On Tour in Germany
Ein Erfahrungsbericht
Für die Veranstaltungsreihe "Israel: Stimmen für Frieden und Verständigung - Kriegsdienstverweigerung und Antikriegsarbeit" hatten wir Ruti Kantor, Ruti Divon und Haggai Matar von New Profile als ReferentInnen eingeladen. Sie berichteten über die Situation in Israel/Palästina und Antikriegsaktivitäten. Im Folgenden schildert Haggai Matar seine Eindrücke. (Anm. d. Red.)
Köln
Köln war großartig: meine Gastgeber, die Stadt, das Essen, einfach alles.
Die Gesprächsrunde fand am 13.11. in einem kleinen Raum mit 12 Personen statt. Alle sprachen Englisch, so dass es keine Übersetzung geben musste. Den Film haben sie nicht gezeigt, da sie keinen DVD-Player hatten. Ich sprach etwa 30 Minuten lang frei (ich muss wohl meinen Beitrag noch kürzen, wenn es eine Übersetzung gibt). Dann gab es etwa 40 Minuten lang ganz gute Fragen. Niemand sprach über die deutsche Geschichte bezüglich Israel, sondern sie stellten mir Fragen, damit ich bestimmte Dinge näher ausführe, so z.B. zur Westbank, über die Gefangenen in den Gefängnissen, wie die Armee in Israel aufgebaut ist usw. Einer kam im Anschluss und wollte wissen, wie man den israelischen Gruppen Geld geben könnte. Ich denke, dass die TeilnehmerInnen interessiert am Thema waren.
Düsseldorf
Auch Düsseldorf hat mir sehr gefallen, ich hatte wieder nette Gastgeber, die Unterkunft war gut.
Vor der Veranstaltung gab ich ein Interview für ein lokales Radio. Später gab ich auch noch ein Interview für eine lokale linke Zeitschrift.
Der Ort der Veranstaltung am 14.11. hat mich wirklich erstaunt (Kulturzentrum zakk). Es ist großartig, dass es solche Zentren für kulturelle und politische Aktivitäten gibt. Der Raum war voll, es waren etwa 50 TeilnehmerInnen gekommen.
Sie hatten einige technische Probleme, den Film zu zeigen und die Untertitel waren angeschnitten. Aber ich denke, die Leute haben alles verstanden. Und es war auch wichtig, den Film zu zeigen, da es vieles klarer machte, was ich im Anschluss sagte.
Die Übersetzung war gut, erst recht angesichts dessen, dass es für die Übersetzerin das erste Mal war. Ich sprach etwa 40 Minuten lang, nachdem ich meinen Beitrag leicht gekürzt hatte. Die Fragen waren noch besser als in Köln und zeigten, dass die TeilnehmerInnen einiges über den Konflikt wissen. Viele waren an Peace Now interessiert und ich war glücklich, mich gegen deren Politik aussprechen zu können.
Hamburg
Zur Veranstaltung am 15.11. kamen 50 bis 60 Leute, kaum junge unter ihnen. Hier gab es die beste Übersetzung. Mein Übersetzer war schnell und präzise und übersetzte sogar simultan aus dem Deutschen - und konsekutiv, wenn ich sprach.
In meinen Redebeitrag sprach ich stärker über ökonomische Fragen in Israel, da viele der TeilnehmerInnen einen gewerkschaftlichen Hintergrund hatten. Dafür kürzte ich den Teil, was die Deutschen tun könnten, da ich annahm, dass es für sie nicht so relevant ist.
Die Fragen waren großartig, sehr in die Tiefe gehend, sehr unterschiedlich. Es gab einige persönliche Fragen, einige Angriffe von rechts (nach der Art "Israel will Frieden, aber ...) und einige von links (von Leuten, die die Handlungen von Israel schlimmer finden, als ich es gesagt hatte). Ich denke, meine Antworten darauf waren gut. Es zeigte auch, dass sie kritisch zugehört hatten und nicht einfach alles akzeptierten, was ich zu sagen hatte.
