Waffenexporte und Flucht

von Rudi Friedrich

(01.11.2011) Nach Angaben des UNHCR gab es Ende 2010 „weltweit 43,7 Millionen Menschen, die aufgrund von Konflikten oder Verfolgung vertrieben wurden“. 27,5 Millionen gelten als Flüchtlinge im eigenen Land (Vertriebene), 15,4 Millionen als Flüchtlinge, die auch das Herkunftsland verlassen mussten. Ursachen für die große Zahl der Flüchtlinge sind Hungerkatastrophen, Entzug der Lebensgrundlagen, dramatische ökologische Veränderungen, aber auch Repressionen im Herkunftsland oder Konflikte und Kriege.

Immer wieder wurde auch auf den Zusammenhang der Fluchtbewegungen mit der Verbreitung (Proliferation) von Kleinwaffen hingewiesen. Gesellschaften werden militarisiert, Konflikte eskalieren viel eher in gewaltsamen Auseinandersetzungen, wenn der Griff zur Waffe selbstverständlich wird. Unterdrückung der Bevölkerung, Ausbeutung und militärische Gewalt basieren auf dem Besitz von Kleinwaffen. Vielen Menschen bleibt da nur die Flucht.

Nachbarstaaten, aber insbesondere die Industriestaaten, in die einige dieser Flüchtlinge zu kommen hoffen, haben hier eine eindeutige Antwort. Sie haben Grenzregime aufgebaut, die in den vergangenen Jahren militärisch aufgerüstet wurden. Der Einsatz von Nachtsichtgeräten und Hubschraubern, die Errichtung von Grenzsperren wie Zäune und Mauern und die waffentechnischen Aufrüstung von Polizisten bzw. dem Einsatz des Militärs sollen Flüchtlinge an der Einreise hindern.

Welche Rolle der Export der Kleinwaffen in diesen Zusammenhängen spielt und welche Folgen dies hat, wollen wir an einigen Beispielen aufzeigen.

Beispiel Libyen: Waffen gegen Immigranten

Pro Asyl und insbesondere der DAKS-Kleinwaffen-Newsletter vom September 2011 weisen auf den Einsatz von Waffen gegen Immigranten bei der Flüchtlingsabwehr der Europäischen Union in Libyen hin. Danach waren allein im Jahr 2009 europäische Waffen im Wert von 272 Millionen Euro nach Libyen verkauft worden, bei denen Deutschland einen Anteil von 53 Millionen hatte. Der DAKS-Newsletter rekonstruiert im folgenden die dahinter stehenden Motive der europäischen Regierungen: „Wenn man die verfügbaren, auf Libyen bezogenen Dokumente betrachtet, die im Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) und der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) verabschiedet wurden, wird sehr schnell klar, dass die Waffenverkäufe keineswegs als eine Art Türöffner-Geschäft missinterpretiert werden sollten. (...) Die Waffen wurden dem Gaddafi-Regime vor allem auch deshalb zum Kauf angetragen, weil man in Europa hoffte, durch die qualitative Aufrüstung und Schulung der libyschen Sicherheitskräfte die illegale Immigration nach Europa eindämmen zu können.“

Praktisch, so Pro Asyl in einer Broschüre im September 2010, ging es um zwei Formen der Flüchtlingsabwehr. Zum einen wurden im Mittelmeer von der italienischen Küstenwache im Rahmen der Grenzschutzagentur FRONTEX Flüchtlinge aufgebracht und nach Libyen zurückgewiesen. Zum anderen ging es um sogenannte Migrationsmanagement-Projekte an Libyens Grenze im Süden. Seit 2004 wurden Schulungen für libysche Polizisten durchgeführt und den libyschen Sicherheitskräften Ausrüstungsmaterial geliefert. Die libysche Grenze sollte gegenüber den Nachbarstaaten im Süden militärisch abgesichert werden zur „Entfernung von Wüsteneindringlingen“. Pro Asyl schreibt dazu: „Mit einem Staat im Bereich der Flüchtlings- und Migrationspolitik zu kooperieren, der die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet hat und die Rechte von Flüchtlingen und Migranten mit Füßen tritt, untergräbt die Glaubwürdigkeit Europas in Menschenrechtsfragen. (...) Die finanzielle und polizeiliche Kooperation von EU und FRONTEX mit Libyen ist ein Skandal.“

Inzwischen ist auch klar, dass G36-Schnellfeuergewehre der deutschen Firma Heckler & Koch den Weg nach Libyen fanden, wohl nicht auf direktem Wege, sondern über Lieferungen über Ägypten.

