Praktische Unterstützung für den Widerstand der kleinen Leute

Laudatio zur Verleihung des Förderpreises der Martin-Niemöller-Stiftung an Connection e.V.

von Bernd Mesovic

(04.12.2009) Liebe Preisträger von Connection, liebe Preisstifter der Martin-Niemöller-Stiftung, liebe Gäste,

Mit dem Verein Connection e.V. erhält eine der jüngeren Organisationen der Friedensbewegung den Förderpreis der Martin-Niemöller-Stiftung. Erst 1993 als Verein konstituiert leistet der kleine Verein unschätzbare Beiträge zur internationalen Arbeit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Kriegsgebieten. Nachdem die großen Demonstrationen der Friedensbewegung gegen den Nato-Doppelbeschluss und die atomare Aufrüstung sowie gegen den Golf- und den Irakkrieg nun Jahre zurückliegen, beweist Connection e.V. mit seiner Arbeit im Alltag, wie viel Basisarbeit zur Verwirklichung des Menschenrechtes auf Kriegsdienstverweigerung beitragen und wie viel mit aktivem Einsatz für den Schutz für Deserteure erreicht werden kann.

Bernd MesovicSeine Wurzeln hat Connection e.V. in der Kriegsdienstverweigerer-Arbeit und der Friedensbewegung der 70-er und 80-er Jahre. Hervorgegangen aus einer Lokalgruppe der DFG-VK in Offenbach, die sich seit Mitte der 80-er Jahre als Arbeitsgemeinschaft Südliches Afrika für weiße Kriegsdienstverweigerer in der Apartheidsarmee einsetzte, begann die internationale Orientierung der Arbeit und der konkrete Einsatz für Kriegsdienstverweigerer, die in Deutschland Schutz suchten. Die grundlegende Ausgangserfahrung, dass das Apartheidregime zwar international verurteilt wurde, Menschen, die sich dem Dienst unter dem illegitimen und durch UN-Resolutionen verurteilten Regime entziehen wollten, jedoch nicht den Schutz des Asyls erhielten, hat die Arbeit von Connection e.V. geprägt und die Forderung nach dem Asylrecht für Kriegsdienstverweigerer zu einem der zentralen Schwerpunkte der Arbeit gemacht.

Nachdem sich zu Anfang der 90-er Jahre mit der Existenz von etwa hundert US-Kriegsdienstverweigerern in Deutschland die Frage der Unterstützung von und der Solidarität mit Deserteuren praktisch stellte, rückten mit den neuen Balkankriegen im Gefolge der Auflösung des ehemaligen Jugoslawiens die Kriege geographisch näher. Die AG Südliches Afrika mutierte zunächst zur Arbeitsgemeinschaft „KDV im Krieg“ in der DFG-VK. 1993 schließlich wurde Connection e.V. als eigenständiger Verein gegründet.

Obwohl aus radikal pazifistischen Quellen schöpfend, unterstützt Connection e.V. Menschen, die aus unterschiedlichen persönlichen und politischen Erfahrungen zu Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren geworden sind, auch wenn sie ihren Entschluss etwa auf die Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegen beschränken. Connection e.V. schafft Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern, die hierzulande Schutz suchen, ein Forum, wo sie selbst zu Wort kommen.

Auf diese Weise ist der Verein zu einem Kristallisationspunkt für Kriegsdienstverweigerer geworden, einer Anlaufstelle für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, die nach ihrem zunächst oft einsamen Entschluss den Weg ins Exil auf sich genommen haben und dort keineswegs mit offenen Armen empfangen werden – weder von den deutschen Behörden noch zum Teil von den Landsleuten aus der Community ihres Herkunftsstaates.

So gebührt Connection e.V. etwa das Verdienst, gemeinsam mit den Mitgliedern der eritreischen antimilitaristischen Initiative das bis dahin wenig bekannte Thema der eritreischen Kriegsdienstverweigerer in den Blick der Öffentlichkeit gerückt zu haben. Tausende junger Eritreer entziehen sich in diesem jungen Staat, der nach jahrzehntelangem Unabhängigkeitskampf entstanden und binnen kurzem zu einer Militärdiktatur mutiert ist, dem Militärdienst. Auch neun Jahre nach Ende des letzten Krieges gegen Äthiopien existiert faktisch eine Art Ausnahmezustand. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es nicht. Radikal pazifistische Zeugen Jehovas sind seit vielen Jahren in Haft, weil sie ihrem Glauben gemäß den Kriegsdienst verweigern. Haft, Folter und Zwangsarbeit werden zur Bestrafung von Deserteuren eingesetzt, derer man habhaft werden konnte. Die bis dahin in Deutschland wenig bekannten Fakten brachte Connection e.V. gemeinsam mit der antimilitaristischen Initiative, die seit 2004 als Selbstorganisation tätig ist, an die Öffentlichkeit – ein Tabubruch auch für Teile der eritreischen Exilgemeinschaft.

