Israel: Sogar bei der Verweigerung gibt es keine Gleichberechtigung

von Lily Galili

Frauen, die verweigern, sind von Beginn an ein Teil des Kampfes gegen die Besatzung gewesen. Sie vertreten die gleichen Überzeugungen, aber die Armee beeilt sich, sie aus dem Militärdienst zu entlassen, während junge Männer ins Gefängnis gehen.

An einem Abend vor zwei Wochen versammelte sich eine kleine Gruppe junger Leute in einem privaten Haus in Tel Aviv. Es sah wie jede andere Party von Teenagern aus, die sich alle gut untereinander kennen. Aber der Grund für die Party unterschied sich von ähnlichen Treffen junger Leute: Es war ein Abschiedsfest von Freunden, die vor dem Antritt ihrer Haftstrafe standen. Die meisten TeilnehmerInnen hatten den „Brief der High-School-AbsolventInnen“ unterzeichnet - unter ihnen die Hälfte junge Männer, die andere Hälfte junge Frauen, die die Einberufung zu den israelischen Verteidigungsstreitkräften verweigerten. Am nächsten Tag meldeten sich fünf der jungen Männer im Armeegefängnis Nr. 6, wo sie die einjährige Haft antraten, da sie aus Gewissensgründen und in Opposition zur Besatzung den Dienst verweigert hatten. Am selben Morgen gingen die jungen Frauen wieder zu ihrem zivilen nationalen Dienst, den sie als Alternative zum Militärdienst ableisten, weil sie sich aus den gleichen Gründen wie die jungen Männer verweigert hatten.

„La petite difference“ zwischen den Geschlechtern, was in Frankreich mit Lob besungen wird, schließt in Israel die Auffassung ein, dass das Gewissen von Männern und Frauen unterschiedlich sei. Dieser Diskriminierung, wie auch die Frage, wer hier gewinnt, wer hier verliert, konnte die Gruppe der jungen Männer und Frauen, die verweigert haben, nicht entgehen. Als sie gemeinsam den „Brief der High-School-AbsolventInnen“ unterzeichneten, wurden sie zu einer gleichwertigen Gemeinschaft von VerweigerInnen, in der es eine ähnlich große Zahl von jungen Männern und Frauen gab. Später wurden die Männer mit ihrem Dienstantritt und den Inhaftierungen zu Helden, mit einer nur für sie eingerichteten offiziellen Webseite und T-Shirts, die ihre Bilder tragen.

Im Gefängnis zu sitzen wurde zu einem Drama, das Wesentliche ihres Kampfes. An diesem Punkt wurde den jungen Frauen vorgeworfen, dass sie nicht genug zur Unterstützung der jungen Männer tun würden. Für die Frauen war klar, dass sie sich vehement weigerten, eine Gruppe von „Cheerleader“ für die Männer zu werden. Die Krise ist nun Vergangenheit. Alles was blieb ist die grundlegende Schlussfolgerung, dass dies ein wesentlicher Bestandteil der israelischen Gesellschaft darstellt, die weiter in der Mythologie des Machismo gefangen bleibt.

„Das Gericht gab uns bestimmte Rechte, als es uns ins Gefängnis schickte, weil der Protest durch den persönlichen Preis effektiv geworden ist. Die Armee bestreitet, dass die Frauen den Preis zahlen können“, sagt Shimri Tsameret am Abend, bevor er ins Gefängnis geht. Noa Levi, die mit Shimri den „Brief der High-School-AbsolventInnen“ unterzeichnet hatte und ihren nationalen Dienst im Verein Alon ableistet, der sich für soziale Veränderungen durch Erziehung einsetzt, bestätigt, dass dieses Argument häufiger in der Gruppe eingebracht wurde. „Es gibt junge Männer, die denken, dass es besser wäre, wenn auch wir ins Gefängnis gehen würden und dass dies ein Privileg ist, dass uns verwehrt sei. Andere denken im Gegenteil, dass Frauen das Privileg haben, dass ihr Gewissen anerkannt wird, auch wenn die Art und Weise im Moment sehr entwürdigend ist.“

Zwei Wochen später, als die jungen Männer bereits in Haft sind, treffen sich die Frauen am Ende eines anstrengenden Tages im nationalen Dienst, um über das Thema Feminismus zu sprechen. Die deutlich sichtbare Abwesenheit der jungen Männer war ein sehr greifbarer Ausdruck, wie die Armee die Bilder und die patriarchalen Machtstrukturen aufrecht erhält, selbst dann, wenn es um die Kriegsdienstverweigerung geht. Die Verweigerer sind immer noch wertvoller, würdiger, um ins Gefängnis zu gehen, als die Frauen, deren Überzeugungen nicht weniger „kriminell“ sind, als die der Männer. Sie wurden zu einer Arbeit geschickt, die eine entschieden feminine Dimension hat, statt den Militärdienst ableisten zu müssen.