Deutschland ist eines der Hauptexportländer

Während im Vordergrund der Berichterstattung über Waffenlieferungen Großaufträge stehen z.B. für U-Boote, Fregatten, Panzer oder Flugzeuge, besteht ein großer Teil der Lieferungen tatsächlich aus Kleinwaffen und anderem technischen Gerät. Nach der Definition der Vereinten Nationen sind „Kleinwaffen Waffen, die auf individuellen Gebrauch ausgerichtet sind, während leichte Waffen von mehreren Personen im Team benutzt werden. Zu den Kleinwaffen zählen beispielsweise Revolver und Selbstladepistolen, Gewehre, Maschinenpistolen, Sturmgewehre und leichte Maschinengewehre. Unter leichten Waffen versteht man unter anderem schwere Maschinengewehre, Mörser, Handgranaten, Granatwerfer, tragbare Flug- und Panzerabwehrgeschütze und tragbare Raketenwerfer.“

In dem Bericht von Small Arms Survey aus dem Jahr 2011 wird dargelegt, dass 2008 die USA, Italien und Deutschland Hauptexporteure von Klein- und leichten Waffen, Ersatzteilen, Zubehör und Munition waren. Weitere Länder, die solche Waren 2008 zumindest in einem Umfang von mehr als 100 Millionen US-Dollar exportiert hatten, waren Brasilien, Schweiz, Israel, Österreich, Südkorea, Belgien, Russland, Spanien, die Türkei, Norwegen, Kanada und vermutlich auch China. Der Umfang betrug insgesamt 4 Milliarden US-Dollar. Für 2007 weist der Bericht aus 2009 darauf hin, dass es mindestens 875 Millionen Kleinwaffen auf der Welt gibt.

In Deutschland ist es vor allem die Firma Heckler & Koch, die mindestens 88 Länder beliefert, unter anderem mit den Schnellfeuergewehren G3 und G36. Bis heute zählt das G3, welches etwa zehn Millionen Mal produziert wurde, zu den weltweit am weitesten verbreiteten militärischen Schnellfeuergewehren. Über die direkte Lieferung hinaus hat Heckler & Koch Lizenzen zur Produktion z.B. an Pakistan, Iran, Türkei, Saudi-Arabien, Thailand, Brasilien, Myanmar, Philippinen oder Malaysia vergeben. Aufgrund der Lizenzen ist einer unkontrollierten Weiterverbreitung der Gewehre Tür und Tor geöffnet. Nachweislich, so Jürgen Grässlin, wird das G3 im südlichen Afrika bei staatlichen Sicherheitskräften in Angola, Sambia, Simbabwe, Tansania und der Demokratischen Republik Kongo eingesetzt.

Größte Zahl der Kriegsopfer

Etwa 90% aller Kriegsopfer gehen auf das Konto von Kleinwaffen, dazu kommen noch Hunderttausende, die alljährlich Opfer von Verbrechen oder staatlicher Verfolgung werden. Wolf-Christian Paes kommt zu dem Resultat, dass „keine andere Waffenart (...) so perfekt für bewaffnete Konflikte in den Ländern des Südens ist, die selten von regulären Armeen nach den Regeln des Völkerrechtes entlang von klar definierten Fronten ausgefochten werden. In aller Regel handelt es sich heute um kleine bewaffnete Haufen ohne Zugang zu Transportmitteln und ohne ausgefeilte Logistik, die zu ihrer Versorgung auf die Ausbeutung der von ihnen kontrollierten Gebiete angewiesen sind.“

Kleinwaffen haben eine Reihe von Eigenschaften, die sie besonders interessant für kleine bewaffnete Gruppen und zum Einsatz durch (zwangsweise) angeheuerte KämpferInnen machen:

- Sie sind überall verfügbar;

- Sie sind günstig zu erwerben;

- Sie sind stabil und leicht zu pflegen;

- Sie können ohne umfangreiches Training eingesetzt werden;

- Auch Kinder können mit vielen Kleinwaffen hantieren;

- Sie können einfach und selbst im unwegsamen Gelände transportiert werden.

