Türkei: Urteil gegen friedlichen Protest wegen “Distanzierung des Volkes vom Militär”

von Amnesty International

(21.06.2010) Am 17. Juni 2010 wurden der Menschenrechtsaktivist Halil Savda und drei seiner MitstreiterInnen nach Artikel 318 des türkischen Strafgesetzbuches verurteilt, mit dem die „Distanzierung des Volkes vom Militär“ unter Strafe gestellt wird.

Der Fall war aufgrund ihrer Beteiligung an einer öffentlichen Demonstration am 6. Januar 2010 eröffnet worden, mit der sie den Kriegsdienstverweigerer und von Amnesty International als Gewissensgefangenen adoptierten Enver Aydemir unterstützten, der wegen seiner Weigerung, den Militärdienst abzuleisten, seit dem 24. Dezember 2009 in Haft war.

Halil Savda, Gökçe Otlu Sevimli und Zarife Ferda Çakmak wurden zu jeweils sechs Monaten Haft verurteilt. Die Urteile gegen Gökçe Otlu Sevimli und Zarife Ferda Çakmak wurden auf fünf Jahre zur Bewährung ausgesetzt, da sie bislang nicht straffällig geworden waren. Volkan Sevinç wurde zusätzlich zur Verurteilung wegen „Distanzierung des Volkes vom Militär“ noch wegen „Beleidigung eines Polizisten während seines Dienstes“ zu insgesamt einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt. Auch seine Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Die Verurteilungen erfolgten, obwohl die Staatsanwaltschaft Freispruch gefordert und erklärt hatte, dass ihre Handlungen durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt seien. Die Anwälte der Aktivisten berichteten Amnesty International, dass sie Berufung gegen das Urteil einlegen werden. Wenn diese abgelehnt und die Betreffenden inhaftiert würden, würde Amnesty International erwägen, sie als Gewissensgefangene zu adoptieren.

Das Urteil ist für Halil Savda die zweite Verurteilung nach Artikel 318 innerhalb von noch nicht mal einem Jahr. Im Juni 2009 wurde er nach dem gleichen Artikel zu fünf Monaten Haft wegen seiner öffentlichen Äußerung zur Unterstützung von zwei israelischen Kriegsdienstverweigerern auf einer Demonstration vor der israelischen Botschaft in Istanbul verurteilt, die 2007 stattgefunden hatte. Gegenüber Amnesty International sagte Halil Savda: „Es ist eine Schande, dass in der Türkei Kriegsdienstverweigerer und ihre Unterstützer verurteilt werden, weil sie sich dem Töten verweigern. Es kann keine humanere Haltung in der Welt geben, als sich der Teilnahme an Kriegen zu verweigern. Noch stellt der Artikel 318 ein massives Hindernis dar, um diese Auffassung nach außen zu tragen. Er erklärt jeden Aufruf zum Frieden und zur Solidarität mit anderen Kriegsdienstverweigerern zu einem Verbrechen. Wir werden aber unsere Kampagne fortsetzen, bis der Artikel 318 aufgehoben worden ist.“

Amnesty International ist besorgt über die zunehmende juristische Verfolgung von Personen, die ihre Unterstützung des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei öffentlich machen. Die Organisation sieht die Verfolgung durch Artikel 318 als Bruch des Artikels 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Artikels 19 des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte an, die das Recht auf freie Meinungsäußerung schützen. Die Türkei ist beiden internationalen Abkommen beigetreten. Amnesty International ruft die Türkei eindringlich auf, Artikel 318 aufzuheben. Die Organisation setzt sich weiter für die Beendigung der strafrechtlichen Verfolgung von Halil Savda und anderen ein, wie auch von Verteidigern der Menschenrechte und von Journalisten, die aufgrund dieses Artikels verfolgt wurden. Amnesty International ruft die türkische Regierung auch dazu auf, sicherzustellen, dass die Anwendung aller Artikel des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze in Übereinstimmung mit internationalen Standards zum Recht auf freie Meinungsäußerung steht und dass alle strafrechtlichen Untersuchungen gegen Verteidiger der Menschenrechte beobachtet und diejenigen Verfahren eingestellt werden, die dem Schutz internationaler Standards unterliegen.

Amnesty International: Peaceful protesters convicted for ’Alienating the public from military service’ in Turkey. 21. Juni 2010. Übersetzung: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2010

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