Doppelstaater und Wehrpflicht

von Rudi Friedrich

(01.09.2011) Die Wehrpflicht wurde in Deutschland zum 1. Juli 2011 ausgesetzt. Nun werden keine Wehrpflichtigen mehr zwangsweise zum Militärdienst einberufen. Auch der Zivildienst entfällt ersatzlos.

Nach Schätzungen gibt es mehrere Millionen Doppelstaater in Deutschland. In der Vergangenheit sahen sich viele junge Männer damit konfrontiert, dass sie in beiden Staaten, deren Staatsangehörigkeit sie hatten, wehrpflichtig waren. Allerdings gab es durch verschiedene bilaterale Abkommen und einen Vertrag des Europarates oft die Möglichkeit, dass die Ableistung des Militär- bzw. Zivildienstes in einem Land durch das andere anerkannt werden konnte.

Die Möglichkeit der gegenseitigen Anerkennung entfällt mit der Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland. Wir wollen uns deshalb hier mit der Frage beschäftigen, wie die Betroffenen mit der neuen Situation umgehen können.

Wir hatten dazu Anfang des Jahres eine Reihe von Botschaften angefragt, deren Staaten noch die Wehrpflicht haben: Armenien, Aserbaidschan, Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Israel, Moldawien, Österreich, Russland, Schweiz, Türkei, Weißrussland und Zypern. Angefragt haben wir zudem die Bundesregierung.

Leider erhielten wir nur von gut der Hälfte der Botschaften Antworten zu unseren Fragen.

Danach ergibt sich folgendes Bild:

Vom Grundsatz her unterliegen Wehrpflichtige den Gesetzgebungen zur Ableistung des Militärdienstes und Regelungen zur Kriegsdienstverweigerung der jeweiligen Länder, deren Staatsangehörigkeit sie besitzen. Bei Nichterfüllung der Wehrpflicht unterliegen sie also auch den gesetzlichen Strafmaßnahmen, die bei Militärdienstentziehung oder Desertion vorgesehen sind.

Eine Reihe von Ländern gewähren Ausnahmerechte für Wehrpflichtige, die sich dauerhaft im Ausland aufhalten. Dies entspricht auch dem 1997 in Straßburg im Rahmen des Europarates geschlossenen Europäischen Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit1, das 20 Länder ratifiziert und weitere neun unterzeichnet haben.

Für Länder, in denen es keine Regelung für Doppelstaater oder für dauerhaft im Ausland lebende Staatsbürger gibt, gilt, dass die Wehrpflicht nur eingefordert werden kann, wenn sich der Wehrpflichtige auch im entsprechenden Land aufhält oder (z.B. bei Verwandten) gemeldet ist. Einberufungen können nicht im Ausland zugestellt werden. Kurz: Wer als Doppelstaater dauerhaft in Deutschland lebt und in einem anderen Land wehrpflichtig ist, riskiert bei einem Besuch in diesem Land oder in einer Botschaft des Landes, unverzüglich einberufen zu werden.

Nun begrenzen einige Länder die Wehrpflicht auf ein bestimmtes Alter. Da bei einer doppelten Staatsbürgerschaft der Aufenthalt in Deutschland gesichert ist, kann es in diesen Fällen möglich sein, eine Ableistung des Militär- bzw. Ersatzdienstes zu vermeiden, wenn es im fraglichen Zeitraum zwischen Erfassung bzw. Musterung und der gesetzlichen Altersbeschränkung keinerlei Kontakt zu den Behörden des zweiten Staates gibt. Leider liegen uns dazu aber keine gesicherten Informationen vor.

Armenien

Die Wehrpflicht ist auf das Alter zwischen 18 und 27 Jahren (bei Offiziersbefähigung bis 35) begrenzt2. Danach könnte eine Einberufung vermieden werden, wenn sich der Wehrpflichtige in diesem Zeitraum nicht in Armenien meldet.

Aserbaidschan

Die Wehrpflicht ist auf das Alter zwischen 18 und 35 Jahren begrenzt2. Danach könnte eine Einberufung vermieden werden, wenn sich der Wehrpflichtige in diesem Zeitraum nicht in Aserbaidschan meldet.