Es konnte erreicht werden, dass die deutschen Behörden, insbesondere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach und nach die entsetzlichen Fakten zur Kenntnis nehmen mussten und die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern in Eritrea nicht länger als Ausfluss des Rechtes eines jeden souveränen Staates, die Ableistung von Militärdienst zu erzwingen, bagatellisiert wurde. Nach völkerrechtswidrigen Abschiebungen von Eritreerinnen und Eritreern aus Libyen, die in den Folterlagern des Regimes landeten und auf schlimmste Weise gequält wurden, wurde deutlich, dass Deserteure, denen die Flucht nach Deutschland gelungen ist, schutzbedürftig sind. Allerdings hat es auch der tragischen Erfahrung zweier aus Deutschland abgeschobener Eritreer bedurft, die nach Ankunft in Asmara sofort in Haft landeten, um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Vernunft zu bringen.

„Kriegsdienstverweigerer und Deserteure sind Sand im Getriebe des Militärs. Sie wollen sich nicht an den Verbrechen eines Krieges beteiligen. Ihre Entscheidung ist eine Absage an staatlich organisierte Gewalt und blinden Gehorsam“, heißt es in einer Broschüre von Connection e.V. Kriegsdienstverweigerung und Desertion heißt, wieder selbst das Denken anzufangen. Gerade diese erwachende Bereitschaft zum eigenständigen Denken, der Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und damit der zumindest teilweise selbstverschuldeten Unmündigkeit zu entrinnen, ist das Skandalon der Kriegsdienstverweigerung. Denn auf diese Weise wird das Prinzip des unbedingten Gehorsams, nach wie vor – wenn auch mit bedeutsamen Unterschieden – das Grundprinzip aller Armeen dieser Welt, in Frage gestellt.

Christoph Demke, ehemals Bundesvorsitzender der evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer, hat vor einigen Jahren anlässlich des internationalen Tages der Kriegsdienstverweigerung vehement die Auffassung vertreten, das grundgesetzliche Recht auf Kriegsdienstverweigerung dürfe nicht allein als Deutschenrecht verstanden werden. Vielmehr verpflichte die Intention des Grundgesetzes, diejenigen zu unterstützen, die sich als Kriegsdienstverweigerer in Krisen- und Konfliktgebieten dem Zwang zum Militärdienst entziehen. Wenn tatsächlich „niemand“ gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden dürfe, dann müssten die Asylanträge von Menschen, die als Verweigerer nach Deutschland kommen, weil ihnen das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung trotz einschlägiger Empfehlung der UN-Menschenrechtskommission, des Europarates und des Europaparlaments vorenthalten werde, positiv entschieden werden. Doch der friedensfördernde Anstoß persönlichen Gewaltverzichts werde am Ende offenbar nicht nur in den Staaten verkannt, in denen die Kriegsdienstverweigerung unter Strafe gestellt wird.

Mit ihrem Einsatz für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure arbeiten die Mitglieder von Connection e.V. an einem lange Zeit vergessenen und in Bezug auf die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts auch tabuisierten Thema. Es hat immerhin bis zum Mai 2002 gedauert, bis der Bundestag sich genötigt sah, die Urteile der Wehrmachtsjustiz gegen sogenannte „Wehrkraftzersetzer“ aufzuheben und Deserteure pauschal zu rehabilitieren. Aufgehoben wurden damit die wegen Landesverrates ergangenen Urteile.

