Militärdienst und Kriegsdienstverweigerung in Georgien

von Quaker Council for European Affairs

Es ist relativ schwierig, Informationen zu Militärdienst und Kriegsdienstverweigerung in Georgien zu erhalten. Vom Quaker Council for European Affairs wurde im Jahre 2005 ein detaillierter Bericht erstellt. Im Sommer 2008 legte die Organisation einen erneuten Bericht zur Frage der Kriegsdienstverweigerung in Europa vor, aus dem hervor geht, dass sich an der Situation in Georgien grundsätzlich nichts geändert hat. Entsprechende Anmerkungen haben wir angefügt. (d. Red.)

Wehrpflicht

Nach Artikel 101 der Verfassung von 1995 gibt es eine Wehrpflicht. Regelungen dazu gibt es in vier Gesetzen, die 1997 und 1998 vom georgischen Parlament verabschiedet wurden.

Die Länge des Militärdienstes beträgt 18 Monate. Alle Männer zwischen dem 18. und 27. Lebensjahr sind zur Ableistung des Militärdienstes verpflichtet.

Seit dem Jahre 2002 ist es möglich, sich vom Militärdienst für eine Summe von 2.000 georgische Lari (GEL) freizukaufen, was etwa 700 e entspricht. Eine Zurückstellung ist mit einer Zahlung von 200 GEL pro Jahr möglich. Wer sich freigekauft hat, wird der Reserve zugeteilt und kann nur zu einem Dienst im Falle einer allgemeinem Mobilisierung einberufen werden.1

Im August 2004 diskutierte das georgische Parlament einen neuen Gesetzentwurf über den Militärdienst. Das Gesetz sieht eine Reduzierung der Länge des Militärdienstes auf 12 Monate vor; für Hochschulabsolventen, die eine Militärausbildung an der Universität abgeschlossen haben, eine Länge von sechs Monaten. Nach dem Gesetzentwurf soll eine Zurückstellung mittels einer Zahlung von 200 GEL nicht mehr möglich sein, obwohl es weiter die Möglichkeit des Freikaufes durch die Zahlung einer Summe von 2.000 GEL geben soll. Über den Gesetzentwurf wurde bislang nicht entschieden.2

Aufgrund der politischen Situation werden Einwohner von Südossetien und Abchasien nicht zum Dienst in der georgischen Armee einberufen. Nach der Unabhängigkeit Georgiens im Jahre 1991, führten Abchasien und Südossetien Unabhängigkeitskriege. Seit 1992 sind diese Regionen faktisch unabhängig von der georgischen Regierung und haben eigene Streitkräfte und ein eigenes Wehrpflichtsystem.

Statistik

Die Streitkräfte haben einen Umfang von 17.500 Soldaten, darunter 10.400 Wehrpflichtige. Jedes Jahr erreichen schätzungsweise 42.000 junge Männer das Wehrpflichtigenalter. 20% werden einberufen.

Die georgische Regierung hat eine Reform der georgischen Armee angekündigt, um sie den NATO-Standards anzugleichen. Die Regierung plant eine Reduzierung des Umfangs und einen Anstieg der Zahl der Berufssoldaten auf zwei Drittel der Gesamtstärke. Es ist nicht vorgesehen, die Wehrpflicht abzuschaffen.3

Kriegsdienstverweigerung

Gesetzliche Grundlagen

Das Recht wird mit dem 1997 verabschiedeten Gesetz über den Alternativdienst anerkannt.4

Das Gesetz sollte im Januar 1998 in Kraft treten, die Regierung setzte dies jedoch nicht um. Im Mai 2001 erließ die Regierung die Erlasse 170 und 171, die dem Ziel dienten, das Gesetz umzusetzen. Dennoch wurde das Gesetz über den Alternativdienst bislang nicht in die Praxis umgesetzt.

Deshalb gibt es bislang kein Antragsverfahren für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und bezüglich eines Ersatzdienstes. In den nachfolgenden Abschnitten stellen wir die gesetzlichen Regelungen nach dem Gesetz über den Alternativdienst vor. Die aktuelle Praxis beschreiben wir in einem eigenen Abschnitt.

