Kanada: Bundesberufungsgericht entscheidet zugunsten von Jeremy Hinzman und seiner Familie
Einwanderungsminister muss Beschluss des Parlaments folgen und US-Verweigerern Aufenthalt in Kanada gewähren
(06.07.2010) Toronto – Heute Nachmittag veröffentlichte das Bundesberufungsgericht sein einstimmig gefälltes Urteil, dem zufolge die ablehnende Entscheidung der Behörden im Fall Hinzman „offensichtlich fehlerhaft“ und „unbillig“ war. Jeremy Hinzman hatte einen Antrag auf dauerhaften Aufenthalt in Kanada gestellt.
Das Gericht entschied, dass sich der Bundesgerichtshof am 2. Juni 2009 geirrt habe, als er den Antrag des US-Verweigerers Hinzman auf gerichtliche Überprüfung der behördlichen Entscheidung zur Rückkehrgefährdung aus humanitären und Härtegründen ablehnte. Die Behörde hatte den Antrag von Hinzman und seiner Familie auf dauerhaften Aufenthalt abgelehnt.
Jeremy Hinzman war der erste US-Verweigerer des Irakkrieges, der in Kanada Zuflucht suchte. Er kam gemeinsam mit seiner Ehefrau Nga Nguyen und ihrem gemeinsamen Sohn Liam am 3. Januar 2004 nach Kanada. Ihre Tochter Meghan wurde am 21. Juli 2008 in Toronto geboren.
“Diese Entscheidung ist wichtig für alle Verweigerer des Irakkrieges, die in Kanada sind”, so Michelle Robidoux, Sprecherin der War Resisters‘ Support Campaign (Kampagne zur Unterstützung der KriegsgegnerInnen). „Das Berufungsgericht hat klar gesagt, dass die Einwanderungsbehörde nicht länger die ernsthaften Beweggründe dieser Soldaten ignorieren darf. Die Menschen in Kanada verstehen und unterstützen die Entscheidung dieser Soldaten, den Irakkrieg zu verweigern. Es ist Zeit, dass die Regierung Harper die Abschiebungen stoppt und den Verweigerern ein Aufenthaltsrecht in Kanada gewährt.“
Das Verfahren vor dem Berufungsgericht hatte am 25. Mai 2010 stattgefunden, am gleichen Tag, an dem ein Gesetzesentwurf zur Unterstützung von Verweigerern des Irakkriegs in Zweiter Lesung im Parlament diskutiert wurde. Eine Abstimmung darüber wird kurz nach der Wiederaufnahme der Sitzungen des Unterhauses im September erwartet.
“Das Unterhaus hat zwei Mal beschlossen, dass die Verweigerer des Irakkrieges in Kanada bleiben können”, sagte Bill Siksay, Abgeordneter aus Burnaby-Douglas. „Die Kanadier unterstützen die Forderung des Parlaments, dass die konservative Minderheitsregierung die Abschiebung dieser Veteranen beendet. Wann wird der Einwanderungsminister Jason Kenney endlich im Sinne des Parlaments handeln und seine ministerielle Autorität dazu nutzen, den Verweigerern des Irakkrieges einen dauerhaften Aufenthalt zu geben?“
Der Gesetzesentwurf, der von dem Liberalen Gerard Kennedy (Parkdale-High Park) am 17. September 2009 eingebracht wurde und von Bill Siksay von der New Democratic Party unterstützt wird, wird die Regierung dazu zwingen, die Anweisung zu respektieren, die bereits zwei Mal, am 3. Juni 2008 und am 30. März 2009, durch Parlamentsbeschlüsse ergangen ist. Die konservative Regierung hat diese Beschlüsse als “nicht bindend” abgetan und weigert sich, den Verweigerern des Irakkrieges einen dauerhaften Aufenthalt zu gewähren. So wurden Robin Long und Cliff Cornell in der Zeit nach dem ersten Parlamentsbeschluss in die USA abgeschoben, wo sie von einem Militärgericht wegen Desertion verurteilt und inhaftiert wurden. Der Irakveteran und Verweigerer Rodney Watson befindet sich weiter im Kirchenasyl bei der First United Church in Vancouver, wohin er sich nach der Abschiebungsanordnung geflüchtet hatte.
Nach einer Meinungsumfrage der Angus Reid Strategies vom Juni 2008 unterstützen 64% der KanadierInnen den Beschluss des Parlaments, dass die Minderheitsregierung Harper unverzüglich die Abschiebung von Verweigerern des Irakkrieges beenden und ein Programm entwickeln solle, um den Verweigerern einen dauerhaften Aufenthalt zu ermöglichen.
Weitere Informationen sind erhältlich bei:
Michelle Robidoux, War Resisters Support Campaign, 416-465-9180;
Alyssa Manning, Anwältin der Familie Hinzman-Nguyen, amanning(at)vanlehrer.com, 416-938-2816;
Büro des Abgeordneten Bill Siksay, 613-996-5597;
Brett Thalmann, Büro des Abgeordneten Gerard Kennedy, kenneg0(at)parl.gc.ca, 613-762-8542;
Ken Marciniec, War Resisters Support Campaign, communications(at)resisters.ca, 416-803-6066.
Auszüge aus der Entscheidung des Bundesberufungsgerichtes vom 6. Juli 2010
“Herrn Hinzmans Überzeugungen und Motive sind von entscheidender Bedeutung für die endgültige Entscheidung, zumal die Antragsteller sich auf humanitäre und Härtegründe berufen. Die Antragsteller haben auch Belege dafür vorgelegt, dass sich das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ‚aus den internationalen Menschenrechten herleiten lässt‘. Die Behörde hat in ihrer Entscheidung den Ansichten von Amnesty International ein gewisses Gewicht zugebilligt. Trotzdem werden diese Faktoren in der Entscheidung selbst nicht berücksichtigt. Die Behörde hat jedoch die Pflicht, alle persönlichen Umstände des Antragstellers zu würdigen, auch die Überzeugungen und Motive Herrn Hinzmans, bevor sie feststellt, ob ausreichende Gründe für eine positive Entscheidung vorliegen. Das hat sie nicht getan. Wenn der Richter sich mit dem Beschwerdegrund des Antragstellers wirklich auseinandergesetzt hätte, wie in Paragraph 57 der Begründung ausgeführt, wäre er, davon bin ich überzeugt, zum gleichen Schluss gekommen wie ich und hätte die Entscheidung über humanitäre und Härtegründe als offensichtlich fehlerhaft und deshalb unbillig angesehen.“
War Resisters‘ Support Campaign: Federal Court of Appeal rules in favour of Iraq War resisters Jeremy Hinzman and family! 6. Juli 2010. Übersetzung: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2010
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