„Ich wusste immer, einfach ausgedrückt, dass ich nicht auf Leute schießen oder ein Pistole in der Hand haben würde“, bemerkt die 18-jährige Dana Bar. „Erst als ich in der 10. Klasse war und zum ersten Mal einen Refusenik1 getroffen habe, nahm ich wahr, dass es dafür einen Namen gibt.“ Bar erzählt, dass sie einen Brief an das Gewissenskomitee der Armee geschrieben hat, bevor sie überhaupt ihre Erfassung erhalten hatte. „Das Komitee war wie ein Zirkus. Einige ältere Männer begannen mir zu erklären, dass ich keine echte Pazifistin sei. Ich antwortete, dass meiner Meinung nach Gewalt wie ein Pingpongspiel ist, in dem der Ball von einer Seite zur anderen Seite gespielt wird. Wenn das aber jemand beenden würde, würde der Ball stoppen.“ Sie fährt fort: „Ein religiöser Mann aus dem Komitee begann mich anzuschreien - was ich über Tennis wüsste, er sei ein professioneller Spieler. Wir stritten uns eine Weile, dann brachten sie meinen Freund herein, den ich als Zeugen angegeben hatte. Drei Sekunden später hatte ich meine Anerkennung.“ Bar leistet freiwillig den nationalen Dienst in der Notfallaufnahme des Hashomer-Krankenhauses ab.

Leichte Anerkennungen

Auch Eilat Maoz hat die Erfahrung mit dem Gewissenskomitee frustriert. Seit sie 14 Jahre alt ist, hatte sie sich auf diesen Moment vorbereitet. Als aber die Zeit kam, befragten sie sie vor allem zu ihrem Verhalten. Die schlimmste Frage war: „Was würden Sie tun, wenn alle unsere Feinde die Grenze überqueren würden?“ Maoz, eine junge Frau mit einer festen Überzeugung, antwortete: „Ich habe mehr Angst davor, dass sie mir vorschreiben, wer mein Feind ist und wo die Grenzen sind.“ Der Zeuge, den sie auf Anforderung genannt hatte, wurde noch nicht einmal in den Raum gebeten. Einige Tage später erhielt sie ihre Anerkennung. Seitdem leistet Maoz den nationalen Dienst bei der Grünen Aktion ab, einem gemeinnützigen Verein, der im Umweltschutzbereich aktiv ist.

Für Inbal Kaplan und Noa Levi war die Ermordung von Itzhak Rabin ein Ereignis, das ihre Überzeugung prägte. Leicht ironisch bezeichnen sie sich selbst als „Kerzenmädchen“. Kaplan berichtet, dass sie schon als kleines Mädchen wusste, dass sie nicht zur Armee gehen würde, da sie Pazifistin sei. Aber nach der Ermordung Rabins wurde sie auch politisch aktiv. Von der 8. Klasse an bereitete sich ihre beste Freundin, Ravit, auf ihre Bühnenrolle des Lebens als Zeugin in der Anhörung von Kaplan vor dem Gewissenskomitee vor - mit einer „unglaublichen Rede“.

Nur dass sie nicht dazu kam, ihre Rede vorzutragen. Stattdessen wurde Kaplans Begegnung mit dem Komitee zu „einem Zusammenstoß von fünf großen Männern mit einem kleinen, pazifistischen Mädchen“, wie sie es beschreibt. „Ich hatte wirklich Angst.“ Inbal Kaplan leistet nun freiwillig den nationalen Dienst bei einer Institution für geistig Behinderte ab und freut sich für Ravit, die kürzlich ihren Kurs als Offizierin mit gutem Ergebnis abgeschlossen hat.

