Türkischer Kriegsdienstverweigerer zu 25 Monaten Haft verurteilt

Kein Ende der Strafverfolgung von Mehmet Tarhan

von Connection e.V.

(13.10.2006) (13. Oktober 2006) Der am 9. März 2006 nach elf Monaten aus der Haft entlassene türkische Kriegsdienstverweigerer Mehmet Tarhan wurde gestern vom Militärgericht in Sivas zu insgesamt 25 Monaten Haft verurteilt. Damit revidierte das Gericht seine im August 2005 getroffene Entscheidung, die vom Berufungsgericht aufgehoben worden war.

Die Anwältin Suna Coskun legte Berufung gegen das Urteil ein. Mehmet Tarhan selbst war nicht zum Prozess erschienen und entging somit einer weiteren Inhaftierung.

Nach Bekanntwerden des Urteils erklärte Rudi Friedrich von Connection e.V.: "Angesichts der Bereitschaft der Europäischen Union, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen, zeigt die erneute Verurteilung von Mehmet Tarhan, dass die Türkei nicht gewillt ist, die Menschenrechte anzuerkennen."

Mit dem Urteil verstößt die Türkei gegen wiederholte Empfehlungen internationaler Gremien, wie dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen oder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Zuletzt hatte das Europäische Parlament am 28. September 2006 seine Besorgnis über die Urteile gegen Kriegsdienstverweigerer in der Türkei ausgesprochen und darauf hingewiesen, dass "das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Europäischen Charta der Grundrechte anerkannt ist".

Das Gericht ignorierte mit der Entscheidung auch ein im Januar 2006 ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, mit dem die türkische Praxis als "unverhältnismäßig" angesehen wurde, Kriegsdienstverweigerer wiederholt einzuberufen, bis zu acht Mal wegen Befehlsverweigerung oder Desertion zu verurteilen und nicht aus dem Militärdienst zu entlassen.

Connection e.V. verurteilt aufs Schärfste die Strafverfolgung von KriegsgegnerInnen in der Türkei. "Die Türkei muss das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung unverzüglich und uneingeschränkt anerkennen", ergänzte Rudi Friedrich. "Die Kriminalisierung von Kriegsdienstverweigerern, AntimilitaristInnen und Deserteuren muss beendet werden."

Zum Hintergrund

Mehmet Tarhan hatte im Jahre 2001 seine Kriegsdienstverweigerung öffentlich erklärt. Er hatte auch deutlich gemacht, dass er nicht wegen seiner Homosexualität ausgemustert werden möchte, da er dies als einen "faulen Kompromiss" ansieht. Die Türkei erkennt das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht an.

Am 8. April 2005 war Mehmet Tarhan festgenommen und einberufen worden. Da er jede Zusammenarbeit mit dem Militär verweigert hatte, klagte ihn das Militär wegen "Ungehorsam vor versammelter Mannschaft" an. Am 9. Juni 2005, dem dritten Prozesstag, wurde Mehmet Tarhan aus der Haft entlassen, jedoch sofort den Militärbehörden überstellt und erneut einberufen. Damit begann eine zweite Runde von Einberufung, Verweigerung, Anklage wegen Befehlsverweigerung und Haft. Zudem war Mehmet Tarhan im Militärgefängnis in Sivas mehrmals misshandelt worden.
Am 10. August wurde Mehmet Tarhan vom Militärgericht in Sivas wegen zweimaliger Befehlsverweigerung zu insgesamt vier Jahren Haft verurteilt.

Das Militärberufungsgericht hob diese Entscheidung am 9. März 2006 auf und entließ Mehmet Tarhan aus der Haft. Bei einem endgültigen Urteil sei mit großer Wahrscheinlichkeit keine höhere Haftstrafe zu erwarten, als er bis dahin verbüßt hatte. Zugleich wies das Gericht darauf hin, dass Mehmet Tarhan weiter Militärdienst ableisten müsse. Es gab das Verfahren zur Urteilsfindung erneut an das Militärgericht in Sivas zurück.

Die Behandlung und Verurteilung von Mehmet Tarhan hatte eine internationale Unterstützungskampagne für Kriegsdienstverweigerer in der Türkei ausgelöst. Viele Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen setzten sich für bessere Haftbedingungen und die sofortige Freilassung von Mehmet Tarhan ein.

gez. Rudi Friedrich

Quelle: Pressemitteilung von Connection e.V., 13. Oktober 2006. Der Beitrag erschien in: Connection e.V. und AG "KDV im Krieg" (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Januar 2007.

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