Kaum Beachtung fand der mit der Verabschiedung des Unrechtsbeseitigungsänderungsgesetzes – welch makabrer Titel – einhergehende Skandal, dass eine Gruppe definitiv von der Rehabilitierung ausgenommen wurde, nämlich diejenigen, die wegen Landesverrates im Kriege nach dem Militärstrafgesetzbuch des Nationalsozialismus als „Kriegsverräter“ verurteilt worden waren. Und dies obgleich – wie Dr. Helmut Kramer, Richter a.D. und Sachverständiger bei einer Bundestagsanhörung zum Thema, klargestellt hat – „ein verbrecherischer Angriffs- und Vernichtungskrieg wie der 2. Weltkrieg von vorneherein nicht verratsfähig ist“.

Es bedurfte weiterer Jahre, um bei diesem Thema weiterzukommen. Erinnern wir uns: In der Debatte um die Rehabilitierung wurden noch in den 90-er Jahren Argumente übelster Art ins Feld geführt. Man würde mit einem „Persilschein für Deserteure“ nicht nur viele Fahnenflüchtige rehabilitieren, die sich in höchst verwerflicher und krimineller Art von der Truppe entfernt hätten, sondern sogar noch den Militärrichtern Unrecht tun, die mit großem Mut dem Druck von Partei und Gestapo widerstanden hätten, so die Legende in der Fassung, wie sie der Unionsabgeordnete Norbert Geis im Bundestag verbreitete. Der allerdings stand hier in einer unseligen Tradition, die ihren Niederschlag in einer Vielzahl von skandalösen Gerichtsentscheidungen gefunden hat. So lehnte der Bundesgerichtshof im Juni 1964 den Antrag der Angehörigen eines zum Tode verurteilten Kriegsdienstverweigerers auf Wiedergutmachung mit der skandalösen Begründung ab, es müsse davon abgesehen werden, dass es der nationalsozialistische Staat war, der hier einen Angriffskrieg geführt habe. Der rechtliche Sachverhalt müsse demgegenüber so betrachtet werden, als handele es sich um Vorgänge, die sich in einem Rechtsstaat abgespielt hätten. Auch der BGH sah Deserteure lange Zeit als gefährliche Zersetzer an: Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung könne nicht so weit gehen, Handlungen zu rechtfertigen, die eine ernste Gefahr für jeden Staat bedeuten.

Der Vorwurf gegen Überläufer und Deserteure, sie hätten durch ihre Handlungsweise Kameraden gefährdet, ist, um nochmals Helmut Kramer zu zitieren, eine Art neuer Dolchstoßlegende. Vor deutschen Gerichten geriet über Jahrzehnte hinweg der verbrecherische Charakter des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges völlig aus dem Blick. Deutsche Soldaten, die sich dem Kampf entzogen und damit einen Beitrag zur Verkürzung des Krieges und des ohne den Einsatz der Wehrmacht unmöglichen Massenmordens geleistet haben, wurden lange Zeit nicht als Bestandteil des Widerstandes begriffen, während zeitgleich ehemalige Militärrichter in Deutschland Karriere machen konnten.

Hinter der Verdammung der Kriegsverräter verbirgt sich eine tiefergehende Verachtung des widerständigen Verhaltens einfacher Bürger überhaupt. Als ehrenhaft und zulässig galt über Jahrzehnte und bis in die Rehabilitierungsdebatte hinein fast nur der von gesellschaftlichen Eliten geleistete Widerstand – unter besonderer Berücksichtigung des militärischen Widerstandes vom 20. Juli. Die mutigen Taten der kleinen Leute und deren Verweigerungsformen im Alltagsleben wurden geschmäht oder gering geschätzt.

Der Einsatz für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, wie ihn Connection e.V. leistet, ist eine Wertschätzung dieses Widerstands. Denn viele derer, die Connection e.V. unterstützt, entstammen ebenfalls dem Widerstand der kleinen Leute, die sich aus ihrer Erfahrung mit dem Wehrdienst oder Kriegseinsätzen heraus entschlossen haben, nein zu sagen.

