Rundbrief »KDV im Krieg« - Juni 2019

Rundbrief »KDV im Krieg« - Juni 2019

Kolumbien: „Wir wollen einen Weg jenseits der Gewalt aufzeigen“

Interview mit dem Politologen und Kriegsdienstverweigerer

von Martín Emilio Rodríguez

Im April 2019 besuchte uns der 36-jährige kolumbianische Kriegsdienstverweigerer und Politologe Martín Emilio Rodríguez Colorado. Auf einer gemeinsam mit der DFG-VK Mainz durchgeführten Veranstaltung berichtete er über die aktuelle Situation der Kriegsdienstverweigerer in Kolumbien. Zudem sprach er auf verschiedenen Ostermärschen im Rhein-Main-Gebiet. Wir nutzten die Gelegenheit, um mit ihm ein Interview zu führen. (d. Red.)

Wie bist Du selbst Kriegsdienstverweigerer geworden?

Ich kam Anfang der 70er Jahre gemeinsam mit meiner Mutter nach Medellín. Sie hatte mich bereits mit 14 Jahren bekommen und wohnte noch bei meiner Großmutter. Da mein Großvater bei den Liberalen aktiv war, mussten sie Bogotá, wo sie bis dahin wohnten, verlassen. Wir zogen dann mit der Großmutter mit ihren 14 Kindern in eines der Armenviertel am Rande von Medellín.

Davon war nicht allein meine Familie betroffen. Viele, vor allem junge Frauen mit vielen Kindern, wurden aufgrund der Politik der national-konservativen Politik aus ihren bisherigen Wohnungen vertrieben. Sie alle lebten fortan unter marginalisierten Bedingungen in den Armenvierteln.

Ende der 80er Jahre gab es das Problem der Drogenkriege. Hier in Deutschland ist ja auch Pablo Escobar bekannt geworden, Boss des sogenannten Medellín-Kartells. Mit den Drogenkriegen ging eine Militarisierung der städtischen Zentren einher. In den Städten standen sich Gruppen der Drogenhändler, Banden, Milizen, Guerrillagruppen und staatlichen Polizeieinheiten gegenüber. In solch einem Umfeld bin ich gemeinsam mit meinen Geschwistern groß geworden. Wir sind deswegen auch ständig in andere Stadtteile umgezogen. Dennoch wurden in diesem Kontext zwei meiner Brüder getötet. Der eine 1992 mit 18 Jahren, der andere 1994 mit 17 Jahren.

Eine meiner Schwestern, im Bemühen in einem dieser Stadtteile Fuß zu fassen, begann sich ehrenamtlich zu engagieren. Auf diese Weise kam auch ich zu Red Juveníl, einem Jugendnetzwerk, und begann mich zu öffnen. Dort wurde zum ersten Mal thematisiert, was es bedeutet, keinen Kriegsdienst abzuleisten. Und so war ich 1994, als ich mein Abitur machte, darüber aufgeklärt, dass es grundsätzlich die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung nach der Verfassung gibt. Und davon wollte ich Gebrauch machen.

Als Begründung gab ich den Tod meiner beiden Brüder an. Ich verwies auch auf die Marginalisierung in den Stadtvierteln und machte deutlich, dass darüber die Armut anwächst. Das führe zu weiteren Verbrechen, Gewalt könne keine Lösung sein. Ich erklärte, dass ich keinen Militärdienst für einen Staat leisten könne, der andere Menschen tötet, die aufgrund ihrer Armut gegen Gesetze verstoßen. Das gesamte Bild der Gewalt, der Militarisierung: Nein, da kann ich nicht mitmachen. Ich will kein Teil dessen sein.

Aufgrund meines eigenen Hintergrundes und durch den Austausch mit anderen Kriegsdienstverweigerern war ich zu dem Bewusstsein gekommen, dass wir gemeinsam an einem gesellschaftlichen Wandel arbeiten müssen. Wir müssen uns aktiv dafür einsetzen: für eine Gesellschaft, die friedlich zusammenlebt.

Es gab seit 1991 zwar einen Verfassungsartikel, der das Recht auf Kriegsdienstverweigerung garantierte, aber keine Praxis dazu. Wie hast Du verweigert?

