Eritreas Willkürregime verharmlost – Flüchtlingsschutz verweigert

von PRO ASYL und Connection e.V.

(10.03.2020) Im Juli 2018 wurde ein Friedensvertrag zwischen Äthiopien und Eritrea abgeschlossen und damit der Grenzkrieg zwischen den beiden Ländern (1998-2000) formal beendet. Im November 2018 folgte die Aufhebung der UN-Sanktionen gegenüber Eritrea. Seitdem gab es immer wieder Stimmen, dass das eritreische Regime keinen Vorwand mehr habe, die repressive Militarisierung der Bevölkerung fortzusetzen. Damit verbunden wurde auch die Hoffnung geäußert, dass sich die Menschenrechtslage im Land verbessere. Wie den Berichten von Amnesty International1, dem UN-Menschenrechtskomitee2, der UN-Sonderbeauftragten zur Situation der Menschenrechte in Eritrea3 und zuletzt Human Rights Watch4 zu entnehmen ist, ist dies jedoch nicht der Fall.

Deutlich sinkende Schutzquoten im Asylverfahren

Gleichwohl: Immer weniger Asylsuchende aus Eritrea erhalten in Deutschland eine Flüchtlingsanerkennung. 2015 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) noch 95,5% der eritreischen Asylsuchenden als Flüchtlinge anerkannt.5 In den Folgejahren ist diese Schutzquote massiv gesunken. Zunehmend erhalten Eritreer*innen nur noch den subsidiären Schutz, der mit einer schlechteren Rechtsstellung einhergeht. Auch die Zahl derjenigen Personen, die nur ein Abschiebungsverbot oder gar eine Ablehnung erhalten, hat erheblich zugenommen. Im Jahr 2018 haben nur noch 39,5% der Eritreer*innen einen Flüchtlingsschutz erhalten, 49,7% den subsidiären Schutz.6

Das Bundesamt bezieht in seinen Statistiken auch diejenigen Personen mit ein, die einen Schutz durch Familienasyl von Familienmitgliedern ableiten konnten.7 Wenn wir jedoch ausschließlich die Anerkennungspraxis bei all denen beleuchten, deren Asylgründe individuell geprüft wurden, zeigt sich die massive Verschlechterung noch deutlicher. Wie dem folgenden bereinigten Schaubild zu entnehmen ist, liegt die Quote der Flüchtlingsanerkennungen bei den inhaltlichen Prüfungen für das Jahr 2018 damit nur noch bei 13,4%. 2019 ist sie sogar noch weiter auf nur 5,5% gesunken.

SchutzquotenDiese einschneidende Veränderung der Entscheidungspraxis in den letzten Jahren ließe sich nur erklären, wenn es eine tiefgreifende Veränderung der politischen Lage in Eritrea gegeben hätte. Doch die Lage hat sich in dem unter dem Präsidenten Isayas Afewerki und der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (People‘s Front for Democracy and Justice – PFDJ) diktatorisch regierten Land kaum verändert. Noch immer werden Menschen willkürlich und ohne gerichtliches Verfahren auf unbestimmte Zeit inhaftiert und gefoltert, die Verfassung ist nach wie vor nicht in Kraft und es gibt keine unabhängige Justiz. Der sogenannte Nationaldienst für Männer und Frauen ist eine unbefristet abzuleistende Wehrpflicht und wird nicht ansatzweise existenzsichernd entlohnt. Trotz des Friedensschlusses haben die Machthaber bisher keinerlei Schritte zur Demobilisierung oder zur zeitlichen Begrenzung des Nationaldienstes unternommen.8 Weiterhin gilt eine Ausreise ohne Genehmigung als Straftat, die ebenfalls mit Haft, Folter und Misshandlung geahndet wird.

Subsidiärer Schutz

Ob Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention oder nur subsidiärer Schutz zuerkannt wird, macht für die Betroffenen einen großen Unterschied. Neben den Einschränkungen beim Familiennachzug für subsidiär Geschützte, geht es vor allem um den Kontakt zum Verfolgerstaat. Anerkannte Flüchtlinge bekommen einen blauen Flüchtlingspass und ein Besuch der Botschaft des Verfolgerstaates ist ihnen unzumutbar. Subsidiär Geschützte und alle anderen werden hingegen von der Ausländerbehörde aufgefordert, einen Pass bei ihrer Auslandsvertretung in Deutschland zu beschaffen.