Zum Widerstand der kleinen Leute – wie ich meine ein wirklicher Ehrentitel – gehört auch der Entschluss des US-Deserteurs André Shepherd, der von Connection e.V. und anderen Kriegsdienstverweigerer-Organisationen unterstützt wird, sich der erneuten Einberufung in den Irakkrieg zu entziehen. Er sucht in Deutschland Asyl und hat seinen Antrag explizit politisch begründet. Er verweigert aus Gewissensgründen den weiteren Militärdienst, weil er nicht an einem völkerrechtswidrigen Krieg teilnehmen will, der dem Gewaltverbot des Artikels 2 Nummer 4 der Charta der Vereinten Nationen widerspricht. Nach einem ersten Einsatz im Irak war André Shepherd, Mechaniker für Apache-Kampfhubschrauber, der Charakter dieses Krieges klar geworden. Misstrauisch geworden durch die Tatsache, dass ihm innerhalb der Militärs wesentliche Informationen vorenthalten wurden, begann André Shepherd nach der Rückkehr seiner Einheit nach Deutschland sich mit den Hintergründen des Krieges im Irak und mit der Frage der Völkerrechtswidrigkeit seines Einsatzes zu beschäftigen. Nach reiflicher Überlegung entschloss er sich, seine Gewissensnöte öffentlich zu machen. „Schließlich wusste ich, wenn ich noch einmal in den Irak gehe, werde ich für den Tod und das Elend anderer verantwortlich sein. Für mich war daher der Weg eindeutig: Ich musste raus aus dem Militär.“

Wie viele andere US-Soldaten sah er sich getäuscht von den von der Bush-Regierung angeführten Kriegsgründen. Der Krieg gegen den Terror, so seine Diagnose, sei ein Schwindel gewesen. Man dürfe nicht ruhen, bis die wahren Kriegsverbrecher vor Gericht stünden. Eine eindeutige Aussage, mit der sich André Shepherd außerhalb des Konsenses einer Bevölkerungsmehrheit in den USA stellt, die auch unter einer neuen Regierung den Irakkrieg mit veränderten Begründungen für legitim hält. Shepherd hat frühzeitig davor gewarnt, sich Illusionen über eine veränderte Militärpolitik unter Präsident Obama zu machen.1

André Shepherd beruft sich in seinem Asylantrag auf die Qualifikationsrichtlinie der EU, die seit Oktober 2006 in Kraft ist. Mit ihr könnten endlich zumindest diejenigen geschützt werden, die sich einem völkerrechtswidrigen Krieg oder völkerrechtswidrigen Handlungen entziehen und deswegen mit Verfolgung rechnen müssen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat bislang den Antrag nicht entschieden – aus nachvollziehbaren Gründen, die Connection e.V. so formuliert hat: „Mit seinem Antrag stellt André Shepherd den Krieg im Irak und die Kriegsführung der Alliierten grundsätzlich in Frage. (...) Es stellt sich nun die Frage, ob Deutschland und die Europäische Union mutig genug sind, die zu schützen, die sich gegen diesen Krieg stellen.“ Mit der Richtlinie wäre im Falle einer korrekten Auslegung auch eine Bresche in die Dogmatik geschlagen, dergemäß bislang ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung noch nicht bindend im Völkervertragsrecht anerkannt wird.

Der Irakkrieg verletzt das Gewaltverbot nach Artikel 2 Nummer 4 UN-Charta und ist als ein Verbrechen gegen den Frieden anzusehen. Dieser Begriff geht übrigens zurück auf Artikel VI des Statutes des Militärtribunals von Nürnberg. Er zielt, so Shepherds Anwalt in der Begründung des Asylantrags, auf die Planung, Vorbereitung und Anstiftung zur Führung eines Angriffskrieges oder eines Krieges, durch den internationale Verträge, Abkommen oder Zusicherungen verletzt werden.

Selbst das Bundesverwaltungsgericht hat in einem anderen Zusammenhang (im „Pfaff-Urteil“) ausgeführt, dass sich ein Soldat im Zusammenhang mit dem auf gravierende völkerrechtliche Bedenken stoßenden, von den USA und ihren Alliierten gegen den Irak geführten Kriegs nachvollziehbar mit der Frage konfrontiert sehe, ob er persönlich durch seine weitere Mitwirkung an diesem Krieg einen Beitrag dazu leistet, die Führung dieses völkerrechtswidrigen Krieges zumindest mittelbar zu erleichtern. Die Frage ist aus der Sicht der Friedensbewegung einfach zu beantworten: Ein Verbrechen gegen den Frieden begeht, wer durch eine konkrete militärische Handlung die Fortführung eines Aggressionskrieges erleichtert oder fördert.

Auch die konkrete Art der Kriegsführung, in die André Shepherd durch die Wartung der Kampfhubschrauber eingebunden war, ist völkerrechtswidrig, da der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ständig verletzt wird, indem eine Vielzahl von Angriffen gegen angeblich militärische Ziele innerhalb von dichtbesiedelten Gebieten erfolgen, wobei Waffen eingesetzt werden, die in ihren Auswirkungen wahllos sind und zu einer großen Zahl von Toten unter der unbeteiligten Zivilbevölkerung führen.

