US-Deserteur Shepherd erhebt Klage gegen Ablehnung seines Asylantrages
Heftige Kritik an Entscheidung des Bundesamtes durch Friedens- und Flüchtlingsorganisationen
(07.04.2011) Der US-Deserteur André Shepherd hat heute seinen Rechtsanwalt damit beauftragt, Klage gegen die vor zwei Tagen zugestellte ablehnende Asylentscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu erheben. Auf einer von Connection e.V., PRO ASYL und dem Military Counseling Network in Frankfurt/M. ausgerichteten Pressekonferenz bezog er ausführlich Stellung.
Zugleich verurteilten Friedens- und Flüchtlingsorganisationen, die André Shepherd unterstützen, scharf den Bescheid des Bundesamtes und kündigten weitere Hilfe im Klageverfahren an. "Hier zeigt sich, dass die deutschen Behörden jeden Konflikt mit den USA vermeiden wollen, auf Kosten derjenigen, die sich mit ihrer ganzen Person gegen den Krieg im Irak stellen, der auch von der damaligen Bundesregierung für völkerrechtswidrig gehalten wurde", so Rudi Friedrich vom Kriegsdienstverweigerungsnetzwerk Connection e.V. heute. Rechtsanwalt Reinhard Marx: „Mit der Ablehnung und der europarechtswidrigen Auslegung der EU-Qualifikationsrichtlinie versucht das Bundesamt, den in der Richtlinie vorgesehenen Schutz für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer zunichte zu machen. Dahinter steht offenbar die Absicht der Bundesregierung, deutsche Rechtsgrundsätze vor das Europarecht zu stellen.“
"Hiermit wird ein völkerrechtswidriger Krieg nachträglich durch Deutschland legitimiert“, ergänzte Chris Capps vom Military Counseling Network, „auf Kosten derjenigen, die ihrem Gewissen verpflichtet sind und sich dem Völkerrecht entsprechend verhalten. Es ist geradezu unerträglich, dass deutsche Behörden das Völkerrecht derart mit Füßen treten, wenn es wirklich darauf ankommt.“
André Shepherd selbst zeigte sich enttäuscht, aber zugleich auch bereit, die Auseinandersetzung weiterzuführen: "Ich hatte gehofft, bereits durch das Bundesamt für Migration Anerkennung für meinen Asylantrag zu finden. Ich bin nach wie vor nicht bereit, mich an einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beteiligen und halte es für mein Recht, dies ohne Strafandrohung zu verweigern. Das US-Militär gab mir keine andere Chance, als die Armee unerlaubt zu verlassen und hier in Deutschland um Schutz zu suchen."
Der 33-jährige André Shepherd war 2004 zur US-Armee gegangen und nach seiner Ausbildung sechs Monate als Mechaniker für den Apache-Hubschrauber im Irak eingesetzt. Nachdem er zurück zu seiner Einheit nach Katterbach (Bayern) gekommen war, setzte er sich intensiv damit auseinander, wie das US-Militär im Irak gegen die Zivilbevölkerung vorgeht. "Schließlich wusste ich", so Shepherd, "wenn ich noch einmal in den Irak gehe, werde ich für den Tod und das Elend Anderer verantwortlich sein. Für mich war daher der Weg eindeutig: Ich musste raus aus dem Militär." Am 26. November 2008 beantragte André Shepherd Asyl in Deutschland. André Shepherd beruft sich mit seinem Antrag auf die Qualifikationsrichtlinie der Europäischen Union, die seit Oktober 2006 in Kraft ist. Mit ihr sollen die geschützt werden, die sich einem völkerrechtswidrigen Krieg oder völkerrechtswidrigen Handlungen entziehen und mit Verfolgung rechnen müssen.
Für den Asylantrag legte André Shepherd auch Dokumente vor, die völkerrechtswidrige Handlungen durch die Apache-Hubschrauber belegen. Gleichwohl wies er darauf hin, dass die Piloten einer Geheimhaltungspflicht unterliegen, er also nicht über die konkreten Einsätze informiert wurde. Mit der Veröffentlichung des sogenannten „Collateral Murder“-Videos am 5. April 2010 konnte jedoch ein klarer Zusammenhang zwischen der Tätigkeit von André Shepherd und den Einsätzen von Apache-Hubschraubern hergestellt werden, auch wenn nicht konkret benannt werden kann, aus welcher Einheit der dort verwendete Hubschrauber stammt.
In seiner ablehnenden Entscheidung schreibt das Bundesamt: „Ob die von ihm betreuten Hubschrauber und ihre Besatzungen aber tatsächlich an konkreten (völker-)rechtswidrigen Handlungen beteiligt waren, ist weder ausreichend dargestellt worden, noch sonstwie konkret feststellbar. Den Angaben des Antragstellers zufolge war es ihm selbst auch während seines ersten Irak-Einsatzes nicht möglich, Einzelheiten zu den Einsätzen der von ihm bzw. seiner Einheit gewarteten Hubschrauber in Erfahrung zu bringen. Entsprechend stellen sich die Erwägungen des Antragstellers zur möglichen Beteiligung ‚seiner‘ Hubschrauber an etwaigen Rechtsverstößen und Kriegsverbrechen allenfalls als Vermutungen oder hypothetische Möglichkeit dar.“
„Hiermit wird dem Antragsteller praktisch aufgebürdet, konkrete Beweise vorzulegen“, so Bernd Mesovic von PRO ASYL, „absolut inakzeptabel für ein Asylverfahren, in dem es gerade darauf nicht ankommt. Das Bundesverwaltungsgericht hat deutlich darauf verwiesen, dass die Glaubhaftmachung völlig ausreichen muss. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist die Frage, wie heute Deserteure geschützt werden, die an völkerrechtswidrigen Handlungen nicht mitwirken wollen, von eminenter Bedeutung.“
„Wir werden weitergehen“, so André Shepherd zum Abschluss. „Auch andere Soldaten sollen die Gewissheit haben, dass eine Entscheidung, sich nicht weiter an völkerrechtswidrigen Kriegen oder Verbrechen zu beteiligen, unterstützt wird. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass sie im Zweifelsfall Schutz erhalten.“
Connection e.V., Pro Asyl und Military Counseling Network: Pressemitteilung vom 7. April 2011. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2011
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