Erklärung zur Kriegsdienstverweigerung
Ankara, 10. Oktober 2008
(10.10.2008) Hiermit möchte ich meine Gründe darlegen, warum ich den Kriegsdienst verweigere:
Ich wurde 1973 in Ankara geboren. Der Mensch hat seit seiner Existenz auf der Erde getötet: zunächst um sich zu ernähren. Aber mit der Zeit haben sich die Gründe für das Töten erweitert: Die Menschen haben mit der Zeit auch für das Land, die Ehre, die Familie oder für Macht getötet. Es gab immer mehr Gründe, um Kriege zu führen.
Zunächst wurden Kriege mit Händen und Füßen, später mit Steinen und Stöcken geführt. Heute haben die Waffen eine erschreckende Vernichtungskraft erreicht. Aber wer heute die vergangenen Kriege unter der Lupe betrachtet, kann deutlich erkennen, dass sie niemandem etwas gebracht haben. Die Schäden der Kriege sind hingegen immer noch deutlich zu erkennen. Krieg schadet dem Land, den Menschen, den Tieren und der Natur.
Es ist sehr merkwürdig, dass der Mensch nicht in der Lage ist zu verstehen, welche Schäden ein Krieg dem Land, den Menschen und der Natur zufügt. Das zu sehen ist schmerzhaft, angesichts der Intelligenz der Menschen, die uns von Tieren unterscheidet. Trotz aller Fortschritte für die Menschlichkeit wird weiter gegeneinander Krieg geführt. Wir sind immer noch nicht kultiviert genug, um Probleme zu besprechen und darüber zu beseitigen.
Die Menschheit und die Regierenden sollten sich so bald wie möglich einigen, um der Welt endlich etwas Gutes zu tun. Wir haben die Welt seit Jahrhunderten strapaziert. Sie ist nicht mehr in der Lage, dies einfach wegzustecken. Statt die Waffenproduktion zu erhöhen und Armeen zu unterstützen, sollte sich die Menschheit um den Schutz der Natur kümmern. Falls wir Menschen sind, so wie wir es glauben, sollten wir dies so bald wie möglich tun, da es keinen anderen Planeten für uns gibt. Falls das heutige Antlitz der Welt eine hoch kultivierte Zivilisation darstellen soll, schlage ich stattdessen vor, wieder bei der Steinzeit anzufangen. Falls wir die Natur weiter zerstören, werden wir auch unser eigenes Ende vorbereiten.
Die hohe Zerstörungskraft der Waffen des II. Weltkrieges ist uns noch gut bekannt. Ich hoffe, dass wir nie erleben werden, welche Kraft die Waffen heute erreicht haben. Mächte, die solche Bomben besitzen und nutzen, müssen wissen, dass sie auf der selben Erde leben. Die Weltmächte sollten sich einigen, die Welt entwaffnen und anfangen, die Probleme am Tisch zu lösen. Die Erde braucht keine Waffen und Armeen, die Erde braucht Naturschützer.
Kein Problem wurde bislang mit Waffen gelöst. Würde es so sein, hätten wir heute keine Probleme mehr auf der Welt. Es ist bitter, dass die Menschen ihre Probleme miteinander nicht auf menschliche Art und Weise lösen. Aber schlimmer ist noch, dass wir dies schon seit Jahrtausenden nicht können. Wann werden wir es endlich begreifen, dass wir Menschen sind?
Vor was schützen uns die Armee? Bis heute gibt es keinen Feind, der vom Universum die Welt angegriffen hat.
Falls wir begreifen würden, dass wir alle nur Menschen sind, bräuchten wir keine Armee. Politische und soziale Probleme könnten durch Diskussionen gelöst werden, so dass niemand sterben müsste. Die Naturzerstörung und auch das immer knapper werdende Wasser sind immer noch nicht im Bewusstsein unserer Politiker. Nebenbei: Auch der Lebensstandard unserer Bürger ist nicht gut. Bemerkenswert ist hingegen die Unterstützung der Regierung für die Armee und die Waffenindustrie. Ich meine damit nicht nur die ökonomische Unterstützung, sondern auch die menschliche. Die türkische Armee benutzt seit der Gründung der Republik die Kraft junger Menschen.