André Shepherd hat Nein gesagt und kürzlich seinen Unterstützern und Unterstützerinnen in einem Brief nochmals verdeutlicht, dass er um die Tragweite seines Falles und der anstehenden Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge weiß: „Macht Euch bewusst, dass ein Ja praktisch dem Eingeständnis gleich käme, dass der ‚Krieg gegen den Terror’ illegal und unmoralisch ist. Die Auswirkungen einer solchen Entscheidung wären ungeheuerlich, insbesondere weil die Entscheidung von einem wichtigen Verbündeten der USA käme. Ein Ja könnte auch dafür sorgen, dass es einen sicheren Platz für KriegsgegnerInnen in Europa gäbe, was die Behörden in höchstem Maße in Verlegenheit bringen würde. Es könnte auch den Druck auf die US-Regierung erhöhen, Kriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit gerichtlich zu ahnden anstatt weiter Kriegsgegner zu verfolgen, die eine begründete moralische Entscheidung getroffen haben.“

Das Bundesamt, das Bundesinnenministerium und letztlich die Bundesregierung werden sich zu entscheiden haben. Es genügt nicht, sich der Beteiligung am Irakkrieg aus guten Gründen verweigert zu haben, wenn man gleichzeitig die Deserteure des völkerrechtswidrigen Krieges schutzlos lässt.

Ob Deserteure aus völkerrechtswidrigen Kriegen den notwendigen Schutz erhalten, schien sich bisher nach Grundsätzen der politischen Opportunität zu richten. Es war keine Sternstunde, sondern eher eine Sternschnuppe des europäischen Parlaments, als es während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien am 28. Oktober 1993 die Völkergemeinschaft aufrief, „Normen zum Schutz von solchen Deserteuren und Militärdienstverweigerern aufzustellen, die sich nicht an nationalistischen Kriegen beteiligen wollen“. Die Mitgliedsstaaten forderte das EP damals auf, durch die Unterstützung von Desertion und Verweigerung, die militärische Macht der Aggressoren im früheren Jugoslawien zu schwächen und klar zu machen, dass Militärdienstverweigerern und Deserteuren aus Aggressorstaaten Asyl gewährt wird. Diesen Grundsatz auf andere Kriege, gar die eigenen mangelhaft völkerrechtlich Legitimierten, anzuwenden, steht bislang aus, sind doch Kriege bereits wenige Jahre später, spätestens beginnend mit dem Sündenfall Kosovo, nicht mehr als ultima ratio, sondern geradezu aus einer Pflicht zur humanitären Intervention heraus begründet worden.

Es hat während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien vermutlich mehrere hunderttausend Kriegsdienstverweigerer und Deserteure gegeben, von denen sich viele in die Nachbarstaaten abgesetzt haben. Eine breite Unterstützung der EU-Mitgliedsstaaten für die Deserteure hat es nicht gegeben. Einen verlässlichen Schutz haben die wenigsten erhalten. So bedurfte es vieler Anstrengungen von Connection e.V., die während des Krieges um den Kosovo geflohenen Deserteure Milan und Zoran, die zunächst in Ungarn Zuflucht gefunden hatten, nach Deutschland zu bringen und ihren Aufenthalt zu legalisieren.

Es wird wohl noch lange dauern, bis der Beitrag der Deserteure aus den Kriegen in der Region des ehemaligen Jugoslawiens zur Beendigung des Krieges gewürdigt wird. In Serbien, in Kroatien, im Kosovo begegnet man ihnen mit Misstrauen, haben sie sich doch ihrer angeblichen Pflicht entzogen, als es um die nationale Sache ging. Um so mehr Hochachtung gebührt etwa einer Organisation wie den Frauen in Schwarz in Belgrad, mit der Connection e.V. ebenso zusammengearbeitet hat wie mit dem Haus für Deserteure in Ungarn. „Desertion ist eine Alternative“ war eine der Parolen. Ob es wohl wie in Deutschland Jahrzehnte dauern wird, bis die Geschichte dieser Bewegung geschrieben wird oder gar Deserteure sichtbar geehrt werden?

