Halil Savda

Halil Savda

Das Mittelmeer im Fadenkreuz – Ein Zwischenruf

von Halil Savda

(28.08.2020) Die Lage im Mittelmeer ist angespannt. Die Gewehrläufe sind mit Pulver gefüllt. Wegen Erdöl und Erdgas kommen Kriegsschiffe in Scharen an die Küsten des Mittelmeeres, die wegen Corona dieses Jahr nur wenige Menschen interessieren.

Die Kriegstrommeln werden im östlichen Mittelmeer geschlagen. Der türkische Präsident Erdoğan steht an den Trommelstöcken. Aber je mehr er schlägt, umso stärker isoliert er sich. Die Politik der „strategischen Macht“ der Türkei hat sich mit imperialistischen Winkelzügen bereits viele Feinde geschaffen. Im östlichen Mittelmeer sind sich Ägypten, Israel, Griechenland und Zypern einig in der Ablehnung dieser Politik. Der Libanon schließt sich nun an. Auch Macron und Merkel unterstützen diese Einigkeit. So steht die Türkei alleine da. Warum?

Erdoğan bestand seinen ersten außenpolitischen Test in seinem ersten Jahr in Afghanistan. Er nahm an der Besatzung einer der Zonen teil. 2002 stolperte er aber über den Einsatz im Irak, den ihm das Parlament nicht bewilligte. Zu der Zeit hatte die Muslimbruderschaft bereits an Popularität gewonnen. Die Strategie der US-Regierung war, die „harten Schiiten“ im Iran mit den „soften Schiiten“ im Irak auszuspielen. Während die Dschihadisten im Irak und Syrien stärker wurden, verlor die Muslimbruderschaft in Ägypten an Zustimmung. Die Ausrufung des Kalifats durch den IS in Mossul brachte alle Pläne durcheinander. Die schwierige Situation in Libyen und Syrien spitzte sich immer weiter zu und die Lage blieb instabil.

Zeitgleich mit der Intervention in Libyen marschierten bewaffnete islamistische Kräfte in den Norden der Sahara, während Frankreich Militäroperationen in Ländern wie Mali, Niger, Tschad, Mauretanien und Burkina Faso durchführte.

Nun traten auch Länder wie Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate auf die Bühne. Die Generation der Muslimbruderschaft war eine Art Vergiftung. Am meisten profitierte die Regierung unter Erdoğan davon.

Tausende von Dschihadisten und Tonnen von Waffen wurden aus türkischen Häfen zum IS transportiert. Es schien, als würde es nur noch einen kleinen Augenblick dauern, bis sie auch in der Umayyaden Moschee in Damaskus beten können.

Nun mischte sich auch der schiitische Iran in „das Spiel“ ein. Mit ihm sprach Russland sein Machtwort. Schließlich blockierten die Kurden die Wege nach Damaskus und bezwangen den IS.

Die Politik der „strategischen Macht“ durch die türkische Regierung erfolgte, während Russland seinen Traum vom Zugang zum Mittelmeer verfolgte und die freiheitswilligen Kurden die Rojava-Revolution durchführten. Die Türkei stand nach diesen Abenteuern immer mehr Feinden gegenüber. Immer unwahrscheinlicher ist es, dass sie auch einen Platz am Tisch der Energieressourcen im Mittelmeer erhält. Dabei schien für die Türkei bis 2014 alles planmäßig zu laufen. Aber wie konnte es nun zu so einer Lage kommen?

Erdoğan hatte den Friedensprozess, den er mit dem auf der Insel Imrali inhaftierten PKK Führer Öcalan gemeinsam initiiert hatte, für gescheitert erklärt. Dies führte im Land zur Militarisierung, zum Stillstand der Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union, zu ökonomischem Stillstand und zu einem autoritären Regierungssystem.

Der initiierte Putsch am 15. Juli 2016 und der Kampf an der Seite dschihadistischer Gruppen wie IS, Al-Nusra, FSA in Libyen und Syrien sind Ergebnisse solcher Entwicklungen. Die offenkundigen Anfeindungen der Kurden vereinte die AKP-Ergenokon, islamistischen Fanatismus und nationalistische MHP. Diese Einigung führte zu Verlusten auf Seiten der Türkei und wird zu weiteren Verlusten führen.

Das aufgeblasene Ego, rassistische Mentalität, islamistische Träume, Heldentum, falsche Partnerschaften und eine imperialistische Politik lässt die Türkei im mittleren Osten und im Mittelmeerraum wie einen Schlägertypen aussehen. Diese Türkei ist eine Bedrohung für jeden und schadet sich selbst.

Machtdemonstrationen und Ignoranz der Diplomatie schaden aber nicht nur der Türkei, sondern auch allen anderen Mittelmeerländern. Krieg ist niemals gut. Er bringt Zerstörung, Armut und Tod.

Die Türkei hat folgenden Standpunkt: Leugnet mit uns das Massaker an den Kurden! Der größte Teil des Erdöl- und Erdgasvorkommens im Mittelmeer gehört uns!

Ist das realistisch? Nein

Ist das fair? Es ist unfair und barbarisch. Es verdeutlicht eine klar kurdenfeindliche und barbarisch motivierte Politik.

Bevor die Finger den Abzug erreichen, müssen wir an die Politik von Frieden und an die internationalen Abkommen erinnern. Wir müssen uns bemühen, den IS und eine bewaffnete radikale Mentalität, aus der sich der Salafismus nährt, zu überwinden.

Diplomatie ist der einzige Weg dazu. Die Politik der Waffen muss beendet werden! Nötig ist ein Dialog, aber ohne Waffen, ohne Bedrohung – ein Dialog, um Berührungspunkte zu finden, ein Dialog und Vereinbarungen, Dialog mit dem Ziel gerechten Teilens.

Das ist der einzige Weg, den ich sehe – und der einzige Weg, der empfohlen werden kann!

Halil Savda: Silahın namlusundaki Akdeniz! 28. August 2020. Übersetzung: Mertcan Güler. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Oktober 2020

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