Wenn man 18 Jahre alt wurde, musste man beim Rekrutierungsbüro vorstellig werden. Da wurde man erfasst und gemustert. Ich hatte mich vorbereitet. Ich hatte einen Brief dabei, in dem ich meine Kriegsdienstverweigerung erklärte. Ich stellte mich in eine der Reihen an. Mit mir waren etwa 300 weitere Männer da. Ich stand also vier Stunden in der Schlange, bis ich drankam. Dann sagte ich: „Um das abzukürzen, hier ist mein Brief. Ich möchte den Kriegsdienst verweigern. Im Brief steht auch meine Begründung dazu.“

Der Militärangestellte fing dann an zu lachen und sagte laut: „Guckt mal, noch ein Schwuler.“ Er zerriss den Brief und verwies mich an eine andere Schlange, in der die Männer standen, die nicht in der Armee dienen konnten. Natürlich stand ich da noch einmal 2 Stunden an. Dann wurde mir gesagt, ich müsste zwar keinen Dienst leisten, hätte aber Geld dafür zahlen sollen, um eine libreta militar zu erhalten, einen Militärausweis.

In dem Moment dachte ich, dass es ja ganz einfach gewesen war. Ich musste nur noch zahlen und dann wäre alles erledigt. Zugleich kamen mir aber Zweifel. Das konnte doch nicht alles gewesen sein. Ich hatte mir so viel Mühe gegeben und mich mit den anderen ausgetauscht. Also fragte ich nach: „Was bedeutet es, wenn ich die libreta militar nicht habe?“ Er antwortete, ich könne dann nicht studieren, nicht außer Landes reisen.

Ich brauchte die libreta militar ja nicht, ich wollte auch nicht auf diesem Weg Teil des Militärs sein, ich wollte das ja verweigern. Und obwohl ich ohne libreta militar praktisch keine bürgerlichen Rechte hatte, entschied ich mich gegen die Zahlung. Ich wollte stattdessen in der Gesellschaft Bewusstsein schaffen, was es bedeutet, ein Kriegsdienstverweigerer zu sein. Ich wollte auch anderen vermitteln, warum und wie sie ihre Kriegsdienstverweigerung erklären können.

Ich habe das sehr bewusst entschieden. Ich war ja bei Red Juvenil aktiv, gemeinsam mit vielen anderen. Kriegsdienstverweigerung, so wurde mir klar, bedeutet mehr, als sich alleine hinzusetzen und einen Brief zu schreiben. Wir können gemeinsam etwas erreichen. So begann ich, meine Aktivitäten zu verstärken.

Ist das kolumbianische Militär auch bei anderen so mit der Kriegsdienstverweigerung umgegangen?

Zumeist ja. Das hatte eine Vorgeschichte, die des Kriegsdienstverweigerers Luís Gabriel Caldaz Leon. Er hatte seine Kriegsdienstverweigerung 1995 öffentlich erklärt und dies sehr gut vorbereitet. So ging sein Fall durch die Medien, insbesondere nachdem er im Juni 1995 festgenommen und zu sieben Monaten Haft verurteilt wurde. Das Vorgehen hatte dem Ansehen des Militärs sehr geschadet.

Das Militär begriff sehr schnell, umso lauter die Stimme der Kriegsdienstverweigerer werden würde, umso mehr Probleme hätten sie selber. Und so versuchten sie, die Kriegsdienstverweigerer dazu zu bewegen, für die libreta militar zu zahlen.

Wir selbst hatten auch über Luís Gabriel Caldaz Leon berichtet und zu seiner Unterstützung aufgerufen. Wie stark war denn die internationale Unterstützung in seinem Fall?

Sein Fall war wirklich ein Schlüssel, um mit anderen Gruppen auf internationaler Ebene in Kontakt zu treten. Sein Fall wurde über alle Grenzen hinweg bekannt. Und wir konnten unsere Kontakte ausbauen, nach Paraguay, zu den spanischen Kriegsdienstverweigerern, bei internationalen Treffen.

Hat sich das auch im Umgang mit den Kriegsdienstverweigerern in Kolumbien ausgewirkt?

Die internationale Unterstützung hat uns großen Auftrieb gegeben. Wenn ich zurückblicke, waren wir in den 80er und 90er Jahren großen Restriktionen ausgesetzt. Aber die vielen Gruppen, die über Jahrzehnte den Kampf zur Anerkennung zur Kriegsdienstverweigerung fortsetzten, konnten schließlich erreichen, dass das Verfassungsgericht 2009 die Kriegsdienstverweigerung anerkannte.