Obwohl grundsätzlich das Kriterium der Zumutbarkeit gilt, werden Eritreer*innen nicht vor den Anforderungen ihrer Auslandsvertretung geschützt. Diese verlangen die Unterzeichnung des sogenannten Reuebriefes – einer Erklärung, dass der*die Betroffene die Flucht bereut und dafür eine noch festzulegende Strafe akzeptiert – und die Zahlung der Diasporasteuer von 2% des Einkommens. Deutsche Behörden sehen das weithin als zumutbar.

Die Tatsache, dass kaum noch Flüchtlingsschutz zuer-kannt wird, erlegt den Betroffenen bei dieser Praxis einen Zwang zur Kooperation mit dem Herkunftsland auf.

PRO ASYL und Connection e.V. können daher nicht erkennen, dass die veränderte Lage in Eritrea Grund für die zunehmend restriktive Entscheidungspraxis ist. Vielmehr scheint dem der politische Wille zugrunde zu liegen, in Deutschland die Anerkennungsquoten deutlich zu senken.9 Die Rechtsanwältin Simone Rapp konstatiert, dass im Lagebericht des Auswärtigen Amtes – der eine wichtige Grundlage für die Entscheidungen des Bundesamtes und der Gerichte ist – suggeriert wird, die Flucht aus Eritrea erfolge in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen.10 Mit dieser Ansicht distanziert sich das Auswärtige Amt weiter als zuvor von den Einschätzungen der Vereinten Nationen und von Nichtregierungsorganisationen, die den Nationaldienst als eine der Hauptfluchtursachen erkennen. Unbeeindruckt von der Aussage der UN-Sonderberichterstatterin, die sich besorgt über die Verschärfung der Praxis gegenüber eritreischen Asylsuchenden zeigt,11 scheint der Lagebericht des Auswärtigen Amtes darauf abzuzielen, die Entscheidungspraxis des Bundesamtes und der Gerichte negativ zu beeinflussen.12 Dass dieses Mittel erfolgreich ist, zeigen die Zahlen. Für die wenigen Flüchtlinge, die es aus Eritrea bis nach Deutschland schaffen, wird es, unabhängig von der Lage in ihrem Herkunftsland, immer schwieriger, effektiven Schutz vor dem Verfolgerstaat zu bekommen.

Die Diktatur in Eritrea darf jedoch nicht verharmlost werden und ist als Unrechtsregime zu verurteilen. Durch den Nationaldienst werden Loyalität und Gehorsam zum Regime erzwungen. Wer von dort flieht, sich dem entzieht und sich dadurch der willkürlichen Bestrafung aussetzt, braucht und verdient Schutz.

Militärdienstentziehung, Kriegsdienstverweigerung und Desertion

Obwohl bei der Flucht vor oder aus dem Nationaldienst eine willkürliche Inhaftierung ohne rechtsstaatliches Verfahren und vielfach Folter droht, reicht diese an eine Militärdienstentziehung knüpfende Sanktion nach Ansicht des Bundesamtes und vieler Gerichte – anders als noch vor ein paar Jahren – nicht für eine Flüchtlingsanerkennung. Die drohende Bestrafung sei erst dann flüchtlingsrechtlich erheblich, wenn sie an ein relevantes Merkmal wie die politische Überzeugung anknüpft.13 Es wird davon ausgegangen, dass an der besonderen Härte der Bestrafung ablesbar ist, ob eine gegnerische politische Meinung unterstellt wird (Politmalus). Da hierzu kaum gesicherte Informationen vorliegen, versuchen die Entscheider*innen, sich in den Verfolger hineinzuversetzen und ziehen den Schluss: Der eritreische Staat könne „bei lebensnaher Betrachtung“ gar nicht davon ausgehen, dass so viele Personen regimekritisch sind und bestrafe Deserteure daher unabhängig von ihrer politischen Überzeugung allein aufgrund der Nichterfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht.

Mit dieser Schlussfolgerung kommen die Entscheider*innen zu dem Ergebnis, dass hier nur eine rein strafrechtliche Verfolgung vorliege, wie das ja in anderen Ländern bei Militärdienstentziehung und Desertion auch der Fall wäre. Das sei also keine politische Verfolgung. Dem ist entschieden zu widersprechen. Eine Bestrafung, die der Aufrechterhaltung einer diktatorischen Herrschaftsstruktur dient, ist per se politisch, weil mit der Bestrafung die politischen Ziele eines totalitären Staates abgesichert werden sollen.