2008: Keine Ausführungsbestimmungen

In Georgien wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung 1997 anerkannt und das Gesetz über den Alternativdienst verabschiedet. Dennoch hat die georgische Regierung keine Ausführungsbestimmungen erlassen. Es gibt daher kein Antragsverfahren für die Kriegsdienstverweigerung und in der Praxis keinen Ersatzdienst.*

Umfang

Das Gesetz über den Alternativdienst erkennt sowohl religiöse wie auch nicht-religiöse Gründe für die Kriegsdienstverweigerung an. Nach Artikel 4 „können diejenigen Wehrpflichtigen in Friedenszeiten zur Ableistung eines Zivildienstes einberufen werden, die nach dem Gesetz zur Ableistung eines Militärdienstes verpflichtet sind, aber dies verweigern, weil der Militärdienst in irgendeiner Art und Weise nicht mit ihrem Gewissen vereinbar ist.”

Zeitliche Beschränkung

Nach dem Gesetz über den Alternativdienst gibt es eine strikte zeitliche Begrenzung für die Antragstellung zur Kriegsdienstverweigerung. Anträge müssen innerhalb von zehn Tagen nach Erhalt der Einberufung erfolgt sein (Artikel 7). Soldaten und Reservisten können keinen Antrag stellen.

Verfahren

Nach Artikel 8 des Gesetzes über den Alternativdienst müssen Anträge bei der Militärkommission des Distrikts gestellt werden. Die Kommission soll innerhalb von 20 Tagen eine Entscheidung getroffen haben, die bestätigt werden muss durch die staatliche Kommission zum Zivildienst. Eine Anhörung kann Teil des Verfahren sein.

Ersatzdienst

Artikel 6 des Gesetzes über den Alternativdienst sieht einen Ersatzdienst von 36 Monaten vor. Das entspricht der doppelten Länge des Militärdienstes.

Der Ersatzdienst kann in Einrichtungen der Regierung im Bereich des Umweltschutzes und der Gesundheit abgeleistet werden (Artikel 5).

Nach Ableistung des Ersatzdienstes bleibt ein Kriegsdienstverweigerer bis zum 50. Lebensjahr Teil der Reserve (Artikel 18). Eine Einberufung kann im Falle eines Notstandes oder einer allgemeinen Mobilisierung erfolgen. Das Gesetz regelt nicht, welche Aufgaben dann erfüllt werden müssen.

Praxis

Das Gesetz über den Alternativdienst wurde nie in Kraft gesetzt und die staatliche Kommission zum Zivildienst hat niemals gearbeitet. Vor 2001 war das Verteidigungsministerium verantwortlich für die Organisation und Verwaltung des Ersatzdienstes. Seit 2001 hat das Ministerium für Gesundheit und Soziales die Verantwortlichkeit übernommen. Beide Ministerien haben die Organisation des Ersatzdienstes nicht in der Praxis umgesetzt.

Seitdem das Gesetz über den Alternativdienst 1998 in Kraft trat, scheint eine beträchtliche Zahl von Wehrpflichtigen die Ableistung eines Ersatzdienstes beantragt zu haben. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums gab es zwischen 400 und 800 Anträgen allein in den Jahren 1998 und 1999.5 Nach aktuelleren Zahlen gab es im Jahre 2002 300 Anträge.6 Aktuellere Zahlen sind nicht bekannt.

Es ist nicht klar, wie Kriegsdienstverweigerer von den georgischen Behörden behandelt werden. Im regelmäßig erstellten Bericht der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen stellt dieses im Jahre 2002 bezüglich Georgien fest: „Es ist bedauerlich, dass es keine klaren Informationen zu den gegenwärtigen Regelungen zur Kriegsdienstverweigerung gibt”.7

Die meisten Anträge wurden offensichtlich von Angehörigen religiöser Gemeinschaften gestellt, denen das Tragen von Waffen verboten ist, insbesondere von den Zeugen Jehovas. Über ihre Anträge wurde bislang noch nicht entschieden und sie wurden auch nicht zu einem Dienst einberufen. Das Verteidigungsministerium erklärte im Jahre 2000, dass Mitglieder religiöser Gemeinschaften, deren Mitgliedern das Tragen von Waffen verboten ist, ein Dokument vom Ministerium erhalten können, in dem steht, dass sie eine Alternative zum Militärdienst abgeleistet haben. Dieser Vorschlag wurde nach Berichten den Zeugen Jehovas und Baptisten gemacht, wenn sie ein Dokument vorlegen, das ihre Mitgliedschaft in der jeweiligen Gemeinschaft beweist.8