Ganz im Gegensatz zu Kaplan, die aus einer Familie kommt, die ihr demonstrativ die Unterstützung für ihre schwierige Entscheidung verweigerte, kommt die 19-jährige Noa Levi aus einer sehr politischen, linken Familie. Die Ermordung von Rabin ließ auch sie politisch aktiv werden. „Nicht nur, dass sie schrieen: ‚Rabin würde sich für Euch schämen’, als wir als VerweigerInnen an Festirabin demonstrierten“, erinnert sie sich. Festirabin? „Ja“, bestätigt Levi. „Was bei der Gedenkveranstaltung als Politik bleibt, ist nichts anderes als ein Fest für Rabin, Rabin wird abgefeiert.“ In der Zwischenzeit wurde sie Aktivistin bei der Jugend von New Profile, eine Tatsache, die zum wichtigsten Punkt in der Anhörung vor dem Gewissenkomitee wurde. „Sie waren kaum an meiner Erklärung interessiert, in der ich mich gegen Krieg auf nationaler Basis wandte. Vielmehr interessierten sie sich sehr dafür, welche AraberInnen ich getroffen hatte“, sagt Levi. „Sie drängten mich, Namen von arabischen AktivistInnen zu nennen.“ Am Ende wurde Levi gefragt, was sie tun würde, wenn sie nicht anerkannt werden würde. Levi antwortete: „Dann würde ich ins Gefängnis gehen.“ Sie erhielt die Anerkennung ohne Schwierigkeiten.

Rabin würde sich für Euch schämen

Während dieser Zeit durchschritten die jungen Männer der Gruppe einen langen Schmerzensweg von Disziplinarmaßnahmen und wiederholten Arreststrafen, der seinen Gipfel erreichte, als fünf von ihnen vor 10 Monaten vor das Militärgericht gebracht - und nun zu einem Jahr Haft verurteilt wurden. „Wir sehen, dass ihnen die Freiheit des Gewissens verweigert wurde und sie sehen es als Privileg an, ins Gefängnis zu gehen, ein Privileg, dass den Frauen verwehrt bleibt.“ So fasst Noa Levi ermüdende Meinungsverschiedenheiten in der Gruppe zusammen. „Es gab Zeiten, da haben sie nicht verstanden, dass wir stolz sind, freie Zivilpersonen zu sein, die das Recht haben, aus Gewissensgründen von der Ableistung des Militärdienstes befreit zu werden. Sie sehen es manchmal so, als ob wir uns der Auseinandersetzung entziehen.“

Aber es gibt selbst unter den Frauen keine gemeinsame Meinung zu diesem Punkt. „Ich kann keine Erleichterung in dem uns gegebenen Privileg sehen, dass wir aus Gewissensgründen von der Ableistung des Militärdienstes befreit wurden“, sagt Kaplan. „Uns steht es einfach nach dem Gesetz zu und es sind die Männer, denen dieses grundlegende Recht verwehrt wird.“ Dennoch, so sagt Kaplan, seien die jungen Männer wütend auf sie und beschuldigten sie, sich auf das Verfahren vor dem Gewissenskomitee einzulassen, statt ins Gefängnis zu gehen - ein Gewissenskomitee, dass Männern die Befreiung von der Ableistung des Militärdienstes verwehrt. Sie antwortete darauf, dass die Männer das einfordern sollten, was den Frauen zugestanden werde.

Noa Levi versteht diese Anschuldigungen. „Unsere Verweigerung ist eine politische Handlung, um den Konsens der Gesellschaft zu verändern. Die Männer sagen: Da ihre Verweigerung zu einer kriminellen Handlung gemacht werde, stellten ihre Erklärungen den Konsens stärker in Frage, ihre Handlung rüttele wach und schmerze. Damit haben sie recht.“

Im Sommer, als das Verfahren der fünf Verweigerer im Militärgericht in Jaffa begann, spitzte sich die Krise zu, bis dahin, dass alle Aktivitäten der „Highschool-AbsolventInnen“ eingestellt wurden. „Keine neuen Wege beschreiten wollen führte zur Krise“, sagt Levi. „Alle Frauen fühlten, dass sie für die Männer arbeiteten. Vor vier Monaten kamen wir zur Besinnung. Wir unterstützen die Männer, aber unser Schwerpunkt liegt im Kampf gegen die Besatzung.“