Hinzu kommt im Falle Eritreas, dass hier eine staatliche Strafverfolgung ohne Bindung an eine rechtliche Grundlage erfolgt. Es gibt kein Rechtswesen, keine anwaltliche Vertretung, keine Anklage, kein Gericht, kein geordnetes Verfahren. Ein solches Vorgehen stellt sich als eine sehr wirksame Art und Weise der Einschüchterung politischer Gegner und der systematischen Unterdrückung von Opposition dar. Wer meint, sich in die Motivation der Verfolger auf die beschriebene Art und Weise einfühlen zu können, macht sich nolens volens mitverantwortlich.

Eritreer*innen, die untertauchen oder fliehen, bevor sie einen Einberufungsbefehl zum Nationaldienst bekommen, müssen sich in besonderer Weise rechtfertigen, da in diesem Fall laut Bundesamt und einiger Gerichte das Strafmaß geringer ausfalle. Die damit verbundene Forderung, auf den mit Sicherheit erfolgenden Einberufungsbefehl zu warten, ist jedoch lebensfremd. Wer bereits beim Militär ist, setzt sich bei der Flucht einem viel höheren Risiko aus. Auch die Behauptung der Entscheider*innen, es könne von gesicherten Strafzumessungen ausgegangen werden, geht fehl. 2017 versicherte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge PRO ASYL gegenüber noch, „dass das Vorgehen der eritreischen Sicherheitskräfte von Willkür geprägt ist (z.B. Dauer der Haft von wenigen Wochen bis mehrere Monate, Unterbringung in Metallcontainern etc.) und weit über die grundsätzliche legitime Ahndung der Desertion hinausgehen kann“.14 Diese Einsicht scheint sich ohne Faktengrundlage verändert zu haben.

In einem System, dessen Herrschaftsapparat allein auf Willkür beruht und in dem die Entscheidungshoheit allein bei den militärischen Vorgesetzten liegt, kann nicht von einer rechtsstaatlichen Praxis ausgegangen werden.

Willkür als effektives Herrschaftssystem

Bei Asylsuchenden, die geflohen sind, bevor eine Verfolgung eingesetzt hat, prüft das Bundesamt, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung oder eine unmenschliche Behandlung droht. Da nicht allen Verfolgung oder unmenschliche Behandlung drohe, wird die Beweispflicht den Schutzsuchenden auferlegt: Sie müssen darlegen, warum ausgerechnet ihnen eine besonders harte Strafe droht.

Wer dies nicht ausreichend begründen kann, erhält unter Umständen nicht einmal subsidiären Schutz, sondern wird vollständig abgelehnt. Bei dieser Abwärtsspirale zitiert das Bundesamt oft ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR).15 Auch in diesem Urteil wird gefordert, dass der Betroffene konkret darlegen muss, dass ihm die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung tatsächlich droht. Der Gerichtshof ging in diesem Fall allerdings davon aus, dass bei dem Betroffenen keine illegale Ausreise vorlag, was auf den überwiegenden Teil der Flüchtlinge aus Eritrea nicht zutrifft. Der Gerichtshof befasste sich dann aber mit der Frage, was Wehrpflichtigen droht, die illegal ausgereist sind und hält fest: „dass die harte Bestrafung von Deserteur*innen und Personen im wehrpflichtigen Alter weiterhin weitverbreitet ist“16. Das jedoch wird vom Bundesamt geflissentlich ignoriert. Mit Verweis auf dieses Urteil wird unzulässigerweise auch Flüchtlingen ein Schutz verwehrt, die illegal ausgereist sind.17

Unabhängig von dieser speziellen Konstellation ist es aber ohnehin problematisch, Asylsuchenden überhaupt eine so hohe Beweispflicht aufzuerlegen. Dem steht zunächst einmal der Grundsatz entgegen, dass „einem Ausländer – soweit er sich auf Umstände in seinem Herkunftsstaat beruft – kein voller Beweis verlangt werden (kann), sondern es genügt die Glaubhaftmachung“18, so das Bundesamt selbst.