In Deutschland war der Weg zur Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure erst frei, nachdem der Mythos der sauberen, für Massenmorde angeblich nicht verantwortlichen Wehrmacht in den 90-er Jahren zusammengebrochen war. Der Kosovo-Krieg war, daran ist zu erinnern, ein mit Falschinformationen begründeter völkerrechtswidriger Krieg. Er wurde in absurder Weise stilisiert als die militärische Probe darauf, ob Deutschland aus Auschwitz gelernt habe.

Der Kampf um die Anerkennung der Wehrmachtsdeserteure, des Widerstandes der kleinen Leute ist nicht für alle Zeit gewonnen. Nicht nur rechtspopulistische Bewegungen versuchen immer wieder, die historische Deutungshoheit zurückzugewinnen. So haben die österreichischen Parteien FPÖ und BZÖ erst vor kurzem eine generelle Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren in Österreich mit den altbekannten Argumenten kritisiert. Man müsse zwischen heldenhaften Widerstandskämpfern und Straftätern unterscheiden. FPÖ-Obmann Strache verstieg sich zu der Behauptung, die Deserteure sollten deshalb nicht glorifiziert werden, weil sie oftmals auch Mörder gewesen seien, die eigene Kameraden teilweise auch erschossen hätten. Diesem rechtspopulistischen Versuch, Deserteure zu Mördern zu erklären, wird man mit empirischen Befunden zum Thema allein kaum begegnen können. Die belegen für Österreich, dass in 5 von 1.300 untersuchten Desertionsfällen überhaupt nur Gewaltanwendung im Spiel gewesen ist.

Beim Thema der Deserteure versuchen Alt- und Neonazis sowie Rechtspopulisten immer wieder den Schulterschluss. Um so wichtiger ist es, dass Kriegsdienstverweigerer und Deserteure sich international vernetzen und in der weltweiten Kooperation die Erfahrung machen, dass die Entscheidung zur Verweigerung des Kriegsdienstes oder zur Desertion an vielen Orten dieser Erde unter sehr verschiedenen Bedingungen und unterschiedlichen Risiken tagtäglich von vielen Einzelnen getroffen wird und dass solidarische Strukturen existieren.

Mit Veranstaltungsreihen hat sich Connection e.V. über die Jahre hinweg nicht nur an vielen Solidaritätsaktionen für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in einzelnen Ländern, in der Türkei, in Angola, in Israel usw. beteiligt, sondern auch öffentliche Verweigerungsaktionen ebenso unterstützt wie die Aufklärung über Kriegsursachen. Es genügt nämlich nicht, so der angolanische Kriegsdienstverweigerer Emanuel Matondo, über Frieden zu reden und damit zu meinen, dass die Waffen schweigen müssen. Wer etwa auf dem afrikanischen Kontinent den Widerstand gegen Krieg, Korruption und Unterdrückung voranbringen wolle, müsse dies in partnerschaftlichem Dialog mit den Aktivisten vor Ort tun. Berichtet werden müsse auch über die Machenschaften von Politikern und Unternehmern aus den Industrieländern, die sich z.B. in afrikanischen Staaten auswirken. Auch hier hat Connection e.V. ein Forum geboten.

Die internationale Zusammenarbeit zwischen Menschen, die durch die Politik ihrer Staaten dazu getrieben werden, sich als Feinde zu betrachten, ist ein wichtiger Beitrag zum Abbau von Feindbildern. So hat die von Connection e.V. unterstützte Begegnung von eritreischen und äthiopischen Antimilitaristen ebenso Früchte getragen wie die Unterstützung gemeinsamer Initiativen von kurdischen und türkischen KriegsgegnerInnen.

