Aufruf für eine EU-Außenpolitik unter Wahrung der Grundwerte der Union

Schreiben an Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates

Heute, am 18. Juni 2019, wurde ein Brief an den Präsidenten des Europäischen Rates, Herrn Donald Tusk gesandt. Mit dem Brief wird die Europäische Union aufgefordert, zu den Bedenken über die finanzielle Unterstützung und Zusammenarbeit mit externen Partner in Libyen, Sudan, Eritrea, auch im Rahmen des Khartum-Prozesses Stellung zu beziehen. Der Brief wurde stellvertretend für 20 Organisationen von dem für den Nobelpreis nominierten Pfarrer Mussie Zerai, Prof. Dr. Mirjam van Reisen, dem Journalisten Reem Abbas und dem Direktor Koert Debeuf unterzeichnet.

 

An Exzellenz Herrn Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates
Rue de la Loi/Wetstraat 175 
B-1048 Brüssel
Belgien

Sehr geehrter Präsident,

hiermit übersenden wir Ihnen unsere Glückwünsche zu Ihrem Beitrag zum europäischen Projekt. Wir sind Europäer im Herzen und afrikanische Menschen mit den besten Absichten. Wir sind der Brüderlichkeit und der langen gemeinsamen Geschichte unserer beiden Kontinente verpflichtet.

Während Ihrer Amtszeit als Präsident des Europäischen Rates haben die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten die Migrationspolitik nach außen verlagert, indem eine direkte und indirekte Zusammenarbeit mit gänzlich unverantwortlichen Regimen und Milizen erfolgte. Prozesse, wie die 2014 gestartete Initiative zur Migration am Horn von Afrika, besser bekannt als Khartum-Prozess, bilden den Rahmen für diese Zusammenarbeit. Seit Beginn des Khartum-Prozesses haben deshalb Organisationen Bedenken vorgebracht1 bezüglich dieser Politik und der damit verbundenen Komplizenschaft der Europäischen Union mit den durch diese Partner begangenen systematischen schweren Menschenrechtsverletzungen, dem Mangel an Transparenz der Kooperationsvereinbarungen und der fehlenden Beteiligung der Zivilgesellschaft an diesen Projekten und Dialogen.

Als Rahmen dieser Politik haben sich sowohl die Europäische Union als auch einzelne Mitgliedsstaaten auf externe Sicherheitskräfte gestützt2 und die Ausbildung von Grenzwachen befördert3, unter anderem im Sudan4. Damit wurden indirekt deren Kapazitäten gestärkt. Die Europäische Union hat sich bei der Ausführung dieser Programme hinter Dritte versteckt. Milizen, wie die sudanesischen Rapid Support Forces (RSF)5, die als Janjaweed bekannt sind, haben von dieser Politik direkt profitiert und sind ermutigt worden, während sie weiter Kriegsverbrechen in Darfur begehen.6 Das ist nicht ohne Konsequenzen geblieben. Die RSF haben vermutlich Hunderte von Demonstrant*innen in den letzten Monaten vergewaltigt und ermordet.7 Allein in der letzten Woche hat die Niederschlagung eines Protests durch die als Teil des Milizenrates agierende RSF zu mehr als hundert Toten geführt.8

In ähnlicher Weise hat die Zusammenarbeit mit verschiedenen Milizen in Libyen, um damit Migrant*innen den Weg über das Mittelmeer zu versperren, die Ausbeutung und Erpressung von Flüchtlingen ermutigt und so ihren Schutz untergraben.

Die Unterstützung des eritreischen Regimes bei Straßenbauprojekten unter Einbeziehung von Zwangsarbeitskräften, wie es von der Europäischen Kommission in einer Projektbeschreibung erläutert wurde, stellt eine offensichtliche Verletzung grundlegender Menschenrechte dar. Eine zunehmende Zahl junger Flüchtlinge flieht aus dem Land, um dem unbefristet abzuleistenden Nationaldienst zu entfliehen, der sich auf Grausamkeit und unmenschlicher Behandlung stützt.9

Durch eine Partnerschaft mit dritten Parteien und Regimen, bei denen festgestellt wurde, dass sie Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen und die jede verantwortungsvolle Staatsführung, Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte vermissen lassen, verstößt die Europäische Union gegen ihre eigenen grundlegenden rechtlichen Anforderungen. Damit werden die Grundwerte wie auch das Völkerrecht untergraben.