Darüber hinaus wird im Falle Eritreas ignoriert, dass die Bestrafung nicht auf einem funktionierenden Rechtsapparat mit zuweilen lascher oder inkonsequenter Strafverfolgung, sondern auf einem System der Willkür beruht. Von den Schutzsuchenden zu verlangen, eine Begründung zu liefern, warum gerade ihnen eine härtere Bestrafung droht als anderen, geht an dem Wesen des Systems vollkommen vorbei. Gerade dass es jede und jeden treffen kann, ist Kern eines Willkürsystems. Und dieses System ist dem Regime äußerst nützlich: Mit recht niedrigem Aufwand wird ein Klima der Angst aufrechterhalten. Willkür ist ein Herrschaftsinstrument, das mit minimalen Kosten einen maximalen Nutzen erzielt. Es kann jederzeit jede Person treffen – im Falle Eritreas sogar die Familienangehörigen – und niemand kann auf eine unabhängige Justiz hoffen.

Kriegsdienstverweigerung, Desertion und Militärdienstentziehung als Gruppenverfolgung anerkennen

Völlig ignoriert wird vom Bundesamt und vielen Gerichten, dass Personen, die den Kriegsdienst verweigern, desertieren oder sich dem National-/Militärdienst entziehen von staatlichen Behörden und Militär als Individuen wahrgenommen werden, die sich illoyal gegenüber der Staatsdoktrin verhalten, weil sie sich dem wichtigsten Institut zur Durchsetzung der Doktrin, der unbefristeten Wehrpflicht, entziehen.

Kriegsdienstverweigerer*innen sind dem UNHCR zufolge „eine bestimmte soziale Gruppe, da sie eine Überzeugung teilen, die für ihre Identität grundlegend ist und weil sie auch von der Gesellschaft als eine bestimmte Gruppe angesehen werden können.“19

Aber auch Deserteur*innen, die sich in Eritrea unerlaubt vom Dienst entfernen, bzw. Militärdienstentzieher*innen zeigen allein mit dieser Handlung ihre Illoyalität einem Nationaldienst gegenüber, der als ‚Schule der Nation‘ einen wichtigen ideologischen Stellenwert hat. Er soll dazu dienen „eine Generation zu schaffen, die Arbeit und Disziplin liebt und am Wiederaufbau der Nation teilnehmen und dienen will“ und dazu, „das Gefühl der nationalen Einheit in unserem Volk zu stärken um subnationale Gefühle zu eliminieren.“20 Wer sich dieser Maßnahme der politischen Erziehung entzieht, gehört also zwangsläufig zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Für Eritrea muss damit auch gelten, was der UNHCR weiter ausführt:

„In einigen Gesellschaften können Deserteure bzw. Deserteurinnen als eine bestimmte soziale Gruppe angesehen werden, wenn die generelle Haltung zum Militärdienst als Zeichen der Loyalität gegenüber dem Land angesehen wird und/oder wegen der unterschiedlichen Behandlung solcher Personen (z.B. Diskriminierung beim Zugang zu Arbeitsstellen im öffentlichen Dienst), was dazu führt, dass sie ausgegrenzt werden oder als eine Gruppe unterschieden werden. Das kann auch bei Militärdienstentziehern bzw. Militärdienstentzieherinnen zutreffen.“21

In totalitären Staaten kann es keine legitime staatsbürgerliche Pflichterfüllung geben; das lehrt auch die deutsche Geschichte. Staatliche Autonomie darf nicht höher gewertet werden als der Widerstand des Einzelnen gegen ein totalitäres System. Eine Diktatur kann keinen Anspruch darauf haben, dass ein Nationaldienst abgeleistet wird. Demokratische Gesellschaften haben in so einer Situation die Verpflichtung, Verweigerer*innen eines diktatorischen Regimes zu unterstützen.

Bagatellisierung der Zwangsarbeit

Immer wieder kritisieren die Vereinten Nationen den unbefristet abzuleistenden Nationaldienst in Eritrea. Erst im März dieses Jahres drückte die UN-Menschenrechtskommission Besorgnis darüber aus, dass die Wehrpflichtigen zum Teil in privaten Bergbau- und Bauunternehmen eingesetzt werden, wo sie wenig oder gar kein Gehalt erhalten. Die Menschenrechtskommission forderte Eritrea auf, es zu „unterlassen, Personen im Militärdienst Tätigkeiten zu unterwerfen, die Zwangsarbeit darstellen können.“22 Und die von den Vereinten Nationen beauftragte Untersuchungskommission für Menschenrechte in Eritrea stellte 2016 in ihren Detailed Findings fest:

