Paraguay: Ausführungsgesetz zur Kriegsdienstverweigerung – ein Rückschritt
Das erste Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung in Paraguay schränkt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein.
Am 17. Juni 2010 unterzeichnete Präsident Fernando Lugo das Gesetz 4013, das „die Ausübung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung regelt und einen Ersatzdienst zum Wohle der Bevölkerung einführt“, so der offizielle Titel des Gesetzes. Mit der Unterzeichnung tritt das erste Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung in Paraguay in Kraft. Aber es stärkt nicht die Position der Kriegsdienstverweigerer, dieses Gesetz wurde vielmehr von Verweigerern und AntimilitaristInnen angefochten, weil es das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einschränkt. Nach mehr als 15 Jahren ohne Ersatzdienst sind nun Verweigerer das erste Mal dazu verpflichtet, solch einen Dienst abzuleisten. Es mag erstaunlich klingen: Aber tatsächlich stellt das Gesetz einen Sieg des Militärs über die Bewegung zur Kriegsdienstverweigerung und die Linke dar.
Mit den Artikeln 37 und 129 der Verfassung von 1992, nach der Diktatur von Stroessner, wurde in Paraguay die Kriegsdienstverweigerung anerkannt. Nach Artikel 37 wird die „Kriegsdienstverweigerung aus ethischen oder religiösen Gründen anerkannt“. Artikel 129, Absatz 5 hält fest: „Wer seine Kriegsdienstverweigerung erklärt, leistet einen Dienst zum Nutzen der Bevölkerung in Hilfszentren ab, die unter ziviler Verwaltung stehen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das keinen strafenden Charakter haben soll und die davon Betroffenen nicht schlechter als die Militärdienstleistenden stellen soll.“
Bislang war kein Ausführungsgesetz verabschiedet worden. Im zweiten regelmäßigen Bericht an das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen 2004 erklärte Paraguay, dass „angesichts der fehlenden Gesetzgebung der Menschenrechtsausschuss der Abgeordnetenkammer sich damit einverstanden erklärte, Erklärungen von Kriegsdienstverweigerern entgegenzunehmen und ihnen provisorisch eine Bestätigung zu übermitteln. Bis durch ein Gesetz eine öffentliche Institution für die Organisation eines alternativen Dienstes eingerichtet ist, sind Kriegsdienstverweigerer von der Ableistung des Militärdienstes befreit.“ Und weiter: „2003 wurde ein Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung und Einrichtung eines alternativen Dienstes von der Abgeordnetenkammer an den Senat zur Beratung und Beschlussfassung gesandt. Der Senat lehnte das Gesetz ab, weil einige Artikel der Verfassung widersprächen, und die Beratungen über eine etwaige Einführung von Regelungen zur Ausübung des Grundrechtes auf Kriegsdienstverweigerung wurden definitiv vertagt.“ Dies fand unter einer konservativen Regierung statt. Es war nicht das erste Mal, dass die Umsetzung eines Gesetzes zur Kriegsdienstverweigerung fehlschlug. Bereits 1996 war ein Entwurf aufgrund eines Vetos des Präsidenten durchgefallen, einem zweiten Entwurf widerfuhr 1997 dasselbe.
Die „definitive Vertagung“ dauerte nicht länger als sieben Jahre. Im Juni 2010 wurde ein Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung verabschiedet und von Präsident Fernando Lugo unterzeichnet, gegen den heftigen Widerstand der Kriegsdienstverweigerungsorganisationen. Insbesondere folgende Regelungen im Gesetz sind problematisch:
1. Ein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung kann nach Artikel 4 nur bis zu 20 Tagen nach Erhalt der Einberufung zum Militärdienst gestellt werden. Somit ist eine Antragstellung zeitlich eingeschränkt und nicht mehr vor, während oder nach dem Militärdienst möglich.
