Rundbrief »KDV im Krieg« - Juni 2019

Rundbrief »KDV im Krieg« - Juni 2019

Marokko: Alles was Sie über die Wehrpflicht wissen müssen

von Sydney McCourt

Seit April 2019 wird in Marokko die Wiedereinführung der Wehrpflicht umgesetzt. Sie war 2006 vom König ausgesetzt worden. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es in Marokko nicht. (d. Red.)

Im Februar forderte König Mohammed VI die Regierung auf, 2019 ingesamt 10.000 Marokkaner im Rahmen der Wehrpflicht für den Militärdienst einzuberufen. 2020 soll die Zahl auf 15.000 steigen.

Innenminister Abdelouafi Laftit gab am Montag bekannt, dass die Regierung die Liste der Einzuberufenden erstellt hat, die 2019 zur Erfassung aufzurufen sind. Die Regierung verlangt unter Strafandrohung von den Einzuberufenden die Ableistung eines 12-monatigen Militärdienstes.

Am 7. Februar verabschiedete der Ministerrat zwei Vorlagen für Erlasse, mit denen das Verfahren zur Identifizierung, Auswahl und Einberufung definiert wird. Die Einberufung wird für Männer im Alter zwischen 19 und 25 Jahren erfolgen. Frauen und Marokkaner, die sich im Ausland angesiedelt haben, sind von der Wehrpflicht ausgenommen, aber aufgerufen, sich freiwillig zu melden. Parlamentarier und Regierungsmitglieder sind ebenfalls von der Ableistung des Militärdienstes ausgenommen.

Einberufungsverfahren

Personen, die auf der Einberufungsliste stehen, werden eine Nachricht erhalten. Sie müssen innerhalb von 20 Tagen nach Erhalt der Nachricht ihre Erfassung über die Website tajnid.ma vervollständigen. Wer keine Mitteilung erhalten hat, kann über die Website prüfen, ob eine Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes vorliegt.

Wer nicht zum Militärdienst einberufen wird, kann sich freiwillig registrieren. Die Regierung fordert insbesondere im Ausland lebende Frauen und Männer dazu auf.

Nach der Registrierung soll die Person eine Empfangsbestätigung erhalten, die den Wehrpflichtigen darüber informiert, dass er einen Antrag für eine Zurückstellung oder eine Freistellung von der Ableistung des Dienstes stellen kann.

Antrag auf Freistellung

Um einen Freistellungsantrag zu stellen, muss ein Wehrpflichtiger innerhalb von 20 Tagen nach dem Ausfüllen des Erfassungsbogens den Antrag gestellt haben. Der Antrag ist an die örtliche Verwaltung zu richten, die die Anfrage an die Kommission der Präfektur weiterleitet. Dort wird über die Freistellungsanträge entschieden.

Es gibt vier wesentliche Gründe für eine Freistellung. In jedem Fall muss der Antragsteller dem Antrag Unterlagen beilegen, die seinen Antrag stützen.

Für eine Ausmusterung muss der Antragsteller ein Attest von einem öffentlichen Gesundheitsdienst vorlegen. Für eine Freistellung wegen Unterstützung der Familie, muss eine Person eine Bescheinigung des Bezirksgouverneurs vorlegen, der diesen Status bestätigt. Für eine Freistellung wegen Ausbildung muss der Antragsteller eine Bescheinigung der Behörde vorlegen, die für den relevanten Bereich zuständig ist und die Fortsetzung der Ausbildung in öffentlichen oder privaten Ausbildungsstätten bestätigt. Der letzte Grund für eine Freistellung ist, wenn ein Bruder gegenwärtig als Wehrpflichtiger Militärdienst ableistet oder wenn es ein oder mehrere Brüder und Schwestern gibt, die gleichzeitig zum Militärdienst einberufen werden können. Dies kann durch ein Dokument des Militärs bescheinigt werden, mit dem das Militär die Verwandtschaft bestätigt.

Personen, die älter als 25 Jahre sind und eine Freistellung erhalten, können bis zum Alter von 40 Jahren einberufen werden, falls der Grund der Freistellung entfällt.

Einberufung zum Militärdienst

Am 7. Juni 2019 wird das Rekrutierungsbüro der Königlichen Bewaffneten Streitkräfte (FAR) die Einberufungsbefehle vorbereiten. Jeder, der eine Einberufung erhält, bekommt auch einen Tag und Ort zugewiesen, an dem er sich bei der Kommission der Präfektur melden muss. Die Kommission, in der es einen Militärarzt gibt, untersucht die Tauglichkeit der Rekruten. Wer tauglich ist, wird für den Militärdienst registriert.