„Die Kommission gelangt zu dem Schluss, dass die eritreischen Programme des Militär-/Nationaldienstes gegen Artikel 565 des Übergangsstrafgesetzbuches Eritreas verstoßen, das die Versklavung unter Strafe stellt. Sie verstoßen auch gegen Artikel 8 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und Artikel 5 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker sowie dem Sklavereiabkommen von 1926. Teile der Programme verstoßen auch gegen Artikel 9, 10, 12, 167 und 22 des Inter­nationalen Paktes, Artikel 8, 12, 15 und 18 der Afrikanischen Charta und den Konventionen über Zwangs- oder Pflichtarbeit von 1930 und 1957. (…) Die Kommission ist zu dem Schluss gekommen, dass die Programme auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen in Form der Versklavung.“23

Im November 2014 klagten drei Eritreer die kanadische Firma Nevsun in Vancouver an, weil sie unter dem Dach der Firma in der Mine Bisha in Eritrea Zwangsarbeit leisten mussten. Das Oberste Gericht von British Columbia ließ diese Klage für Verbrechen gegen Menschlichkeit, Sklaverei, Zwangsarbeit und Folter gegen Nevsun zu, da nicht von einem fairen Verfahren in Eritrea auszugehen sei.24 Das Verfahren ist noch anhängig.

Zwangsarbeit und Sklaverei sind nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verboten und damit auch im Asylverfahren (spätestens bei der Frage nach nationalen Abschiebungsverboten) relevant. Im aktuellsten Bericht des European Asylum Support Office (EASO)25 wird ausgeführt, dass der Nationaldienst „eine militärische und eine zivile Komponente“ umfasse:

„Alle Wehrpflichtigen haben zunächst eine Militärausbildung zu absolvieren und werden dann entweder dem militärischen Teil unter dem Verteidigungsministerium oder zivilen Zwecken zugeordnet, die von anderen Ministerien verwaltet werden. Teile der Wehrpflichtigen werden eines der etwa 30 Unternehmen zugewiesen, die entweder der People‘s Front for Democracy and Justice (PFDJ) oder der Armee gehören. Diese sind tätig in Bereichen wie Landwirtschaft, Bau, Transport, Tourismus oder Handel.“26

Der Einsatz im Nationaldienst dient laut der Proklamation, mit der 1994 der Dienst eingeführt wurde, auch dem Wiederaufbau der Nation und der Entwicklung des Landes.27 Diese vom eritreischen Regime selbst definierte Charakterisierung wird gerne dafür herangezogen, von einer Gemeinwohlorientierung des Dienstes zu sprechen. Um dies zu unterstreichen ziehen das Bundesamt und einige Gerichte gerne Urteile aus dem deutschen Kontext heran: Der Deutsche Karlheinz Schmidt klagte beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Verpflichtung der Gemeinde Tettnang entweder in der Feuerwehr zu dienen oder eine Abgabe von 75 DM zu zahlen.28 Im Urteil wird ausgeführt, dass nur solche Verpflichtungen als Zwangsarbeit im Sinne der EMRK in Betracht kommen, die nicht dem Grund­gedanken des Allgemeininteresses, der gesellschaftlichen Solidarität und der Üblichkeit entsprechen. Das Bundesamt und einige Verwaltungsgerichte sind sich nicht zu schade, die Tettnanger Feuerwehrabgabe von 75 DM gleichzusetzen mit dem unbefristeten Nationaldienst unter der Willkürherrschaft der militärischen Vorgesetzten in Eritrea.29

Dem ist entgegenzuhalten, dass in einer Diktatur nicht die Allgemeinheit profitiert, sondern nur eine kleine Gruppe, die wirtschaftlichen Nutzen aus der Herrschaftsform zieht und sich die Macht absichert. Politischer Machterhalt und finanzielle Privatinteressen einer kleinen Gruppe entsprechen nicht dem Grundgedanken des Allgemeininteresses. Dies wird auch in der von EASO beschriebenen Struktur allzu deutlich, wenn dargelegt wird, dass der Nationaldienst in Unternehmen abzuleisten ist, die entweder der Staatspartei oder direkt dem Militär gehören.

Um es noch einmal deutlich zu betonen: Es handelt sich bei dem Nationaldienst in keiner Weise um eine freiwillige Tätigkeit, selbst wenn sie im nicht-militärischen Bereich erfolgt. Die Dienstleistenden unterstehen weiter der Weisung und Aufsicht des Militärs. Eine Entfernung vom Dienst wird als Desertion gewertet. Es gibt keine Möglichkeit der Dienstleistenden, solche Zwangsarbeitsverhältnisse aufzukündigen. Der Nationaldienst erfüllt zudem ideologische und erzieherische Ziele und ist dadurch ein Projekt zur politischen Machterhaltung. Wer angesichts dessen den Nationaldienst als eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme unter schlechten Bedingungen darstellt, macht sich mitschuldig daran, das System der Zwangsarbeit und der ideologischen Zwangserziehung aufrecht zu erhalten.