Belarus

Die Wehrpflicht ist auf das Alter zwischen 18 und 27 Jahren begrenzt2. Danach könnte eine Einberufung vermieden werden, wenn sich der Wehrpflichtige in diesem Zeitraum nicht in Weißrussland meldet.

Dänemark

Das dänische Wehrpflichtgesetz sieht vor, dass nur dänische Staatsbürger mit festem Wohnsitz in Dänemark einberufen werden können3. Nach dem Vorbehalt4 gegenüber dem Straßburger Übereinkommen gilt die Freistellung nur dann, wenn sich der Wehrpflichtige zwischen 18 und 26 Jahren auf Dauer im Ausland aufhält.

Estland

Die Wehrpflicht ist auf das Alter zwischen 19 und 27 Jahren begrenzt2. Danach könnte eine Einberufung vermieden werden, wenn sich der Wehrpflichtige in diesem Zeitraum nicht in Estland meldet.

Finnland

Die Botschaft von Finnland schrieb dazu am 8. Februar 2011: „Auf Dauer im Ausland lebende Doppelstaater können vom Wehrdienst befreit werden. Dieses geschieht automatisch für Doppelstaater, die mindestens 7 Jahre ihren fest Wohnsitz im Ausland haben. Wenn der Doppelstaater weniger als 7 Jahre im Ausland lebt, hat er die Möglichkeit, auf Antrag vom finnischen Wehrdienst befreit zu werden. Der Doppelstaater, der vor der Vollendung seines 30. Lebensjahres nach Finnland zieht und sich länger als 3 Monate dort aufhält, wird zur Musterung einberufen, falls er seinen Wehrdienst in keinem anderen Land abgeleistet hat.“

Georgien

Die Wehrpflicht ist auf das Alter zwischen 18 und 27 Jahren begrenzt2. Danach könnte eine Einberufung vermieden werden, wenn sich der Wehrpflichtige in diesem Zeitraum nicht in Georgien meldet.

Griechenland

Laut Ausführungen der griechischen Botschaft in London werden griechische Wehrpflichtige seit dem 1. Juli 2011 auf Antrag zurückgestellt, wenn sie dauerhaft im Ausland leben. Wer nach Vollendung des 35. Lebensjahres nach Griechenland zurückkehrt, muss einen 45-tägigen Militärdienst ableisten, um die Wehrpflicht zu erfüllen.5

Israel

In einer Broschüre6 des israelischen Ministry of Immigrant Absorption wird ausgeführt, dass israelische Staatsbürger, die Israel verlassen, bevor sie 16 Jahre alt sind oder die im Ausland geboren wurden, für die Dauer ihres Auslandsaufenthaltes nicht der Wehrpflicht unterliegen.

Bei einer Rückkehr hängt die Wehrpflicht von Geschlecht und Alter ab. Frauen, die israelische Eltern haben, werden ab einem Alter von 20 Jahren bei einer Rückkehr nicht mehr einberufen, wenn sie zuvor nicht länger als ein Jahr in Israel gelebt haben. Nach Angaben der Botschaft in Ottawa werden männliche Staatsbürger, die älter als 30 Jahre sind und zurückkehren, nicht mehr einberufen.7

Moldawien

Die Botschaft der Republik Moldau teilte am 18. Februar 2011 mit, „dass die moldauischen Staatsangehörigen, die einen ständigen Wohnsitz im Ausland haben, gemäß Artikel 19, Absatz 5 des Gesetzes der Republik Moldau über Wehrpflicht und Wehrdienst der Staatsangehörigen der Republik Moldau Nr. 968 vom 17.03.1992 vom Wehrdienst befreit sind. Laut Vorbehalt4 gegenüber dem Straßburger Übereinkommen gilt die Freistellung nur, wenn der Wehrpflichtige bis zum Alter von 27 Jahren seinen ständigen Aufenthalt im Ausland hat.

Österreich

Österreich hat das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit ratifiziert. Damit gilt die Wehrpflicht von Doppelstaatern auch dann als erfüllt, wenn sie ihren ständigen Aufenthalt im Ausland haben. Wer vor Vollendung des 35. Lebensjahres4 seinen ständigen Aufenthalt nach Österreich verlegt, muss dort allerdings der Wehrpflicht nachkommen.