Die Martin-Niemöller-Stiftung zeichnet mit ihrem Preis Menschen oder Gruppen von Menschen aus, die gewaltfrei und engagiert im Geiste Martin Niemöllers für die Rechte Anderer und für Gerechtigkeit und Frieden eintreten. Martin Niemöller ist ein sperriger Namenspatron. Sein Weg vom Marineoffizier und U-Boot-Kommandanten im Kaiserreich, vom antidemokratischen Bataillonsführer einer Freikorpseinheit über die Radikalisierung im Kirchenkampf der Nazizeit und dem Einsatz für die bekennende Kirche zu einem Vertreter radikal-pazifistischer Positionen in den 50-er Jahren war ein langer. Niemöller selbst hat sich mit seinen schwierigen Wurzeln lebenslang lernend auseinandergesetzt. Er kam aus einem Milieu, in dem vaterländische Gesinnung und christliche Frömmigkeit weitgehend kompatibel waren mit Obrigkeitshörigkeit, Antisemitismus und dem kirchlichen Antijudaismus. Niemöller war nach den Erfahrungen der KZ-Haft und den Erfahrungen in der bekennenden Kirche selbstkritisch davon überzeugt, dass man und auch er selbst – zu spät und zu schwach Einspruch gegen das rassistische Unrecht und den Krieg erhoben habe. In einer Zeit, in der relativierende Reden über das Maß der deutschen Schuld bereits wieder an der Tagesordnung waren und selbst innerhalb der evangelischen Kirche die historische Schuld kaum beim Namen genannt wurde, hat Martin Niemöller gegen die Empörung großer Teile seines Publikums darauf insistiert, dass es ohne wenn und aber eine deutsche Verantwortung für das furchtbare Leid, das Deutsche über andere Völker gebracht haben, gibt. Ohne den Einsatz Martin Niemöllers enthielte das Stuttgarter Schuldbekenntnis der evangelischen Kirche, das aus heutiger Sicht unkonkret und ahistorisch wirkt, nicht den immerhin deutlichen Satz: „Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden.“

In das Jahr 2009 fällt der 25. Todestag Martin Niemöllers. Es ist der Martin-Niemöller-Stiftung, aber auch einigen Repräsentanten der evangelischen Kirche zu danken, dass Martin Niemöllers Lebensweg nicht glorifiziert wird. Mehr noch, die Martin-Niemöller-Stiftung hat den 25. Todestag von Martin Niemöller zum Anlass genommen, das Verhältnis von christlichem Glauben und Politik zu beleuchten. Sie werden die radikale Modernität der Ansichten Martin Niemöllers in der Nachkriegszeit ermessen können, wenn Sie etwa im Beitrag von Joachim Perels zur „Fatalität der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre“ nachlesen, was evangelische Bischöfe an theologischen Verschrobenheiten über Faschismus und Widerstand von sich gegeben haben, während einige führende Persönlichkeiten der Evangelischen Kirche bereits begannen, Nazi-Täter zu Opfern zu stilisieren oder ihnen gar durch die „Stille Hilfe“ unter die Arme zu greifen.

Wenn also mit dem Förderpreis der Stiftung Connection e.V. für eine engagierte Arbeit im Geiste Martin Niemöllers ausgezeichnet wird, dann ist dies eine Ehrung im Geiste des radikalpazifistischen Nein zum Krieg, zu dem sich Martin Niemöller schließlich durchgerungen hat und das er als Präsident der deutschen Friedensgesellschaft, als Präsident der Internationale der Kriegsdienstgegner, später als Präsident der DFG-VK als Maxime verfochten hat. Als ehemals überzeugter Soldat wusste Niemöller um die Schärfe dessen, was er in seiner berühmten Kasseler Rede vom 25. Januar 1959 als radikale Absage an das Soldatische formulierte: „Krieg ist gegen den Willen Gottes. Nun ja, das ist viel gesagt und gar nichts getan. Mord ist auch gegen den Willen Gottes. Aber damit, dass ich das feststelle und Morde nicht verhindere, habe ich eben noch gar nichts getan. Und damit ist heute die Ausbildung zum Soldaten die hohe Schule für Berufsverbrecher. Mütter und Väter sollen wissen, was sie tun, wenn sie ihren Sohn Soldat werden lassen: Sie lassen ihn zum Verbrecher ausbilden.“

In einer Zeit, in der Kriege als humanitäre Interventionen daherkommen und sich unter dem Signum des Krieges gegen den Terror zu verewigen drohen, würde eine solche Äußerung heute einen kaum geringeren Skandal als im Jahr 1959 auslösen. Wenn Bundeswehreinsätze als eine Art bewaffneter Sozialarbeit zur Stabilisierung ganzer Staaten dargestellt werden oder als eine Art erweiterter Polizeieinsatz mit schweren Waffen, ist daran zu erinnern, dass der Gewaltexzess im Kriege nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist.