Der Ansatz der Europäischen Union zur Eindämmung der Migration durch den Khartum-Prozess hat zu einer Reihe von Tatbeständen geführt, mit denen deutlich wird, dass die politischen Maßnahmen gegen Gesetze und Regelungen der Europäischen Union verstoßen, wie auch gegen Verfassungswerte und -rechte sowie internationale Verpflichtungen. Dazu gehört die Missachtung der Schutzpflicht. Das betrifft folgende Maßnahmen:

  • Finanzierung der berüchtigten libyschen Haftanstalten;10
  • Unterstützung der libyschen Küstenwache;11
  • Blockade der Rettungsbemühungen im Mittelmeer;12
  • Finanzierung eines Projekts in Eritrea unter Einbeziehung von Zwangsarbeit im Rahmen des EU-Nothilfefonds für Afrika;13
  • Allgemeine Straftaten, die die Europäische Union im Rahmen ihres Vorstoßes gegen Migration begangen hat.14

Initiativen zur Rechtslage sind zutiefst besorgt darüber, dass die Europäische Union selbst Komplize der mutmaßlichen Straftaten von Dritten wurde, die aufgrund der vom Khartum-Prozess unterstützten Politik begangen wurden. Dies ist in vielfältiger Art und Weise kontraproduktiv und es untergräbt vor allem die Sicherheit und erhöht die Zahl der Flüchtlinge und Migrant*innen, die Schutz suchen. Eine größere Zahl von Menschen, darunter auch viele Minderjährige, fliehen vor der Verfolgung und vor unmenschlicher Behandlung aus Ländern wie Eritrea und Sudan. Diese Flüchtlinge und Migrant*innen werden gefoltert, ausgebeutet und erpresst, nachdem sie nach Libyen zurückgeschickt wurden.

Dies untergräbt genau die Werte, für die die Europäische Union steht. Unterdessen fliehen Menschen, darunter auch viele Minderjährige, vor Menschenrechtsverletzungen in Ländern wie Eritrea15, Flüchtlinge und Migrant*innen werden gefoltert16, nachdem sie nach Libyen zurückgebracht wurden.

Durch Instrumente wie den EU-Nothilfefonds für Afrika hat sich der Zweck der Entwicklungshilfe verlagert17 auf die Migrationskontrolle ohne besondere Rücksicht auf die damit verbundene Dynamik in den betreffenden Ländern. Der Khartum-Prozess hat nicht die europäischen Werte im Ausland gestärkt, sondern die unverantwortlichen Milizen und Regime, während Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung, Achtung der Menschenrechte und die Rolle der Zivilgesellschaft ernsthaft untergraben wurden. Darüber hinaus mangelt es auch an angemessener parlamentarischer Kontrolle und Aufsicht. Das Europäische Parlament hat ausgeführt, dass die beschränkte Aufsicht über die Verwendung der Finanzhilfen Europa ein „Demokratiedefizit“ beschert hat.18

Artikel 21 Abs. 1 des Vertrags über die Europäische Union hält fest, dass sich die Union bei ihrem gesamten Handeln auf internationaler Ebene von folgenden Grundsätzen leiten lässt: „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Achtung der Menschenwürde, der Grundsatz der Gleichheit und der Grundsatz der Solidarität sowie die Achtung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts.“ Diese Verfassungsrechte müssen der Kern aller Bemühungen der Europäischen Union auf internationaler Ebene sein.

Die Bevölkerung im Sudan hat gezeigt, dass die Zivilgesellschaft in der Lage ist, friedliche Prozesse für den Übergang zu einer demokratischen Regierungsführung einzufordern. Dies erfordert die Unterstützung der Europäischen Union, um die Transformation zum Aufbau einer demokratischen zivilen Regierung im Dienste der Bevölkerung abzuschließen. Die Menschen in Eritrea schreiten mit der Bewegung „Genug ist genug“19 voran, um das Ende des unbefristeten Nationaldienstes einzufordern, der Menschen in nicht endender Zwangsarbeit und Sklaverei gefangen hält.20 Die Europäische Union sollte diese Ziele unterstützen. Sie würde damit eine Ursache für die Flucht junger Menschen aus Eritrea beheben. Internationale und humanitäre Organisationen arbeiten intensiv daran, die Notlage der Menschen zu beenden, die auf der Suche nach Sicherheit von Milizen und kriminellen Menschenhändlern gefangen gehalten, erpresst und ausgebeutet werden. Die Maßnahmen dieser Organisationen sollte die Europäische Union unterstützen, um den Kern der Werte zu fördern. Sie sollte die Zurückweisung nach Libyen stoppen, da es dort keine Möglichkeiten des Schutzes gibt.

Der Khartum-Prozess wurde mit Verweis auf die Migrationsursachen gestartet. In der Realität wurde die kriminelle Ausbeutung und Erpressung von Flüchtlingen Migrant*innen befördert, die Fähigkeit der unverantwortlichen Milizen gestärkt, ungestraft zu handeln und Regierungen eine größere Legitimität verschafft, die ihre Bevölkerung unterdrücken und sie aus ihren Ländern treiben. Dies ist keine Grundlage für eine Außenpolitik, die die europäischen Werte stärkt und es wird zu einer Verschärfung der Probleme in der Region und darüber hinaus führen, sei es beim Menschenhandel, bei der Migration oder bei den Flüchtlingen.