Man wird an irgendeinem Ort der Welt geboren. Wenn ein Junge in der Türkei geboren wird, so wird erklärt, habe er eine Schuld gegenüber dem Staat zu erfüllen, indem er Militärdienst ableistet. Viele andere Länder setzen ebenfalls darauf.
Menschen werden nackt geboren, haben keine Sünden begangen, haben keine Schulden und keine Waffen. Kein Mensch oder Staat hat das Recht, einem anderen Menschen seine Zeit zu stehlen oder ihn zu zwingen, etwas gegen seinen Willen zu tun.
Leider sind in der Türkei viele junge Menschen im Militärdienst gestorben. Wer kann ihnen das Leben zurückgeben? Für was sind sie gestorben? So lange es die Armee gibt, wird es auch Menschen geben, die dorthin gehen wollen. Da wir dies tolerieren muss es auch selbstverständlich sein, dass die Entscheidung von Menschen wie mir toleriert wird, die nicht mitmachen wollen.
Beim letzten Krieg im Kaukasus hat man die große Sprengkraft spüren können. Aber falls sich die Menschen nicht einigen können, um endlich etwas für die Welt zu tun, kann es irgendwann zu spät sein: wenn nicht für uns, dann aber vielleicht für die nachfolgende Generation. Die größte Aufgabe des Menschen ist es, für seine Kinder und Kindeskinder zu sorgen. Heute haben wir noch Trinkwasser und können noch frei atmen. Aber was wird in 50 Jahren sein?
Wenn die türkische Armee ihren Anteil für den Kauf von Waffen und Sold nur etwas verringern würde und dies Geld in den Schutz der Natur und der Menschenrechte investiert, würde die Armee nicht bedeutungsloser werden. In den Augen der Welt würde sie vielmehr einen großen Schritt tun. Da die türkische Nation viele Jugendliche hat und es auch genügend gibt, die Militärdienst ableisten wollen gäbe es auch keine Probleme, genügend Soldaten zu finden. Auch dies ist ein Grund, dass die Minderheit, die diesen Dienst nicht ableisten will, toleriert werden sollte.
Ich bin ein liebevoller Mensch, der noch nie in seinem Leben eine Prügelei oder einen Kampf geführt hat. Ich bin gegen jede Art von Prügelei, Kampf, Waffen und Armee. Um ein Mensch zu sein, muss man kein Soldat werden. Als Mensch schulde ich dem Staat gegenüber keinen Militärdienst. Ich verstehe es als meine Pflicht, die Welt so weit wie möglich zu schonen und den nachfolgenden Generationen eine saubere und lebenswerte Erde zu hinterlassen. Die Erde braucht keine Soldaten, sondern bewusste Menschen.
Ich werde für niemanden sterben und für niemanden töten. Ich werde keinen militärischen Befehl annehmen oder durchführen. Ich rechne damit, dass ich wegen meiner Überzeugung geschlagen, geprügelt, gefoltert oder auf andere Art und Weise unmenschlich behandelt werde. Aber ich bin stolz darauf, dass ich für die Menschlichkeit diesen Schritt tue und ein Mensch bleibe. Ich werde kein Soldat werden, selbst wenn mich dieses mein Leben kosten sollte. Die Erde, die uns seit Jahrhunderten ernährt und schützt, verdient diesen Respekt und diese Aktion.
Mit freundlichen und friedlichen Grüßen
Ahmet Karayay
Ahmet Karayay, Erklärung zur Kriegsdienstverweigerung, 10. Oktober 2008. Der Beitrag erschien in: Connection e.V. und AG "KDV im Krieg" (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, November 2008.
Stichworte: ⇒ Ahmet Karayay ⇒ Kriegsdienstverweigerung ⇒ Türkei