Reuebrief und 2%-Steuer

Auch auf die in Deutschland lebenden Eritreer*innen kann die Diktatur, dank der Praxis der deutschen Behörden, ihren Einfluss geltend machen. Wer nicht als Flüchtling anerkannt wurde und nur einen subsidiären Schutz oder Abschiebeschutz erhalten hat, wird zur Passbeschaffung bei der eritreischen Botschaft aufgefordert. Viele Ausländerbehörden sehen das als zumutbar an, obwohl es zur Folge hat, dass sich die Betroffenen den Anforderungen des Regimes wieder vollständig unterwerfen müssen.

Dienstleistungen wie die Ausstellung eines Passes werden von der eritreischen Auslandsvertretung nur dann erbracht, wenn zuvor ein Reuebrief unterschrieben wird,30 in dem die unterschreibende Person folgendes versichert: „Ich bereue, ein Vergehen begangen zu haben, indem ich meine nationalen Verpflichtungen nicht erfüllt habe (…). Ich (bin) bereit, die angemessenen Maßnahmen zu akzeptieren, über die noch entschieden wird.“31 Die unterzeichnende Person liefert sich damit der Inhaftierung und Bestrafung ohne jegliche Rechtsgrundlage aus. Es ist ein Freibrief für die Ausübung einer von allen rechtlichen Vorgaben gelösten Willkürherrschaft. Die Bundesregierung bemerkt auf diese Frage hin nur lapidar: „Die Abgabe von Erklärungen vor Behörden des Herkunftsstaates im Rahmen der Passbeschaffung bedingt für sich genommen keine Unzumutbarkeit.“32

Neben der Unterzeichnung des Reuebriefes wird von den Eritreer*innen vom Regime die Zahlung einer Steuer von 2% ihrer bisherigen Einkünfte verlangt. Die Bundesregierung zeigt sich unbeeindruckt davon, dass in den Niederlanden Berichte über die mit der Steuereintreibung verbundenen Erpressungen zur Ausweisung eines eritreischen Diplomaten geführt haben.33 Wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die Steuer entweder von Angehörigen in Eritrea gezahlt werden muss oder in Deutschland durch regierungsnahe Agenturen und Gruppen für die Botschaft eingetrieben wird, ignoriert die Bundesregierung genauso wie Berichte über damit verbundene Repressionen.34

Wer keine Flüchtlingsanerkennung hat, wird also trotz alledem zur Passbeschaffung bei der eritreischen Auslandsvertretung aufgefordert. So wird durch die Abwärtsspirale bei der Anerkennung der eritreischen Flüchtlinge der Einfluss der eritreischen Diktatur in Deutschland erheblich gestärkt. Das Ziel des eritreischen Regimes, durch Abschreckung und Angst jegliche Opposition zu unterdrücken, wird damit durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, durch Gerichte und Behörden gestärkt.35

Forderungen von PRO ASYL und Connection e.V.

Wir fordern die Bundesregierung auf, gegenüber der eritreischen Regierung unmissverständlich die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. Dazu gehört die Freilassung aller Kriegsdienstverweigerer und politischen Gefangenen. Dazu gehören auch effektive und nachhaltige Maßnahmen, um Demokratie und Menschenrechte zu garantieren;

Wir fordern deutsche Behörden und Gerichte auf, eritreischen Flüchtlingen den notwendigen Schutz zu gewähren. Die Verfolgung von Militärdienstentziehung wie Desertion ist angesichts der Tatsache, dass sich hier Wehrpflichtige, Männer wie Frauen, einem der politischen Erziehung dienenden Nationaldienst eines totalitären Regimes entziehen bzw. verweigern, als politische Verfolgung zu werten;

Wir fordern deutsche Behörden und Gerichte auf, Personen aus Eritrea, die den Kriegsdienst verweigern, desertieren oder sich dem National-/Militärdienst entziehen entsprechend der Definition des UNHCR als soziale Gruppe im Sinne der Genfer Konvention anzusehen. Ihre Verfolgung muss daher zu einer Anerkennung als Flüchtling führen;

Wir fordern deutsche Behörden und Gerichte auf, die Praxis einzustellen, von Geflüchteten die Zusammenarbeit mit dem eritreischen Regime zu verlangen. Angesichts eines von den eritreischen Behörden verlangten Freibriefes zur Strafverfolgung und Zahlung einer 2%-Steuer dürfen auch Geflüchtete, denen subsidiärer Schutz oder ein Abschiebeschutz zuerkannt wurde, nicht dazu gezwungen werden, sich um eine Passbeschaffung beim Herkunftsstaat zu bemühen.