Ob es allerdings richtig ist, die Ausbildung zum Soldaten als die hohe Schule für Berufsverbrecher zu bezeichnen, wage ich zu bezweifeln. Eher würde ich die Konstellation, in die Soldaten hineinmanipuliert werden, mit Günter Anders als gewissenlose Gewissenhaftigkeit bezeichnen. Er hat dies so beschrieben: „Als Arbeitende sind die Zeitgenossen auf Mit-Tun als solches gedrillt. Und jene Gewissenhaftigkeit, die sie sich anstelle ihres Gewissens angeschafft haben (sich anzuschaffen von der Epoche gezwungen wurden), kommt einem Gelöbnis gleich; dem Gelöbnis, das Ergebnis der Tätigkeit, an der sie teilnehmen, nicht vor sich zu sehen; wenn sie nicht umhin können, es vor sich zu sehen, es nicht aufzufassen; wenn sie nicht umhin können, es aufzufassen, es nicht aufzubewahren, es zu vergessen – kurz: dem Gelöbnis, nicht zu wissen, was sie tun.“

Den Ausbruch aus diesem Gehäuse der bürokratisch abgeschotteten Hörigkeit versuchen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure. Noch einmal Connection e.V.: „Kriegsdienstverweigerung oder Desertion heißt, wieder selbst das Denken anzufangen.“ Und das ist tatsächlich ein mutiger Schritt. Viele sind ihn gegangen. Die meisten kennen wir namentlich nicht. Es ist wichtig, dass inzwischen einige Denkmäler der Erinnerung an die unbekannten Deserteure gewidmet sind.

Schließlich möchte ich mit einem Zitat aus dem jüngsten Brief von André Shepherd an seine Unterstützer und seine Unterstützerinnen schließen, das deutlich macht, dass die zu Tätern abgerichteten Soldaten eben auch selbst Opfer sind: „Ich bin nicht glücklich darüber, dass unsere Soldaten aus Gründen sterben, die ihnen selbst gar nicht bewusst sind. Niemand sollte sinnlos sterben müssen, erst recht nicht unter falschen Vorwänden. Mein Herz blutet für die Männer, Frauen und Kinder, die auf allen Seiten des Konfliktes leiden, weil sie Opfer einer perversen Politik sind.“ Und an anderer Stelle sagt er: „Es ist Zeit für uns aufzuwachen und die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist, indem wir unsere eigenen Köpfe gebrauchen.“

André Shepherd wünsche ich eine positive Entscheidung seines Asylantrages. Er selbst weiß, dass er die Last des Präzedenzfalls trägt. Lassen Sie uns helfen, diese Bürde dadurch zu erleichtern, dass wir uns solidarisch mit seiner Verweigerung eines völkerrechtswidrigen Krieges zeigen. Solange er nicht den Schutz des Asyls in Deutschland genießt, bleibt es deutsche Schande, aus der Definition des Begriffes des Verbrechens gegen den Frieden, wie ihn das Statut des Nürnberger Militärtribunals formuliert hat, nicht die historisch richtige Konsequenz gezogen zu haben: diejenigen zu schützen, die nicht an völkerrechtswidrigen Kriegen und Kriegsverbrechen mitwirken wollen.

Die Arbeit von Connection e.V. und der Akt der Kriegsdienstverweigerung und Desertion ist klassische Aufklärung, die bei sich selbst beginnt. Ich wünsche dem Verein einen langen Atem für seine Aufklärungsarbeit gegen Krieg und Militarismus. Euer Engagement wird umso mehr gebraucht, je mehr Medien und Politik versuchen, den Einsatz kriegerischer Gewalt als ein Mittel legitimer politischer Interessendurchsetzung unter anderen zu propagieren.

Fußnote

1 Wer wissen möchte, wie auch in der Ära Obama mit dem absurden Slogan „A world like no other“ Rekruten für den Dauerkrieg geworben werden, der möge sich die Rekrutierungsseite der US-Armee www.goarmy.com ansehen. Für den Job, den André Shepherd innehatte, wird unter der Überschrift „Extreme Pitcrew“ geworben. „Find out what it takes to be an apache attack helicopter systems repairer”. Von Tod und Sterben ist nicht die Rede, sondern von der einmaligen Chance, which “can give you an edge in your civilian career”.

Bernd Mesovic, Pro Asyl: Praktische Unterstützung für den Widerstand der kleinen Leute – Laudatio zur Verleihung des Förderpreises der Martin-Niemöller-Stiftung an Connection e.V. 4. Dezember 2009

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