Beispiel Demokratische Republik Kongo: Waffen für den Krieg

Der von den verschiedensten Rebellengruppen auf der einen Seite, und der Regierung auf der anderen Seite geführte Zweite Kongokrieg ist geradezu ein Musterbeispiel, welche verheerende Wirkung Kleinwaffen beim Einsatz gegenüber der Zivilbevölkerung und bei den Kämpfen selbst haben. Es ist durchaus möglich, die Bevölkerung eines ganzen Dorfes durch eine kleine Gruppe von mit Kleinwaffen ausgerüsteten Kämpfern auszulöschen. Nach Angaben von Wikipedia gab es neben etwa drei Millionen Opfern des Krieges 3,4 Millionen Flüchtlinge, vor allem aus dem Osten der Demokratischen Republik Kongo, der am stärksten von den Kämpfen betroffen war. Noch immer gibt es Kämpfe und eine große Zahl von Flüchtlingen. So berichtete das UNHCR, dass es Ende 2010 476.000 Flüchtlinge aus DR Kongo und 1.721,382 Vertriebene gegeben habe. Das waren insgesamt also mehr als zwei Millionen, obwohl 2010 bereits über 450.000 zurückgekehrt seien. „In der letzten Dekade flohen mehr als 400.000 Kongolesen aus der Demokratischen Republik Kongo in die Nachbarländer, um Gewalt und bewaffneten Konflikten zu entgehen. Erneute bewaffnete Konflikte im Nordosten des Landes vertrieb 2010 mehr als 130.000 Menschen.“

„Die Kriegsparteien im Kongo“, so Wilfried Paes 2004 zum Zweiten Kongokrieg, „bedienten sich der Dienste von Zwischenhändlern, um die Versorgung mit Waffen und Munition sicherzustellen. So wurde in Südafrika ein belgischer Waffenhändler verhaftet, der 8.000 alte M-16 Sturmgewehre aus amerikanischer Produktion an die kongolesische Regierung verkaufen wollte. Eine weitere wichtige Quelle für Nachschubgüter ist die Firma Zimbabwe Defence Industries. Während die kongolesische Regierung heute keinem Waffenembargo unterliegt und daher, ebenso wie die verbündeten Mächte Angola, Namibia und Simbabwe auf den regionalen Märkten einkaufen kann, sind die Rebellenbewegungen auf verschlungenere Wege für ihren Nachschub angewiesen. Diese verliefen im Regelfall über die jeweiligen ‚Schutzmächte‘ Uganda bzw. Ruanda. So bezog die ugandische Regierung in den neunziger Jahren Waffen unter anderem aus Nordkorea, Weißrussland, Israel und Südafrika und man darf davon ausgehen, das ein Teil dieser Waffen seinen Weg in den Kongo gefunden hat.“

Beispiel Zimbabwe: Waffen für die Unterdrückung

2008 hatte eine Waffenlieferung aus China für Armee und Sicherheitskräfte des Diktators Robert Mugabe in Zimbabwe zu großen Protesten in Südafrika geführt. Die Weiterlieferung über einen südafrikanischen Hafen konnte verhindert werden. Bekannt wurden Lieferungen über die Demokratische Republik Kongo 2008 und erneute Waffenlieferungen aus China 2011. Es ging in allen Fällen vor allem um Kleinwaffen. Darüber hinaus produziert Zimbabwe mit den Zimbabwe Defence Industries selbst Kleinwaffen, Munition und Minen.

