"Wir müssen diejenigen unterstützen, die sich für das Leben entschieden haben"

Redebeitrag zur Demonstration eritreischer Oppositionsgruppen

von Rudi Friedrich

(28.02.2009) Liebe Freundinnen und Freunde,

wir trauern heute um Goitom Solomon, Kiros Haile, Tesfai Debessai und Mengistu Gergis. Es sind vier Schüler, die vor wenigen Wochen an der Grenze von Eritrea nach Äthiopien von den Schergen des Regimes Afewerki ermordet wurden. Sie suchten das Leben und fanden den Tod.

Rudi FriedrichInsgesamt sechs Jugendliche hatten sich in der Nacht des 31. Dezember des letzten Jahres auf den Weg gemacht, um über die Grenze nach Äthiopien zu fliehen. Sie lebten alle in nahegelegenen Orten. In der Nähe der Grenze stießen sie jedoch auf eine Patrouille der eritreischen Armee, die auf sie schoss. Einer von den sechs Jugendlichen konnte trotzdem über den Fluss Mereb fliehen. Die anderen versteckten sich.

Die Soldaten ließen aber nicht locker. Sie suchten die Jugendlichen weiter, die sich schließlich stellten. Bei DemBe Enda Seqal umstellten die Soldaten die Jugendlichen, forderten ihre Schülerausweise und bedrohten sie mit ihren Waffen. Die Schüler händigten die Ausweise aus und gaben auch an, dass sie aus den nahegelegenen Orten kamen. Plötzlich aber eröffneten die Soldaten das Feuer und schossen auf die verbliebenen fünf Jugendlichen.

Nur Tekeste Woldai hatte Glück. Er wurde nur angeschossen, konnte später fliehen und über die Ereignisse berichten. Die anderen blieben tot zurück. Sie Soldaten hatten die Leichen der Jugendlichen den Hyänen überlassen.

Wir trauern heute um Goitom Solomon, Kiros Haile, Tesfai Debessai und Mengistu Gergis, die von Soldaten der eriteischen Armee erschossen wurden. Wir trauern auch um die vielen Namenlosen, denen ein ähnliches Schicksal widerfuhr. Sie kamen auch aus der Ebene am Fluss Mereb aus den Orten Adi Quoray, Adi Yehdug, Adi Feyayu, Adi Bahro, Adi Zienu, Ga’ebien, Una Ga’ebien, Beti Gebriel, Adi Quala, Adi Shinfi’o sowie aus dem Bezirk Aila Gundet.

Tausende fliehen in diesen Tagen aus Eritrea. Not, Hunger und eine allgegenwärtige Präsenz des Militärs bestimmen das Leben. Vor wenigen Tagen berichtete ein Flüchtling aus der Hauptstadt Asmara: "Die Regierung hält der Bevölkerung das Essen vor. Aber obwohl es eine ständige Unterversorgung gibt, darf kein Getreide aus Asmara heraus in die anderen Städte gebracht werden. An den Straßen gibt es Kontrollen, um zum Beispiel nach Getreide zu suchen. Und mir wurde erzählt, dass Soldaten Häuser durchsucht hatten, um sicherzustellen, dass keine Vorratshaltung betrieben werde. Man kann in den Städten nichts kaufen und verkaufen, da die Regierung die Geschäfte geschlossen hat."

Nach einem 30-jährigem Krieg wurde Eritrea 1993 unabhängig. Die Bevölkerung setzte viel Hoffnung in die Unabhängigkeitsbewegung, die gegen die äthiopischen Truppen im Land gekämpft hatte. Sie hoffte auf eine Demokratisierung, einen wirtschaftlichen Aufschwung, bessere Bildungschancen und Lebensbedingungen.

Die neuen Herrscher unter dem Präsidenten Isayas Afewerki lösten davon jedoch nichts ein. Zahlreich sind die Menschenrechtsverletzungen. Oppositionelle werden in großer Zahl verhaftet, politische Gegner werden an geheimen Orten und ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, ohne jedes Strafverfahren.

Zudem wurde die gesamte Wirtschaft praktisch dem Militär unterstellt. Die Privatwirtschaft ist zum Erliegen gekommen. Und die Korruption von Militärs und Regierungsangestellten sorgt für eine völlige Verarmung der Bevölkerung.

Aber nicht nur dies trieb vermutlich die Jugendlichen und viele andere in die Flucht. Sie sahen sich auch einer umfassenden Rekrutierung gegenüber und der Aussicht, auf Jahre hinaus im Militär zu bleiben. In Eritrea sind Männer wie auch Frauen wehrpflichtig. Bereits Schüler haben die 12. Klasse im Militärlager Sawa abzuleisten. Danach sind sie zur Ableistung des Nationaldienstes verpflichtet. Auf dem Papier soll er 18 Monate dauern. In der Praxis werden sie nicht mehr aus dem Militär entlassen. Sie müssen weiter in der Armee bleiben oder werden in Betrieben eingesetzt, die vom Militär kontrolliert werden. Sie sind damit auf unabsehbare Zeit dem Militär unterstellt.

Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist unbekannt. Einige Zeugen Jehovas sind inzwischen seit fast 15 Jahren in Haft: in Blechcontainern im Militärlager in Sawa.

Und jegliche Opposition in Eritrea wird schärfstens verfolgt. Ein Flüchtling berichtet dies vor wenigen Tagen: "Eritrea ist ein Land, das von einer Laune des Diktators regiert wird. Sogar Äußerungen gegen das Regime werden als Hochverrat angesehen. Da es unmöglich ist, eine andere Meinung zu vertreten und es keinen Raum gibt, innerhalb des Landes gegen das Regime zu kämpfen, ziehen es die EritreerInnen vor, das Land zu verlassen und von außen zu tun, was sie tun können."

Es ist gut zu sehen, dass heute verschiedene Gruppen der eritreischen Opposition hier gemeinsam demonstrieren, für Demokratie und Gerechtigkeit in ihrem Land. Wir sind heute hier, um dies zu unterstützen. Wir sind heute aber auch hier, um deutlich zu machen, dass Flüchtlinge aus Eritrea Schutz und Asyl brauchen. Goitom Solomon, Kiros Haile, Tesfai Debessai und Mengistu Gergis suchten das Leben und fanden den Tod. Wir müssen diejenigen unterstützen, die sich gegen Rekrutierung und Militär, die sich gegen ein verbrecherisches Regime, die sich für das Leben entschieden haben.

Rudi Friedrich: Redebeitrag vom 28. Februar 2009 auf der Demonstration eritreischer Oppositionsgruppen in Frankfurt/Main.

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