Kolumbien: Antimilitaristischer Widerstand und Gewaltfreiheit
(10.02.2011) In Ergänzung zu dem im letzten Rundbrief veröffentlichten Bericht von Andreas Speck haben wir im Rundbrief »KDV im Krieg«, Februar 2011, weitere Beiträge aus Kolumbien zusammengestellt. Sie entspringen im Wesentlichen der Arbeit des Red Juvenil in Medellín, einem dort in den verschiedensten Bereichen aktiven Jugendnetzwerk.
Wie schon der Name ausdrückt, ist mit der Organisation die Idee verbunden, dass sich die Jugendlichen vernetzen und selbst organisieren. Und so gibt es zwar hauptamtliche Mitarbeiter, die aber dort jeweils nur einige Jahre arbeiten, damit jüngere - also Jugendliche - nachkommen. Niemand soll an einem Amt kleben.
Die Organisation sucht die Stadtteile von Medellín auf, um die Selbsthilfe der Jugendlichen zu fördern. Bei Veranstaltungen wird zur Gründung von Basisgruppen aufgerufen, denen sich die Jugendlichen anschließen können. Damit verbunden ist die Absicht, dass jede Hilfe von außen möglichst schnell und weitgehend durch Eigeninitiative der Jugendlichen ersetzt wird.
Dieser Ansatz bedeutet, dass sich Red Juvenil sehr intensiv mit der Situation und Rolle der Jugendlichen in der Gesellschaft beschäftigt. Das Durchschnittsalter in Kolumbien liegt bei 20 Jahren. Fast ein Drittel der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt. Die wirtschaftliche Situation der Jugendlichen ist schwierig, die Jugendarbeitslosigkeit extrem hoch. Die Jugendlichen erleben die alltägliche Gewalt und stehen zwischen Militär, Paramilitärs, Guerilla und Bandenkriminalität. „Jung zu sein“, so schreibt Red Juvenil, „scheint sich in eine Qual verwandelt zu haben, eine ständige Beklommenheit. Um die Freiheit wiederzuerlangen, die der Staat selbst uns täglich verweigert, braucht es genau die Stärke der Jugend, eine klare Einstellung, die Einforderung unserer Rechte und den permanenten und täglichen Kampf gegen den Militarismus in dieser Stadt.“ Red Juvenil will, dass die Gruppe der Jugendlichen als eigene Akteure wahrgenommen werden. Und das wiederum war Anlass für uns, einen grundsätzlicheren Beitrag dazu in dieses Heft zu nehmen.
Red Juvenil führt Bildungsangebote durch, organisiert alljährlich ein Musikfestival und andere Kulturveranstaltungen, bietet Rechtshilfe an, organisiert verschiedene Aktionen und Demonstrationen gemeinsam mit Indígenas, Umwelt- oder Menschenrechtsgruppen und sieht gewaltfreies Handeln als Maxime aller Aktivitäten.
Arbeit zur Kriegsdienstverweigerung
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit ist die Unterstützung der Kriegsdienstverweigerer. Mit einem Urteil des kolumbianischen Verfassungsgerichtes wurde Ende 2009 zum ersten Mal festgestellt, dass die Kriegsdienstverweigerung anerkannt werden soll. In den Pressemeldungen stand zu lesen, das Gericht habe festgestellt, dass es ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gebe und das Militär deshalb jeden Einzelfall prüfen müsse. In einer Art Petitionsverfahren (tutela) sollen die Verweigerer zudem die Möglichkeit haben, eine Anerkennung durch staatliche Stellen bestätigt zu bekommen. Außerdem wurde der Kongress aufgefordert, Ausführungsgesetze zu erlassen. Bis heute ist außer der Pressemitteilung des Gerichtes der Inhalt des Urteils unbekannt.
Die antimilitaristischen und Kriegsdienstverweigerungsgruppen in Kolumbien schätzen das Urteil sehr unterschiedlich ein. Während es einige überschwänglich als großen Erfolg feierten, sah Red Juvenil eher die Probleme, die mit dem Urteil verbunden sein könnten. Die Organisation schrieb am 13. November 2009: „Für Red Juvenil ist die Verweigerung von jeher mehr als eine Rechtsfigur – sie ist eine Lebenseinstellung, mit der ein Mensch sich aus freien Stücken entschließt, mit allen militaristischen Strukturen zu brechen und sich in der Folge für die Achtung des Lebens, für Freiheit, Abrüstung, Entmilitarisierung der Kultur und des Alltags und für die Abschaffung aufoktroyierter, Ungleichheit schaffender Machtstrukturen einzusetzen. Der Staat dagegen ist einer der Hauptakteure der Militarisierung, der Erhaltung von Machtstrukturen, der Aufrechterhaltung einer patriarchalen Kultur; und er ist unbestreitbar aktiver Träger der strukturellen Gewalt, welche von Anfang an der Nährboden des Krieges in Kolumbien war. Die Verweigerung, die wir propagieren, beschränkt sich nicht allein auf den Zwangscharakter des Kriegsdienstes; sie ist darüber hinaus eine Zurückweisung des Militarismus und der Kultur der Gewalt, in der man uns zwingen will zu leben; und deshalb glauben wir, dass die Verweigerung kein Gesetz nötig hat, um zu bestehen. Wir, die Verweigerer und Verweigerinnen, sind hier und schaffen unser Recht und unsere Option der Freiheit, auch wenn es kein Gesetz gibt. Wir glauben nicht, dass es Sache eines Staates ist, und schon gar nicht des kolumbianischen, den einen als Verweigerer anzuerkennen und den anderen nicht; jeder Verweigerer erschafft sich selbst, gewinnt seine Überzeugungen selbst und verweigert die Teilnahme am Krieg, nicht etwa, weil ein Staat ihm das erlaubt, sondern weil sein Gewissen es ihm sagt.“
Das Miitär hat seine Praxis nach wie vor nicht geändert. Zahlreiche Berichte zeigen, dass weiter wild rekrutiert wird und Kriegsdienstverweigerer in den Kasernen landen. Und trotzdem: In einigen wenigen Fällen konnten Verweigerer mit Verweis auf das Urteil des Verfassungsgerichtes über eine tutela die Entlassung aus dem Militärdienst und die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung erreichen.
Fazit: Die Arbeit der Verweigerer muss weiter gehen, um wirklichen Schutz zu erreichen.
Kontakt
Red Juvenil, Calle 47 # 40 - 53 A.A. 52215, Medellin,
Tel: +57 4 239 36 70, www.redjuvenil.org
Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2011
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