Aufgehängt wurde das an einem Verfahren, das die Acción Colectiva de Objetores y Objetoras de Conciencia einreichte. Sie hatte gemeinsam mit der Universität eine Eingabe an das Verfassungsgericht gerichtet, um prüfen zu lassen, auf welcher Rechtsgrundlage die Einberufungen durchgeführt werden. Im Wehrpflichtgesetz gab es die Bestimmung, dass die einzigen Söhne einer Familie von der Ableistung der Wehrpflicht ausgenommen sind. Kriegsdienstverweigerer wurden hingegen überhaupt nicht erwähnt. Dieser Widerspruch wurde über ein Verfahren vorgetragen, welches insgesamt 18 Jahre andauerte. Am Ende führte das dazu, dass die Kriegsdienstverweigerung vom Verfassungsgericht als legal und rechtlich bindend anerkannt wurde, auf der Basis der internationalen Menschenrechte.

Bis 2017 erreichten uns immer wieder Aufrufe, einzelne Kriegsdienstverweigerer zu unterstützen, die trotz der Verfassungsgarantie rekrutiert worden waren. Wie kam es zu solchen Rekrutierungen?

Unter der Regierung unter Álvaro Uribe 2002 bis 2010 hatte die Einberufung von Männern stark zugenommen. Hintergrund dafür war eine Vereinbarung mit den USA, dass zumindest immer 500.000 Mann im Heer bereitstehen sollten. Damit war es notwendig geworden, die Einberufungsquote zu erhöhen.

So kam es im Zuge der Einberufungen zu extremen Menschenrechtsverletzungen. Es gab Haus-zu-Haus-Durchsuchungen, Razzien in öffentlichen Parks und an Orten, an denen sich nachts Jugendliche trafen. Dort wurden die Jugendlichen einfach mitgenommen und rekrutiert. So kam es, dass auch Kriegsdienstverweigerer rekrutiert wurden.

In dieser Zeit war es für uns wichtig, aus der Perspektive der allgemeinen Menschenrechte  gegen die Einberufungen vorzugehen. Wir mussten neue Strategien entwickeln und dagegen vorgehen. Verschiedene Eingaben bei den Vereinten Nationen und letztlich der Gang zum Verfassungsgericht konnte dem Einhalt gebieten.

Was hat das Verfassungsgericht festgelegt?

Vor allem drei Dinge: 1., dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt wird; 2., dass Staatsapparat und Militär dieses Recht und dessen Existenz anzuerkennen, Handlungskonzepte dafür zu entwickeln, und Informationen darüber an Jugendliche zu geben haben; 3., dass ein Gesetz verabschiedet wird, in dem das konkrete Verfahren zur Kriegsdienstverweigerung geregelt wird.

Korrekt interpretiert, können sich alle darauf berufen, auch Frauen, Soldaten und Reservisten. Aber Unwissen und Unwille der Behörden führt dazu, dass dies nicht transparent gemacht wird. Sie wollen eher Stillschweigen darüber bewahren.

Das Urteil war für uns wichtig, weil es dem Militär zeigte, dass sie nicht alles in ihrem Sinne auslegen können. Vorher hatten sie den Verfassungsartikel in ihrem Sinne interpretiert. Und so nutzten sie den Raum, den es aufgrund der fehlenden Gesetzesgrundlage gab, um zu ihren Gunsten zu verfahren. Die Folge waren die schon erwähnten wilden Zwangsrekrutierungen.

Nach 2009 konnten wir noch weitere sechs Urteile durch das Verfassungsgericht über sogenannte tutelas (Schutzklagen) erreichen. In diesen Urteilen wurde genauer festgelegt, wie einberufen werden soll, welche Rekrutierungsformen illegal sind, dass die Razzien illegal sind usw. Das Verfassungsgericht wich nie von dieser Linie ab und setzte so dem Militär Grenzen.

2017 wurde schließlich eine gesetzliche Regelung zur Kriegsdienstverweigerung beschlossen. Wie ist die zu bewerten?