2008: Keine Einberufung religiöser Verweigerer

Einige Länder ohne funktionierende Gesetzgebung zur Kriegsdienstverweigerung haben informelle Regelungen für Verweigerer getroffen, die aber nur auf religiöse Verweigerer oder Verweigerer Anwendung finden, die einer religiösen Gemeinschaft angehören, die das Tragen von Waffen verbietet. In Armenien, Aserbaidschan und Georgien wurden bestimmte religiöse Verweigerer nicht zum Dienst einberufen. Nicht-religiöse Verweigerer konnten sich nicht auf diese informellen Regelungen berufen.*

Es ist nicht klar, ob diese informelle Regelung noch in Kraft ist. Zumindest gab es seit 1998 keinen bekannt geworden Fall eines Zeugen Jehovas oder Mitglieds einer religiösen Gemeinschaft, der wegen Kriegsdienstverweigerung verfolgt worden ist.9

Die informelle Regelung wurde niemals auf nicht-religiöse Kriegsdienstverweigerer angewandt. Das ist insofern bemerkenswert, weil das Gesetz zum Alternativdienst das Recht zur Kriegsdienstverweigerung nicht auf religiöse Gründe beschränkt.

Aufgrund der noch ausstehenden Umsetzung des Gesetzes über den Alternativdienst bleibt die rechtliche Position von nicht-religiösen Verweigerern unklar. Viele junge Männer haben sich nach Berichten den Zeugen Jehovas angeschlossen, um der Ableistung des Militärdienstes zu entgehen. Nach einigen Quellen hat das zu einer beachtlichen Zunahme von Mitgliedern bei religiösen Sekten in Georgien geführt.10

Neben dem Beitritt zu einer religiösen Gemeinschaft mit falscher Begründung, bleibt nicht-religiösen Verweigerern nur die Bestechung, um die Ableistung des Militärdienstes zu vermeiden und die Einberufung zu umgehen.

Militärdienstentziehung

Militärdienstentziehung und Desertion können nach dem Verwaltungsgesetz und Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt werden.

Die Nichtbefolgung der Einberufung kann mit ein bis zu drei Jahren Haft bestraft werden, im Falle von erschwerenden Umständen wie der Benutzung gefälschter Dokumente (Artikel 81 des Strafgesetzbuches) mit bis zu fünf Jahren Haft. Die Nichtbefolgung der Einberufung im Falle einer Mobilisierung kann mit drei bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden (Artikel 82). Desertion unterliegt einer Strafandrohung von drei bis zu sieben Jahren (Artikel 256), in Kriegszeiten kann die Strafe erhöht werden.11

Militärdienstentziehung ist ein weitverbreitetes Phänomen, insbesondere wegen der schlechten Bedingungen und den Menschenrechtsverletzungen in der Armee. Es gibt keine exakten Zahlen zum Ausmaß der Militärdienstentziehung und Desertion. Im Jahre 2001 eröffnete die Militärstaatsanwaltschaft in 2.498 Fällen eine Anklage wegen Desertion.12

2008: Strafverfolgung bei Desertion

Die Militärdienstentziehung wird in aller Regel nach besonderen Artikeln in den Gesetzgebungen zur Wehrpflicht oder im Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt und mit Geld- oder Gefängnisstrafen belegt. Normalerweise ist es schwierig, genaue Zahlen über die Verfolgung von Militärdienstentziehung und Desertion zu erhalten. Obwohl es das Ausmaß der Militärdienstentziehung den Behörden fast unmöglich macht, alle Fälle zu überwachen und zu verfolgen, legen die Unterlagen nahe, dass zahlreiche Militärdienstentzieher verfolgt und bestraft wurden. Es wird zum Beispiel angenommen, dass in den vergangenen Jahren Hunderte in Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, der Türkei und der Ukraine strafrechtlich verfolgt wurden. Zumeist bleiben sie Menschenrechtsbeobachtern unbekannt, da sie anonym bleiben. Deshalb ist es schwierig einzuschätzen, wie viele der Militärdienstentzieher Kriegsdienstverweigerer sind.*

Viele Anklagen gegen Militärdienstentzieher und Deserteure werden offensichtlich fallen gelassen. In anderen Fällen werden sie dazu gezwungen, in sogenannten Strafbataillons Dienst zu leisten, wo die Bedingungen besonders hart sein sollen. In weiteren Fällen gibt es wohl strafrechtliche Verfolgung durch die Militärstaatsanwaltschaft vor zivilen Gerichten.13

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden im September 2002 167 Militärdienstentzieher und Deserteure inhaftiert.14 Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