2. Im Antrag zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer sind die Gründe darzulegen. Das stellt eine Verletzung der Verfassung Paraguays dar, die in Artikel 24 Absatz 4 festhält: „Niemand darf belästigt, ausgefragt oder gezwungen werden, eine Aussage zu seinen Glaubens- oder ideologischen Gründen zu machen.“
3. Mit dem Gesetz wird ein „Nationaler Ausschuss zur Kriegsdienstverweigerung“ geschaffen, der über die Anträge entscheidet. Diesem Ausschuss gehört nach Artikel 7 ein Vertreter des Verteidigungsministeriums an, was Zweifel über die Unabhängigkeit der Entscheidungen aufkommen lässt.
4. Nach Artikel 21 müssen Kriegsdienstverweigerer, die ihre Verweigerung noch vor Inkrafttreten des Gesetzes erklärt haben und von der Ableistung des Militärdienstes befreit wurden, einen Ersatzdienst ableisten oder eine Summe im Gegenwert von fünf Monatslöhnen zahlen. Das betrifft theoretisch 140.000 Verweigerer seit 1994, unter ihnen auch Personen, die bereits über 40 Jahre alt sind. Es stellt auch eine rückwirkende Verpflichtung dar, was eine Verletzung internationaler wie paraguayischer Rechtsnormen bedeutet. Zudem werden durch das Gesetz nur die Erklärungen anerkannt, die gegenüber der Menschenrechtskommission der Abgeordnetenkammer oder des Senats abgegeben wurden, nicht aber diejenigen, die gegenüber Menschenrechtskommissionen der Bezirke erklärt wurden. Damit wird 30.000 Kriegsdienstverweigerern die Anerkennung entzogen.
5. Nach Artikel 20 unterliegen Kriegsdienstverweigerer, die keinen Ersatzdienst ableisten, „weiter der Verpflichtung nach Artikel 129 der Verfassung“ – der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes. Es ist nicht klar, was dies bezüglich einer Bestrafung bei Nichterfüllung des Ersatzdienstes bedeutet.
6. Nach Artikel 23 kann der Ersatzdienst im Verteidigungsfall oder bei einem internationalen bewaffneten Konflikt ein Dienst im Zivilschutz oder bei der Verteidigung sein. So wird den Kriegsdienstverweigerern eine Rolle in einem im Wesentlichen militärischen Verteidigungskonzept zugewiesen.
Während das Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung in Paraguay im internationalen Vergleich nicht das schlimmste Beispiel ist, stellt es im Kontext des eigenen Landes eine schwerwiegende Verschlechterung dar. Zum ersten Mal sind Kriegsdienstverweigerer zur Ableistung eines Ersatzdienstes verpflichtet. Das Antragsverfahren bestand seit 1994 nur in der Abgabe einer simplen Erklärung zur Kriegsdienstverweigerung. Sie genügte, um von der Ableistung des Militärdienstes befreit zu werden. In diesem Sinne ist das neue Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung ein riesiger Schritt zurück.
Quellen
UltimaHora.com: Lugo promulga ley que obliga al servicio civil a los objetores, 24. Juni 2010; Ley No 4013 que reglamenta el ejercicio del derecho a la objecion de conciencia al servicio militar obligatorio y establece el servicio sustitutivo al mismo en beneficio de la poblacion civil, 17. Juni 2010; President Fernando Lugo: El Ejecutivo promulgó ley 4013 „De objeción de conciencia“, 17. Juni 2010; SERPAJ/MOC Paraguay: Comunicado ante proyecto de ley de Objeción de conciencia, 3. Dezember 2009; Consideration of report by States Parties under Article 40 of the Covenant: Second periodic Report - Paraguay, CCPR/C/PRY/2004/2, 9. Juli 2004; War Resisters‘ International: Country report and updates: Paraguay, 13. Mai 1998; Hugo Valiente: Objeción de conciencia al servicio militar. 1996; Paraguay - Verfassung, 20. Juni 1992
War Resisters‘ International: Paraguay - Law on conscientious objection as backlash. 7. Juli 2010. Übersetzung: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2011
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