2017 wurde das neue Wehrpflichtgesetz Nr. 1861 verabschiedet, mit dem zum ersten Mal die Kriegsdienstverweigerung als eine Ausnahme zur Ableistung des Militärdienstes anerkannt wird. Zugleich wurde auch eine Prüfungskommission eingerichtet, die im Gegensatz zu den 2017 gegebenen Empfehlungen der UN-Menschenrechtskommission mehrheitlich aus Militärangehörigen besteht. Damit sind die Kriterien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht erfüllt.

Darüber hinaus wird bei der Erfassung und Rekrutierung alles unternommen, damit sich junge Menschen nicht für eine Kriegsdienstverweigerung entscheiden. Wenn sie jedoch darauf bestehen, werden von den Ausschüssen viele Erklärungen zurückgewiesen. In einem Bericht, den unser Netzwerk für das Jahr 2018 erstellte, berichteten wir darüber, dass die Armee 266 Kriegsdienstverweigerer anerkannt hat, bei insgesamt 422 Anträgen. Viele wurden von den Prüfungsausschüssen abgelehnt.

Es gibt im Militär auch nach wie vor die Praxis, Kriegsdienstverweigerer auf andere Verfahren zu verweisen. Sie sagen nichts zur Kriegsdienstverweigerung, sondern verweisen auf Ausmusterungsmöglichkeiten, wenn er zum Beispiel der einzige Sohn ist oder die Familie Opfer von Gewalt.

Es gibt ein Widerspruchsverfahren, wenn Anträge von Prüfungsausschüssen abgelehnt wurden. Bei erneuter Ablehnung gibt es auch die Möglichkeit, zum Verfassungsgericht zu gehen. Die Militärs geben aber keine Auskunft über das Verfahren. Und so geben viele einfach auf.

Allein die Zahlen geben zu denken. 2015 mussten sich etwa 900.000 junge Männer bei den Rekrutierungsbüros melden. Angesichts dessen ist die Zahl der Kriegsdienstverweigerer wirklich gering. Tauchen die anderen unter, entziehen sie sich, gehen sie überhaupt nicht hin? Wir haben keine verlässlichen Zahlen dazu. Wenn die jungen Männer von ihrem Recht auf Kriegsdienstverweigerung wüssten, könnten sie selbstbewusst hingehen und davon Gebrauch machen, anstatt sich einfach zu entziehen. Wenn sie dann aufgegriffen werden, wird dies als Straftat gewertet.

Von der derzeitigen Regierung wird der Friedensprozess in Frage gestellt. Hat das Auswirkungen auf die Situation der Kriegsdienstverweigerer?

Die Regierung unter Juan Manuel Santos 2010-2018 hat einen Friedensprozess mit der Guerrillagruppe FARC initiiert und umgesetzt. Dadurch ging die Zahl der Menschenrechtsverletzungen wirklich zurück. Es lag auch daran, dass die FARC die Verhandlungen wollte und einen sehr aktiven Teil daran hatte.

Der vorherige Präsident Uribe hat es allerdings immer wieder geschafft, den Friedensprozess zu untergraben. Und er erreichte, dass ein ihm genehmer Kandidat letztes Jahr die Präsidentschaft übernehmen konnte, Iván Duque.

Die Regierung unter Duque hat sich dazu entschieden bezüglich der öffentlichen Ordnung einen sehr harten Kurs zu fahren. Das betrifft das Demonstrationsrecht, die Wirtschafts- und Steuerpolitik, die vor allem die Ärmsten trifft und die Reichen bevorzugt. Sie ignoriert die Vereinbarungen des Friedensabkommens mit der FARC, gestattet Bergbau und die Ausbeutung von natürlichen und Energieressourcen, ohne Einschränkungen für internationale Konzerne. Sie behindert Untersuchungen durch die Sonderjustiz für den Frieden (Rechtssystem für den Übergang im Friedensprozess mit der FARC). Und die Regierung versucht auch Einfluss auf das Verfassungsgericht zu nehmen, um bestimmte Fortschritte wieder rückgängig zu machen. Friedensverhandlungen mit der anderen Guerrillagruppe, der ELN, lehnt sie ab. Die Massenmedien decken diese neoliberale und repressive Politik.

Ich glaube, dass diese Situation für die Kriegsdienstverweigerung sehr bedeutsam ist. Sie stellt die Fortschritte der letzten acht Jahre im Bereich der Rechtsentwicklung zur Kriegsdienstverweigerung in Frage. Die Regierung könnte Interesse daran haben, die Gesetzgebung erneut zu ändern und erreichte Freiheiten und Rechte einzuschränken. Wir sind sehr besorgt, dass es eine neue Phase der Massenrekrutierung und Gewalt geben könnte.