Russland

Russland hat das Straßburger Übereinkommen unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Damit hat das Übereinkommen keine Rechtskraft für russische Staatsbürger. Nach den Auskünften der russischen Botschaft und Organisationen in Russland werden allerdings nur Personen einberufen, die in Russland einen Wohnsitz haben. Zudem ist die Wehrpflicht auf das Alter zwischen 18 und 27 Jahren begrenzt2. Danach könnte eine Einberufung vermieden werden, wenn sich der Wehrpflichtige in diesem Zeitraum nicht in Russland meldet.

Schweiz

Nach Artikel 4 des Militärgesetzes sind Auslandschweizer in Friedenszeiten grundsätzlich von der Rekrutierung und der Militärdienstpflicht befreit, solange sie sich im Ausland aufhalten. Wer sich länger als sechs Jahre ununterbrochen im Ausland aufgehalten hat und von der Armee nicht benötigt wird, wird bei der Rückkehr in die Schweiz nur noch auf Gesuch in die Armee eingeteilt. „Gewisse Einschränkungen gelten allerdings“, so das Eidgenössische Departement für Verteidigung auf der Website, „für den grenznahen Raum“8.

Türkei

Im Ausland lebende türkische Staatsbürger sind grundsätzlich wehrpflichtig. Folgende Besonderheiten bieten Möglichkeiten für türkische Staatsbürger, der Ableistung des Militärdienstes ganz oder teilweise zu entgehen:

Wer bis Ende 20 die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, wird in der Regel ohne Probleme aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen.9

Dauerhaft im Ausland lebende türkische Staatsbürger können sich bis zum 38. Lebensjahr zurückstellen lassen. Dann haben sie einen Betrag von 5.112,92 € zu zahlen und einen noch einmonatigen Militärdienst abzuleisten.9

Nach Artikel 15 Abs. 6 des Reisepassgesetzes Nr. 5682 stellen türkische Botschaften und Konsulate selbst dann einen gültigen Pass aus, wenn der Pflicht zur Zahlung der Freikaufssumme und Ableistung des einmonatigen Militärdienstes nicht nachgekommen wurde.10

Zypern

In Zypern sind nicht nur alle männlichen Bürger, sondern auch diejenigen wehrpflichtig, die nach 1960 geboren wurden und zypriotischer Herkunft sind, also z.B. deren Vater oder Großvater Zyprer ist. Weiter schreibt die Botschaft der Republik Zypern am 10. Februar 2011: „Die Gesetzgebung Zyperns sieht jedoch vor, dass Bürger dieser Kategorien, wenn sie auf Dauer im Ausland leben, von der Wehrpflicht ausgenommen sind. Männer, die über zehn Jahre im Ausland gelebt haben und nach Zypern zurückkehren, können eine reduzierte Wehrpflicht ableisten.“

Die Dauer des Wehrdienstes hängt dann vom Alter ab, das sie bei der Rückkehr haben:

- älter als 26 Jahre: drei Monate Dienstpflicht;

- 18-26 Jahre: 6 Monate Dienstpflicht;

- 13-18 Jahre: 12 Monate Dienstpflicht;

- 10-13 Jahre: 18 Monate Dienstpflicht.

Fußnoten

1 http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/166.htm

2 Quaker Council for European Affairs: The Right to Conscientious Objection in Europe. April 2005

3 Dänisches Wehrpflichtgesetz § 13

4 http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ListeDeclarations.asp?NT=166&CM=11&DF=22/08/2011&CL=ENG&VL=1

5 www.greekembassy.org.uk/ConsularAffairs/MajorConsularIssues/MilitaryServiceForGreekCitizensOnly.aspx

6 Ministry of Immigrant Absorption: Military Service. 4. Auflage 2006. www.moia.gov.il/NR/rdonlyres/5F529074-C477-4C12-9A42-F85CA36ECFDF/0/idf_en.pdf

7 Immigration and Refugee Board of Canada, 17. Juli 2007, ISR102541.E

8 www.vtg.admin.ch/internet/vtg/de/home/militaerdienst/rekrut/wehrpflicht/auslandschweizer.html

9 Connection e.V.: Türkei: Kampagne gegen Kopfgeldzwang – Informationen zur Freikaufsregelung. November 2009. www.Connection-eV.org/article-1388

10 www.Connection-eV.org/article-1388

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2011

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