Am nächsten Morgen war ich zu einem Bildungsurlaub eingeladen, der sich mit Terrorismus befasste. Es gab wieder einige technische Probleme mit dem Film, aber das war nicht so schlimm. Ich änderte meinen Beitrag ein wenig und sprach mehr über den Terror, wenn man unter der Besatzung lebt und den Terror, den ich in der Zeit der Selbstmordattentate in Israel erlebte. Ich sprach mehr über mich, was ganz gut war. Die meisten TeilnehmerInnen verstanden mein Englisch nicht und die Übersetzung war schwierig. Die Fragen waren nicht so dolle, aber es war eine angenehme Runde.
Rostock
Vor der Veranstaltung wurde ich von einem Lokalradio interviewt. Übrigens, ich fange an, Deutsch zu verstehen, Teile des Films und der Übersetzung. Manchmal verstehe ich inzwischen sogar die Fragen aus dem Publikum und kann sie dann direkt übersetzen.
Abends, am 16.11., gab es eine schöne Veranstaltung, mit mehr StudentInnen und eher jüngeren Leuten als sonst. Es kamen ein bisschen wenig, ungefähr 25-30. Frauen waren deutlich in der Mehrheit (an anderen Orten war das Verhältnis eher ausgeglichen). Wie an anderen Orten hatte ich auch hier den Eindruck, dass die Meisten schon überzeugt waren. Dennoch sagten mir hinterher viele, dass sie Dinge, die ich sagte, vorher noch nie gehört hätten und es für sie wichtig sei, dies zu erfahren. Darüber bin ich ganz froh.
Es gab nicht so viele Fragen. Jan hatte mir vorher gesagt, dass die Menschen in Rostock eher ruhig sind und nicht so viel fragen. Das war gut zu wissen.
Bad Oldesloe / Bargteheide
In Bad Oldesloe, am 17.11., hatte ich die bis jetzt beste Veranstaltung. Ich sprach zu 40 SchülerInnen des 12. und 13. Jahrgangs. Alle waren freiwillig gekommen. Meinen vorbereiteten Beitrag änderte ich vollständig und machte ihn offener und witziger. Das klappte. Da alle Englisch verstanden, musste es auch nicht übersetzt werden. Hier erzählte ich auch länger von der Zeit, als es immer wieder Selbstmordattentate in Israel gegeben hatte, über die Angst, die ich und die Israelis damals hatten. Ich denke, dass ich das auch bei den anderen Veranstaltungen mit einbauen sollte. Es ist wichtig und hilft, die Situation besser zu verstehen. Und es gibt ein komplexeres Bild. Die Lehrer sagten mir hinterher, dass sie die SchülerInnen niemals so ruhig erlebt und sie nie so viel Fragen hinterher gestellt hätten. Einige von ihnen kamen sogar zu mir, dankten mir und sagten, wie gut es gewesen sei. Alles zusammen: Ich habe es sehr genossen.
In Bargteheide hatte ich wieder eine gute Veranstaltung. Über 60 TeilnehmerInnen waren es am Abend, davon die Hälfte wohl älter als 40 Jahre, die andere Hälfte jünger als 20 Jahre. Die Übersetzung war mehr eine Interpretation als eine Übersetzung. Der Dolmetscher hörte sich an, was ich zu sagen hatte und sprach dann darüber, ergänzte eigene Gedanken und ließ einiges weg. Aber, soweit ich das mitbekommen habe, gab er das meiste von mir wieder. Und die meisten TeilnehmerInnen verstanden mich sowieso - anderes ergänzte ich einfach. Es war eine Herausforderung zu so einem gemischten Publikum zu sprechen und es sowohl für die Älteren wie auch für die Jüngeren interessant zu machen.
Mannheim
Zur Veranstaltung am 20.11. kamen etwa 35 Menschen, die meisten von ihnen schon älter. Ich hätte ja gern mehr jüngere Leute getroffen und frage mich, warum sie in aller Regel nicht interessiert daran sind, zu kommen. Beim Zeigen des Films gab es wieder technische Probleme, da der Computer wahrscheinlich nicht schnell genug war. Ich sprach dann 45 Minuten lang - mit einer hervorragenden Übersetzung. Schließlich gab es noch eine Stunde lang Fragen. Ich war froh, von Leuten zu hören, die zur jüdischen Gemeinde hier Kontakt haben und denke, dass mein Beitrag bei dem schwierigen Dialog helfen könnte. Auf nach Trier.