Gibt es auch Desertionen?

Es gibt Soldaten, die desertieren, z.B. weil sie nichts vom Recht auf Kriegsdienstverweigerung wissen. Es gibt auch einige Fälle, die bestimmte Einsätze verweigern, wenn das Militär z.B. gegen Politische eingesetzt wird. Ein Fall ist sehr bekannt geworden. Er ist desertiert und wurde dann inhaftiert und vor ein Militärgericht gestellt. Dort ist es sehr schwierig, nachträglich die Gründe für eine Kriegsdienstverweigerung einzubringen. Das Militärgericht behandelt es trotzdem als Desertion oder Befehlsverweigerung. In diesem konkreten Fall werden von ihm immer wieder neue Erklärungen verlangt. So lange kein Urteil gesprochen worden ist, bleibt er in Haft.

Einige, auch ehemalige Soldaten, haben sich abgesetzt und sind ins Ausland gegangen, um Asyl zu suchen. Andere leben im Untergrund in prekärer Lage und hoffen, dass sie nicht erwischt werden.

Zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung 2019 gibt es eine gemeinsame Erklärung von Kriegsdienstverweigerern aus Kolumbien. Was sind Eure Schwerpunkte in der Arbeit, bei Deiner Organisation La Tulpa und bei den anderen Organisationen in Kolumbien?

Unsere Organisation La Tulpa entwickelt insbesondere eine Arbeit, um den Militarismus in Kolumbien zu untersuchen und Aktionen mit anderen Organisationen vorzubereiten, bei denen wir das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in den Vordergrund stellen wollen, um sie der Jugend nahezubringen. Wir versuchen den Missbrauch der öffentlichen Gewalt bei den Rekrutierungen anzuprangern, wie auch die hohen Militärausgaben und den Einsatz des Staates für die umfassende Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes durch multinationale Konzerne.

Seit 10 Jahren arbeiten wir zusammen mit verschiedenen Organisationen in Bogotá und ganz Kolumbien, um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung bekannt zu machen und zu verteidigen. Wir beteiligen uns an einer Plattform, die wir Stimme der Kriegsdienstverweigerer genannt haben.

Gegenwärtig führen wir eine Kampagne mit dem Titel „Wir verweigern uns weiter der fortlaufenden Rekrutierung“ durch. Sie besteht vor allem darin, die Kriegsdienstverweigerung in Zusammenhang mit der Politik der gegenwärtigen Regierung zu stellen, die weiter auf Krieg setzt und die Militärausgaben erhöht sowie die Rekrutierung verschärft.

Wir möchten mit dieser Kampagne die Vorzüge der Gesetzgebung zur Kriegsdienstverweigerung und damit auch einen friedlichen Weg abseits der bewaffneten Konfrontation im Land aufzeigen. Wir wollen erreichen, dass alle Kriegsdienstverweigerer, die von unseren Organisationen begleitet werden, einen Ausweis erhalten, in dem ihr Status dokumentiert wird, zusammen mit einer Anleitung, wie sie ihn benutzen können, damit Kriegsdienstverweigerer auf freiwilliger Basis einen Dienst für den Frieden leisten können.

Teil der Kampagne ist auch ein internationaler Kongress, den wir gemeinsam mit der War Resisters’ International Ende Juli 2019 in Bogotá durchführen werden.

Wie ist es eigentlich in Deinem Fall weitergegangen, nachdem Du ohne libreta militar ja nur sehr eingeschränkt leben konntest?

Im Laufe der Zeit gab es immer wieder neue Regelungen. Die libreta militar wurde dann nicht mehr benötigt, um einen Pass zu beantragen und ins Ausland zu fahren. 2015 wurde eine Graduierung ohne libreta militar möglich. Damit konnte auch ich einen Abschluss an der Universität machen.

Danke für das Interview.

Interview mit Martín Emilio Rodríguez Colorado, 18. April 2019. Übersetzung: dk und rf. Der 36-jährige Martín Emilio Rodríguez Colorado ist Politologe an der Universidad Nacional de Colombia. Er ist selbst Kriegsdienstverweigerer und aktiv in der antimilitaristischen Gruppe La Tulpa. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2019.

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