In der Vergangenheit wurden wiederholt Amnestien für Militärdienstentzieher und Deserteure ausgesprochen. Die letzte Amnestie gab es im Herbst 2000 für Männer, die vor dem 22. Dezember 2000 aus der Armee desertiert waren. Es wurde geschätzt, dass die Amnestie auf etwa 4.500 Militärdienstentzieher und Deserteure Anwendung finden könnte.15 Auch wenn eine strafrechtliche Verfolgung ausgeschlossen wurde, blieb die Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes bestehen und damit auch die Möglichkeit der Einberufung. Es wird angenommen, dass sich lediglich ein Drittel der Betroffenen bei den Militärbehörden gestellt hat.16

Fußnoten

1 Außenministerium der Niederlande: Algemeen Ambtsbericht Georgië (Länderbericht), Februar 2004

2 Keti Sikharulidze: Military service for everybody? New draft law seeks to make military service obligatory, but the rich can still opt out, www.messengercom.ge, 10. August 2004

3 Schweizerisches Bundesamt für Flüchtlinge: Georgien: Wehrdienst, BFF Analysen, Bern, 22. November 2002. ‘Georgia’s Scarce Army Aspires NATO’, www.civil.ge (Civil Georgia), 17. Februar 2004

4 Englische Übersetzung des Gesetzes zum Alternativdienst; in: Danish Immigration Service: Report on roving attaché mission to Georgia 14.-27. Oktober 2000. Kopenhagen, 2000

5 Caucasian Institute for Peace, Democracy and Development: Army & Society in Georgia, April 2000 und Mai 2000

6 Andreas Speck: Impressions from a journey through the South Caucasus, Peace News No. 2452/September-November 2003

7 United Nations Human Rights Committee: Concluding observations on the second periodic report of Georgia (CCPR/CO/74/GEO), 19. April 2002. Das Menschenrechtskomitee diskutierte die Frage mit der georgischen Delegation in einer öffentlichen Versammlung, die Delegation konnte jedoch die Fragen nicht klären. Nach Angaben der georgischen Delegation werden Kriegsdienstverweigerungsanträge von der örtlichen Wehrdienstkommission geprüft und abschließend von der staatlichen Kommission zum Zivildienst entschieden. Die georgische Delegation verwies jedoch lediglich auf die Regelungen im Gesetz über den Alternativdienst und nicht auf die aktuelle Praxis. (United Nations Human Rights Committee: Summary record of the first part of (public) of the 1988th meeting (CCPR/C/SR.1988), 18. April 2002). Nach Angaben der georgischen Staatsanwaltschaft, war die staatliche Kommission für Zivildienst bis 2003 noch nicht eingesetzt worden. (Austrian Red Cross/ACCORD: Reisebericht Georgien, 18.-25. Mai 2003, Vienna, Juli 2003)

8 Danish Immigration Service, 2000

9 Vor 1998 gab es einige bekannt gewordene Fälle von Zeugen Jehovas, die wegen Kriegsdienstverweigerung verurteilt und inhaftiert wurden

10 Austrian Red Cross/ACCORD, 2003. Caucasian Institute for Peace, Democracy and Development: Army & Society in Georgia, April 2000

11 Außenministerium der Niederland, 2004

12 ‘On the situation of Protection of Human Rights and Freedoms in Georgia’, Report of the Public Defender of Georgia, Tbilisi, 2002

13 Seit dem Jahre 2000 gibt es in Georgien keine Militärgerichte mehr (Danish Immigration Service, 2000).

14 War Resisters’ International: The Right to Conscientious Objection to Military Service in selected member states of the Organisation for Security and Cooperation in Europe. Report to the OSCE Supplementary Meeting on Freedom of Religion or Belief, 17.-18. Juli 2003, Hofburg und Wien

15 ‘Georgian Parliament declares amnesty for deserters’, Georgian Television, Tbilisi, 28. Dezember 2000 (BBC Monitoring Service)

16 Human Rights Information and Documentation Centre: Monthly Bulletin 1 (47), Tbilisi, January 2003

 

* Ergänzung aus 2008 entnommen aus: Quaker Council for European Affairs: Executive Summary 2008. http://www.quaker.org/qcea/coreport/executivesummary2008.htm. Übersetzung: Rudi Friedrich

Quaker Council for European Affairs: The Right to Conscientious Objection in Europe. 15. Mai 2005. Auszüge. http://www.wri-irg.org/programmes/world_survey/country_report/de/Georgia. Übersetzung: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Machtproben im Kaukasus«, Februar 2009

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