Trier
Am 21.11. hatten wir einen schönen Veranstaltungsort - in einem Dritte-Welt-Laden und einem Zentrum, wo sich viele Gruppen treffen. Etwa 25 Personen kamen, unter ihnen viele junge, wahrscheinlich oft SchülerInnen oder StudentInnen.
Beim Film gab es keine technischen Probleme. Allerdings war die Übersetzung sehr schlecht. Ich musste so viel an meinem Redebeitrag kürzen, und selbst dann kam nicht alles an. Die Übersetzerin wollte nicht alles übersetzen, wenn sie der Auffassung war, dass es nicht wichtig sei.
Bei den Fragen war es etwas besser. Ich erhielt einige gute Fragen und verstand das meiste davon auf Deutsch. Und die meisten TeilnehmerInnen verstanden mein Englisch. Das war sehr gut und ging so etwa eine Stunde lang.
Alles andere ging glatt. Meine Gastgeber waren freundlich und zuvorkommend.
Kirtorf
Das war ja interessant. In dieser Gegend gibt es nur kleine Ortschaften, jede mit einer eigenen Kirchengemeinde. Aber an diesem Tag, dem 22.11., hatten sich fünf Pastoren zusammengetan, so dass die Leute zu der Kirche kommen konnten, in der die Veranstaltung mit mir stattfand.
Ich ging zum Gottesdienst, der sich mit dem Thema Freiheit beschäftigte und in dem die Mauer ebenso kritisiert wurde, wie die deutsche Flüchtlingspolitik. Dort waren etwa 60-70 Personen, 50-60 blieben zur Veranstaltung da.
Mein Gastgeber gab eine hervorragende Einführung mit grundlegenden Informationen z.B. zum Libanonkrieg, zum Konflikt usw., da die meisten TeilnehmerInnen keine FriedensaktivistInnen waren, sondern Gemeindemitglieder. Beim Film gab es wieder einige technische Probleme, aber mein Redebeitrag war gut. Mein Übersetzer war sehr gut informiert und ich hörte, wie er verschiedene Begriffe ausführlicher erklärte, wie z.B. Intifada. Ich glaube, es war gut, dass er das machte. Dann gab es noch 20 Minuten lang Fragen, danach eine Pause. Trotz der langen Zeit blieben noch 20 Personen, um weitere Fragen zu stellen.
Gütersloh
Ich sprach am 23.11. abends in der Anne-Frank-Schule in Gütersloh. Etwa 30 Leute kamen, davon etwa 10 SchülerInnen.
Schwierig war, dass die Gastgeber entschieden hatten, den Film nicht zu zeigen. Erst dachte ich, dass das nicht so schlimm sei, aber als ich zu sprechen anfing, realisierte ich, dass ich auf vieles zurückgriff, was im Film vorkam. So musste ich meinen Beitrag entsprechend ergänzen. Da ich wusste, dass eine Palästinenserin anwesend war, sprach ich noch radikaler. Als sie mich fragte, ob ich wirklich der Auffassung sei, dass unsere kleine Bewegung Israel davon abhalten könne, ganze palästinensische Familien umzubringen, antwortete ich ihr in Arabisch: "Ich habe wie Sie selbst keine Hoffnung. Der einzige Grund für meinen Aktivismus ist, eine kleine Flamme am Brennen zu halten, die eines Tages auflodern könnte." Wir litten gemeinsam, das war sehr bewegend für mich.
Auf der anderen Seite war einer da, der fragte, wie sich Israel ohne eine starke Armee verteidigen solle. Es war gut, dass es im Publikum Widerstand gegen diese Auffassung gab.
Ich machte auch noch eine andere gute Erfahrung. Am Anfang hatten nur die Älteren gesprochen. Und schließlich sagte ich: "Es ist doch schade, dass die SchülerInnen unter uns nichts sagen. Ich würde gerne Eure Fragen hören. Und es ist auch nicht wichtig, ob die Fragen dumm zu sein scheinen." Und dann fingen sie an - und fragten fast alleine den Rest des Abends.