Mit der Zeit und vor dem Hintergrund der etablierten testosterondurchsetzten Refusenikbewegung wie Courage to Refuse2, lernten die jungen Frauen, gemeinsam ihre Stimme zu erheben. Während die Männer ihren Kampf gegen die Besatzung auf die Tat der Kriegsdienstverweigerung zentrierten, setzten die Frauen auf den Schwerpunkt von sozialen Aktivitäten, mit der Überzeugung, dass dies zu einer Verbesserung der Gesellschaft führen werde. Dennoch mussten sie zugestehen, dass der gewaltbetonte Weg die Diskussion bestimmte. „Courage to Refuse handelt in einer machohaften Art und Weise, die den Militarismus in der israelischen Gesellschaft fortsetzt, aber ihre Stimme dringt an Stellen vor, an die wir nicht kommen können“, sagen die Frauen ernüchtert. „Für uns hat das gute und schlechte Seiten. Einerseits drängt uns das an die Seite, andererseits erweitert es den Kreis der Verweigerungsbewegung.“ Mit der Absicht, den Stil der Mitglieder von Courage to Refuse zu entschuldigen, die ungeachtet geringer Altersunterschiede einer Generation angehören, fasst Noa Levi die dramatische Veränderung zusammen, die in einer einzigen Dekade in der israelischen Gesellschaft stattgefunden hat: „Wir sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der die Kriegsdienstverweigerung als Möglichkeit wahrgenommen wurde. Die Leute von Courage to Refuse wuchsen in einer anderen Realität auf.“

Auch für die Frauen wird es härter

Die Geschichte der unterschiedlichen Behandlung der Gewissen von Frauen und Männern drückt sich auch in Zahlen und Prozenten aus. Zwischen der Einrichtung des Gewissenskomitees 1995 und dem Jahre 2002 erhielt das Komitee 150 Anträge von jungen wehrpflichtigen Männern. In dieser Zeit wurden sechs der Antragsteller anerkannt, was 4% entspricht.

Bei den Frauen stellt sich die Situation völlig anders dar. Jedes Jahr stellen 120 bis 180 junge Frauen Anträge an das Komitee. Im Jahre 2002 gab es 173 Anträge von Frauen. 118 von ihnen wurden anerkannt, 23 weitere von einer höheren Instanz des Komitees. Mit anderen Worten: Über 80% der Antragstellerinnen wurden aus Gewissensgründen anerkannt.

Rechtsanwalt Michael Sfarad, der diese Statistiken im Verfahren von Yoni Ben-Artzi vortrug, nennt dies einen klassischen Fall der indirekten Diskriminierung von Männern.

Im Verfahren der fünf Refuseniks, die nun ins Gefängnis gegangen sind, präsentierte ihr Rechtsanwalt Dov Hanin einen Brief, der von einer Wehrpflichtigen, Hadas Goldman, als Antrag an das Komitee geschrieben wurde. In ihrem Brief trägt Goldman Einwände gegen die Besatzung vor, die identisch mit denen sind, die von den fünf Refuseniks vorgebracht wurden. Sie wurde eiligst anerkannt. Im Verfahren erklärten die Verantwortlichen des Militärs, dies sei ein Fehler gewesen. Hanin klagt an, dass dies ein Anzeichen dafür ist, dass die Armee nun beginnt, mit den Frauen härter umzugehen, statt auch bei den jungen Männern ein milderes Verfahren anzuwenden.

Es sollte angemerkt werden, dass es einen bedeutsamen Unterschied zwischen den Komitees gibt: Das Komitee für Frauen ist ein zivil besetztes des Verteidigungsministeriums, was den Vorgaben des Gesetzes entspricht. Ein weiteres Komitee fungiert als höhere Instanz. Das Komitee für Männer ist ein Militärkomitee, zu dem inzwischen eine Zivilperson hinzugekommen ist. Das Oberste Gericht hatte dies während des Klageverfahrens von Ben-Artzi empfohlen.

Fußnoten

1 von to refuse - verweigern (d. Red.)

2 Mut zum Verweigern, Gruppe der Reservisten, die den Einsatz in den besetzten Gebieten verweigern (d. Red.)

Kontakt über

New Profile, POB 48005, Israel - Tel Aviv 61480, www.newprofile.org

Lily Galili: Even in refusal, there is no equality. Ha’aretz vom 21.01.2004. Übersetzung: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Israel/Palästina: Widerstand gegen Terror, Krieg und Besatzung«, Offenbach/Main, Mai 2004. Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).

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