Wir fordern die deutsche Bundesregierung zudem auf, Organisationen und Initiativen der eritreischen Diaspora zu fördern, die sich auf verschiedene Weise für die Durchsetzung der Menschenrechte und die Umsetzung der Demokratie in Eritrea einsetzen. Dies würde auch gegenüber der eritreischen Regierung ein klares politisches Signal setzen.

Fußnoten

1 Amnesty International (2019): Eritrea – Submission to the United Nations Human Rights Committee, Januar 2019, AFR 64/9778/2019.

2 UN Human Rights Committee (2019): Concluding Observations on Eritrea in the absence of its initial report. 3.5.2019, CCPR/C/ERI/CO/1, https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CCPR%2fC%2fERI%2fCO%2f1 (24.10.19).

3 UN Human Rights Council, Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea (2019): Situation of human rights in Eritrea, 16. Mai 2019, A/HRC/41/53, https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G19/140/37/PDF/G1914037.pdf (30.10.19).

4 Human Rights Watch (2019): „They Are Making Us into Slaves, Not Educating Us“, August 2019, https://www.hrw.org/report/2019/08/08/they-are-making-us-slaves-not-educating-us/how-indefinite-conscription-restricts (11.11.2019).

5 BAMF (2016): Das Bundesamt in Zahlen 2015, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/bundesamt-in-zahlen-2015.pdf (30.10.19), S. 50. Es handelt sich hier und im Folgenden um die bereinigte Schutzquote, in die nur die inhaltlichen Entscheidungen des Bundesamtes einberechnet wurden.

6 BAMF (2019): Asylgeschäftsstatistik 1-12/18, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/hkl-antrags-entscheidungs-bestandsstatistikl-kumuliert-2018.html (31.10.19).

7 Hierbei handelt es sich sowohl um in Deutschland geborene Kinder von anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Geschützten als auch um deren Ehegatten, Kinder bzw. Eltern (bei mind. Geflüchteten), die über den Familiennachzug nach Deutschland gekommen sind. Die Voraussetzungen des Familienasyls sind in §26 AsylG geregelt.

8 UN Human Rights Council, Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea (2019); Human Rights Watch (2019): World Report 2019 – Eritrea, https://www.hrw.org/sites/default/files/eritrea_2019.pdf (30.10.19).

9 Dies zeigt sich auch in anderen europäischen Staaten wie eine vergleichende Analyse der Verschärfungen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zeigt. Siehe dazu: SFH/OSAR (2018): Analyse des durcissements de la pratique suisses à l‘égards de requérant-e-s erythréen-ne-s. Recherche du service juridique, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/news/eritrea/181213-recherche-osar-erythree.pdf (04.11.19).

10 Rapp, Simone (2019): Kein Flüchtlingsschutz bei Entziehung vom eritreischen Nationaldienst?, in: Asylmagazin 8-9/2019, S. 268-275.

11 UN Human Rights Council, Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea (2019), Rn. 73.

12 Rapp (2019), S. 275.

13 VG Berlin, Urteil vom 01.09.2017 – 28 K 166.17 A; VG Düsseldorf, Urteil vom 23.03.2017 – 6 K 7338/16.A; VG Halle, Urteil vom 23.10.2018 – 4 A 228/17 HAL; BAMF-Bescheid Außenstelle Büdingen 2019; BAMF-Bescheid Außenstelle Leipzig 2019; BAMF-Bescheid Außenstelle Gießen 2019. Einige Gerichte gehen hingegen davon aus, dass immer eine Anknüpfung an die politische Überzeugung vorliegt: VG Cottbus, Urteil vom 12.04.2019 – 6K652/16.A; VG Magdeburg, Urteil vom 15.05.2019 – 15 A 3628/15; VG Schwerin Urteil vom 20.01.2017 – 15A 3003/16.

