Venezuela bietet US-DeserteurInnen Zuflucht

Aus dem Buch "Das Ende der Kriege"

von William T. Hathaway

Das Ende der Kriege sammelt die Geschichten einer neuen Gruppe Kriegsgegner aus Deutschland, Amerika, Irak und Afghanistan. Dieser Bericht kommt von Exit Free, einer Frauen-Friedensgemeinschaft in den USA.

Unsere Arbeit in Exit Free konzentriert sich darauf, Soldatinnen zu desertieren zu helfen. Es ist oft schwierig, ein Land zu finden, das ihnen Asyl gewährt, aber jetzt hat sich eine neue Möglichkeit eröffnet. Wir waren in der Lage, einigen spanisch-sprechenden Deserteurinnen in Venezuela eine Zuflucht zu verschaffen. Die Regierung dort hat keine Angst vor Washington. Sie zeigt großen Mut, indem sie sich gegen die massiven, vielschichtigen Attacken der USA und ihre eigene alte Elite, die ihre Macht zurück will, wehrt.

Die Geschichte einer Frau, Deeana, ist besonders interessant. Sie wurde in New Jersey geboren, aber ihre Familie stammt aus Puerto Rico. Sie kam zu uns, weil sie unseren Beistand bei sexueller Belästigung brauchte. Ihr vorgesetzter Unteroffizier war hinter ihr her. Als sie ihm eine Abfuhr erteilte, war er davon überzeugt, dass sie erobert werden wollte, also erhöhte er seinen Druck auf sie, um ihr seine männliche Stärke zu beweisen. Er rieb sich im Vorbeigehen absichtlich an ihr oder begrapschte sie an ihrem Schreibtisch. Stets passte er aber auf, dass das kein anderer mitbekam.

Eines Tages platzte Deeana der Kragen und sie sagte ihm, er wäre abstoßend und widerlich. Doch anstatt ihn damit loszuwerden, wurde er zu ihrem Feind. Ein mächtiger Feind. Er fing an, ihr die niedrigsten Arbeiten zuzuteilen und erfand unsinnige Gründe für Disziplinarstrafen. Dabei gab er ihr zu verstehen, dass er sie „gut behandeln“ würde, wenn sie nachgab. Er genoss diese ganze Sache sichtlich – ein Sadist. Außerdem wurde wohl sein erbärmliches Leben etwas weniger langweilig.

Als sie nach einiger Zeit immer noch standhaft blieb, beschuldigte er sie, eine Affäre mit einer offensichtlich lesbischen Unteroffizierin zu haben. Deeana leugnete es nicht mal, drehte sich um und ging.

Dann passierte etwas sehr Merkwürdiges. Plötzlich fing die Unteroffizierin an, sie zu umgarnen. Sie sagte, sie wisse, was der Typ vorhätte, und da sie einen Rang über ihm wäre, könnte sie Deeana vor ihm beschützen ... wenn sie nett zu ihr wäre.

Deeana wollte das alles nicht wahrhaben. Aber wenigstens betatschte die Frau sie nicht. Der psychologische Druck, der auf ihr lastete, war enorm. Es war wie im Gefängnis, wo man Sex haben muss, um beschützt zu werden.

Irgendwann ertrug sie die Nachstellungen des Mannes nicht mehr und reichte eine Beschwerde wegen sexueller Belästigung ein. Im Verhör zeigte sein Anwalt auf, dass Deeana für all ihre Beschuldigungen keinerlei Zeugen vorweisen konnte. Er listete all ihre Disziplinarstrafen auf und behauptete, dass ihre Beschwerde nur einen persönlichen Racheakt für ihre Bestrafungen darstellte.

Der Ausschuss lehnte ihre Klage ab, willigte aber ein, sie zu versetzen. Deeana sollte in den Irak geschickt werden.

Auch wenn sie dort Zeit gehabt hätte, ein Entlassungsgesuch aus moralischen Gründen einzureichen, wäre es wohl mit Sicherheit abgelehnt worden. Unsere Pastorin erkundigte sich telefonisch bei einigen ökumenischen Kollegen der katholischen Kirche in Venezuela. Deeana flog nach Mexiko in Urlaub und kam nie zurück.

Kürzlich bekamen wir von ihr einen Brief, in dem sie uns mitteilte, dass ihr Venezuela gefällt. Sie arbeitet im Empfang eines großen Hotels und ist froh, endlich frei zu sein.

Das Ende der Kriege schildert den wachsenden internationalen Widerstand gegen den Militarismus und sammelt die Geschichten von Menschen, die alternative Wege zum Frieden verfolgen. Noam Chomsky beschrieb es als „ein Buch, das weit über die unmittelbare Botschaft hinaus die Komplexität der menschlichen Existenz begreifbar macht.“ Es wurde gerade vom Jesbin Verlag veröffentlicht, und Auszüge sind auf http://www.jesbin.de/Buecher.html#panel-1. Der Herausgeber, William T. Hathaway, ist Dozent für Amerikanistik an der Universität Oldenburg.

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