Nach Angaben des Marokkanischen Forums der Streitkräfte hat das Militär drei neue Ausbildungszentren eröffnet, darunter eines in El Hajeb zwischen Rabat und Fez, eines in Kasba Tadla in Zentralmarokko. Alle Ausbildungszentrum haben auch einen Anbau für weibliches Personal. Die Armee hat die Zentren mit dem Ziel eingerichtet, die Lebensbedingungen der Wehrpflichtigen zu verbessern und um von den „Klischees und dem schlechten Ruf des Militärdienstes“ wegzukommen. In Ergänzung dazu hat die Armee Kommissionen eingerichtet, die die Verbesserungen der Lebensbedingungen überwachen und die Gleichbehandlung der Rekruten gewährleisten sollen.

Die Armee ordnet die Wehrpflichtigen je nach Bildungsstand den Rängen zu. Wer einen Bachelor oder gleichwertigen Abschluss hat, wird Offizier. Wer mindestens das Abitur vorweisen kann, Unteroffizier. Alle anderen erhalten den „militärischen Rang“. Die Grundausbildung wird vier Monate dauern. Sie umfasst sowohl allgemeines wie auch militärisches Training. Das allgemeine Training beinhaltet nationale Bildung sowie Zivil- und Militärgeschichte. Das militärische Training umfasst Militärregeln, allgemeine Disziplin und körperliche Erziehung.

Am Ende der viermonatigen Grundausbildung werden die Wehrpflichtigen Kampf-, Unterstützungs- oder logistischen Einheiten zugewiesen, der sie für die Dauer ihres Dienstes angehören.

Wer einen akademischen Hintergrund hat, muss nur eine verkürzte Grundausbildung ableisten.

Vergünstigungen und Sanktionen

Alle Wehrpflichtigen erhalten einen Sold entsprechend ihrem Rang. Pro Monat erhalten Soldaten umgerechnet 109 US-Dollar, Unteroffiziere 156 $ und Offiziere 218 $. Alle Wehrpflichtigen, die in den Süden entsandt werden, erhalten einen zusätzlichen Sold von 31 $.

Wehrpflichtige erhalten auch eine Steuerfreistellung, kostenlose Kleidung, Unterkunft und Verpflegung. Zu den medizinischen Leistungen zählen Krankenversicherung, Todesfall- und Invalidenversicherung sowie kostenlose Medikamente in Militärkrankenhäusern.

Wer sich der Einberufung entzieht, muss mit Sanktionen rechnen. Wehrpflichtige, die der Erfassung nicht nachkommen erhalten eine ein- bis dreimonatige Haftstrafe und eine Geldstrafe von 210-520 $. Ein Monat bis zu einem Jahr Haft und eine Geldstrafe von 210 bis zu 1.040 $ droht denjenigen, die einer persönlichen oder allgemeinen Einberufung keine Folge leisten wie auch den Personen, die einen Wehrpflichtigen verstecken oder ihm verbieten, Dienst abzuleisten.

Öffentliche Meinung

Als der marokkanische Ministerrat letztes Jahr die Wehrpflicht nach der Aussetzung 2006 wieder eingeführt hat, gab es ausführliche Diskussionen darüber. In der Öffentlichkeit gab es Bedenken hinsichtlich der ungleichen Anwendung der Einberufungen, insbesondere bezüglich der sozialen Klassen. Der König versuchte, die Befürchtungen zu zerstreuen und sicherte der Öffentlichkeit zu, dass das Gesetz auf Bürger aller sozialen Klassen Anwendung finden werde.

Im August 2018 erklärte das königliche Kabinett, dass der obligatorische “Militärdienst das Ziel habe, den Patriotismus in der Jugend zu fördern im Rahmen des Zusammenhangs der Rechte und Pflichten einer Staatsbürgerschaft”. Diesbezüglich wird das Gesetz als ein Weg angesehen, die Loyalität der jungen Menschen zum Staat zu fördern.

Andere sehen die Wiedereinführung der Wehrpflicht als einen Weg, Protestbewegungen einzuschränken. Damit werde die Reichweite des Militärs zur Rekrutierung von Jugendlichen erweitert, die an Protesten wie denen im Norden der Region Rif beteiligt waren.

Einige sehen die Wehrpflicht als eine Möglichkeit für Jugendliche an, die Probleme damit haben, einen Job zu finden. Andere wollen lieber, dass die Regierung in die Ausbildung investiert, da die Wehrpflicht nach Angaben des Verteidigungsministers Abdellatif Loudiyi 52 Millionen $ kosten wird.

Sydney McCourt ist eingeschrieben für Medienwissenschaften an der Universität William and Mary, USA; gegenwärtig studiert sie Medien- und Politikwissenschaften sowie Arabisch in Rabat.

Sydney McCourt: Everything You Need to Know About Morocco’s Compulsory Military Service. 10. April 2019. Auszüge. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2019

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