla in ein Militärkrankenhaus. In Alla konnte ich drei bis vier Monate nichts mehr auf meinem linken Auge sehen. Ich versuchte, den verantwortlichen Bataillonsführer anzuklagen, erhielt aber nie eine Reaktion.

Manchmal beruhigte sich meine Wunde, dann infizierte sie sich wieder und schlug Blasen. Es war ein ständiges Auf und Ab. Schließlich gaben sie mir monatsweise Urlaub, so dass ich zu meiner Familie reisen konnte. Ich beantragte schriftlich meine Entlassung, was mir mit dem Hinweis verweigert wurde, dass ich nach der Heilung wieder an der Front eingesetzt werden würde.

So blieb ich zu Hause bei meinen Eltern und fand keinen Ausweg. Könnte ich im Sudan behandelt werden, wenn ich dorthin ginge? Ich hatte keine Idee dazu. Deshalb blieb ich in Asmara. Dort nahm ich Kontakt mit oppositionellen Gruppen auf, um gegen die Regierung tätig zu werden. Ich wurde aktives Mitglied der ELF-RC. Wegen meines gesundheitlichen Zustandes konnte ich nicht so viel tun, aber Zeitschriften und Flugblätter verteilen. Ich nahm auch an den geheimen Versammlungen teil.

Im Juni 2002 wurde die kleine Gruppe, in der ich aktiv war, entdeckt. Wir hatten eine Versammlung. Ich war noch unterwegs gewesen. Dann sah ich, dass der Gruppenführer von der Polizei festgenommen und abgeführt wurde. Wir hatten die Vereinbarung getroffen: Wenn irgendeiner festgenommen wird, müssen die anderen innerhalb von 24 Stunden abtauchen. Die Regel musste ich einhalten. Deshalb bin ich in den Sudan geflohen, bevor sie mich in die Hand bekommen konnten.

Ich habe im Sudan Verwandte, die dort schon über Jahre leben. Manche von ihnen sind sogar eingebürgert. Sie machen gute Geschäfte, haben Autos und LKWs. Sie erschraken, als sie meinen gesundheitlichen Zustand sahen. Mit ihrer finanziellen Hilfe konnte ich nach Deutschland kommen, wo ich im Juli 2002 eintraf.

Zur Zeit lebe ich in Wächtersbach, arbeite zwei Stunden am Tag und bin in der Oppositionsgruppe ELF-RC aktiv. Ich hatte eine Anhörung beim Bundesamt. Dort hatte ich nicht so viele Möglichkeiten, meine Situation darzulegen, wie heute. Ich wurde vom Bundesamt abgelehnt, mein Verfahren ist noch anhängig. Bis jetzt hatte ich keine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht.

Interview mit Saeed Ibrahim vom 18.06.2004. Übersetzung Yonas Bahta. Abschrift: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und Eritreische Antimilitaristische Initiative in Zusammenarbeit mit der Flüchtlingsseelsorge der EKHN (Hrsg.): Broschüre »Eritrea: Kriegsdienstverweigerung und Desertion«, Offenbach/M., November 2004. Wir danken für die finanzielle Förderung durch: Dekadefonds zur Überwindung der Gewalt der EKHN, Förderverein Pro Asyl und Evangelischer Entwicklungsdienst (EED).

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