14 Antwortbrief vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an PRO ASYL vom 25.01.2017.

15 EGMR, Urteil vom 20.06.2017, M.O. v. Switzerland, 41282/16.

16 a.a.O., Rn. 72, Übersetzung: RF.

17 BAMF-Bescheid Außenstelle Büdingen 2019; BAMF-Bescheid Außenstelle Deggendorf 2019; BAMF-Bescheid Außenstelle Gießen 2019; BAMF-Bescheid Außenstelle Trier 2019.

18 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: DA-Asyl, 25. April 2017, https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/DA-Asyl-April-2017.pdf (11.11.2019).

19 UNHCR (2014): Guidelines on International Protection No. 10: Claims to Refugee Status related to Military Service within the context of Article 1A (2) of the 1951 Convention and/or the 1967 Protocol relating to the Status of Refugees, November 2014, https://www.unhcr.org/529efd2e9.html (29.10.19), Rn. 58. Übersetzung: RF.

20 European Asylum Support Office (EASO): Eritrea – National service, exit, and return. September 2019, S. 24.

21 UNHCR (2014): Guidelines on International Protection No. 10, Rn. 58.

22 UN-Menschenrechtskommission (2019), Absatz 38. Übersetzung: JB.

23 UN Human Rights Council (2016): Detailed findings of the commission of inquiry on human rights in Eritrea, 8. Juni 2016, A/HRC/32/CRP.1, www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoIEritrea/A_HRC_32_CRP.1_read-only.pdf (01.12.19). Übersetzung: rf

24 siehe Business and Human Rights Resource Centre: Nevsun lawsuit, www.business-humanrights.org/en/nevsun-lawsuit-re-bisha-mine-eritrea (02.12.19).

25 EASO (2019), S. 24. Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) ist eine Gemeinschaftsagentur der Europäischen Union und zuständig für die Unterstützung der Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten der EU im Bereich Asyl.

26 ebd., Übersetzung: rf.

27 Siehe ebd.

28 EGMR, Entscheidung vom 18.07.1994 – Karlheinz Schmidt gg. Deutschland, 13580/88. Auch ein Urteil des Verfassungsgerichts zum Wehrdienst in Deutschland wird dazu häufig zitiert: BVerwG, Beschluss vom 26.06.2006 – 6 B 9.06.

29 BAMF-Bescheid Außenstelle Trier 2019; BAMF-Bescheid Außenstelle Bamberg 2019; VG Potsdam, Urteil vom 17.02.2016 – VG 6 K 1995/15.A; VG Schleswig, Urteil vom 22.10.2018, 3 A 365/17.

30 EASO (2019), S. 56; siehe dazu auch: SFH (2017): Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 1. Juni 2017 zu Eritrea: Ausstellung von Pässen in Khartum, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/afrika/eritrea/170601-eri-khartoum-pass.pdf (29.10.19).

31 Wortlaut des Reuebriefes auf Tigrinya und Englisch siehe: DSP-groep/Tilburg School of Humanities (2017): The 2% Tax for Eritreans in the diaspora – Appendices, Juni 2017, https://www.dsp-groep.eu/wp-content/uploads//The-2-Tax-for-Eritreans-in-the-diaspora-Appendices.pdf (29.10.19), S. 24f. Übersetzung: AK.

32 Deutscher Bundestag (2018): Drs. 19/2075, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/020/1902075.pdf (07.11.19), Antwort auf Frage 12.

33 Antwort des Staatssekretärs auf die Frage der Abgeordneten Schreiber am 05.01.2018, https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/003/1900370.pdf (21.11.19)

34 Zur Eintreibungspraxis auch in Deutschland siehe: DSP-groep/Tilburg School of Humanities (2017): The 2% Tax for Eritreans in the Diaspora, Juni 2017, https://www.dsp-groep.eu/wp-content/uploads//The-2-Tax-for-Eritreans-in-the-diaspora_30-august-1.pdf (29.10.19).

35 Siehe hierzu auch: Amnesty International (2019): Repression without Borders, Juni 2019, https://www.amnesty.org/download/Documents/AFR6405422019ENGLISH.PDF (29.10.19).

Pro Asyl und Connection e.V.: Eritreas Willkürregime verharmlost – Flüchtlingsschutz verweigert. 9. Dezember 2019, aktualisiert am 28.2.2020. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und PRO ASYL (Hrsg.): Broschüre Eritrea im Fokus: Das Willkürregime wird verharmlost, der Flüchtlingsschutz ausgehebelt, März 2020

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