Kriegszerstörungen. Foto: Carabo Spain auf Pixabay

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Syrien: Deserteure stehen Amnestie argwöhnisch gegenüber

von Asharq Al-Awsat

(14.11.2018) Syrische Flüchtlinge, die sich der Ableistung des Militärdienstes verweigert haben, äußerten sich skeptisch gegenüber der von der Regierung angebotenen Amnestie. Im Oktober hatte das Regime eine Amnestie für Männer verkündet, die desertiert sind oder sich dem Militärdienst entzogen. Sie hätten mehrere Monate Zeit, um sich zum Dienst zu melden, ohne eine Bestrafung befürchten zu müssen. Die Angst vor der Einberufung und eine mögliche Bestrafung wegen Untertauchen oder Desertion wird häufig von Hilfsorganisationen als entscheidender Grund angeführt, der von Flüchtlingen genannt wird, die deshalb nicht nach Hause zurückkehren wollen.

Der 26-jährige Ahmed schloss im zweiten Jahr des Syrienkrieges sein Universitätsstudium ab und sollte zum Militärdienst einberufen werden. Gemeinsam mit einer Gruppe von befreundeten Studenten suchte er Zuflucht in einem anderen Land, um keine Angst mehr haben zu müssen, zwangsweise zur Ableistung der Wehrpflicht rekrutiert zu werden. Er sagte, dass die Mehrheit seiner Freunde zurück in ihr Heimatland gehen will, „dem Regime kann man aber nicht vertrauen. Es hat erst kürzlich verschiedentlich Amnestien verkündet. Einige wurden dadurch getäuscht und stellten sich selbst den Behörden. Dann wurden sie an die Front geschickt, wo sie getötet wurden. Nur ein Ende der Wehrpflicht und ein Regimewechsel kann mich dazu bewegen, zurückzukehren“. Das, so sagt er, ist ein Gefühl, das er mit vielen anderen teilt.

Millionen Syrer flohen mit dem Ausbruch des Krieges 2011 aus ihrem Land. Viele suchten Schutz in angrenzenden Ländern oder in Europa, um ein besseres Leben zu finden. Die Vereinten Nationen schätzen, dass etwa 5,6 Millionen Syrer das Land verlassen haben und es etwa 7 Millionen Binnenvertriebene gibt.

Viele der Flüchtlinge fliehen aus Angst vor einer zwangsweisen Einberufung. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte schätzt, dass seit Beginn des Krieges etwa 150.000 Syrer desertierten. Die syrische Tageszeitung al-Watan schätzt, dass etwa 800.000 für die Einberufung zur Reserve benötigt werden.

Die Ableistung des Militärdienstes ist für jeden Mann ab einem Alter von 18 Jahren Pflicht. Vor dem Krieg dauerte der Dienst zwei Jahre. Jetzt und da der Krieg fortgeführt wird, kann er eine unbestimmte Zeit andauern.

Die Regierung versucht mit verschiedenen Mitteln Deserteure davon zu überzeugen, zum Dienst zurückzukehren. Die im Oktober verkündete Amnestie war ein Beispiel dafür.

Samer, ein Englischlehrer in den 30ern, floh 2014 aus Syrien in die Türkei, als er herausfand, dass er bald in die Reserve einberufen werden sollte. „Viele Deserteure, die den früheren Amnestien vertrauten, wurden durch das Regime verhaftet und etliche von ihnen werden vermisst“, berichtete er Asharq Al-Awsat. „Wenn jetzt viele zurückkehren, wie wird das Regime sie behandeln? Wird man großzügig mit ihnen sein oder sie als Verräter behandeln“, fragt er sich.

Berichte von den Grenzübergangsstellen, die Asharq Al-Awsat erhielt, besagen, dass „sehr wenige“ auf das Amnestieversprechen der Regierung reagieren.

Nach dem syrischen Militärstrafgesetzbuch können Deserteure mehrere Jahre Gefängnisstrafe erhalten, wenn sie ihren Dienstort verlassen und sich nicht in einer bestimmten Zeit zurückmelden.

Der syrische Konflikt begann 2011 nach Massenprotesten gegen das Regime, was schließlich zu einer halben Million Toten führte und Welt- und Regionalmächte anzog. Viele Soldaten desertierten, einige, um sich der Opposition anzuschließen, andere, um den Kämpfen zu entgehen. Mehr als die Hälfte der Vorkriegsbevölkerung floh aus ihren Häusern und Wohnungen.

Die jetzige Amnestie deckt zwar Desertion ab, umfasst aber nicht den Kampf gegen das Regime oder den Beitritt zu Oppositionsgruppen, die von der Regierung als Terroristen angesehen werden.

Asharq Al-Awsat: Deserters Wary of Syrian Regime’s Pledge of Pardon. 14. November 2018. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Dezember 2019.

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