Israel/Palästina: "Wir können es tun"

von Karin und Anna (IWPS)

(Januar 2004) Budrus ist ein kleiner Ort mit 1.200 Einwohnern in West-Ramallah, drei Kilometer von der Grünen Linie entfernt. Bis jetzt ist die Mauer dort noch nicht zur Realität geworden. In den letzten drei Monaten haben alle EinwohnerInnen, soweit sie es konnten, einen Olivenhain mit 30 Bäumen besetzt, der oben auf der Liste der plattzumachenden Ziele steht. Sie benutzten immer wieder gewaltfreie direkte Aktionen, um die Arbeiten aufzuhalten. Während es in anderen Orten nur verstreuten Protest gab, glaubt die Bevölkerung in Budrus daran, die Apartheidsmauer stoppen zu können. Ihr Geheimnis, so sagen sie, ist ihre Einigkeit und Zusammenarbeit gegen die Mauer, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. Sie trotzen allen von der israelischen Armee erklärten Ausgangssperren, um den gewaltfreien Widerstand fortzusetzen.

Kürzlich kamen die Arbeiter aber mit viel größerer militärischer Unterstützung zurück. Die Polizei hatte begonnen, um Mitternacht Razzien im Ort durchzuführen, um Aktivisten des Volkskomitees und auch junge Männer zu inhaftieren. Es war ein gemeinsamer Angriff auf den gewaltfreien Widerstand in Budrus.

Es begann am Morgen des 30. Dezember 2003, als ein Bagger auf den Olivenhain zusteuerte. So schnell wie die EinwohnerInnen sahen, was geschah, ging ein Ruf von der Moschee aus, dass die Olivenbäume ausgerissen werden. Fünf internationale und israelische AktivistInnen hatten die Nacht davor glücklicherweise in Budrus übernachtet. Zusammen mit den palästinensischen AktivistInnen vom Volkskomitee gegen die Apartheidmauer, rasten wir zum Olivenhain und stießen auf Soldaten, die uns ein Papier zeigten, wonach das Gebiet militärisches Sperrgebiet sei. Wir waren verblüfft, als ein palästinensischer Aktivist meinte, wir sollten ins Dorf zurückkehren. Auf dem Weg hörten wir einen weiteren Aufruf aus der Moschee und alles wurde klar, als wir plötzlich Hunderte von Frauen, Mädchen, Männern und Jungen direkt auf den Olivenhain zulaufen sahen. Kinder, die aus ihren Schulklassen gerannt waren, hatten noch ihre Schulbücher in der Hand.

In diesem Moment rief einer der anerkanntesten Aktivisten des Dorfes, Abu Ahmad: "Wir können es tun! Wir können es tun!" Die Menge teilte sich in drei Gruppen auf und begann in Richtung der Bagger zu laufen.

Sofort schossen die Soldaten Dutzende von Tränengasgranaten auf die verschiedenen Gruppen, bevor sie wenige Minuten später Gummigeschosse abfeuerten. Gruppen von kleinen Mädchen brauchten aber nur Sekunden, um wieder Luft zu schöpfen und rannten weiter den Hang hinunter. Viele wurden an den Beinen, am Kopf oder an den Armen getroffen und zur Ambulanz gebracht. Die ganze Zeit über kamen mehr Soldaten den Hang hinauf. Die PalästinenserInnen stießen nach drei Viertel des Weges auf die Soldaten. Obwohl die Bagger jetzt ziemlich nah waren, schien es so, dass es unmöglich sein würde, durch die Linien der stark bewaffneten Soldaten zum Olivenhain zu kommen.

Das plötzliche Eintreffen von drei Fernsehsendern schreckte die Soldaten für einen kurzen Moment auf. Plötzlich lief eine alte Frau durch die Linie zum Bagger hin. Verschiedene Gruppen begannen, um die Soldaten herumzugehen. Die Soldaten gewannen sofort ihre Fassung wieder und schossen Tränengasgranaten direkt auf die Menschen. Aber dieses Mal hatte sich eine Frau direkt in ein Loch geworfen, das von einem Bagger ausgehoben worden war. Ein kleines Mädchen sprang in die Schaufel eines Baggers und begann, lässig in ihrem Schulbuch zu lesen. Andere Mädchen begannen, auf die Bagger zu klettern, so dass der Fahrer den Bagger verließ.

Dieser Tag war für die EinwohnerInnen von Budrus erfolgreich. Obwohl einige Bäume ausgerissen wurden, konnten andere gerettet werden. Und trotz des massiven Einsatzes von Tränengas und Gummigeschossen konnten sie den Hang hinuntergehen, mit nichts anderem bewaffnet, als mit Liedern von Freiheit, und die Soldaten und Bagger dazu zwingen umzukehren. Als die Soldaten abfuhren, feierte der ganze Ort.

Diese Szene hat sich in den letzten drei Wochen wiederholt - mit unterschiedlichem Ausgang. Sieben Mal hat die Baugesellschaft versucht, mehr Olivenbäume auszureißen. Alle sieben Versuche konnten verhindert werden. Vier Mal konnten die EinwohnerInnen die Armee aus dem Olivenhain vertreiben, wie am 30. Dezember. Aber drei Mal griff sie mit über 200 Soldaten an und zwang die Bevölkerung, ins Dorf zurückzukehren. An diesen Tagen wurden Dutzende mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht.

Einmal erklärte die Armee den ganzen Ort zur militärischen Zone. Das konnte aber nicht die Demonstrationen verhindern. Der Ort kam international in die Schlagzeilen, als der schwedische Parlamentarier Gustav Fridolin und drei andere Internationale wegen ihrer Teilnahme an einer Demonstration verhaftet wurden.

 

Zehn Männer aus dem Ort wurden von den Besatzungskräften inhaftiert, darunter auch Abu Ahmad und seine Brüder Na’eem und Abdelnasir. Gegenüber ihren Anwälten und Unterstützern gab es keine Auskunft, wo sie sich befinden. Dem Knesset-Parlamentarier Ran Cohen wurde bei einem Anruf mitgeteilt, dass sie freigelassen worden seien. Leute, die das israelische Militärgerichtsverfahren kennen, befürchten, dass sie auf unbestimmte Zeit in Gewahrsam gehalten werden. Abdelnasir wurde angeklagt, weil er "Internationalen erlaubt habe, sich in seinem Haus aufzuhalten". Bis jetzt gab es eine solche Anklage nicht. Es zeigt nur die Absicht Israels, jeden gewaltfreien Widerstand zu zerschlagen.

Kate und Anna, IWPS: "We can do it" - Grassroot struggle of the people of Budrus against the Apartheid Wall (www.womenspeacepalestine.org). Januar 2004. Übersetzung: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Israel/Palästina: Widerstand gegen Terror, Krieg und Besatzung«, Offenbach/Main, Mai 2004. Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).

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