Bei der Planung der Ausrichtung der Politik der Europäischen Union für den nächsten Zeitraum möchten wir sie dringend bitten, zukünftig auf die ernsthaften Bedenken einzugehen, die hinsichtlich der Auswirkungen der laufenden Maßnahmen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten zur Finanzierung und Zusammenarbeit mit außerhalb der EU liegenden Akteuren geäußert wurden, denen systematische und schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Andernfalls werden nicht nur die Grundprinzipien und –werte der Union untergraben, sondern auch die angestrebten Ziele verfehlt. Wir fordern daher die Europäische Union auf, die Aktivitäten im Rahmen des Khartum-Prozesses und des Treuhandfonds, die unter einer schwerwiegend fehlerhaften Politik entwickelt wurden, einzustellen.

Für die genannten Organisationen gezeichnet von

Pfarrer Mussi Zerai, nominiert für den Nobelpreis, Vorsitzender von Agenzia Habeshia

Prof. Dr. Mirjam van Reisen, Universität Tilburg, Universität Leiden, Generalsekretärin von EEPA

Reem Abbas, Journalist

Koert Debeuf, Direktor des Tahrir Institute für Middle East Policy Europe

Unterzeichnet von:

Majid Maali, im Exil lebender sudanesischer Rechtsanwalt

Act for Sudan

Al-Khatim Adlan Center for Enlightenment (KACE)

Christian Solidarity Worldwide (CSW)

Connection e.V.

Darfur Bar Association

Eritrea Democratica

Eritrean Diaspora in East Africa (EDEA)

Eritrean Movement for Democracy and Human Rights (EMDHR)

Europe External Programme with Africa

Foundation Human Rights for Eritreans

Horn of Africa Civil Society Forum (HoACS)

Human Rights Concern – Eritrea (HRCE)

Ibn Rushd Fund e.V.

Investors Against Genocide

Massachusetts Coalition to Save Darfur

Regional Centre for Training and Development of Civil Society (RCDCS)

Release Eritrea

Skills for Nuba MOUNTAINS

Stop Genocide Now (SGN)

Sudanese Community and Information Centre – London

Sudan Democracy First Group (SDFG)

Sudan Revolution Support Network – Sweden

 

Fußnoten

1 https://www.soas.ac.uk/human-rights-law/file114315.pdf

2 https://theglobepost.com/2019/01/29/migration-eu-africa/

3 https://www.clingendael.org/pub/2018/multilateral-damage/3-effects-of-eu-policies-in-sudan/

4 https://martinplaut.wordpress.com/2019/06/12/the-european-unions-role-in-sudanese-repression/

5 https://enoughproject.org/reports/border-control-hell-how-eus-migration-partnership-legitimizes-sudans-militia-state

6 https://www.amnesty.org/en/latest/news/2019/06/sudan-fresh-evidence-of-government-sponsored-crimes-in-darfur-shows-drawdown-of-peacekeepers-premature-and-reckless/

7 https://www.theguardian.com/world/2019/jun/11/sudan-troops-protesters-attack-sit-in-rape-khartoum-doctors-report

8 https://www.middleeasteye.net/news/sudan-names-100-killed-deadly-week

9 https://www.indepthnews.net/index.php/the-world/africa/2673-exodus-of-eritreans-in-post-peace-era-continues

10 https://www.theguardian.com/uk-news/2018/dec/20/asylum-seeker-to-sue-uk-for-funding-libyan-detention-centres

11 https://www.amnesty.eu/news/french-government-challenged-over-unlawful-boat-donation-to-libyan-coast-guard/

12 https://www.infomigrants.net/en/post/16752/german-run-migrant-rescue-ship-sea-watch-3-to-resume-operations-after-court-ruling

13 https://kvdl.com/uploads/documents/Letter-of-Summons-EU-Emergency-Trust-Fund-for-Africa.pdf

14 https://www.academia.edu/39368138/EU_Migration_Policies_in_the_Central_Mediterranean_and_Libya_2014-2019_-_ICC_Communication

15 https://eritreahub.org/eritrea-ethiopia-peace-leads-to-a-refugee-surge

16 https://www.youtube.com/watch?v=CXzpfBGHUdg

17 https://concordeurope.org/blog/2018/03/19/aid-migration-aidwatch-paper/

18 http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-8-2016-0090_EN.html

19 https://www.bbc.com/news/amp/world-africa-48034365

20 https://www.globalslaveryindex.org/2018/findings/global-findings/

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