Im Falle Zimbabwes sind diese Waffen ein wichtiges Mittel zur Unterdrückung und Niederschlagung von Protesten im Jahr 2008 gewesen. Amnesty International berichtete von der Verfolgung Oppositioneller, willkürlichen Festnahmen, Folter, Misshandlungen. „Die Menschenrechtslage verschlechterte sich im Jahr 2008 drastisch. Nach den Wahlen im März wurde das Land von Menschenrechtsverletzungen ungekannten Ausmaßes erschüttert, die von staatlicher Seite unterstützt oder geduldet wurden. Die Täter waren zumeist Angehörige der Sicherheitskräfte, Kriegsveteranen oder Anhänger der Afrikanischen Nationalunion von Simbabwe (Zimbabwe African National Union - Patriotic Front - ZANU-PF). Dabei starben mindestens 180 Personen, Tausende wurden verletzt. Zehntausende wurden aus ländlichen Gebieten vertrieben und suchten Zuflucht in den städtischen Ballungsräumen.“

Auch nach der Bildung einer Einheitsregierung hielten die Spannungen und Konflikte an. Dies drückt sich auch bei den Zahlen der Flüchtlinge aus Zimbabwe aus, die vor allem nach Südafrika gingen. Gab es noch 20.700 Asylanträge von zimbabwischen Staatsangehörigen im Jahr 2007, so stieg die Zahl der Anträge 2008 nach Angaben des UNHCR sprunghart auf 118.500 an. 2010 stieg die Zahl auf 146.600 Asylanträge an.

Kleinwaffen – Meister des Todes

Der Export von Kleinwaffen in Konflikt- und Kriegsregionen sowie an Diktaturen, um Profite zu erwirtschaften oder auch um Einflusssphären zu sichern, heizt die Konflikte an und fördert und legitimiert die Unterdrückungspolitik gegenüber der Zivilbevölkerung und Oppositionellen. Gerade bei den Kleinwaffen zeigt sich, dass die Produktion und Verbreitung kaum kontrolliert und eingeschränkt werden kann, selbst wenn die Vereinten Nationen über das Kleinwaffenaktionsprogramm verschiedene Schritte unternommen haben, um eine verbindliche Markierung und Nachverfolgung von Kleinwaffen zu erreichen. Kleinwaffen sind über Jahrzehnte einsetzbar. Sie können allzu leicht weiterverkauft und transportiert werden. Die Vergabe von Lizenzen eröffnet ein weites Feld für die Weiterverbreitung. All diese Waffen – und der dazu notwendigen Munition - werden nicht geliefert, um in einem Waffenarsenal zu lagern, sondern um eingesetzt zu werden.

Der Export von Kleinwaffen sorgt damit für Bedingungen, die Menschen zur Flucht treiben, was wiederum mit Waffengewalt verhindert werden soll: ein teuflischer Kreislauf.

Quellen

Amnesty International: Amnesty Report 2009 – Simbabwe

Jürgen Grässlin: Daten und Fakten zu Kleinwaffen, 30.10.2011

Jürgen Grässlin: Versteck dich, wenn sie schießen. Droemer Verlag 2003

Alexander Kauz: Waffenlieferungen und Asylsuchende – ein Zusammenhang? Friedensforum, Bonn, Februar 2000

Edward Mogire: A Preliminary Exploration of the Linkages between Refugees and Small Arms. BICC paper 35, Bonn 2004

Wolf-Christian Paes: Waffenimporte und Raubökonomien als konfliktverschärfende Faktoren im kongolesischen Bürgerkrieg, Friedrich-Ebert-Stiftung, Mai 2004

Pro Asyl: Fatale Allianz – Zur Kooperation der Europäischen Union mit Libyen bei der Flucht- und Migrationsverhinderung, September 2010

Regionales Informationszentrum der Vereinten Nationen (UNRIC): Kleinwaffen, Juli 2001. http://www.unric.org/html/german/kleinwaffen/publ.htm

Rüstungs-Informations-Büro (RIB e.V.) und Deutsches Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS): DAKS-Kleinwaffen-Newsletter Nr. 72, September 2011

Small Arms Survey 2007, 2009 und 2011

UNHCR: UNHCR Global Trends 2007, 2008 und 2010

Wikipedia: Heckler & Koch. http://de.wikipedia.org

Wikipedia: Zweiter Kongokrieg. http://de.wikipedia.org

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre "Waffenexporte ins südliche Afrika: Ein Geschäft mit dem Tod", November 2011

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