Am nächsten Morgen kam ich erneut in die Schule, um vor normalen Klassen zu sprechen. Das erste Gespräch dauerte etwa eine Stunde, mit SchülerInnen aus dem 10. und 11. Jahrgang. Das war das einzige Mal, dass ich zu Leuten sprach, die dazu gezwungen waren, zu kommen. Das mochte ich nicht. Einige hörten zu, einige waren sehr interessiert und hatten hervorragende Fragen (später erfuhr ich, dass sie zur örtlichen Antifa gehören), andere waren gelangweilt und sprachen untereinander. Es war trotzdem ganz gut.
Schließlich traf ich noch eine kleine Gruppe von 6 SchülerInnen des 13. Jahrgangs, die sich nun seit mehr als zwei Jahren mit Israel/Palästina beschäftigen. Weil es eine kleine Gruppe und ich mir unsicher war, wie viel sie wussten, machte ich was völlig anderes. Ich stellte mich selbst etwa zwei Minuten lang vor und dann redeten wir 50 Minuten miteinander. Ich fragte sie nach ihrem Projekt und ihren Erfahrungen. Und sie fragten mich manches zu Israel. Das war eine sehr angenehme Atmosphäre und einige von ihnen überlegen, nächstes Jahr beim International Solidarity Movement mitzumachen.
Marburg
Hier gab es am 24.11. eine kleine Veranstaltung mit 12 Personen, wohl auch weil es Freitag war. Das Publikum bestand, wie ich es verstanden habe, aus der klassischen radikalen marxistischen Linken. Ich dachte, deswegen sei die Veranstaltung nicht sehr sinnvoll, aber wieder kamen die Leute hinterher zu mir und sagten, dass sie viel Neues gehört hätten. Ihre Fragen gingen sehr in die Tiefe und waren eine viel größere Herausforderung für mich als sonst. Ich hatte das Gefühl, dass ich viel von ihnen gelernt habe.
Ulm
(25.11.) Heute morgen fuhr ich schon um 7.35 h in Marburg los und traf einen Journalisten in Frankfurt. Wir sprachen anderthalb Stunden miteinander, zumeist über die israelische Gesellschaft. Wir machten dann noch ein Radiointerview, das wohl im WDR und SWR ausgestrahlt wird.
Dann fuhr ich nach Ulm. Dort waren etwa 30 Aktive der DFG-VK aus Baden-Württemberg. Zu Beginn des Seminars gab es noch einen weiteren Redner. Schließlich gab es leider nur noch wenig Zeit für mich. Mein Teil begann zu spät und wir mussten zu früh aus den Räumen raus. So kürzte ich nach dem Film meinen Beitrag auf 30 Minuten. Es gab dann noch ein paar Fragen, aber einige wichtige Dinge, die ich da normalerweise noch einbrachte, mussten leider entfallen.
Das war’s. Ich sitze jetzt im Zug nach Berlin. Für eine erneute Tour würde ich vorschlagen, dass der Referent wenn möglich einige Nächte an einem Ort bleibt und von dort zu den Veranstaltungen reist. Jeden Tag an einen anderen Ort zu fahren, war für mich ziemlich anstrengend. Und dennoch: ich hatte eine großartige Tour und denke, dass es wichtig war und wir viel Hilfe und Unterstützung darüber erhielten. In den letzten beiden Wochen bin ich zu der Auffassung gekommen, dass die einzige Lösung sein könnte, dass es innerhalb von Israel eine Intifada gibt, die unsere Regierung stürzt - wegen der ökonomischen wie auch der Kriegspolitik.
Danke für alles, für die Tour, für den gut vorbereiteten Plan, die Zugverbindungen, dass alle daran dachten, mir veganisches Essen anzubieten, für den Aufenthalt bei Euch.
Kontakt
New Profile, POB 3454
Ramat Hasharon 47100
Wir danken für die Förderung der Veranstaltungsreihe durch den Katholischen Fonds, den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), das Bildungswerk der DFG-VK Hessen, den Fonds der EKHN "Dekade zur Überwindung der Gewalt" sowie Brot für die Welt.
Berichte von Haggai Matar über die Veranstaltungsreihe "Israel: Stimmen für Frieden und Verständigung - Kriegsdienstverweigerung und Antikriegsarbeit", 13.-25. November 2006. Der Beitrag erschien in: Connection e.V. und AG "KDV im Krieg" (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Januar 2007. (...mehr). Übersetzung: Rudi Friedrich
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