Kerem Koç

Kerem Koç

“Hiermit erkläre ich meine Kriegsdienstverweigerung“

Brief an die Militärbehörden in der Türkei

von Kerem Koç

(12.11.2012) An die Offiziere der Türkischen Streitkräfte:

Nachdem ich viele Jahre über Militärdienst gelesen, dazu recherchiert, diskutiert und gebetet habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht mit einem reinen Gewissen und mit freier Entscheidung Militärdienst ableisten kann.

Der Tatsache, dass dem Militär die Aufgabe übertragen wurde, unsere Nation zu verteidigen gebührt Achtung und Respekt. In anderen Worten: Ich bin nicht grundsätzlich gegen ein stehendes Militär und auch nicht gegen einen Dienst im Falle der Verteidigung. Ich wende mich aber gegen den gegenwärtigen Bürgerkrieg/Konflikt in diesem Land, der über viele Jahre zu Tausenden von Toten geführt hat und der einen immer stärkeren Anteil an nationalen Ressourcen verschlingt. Sie sollten wichtigeren humanitären Zwecken dienen, wie dem Gesundheits- oder Ausbildungssystem und der Würdigung von türkischer Kultur, Ethos und Kunst.

Deshalb verweigere ich alle militaristischen Pflichten und fordere für mich das volle Recht auf Selbstbestimmung ein. Ich kann keine Institution unterstützen, die von militaristischer Sichtweise und Politik bestimmt ist und in der Hass dazu führt, dass Brüder ihre Brüder töten, unabhängig von Rasse, Religion oder Sprache. Aus diesem Grund will ich mich an keiner bewaffneten Macht beteiligen. Menschen wurden nach dem Bild Gottes geschaffen und sind wichtiger als irgendwelche geopolitischen Grenzen oder Ideen von ethnischen Gebieten. Ich bin der Überzeugung, dass Menschen in Frieden zusammenleben sollten.

Ergänzend zum bisher Gesagten: Der Militärdienst ist auch ein bedeutsames Hindernis, um meinen Verpflichtungen als Vater und Ehemann nachzukommen. Ich kann keine Pflichten akzeptieren, die mich an meiner Verantwortung hindern, zu lieben, zu schützen und für meine Familie zu sorgen. In solch einer Situation würde nicht nur ich selbst, sondern würden auch meine Frau und meine Kinder materiellen und spirituellen Schwierigkeiten unterliegen. Mehr noch: Ich würde nicht nur daran gehindert, am Sonntag an Andachten teilzunehmen, es wäre mir auch untersagt, Gottesdienste für Gott den Herrn im Himmel und auf Erden durchzuführen, was eine Einschränkung der Gottesdienstfreiheit darstellt, und ich würde mich darüber hinaus möglicherweise auch in einem bewaffneten Konflikt wiederfinden, in dem ich dazu aufgefordert werde, dass Blut türkischer Mitmenschen oder anderer Menschen zu vergießen. Ich kann und ich will nicht Mittäter solch einer Sünde sein.

In Systemen, die vom Militarismus beherrscht sind, kann Frieden nicht erreicht werden. Es ist nicht möglich, in einer Gesellschaft in Frieden zu leben, die kontinuierlich öffentliche Gelder für neuere und modernere Technologien zum Töten von Menschen verwendet. Die türkische Nation ist seit vielen Jahrhunderten an Kriegen und Konflikten beteiligt, der Geist des Militarismus spiegelt sich in der Gesellschaft wider und ist sogar Quelle des Stolzes für unser Volk. Dennoch bin ich durch meinen Glauben dazu verpflichtet, für den Frieden einzutreten. Ich glaube an die Worte von Gott, die uns auftragen „andere zu lieben“.

Lassen sie mich trotzdem deutlich machen: Ich entziehe mich nicht vollständig den Pflichten gegenüber dem Staat, den zivilen Pflichten. Ganz im Gegenteil: Ich bin mit meinem ganzen Herzen und meinem Willen bereit, jede Arbeit zu leisten, die mit den Worten Gottes im Einklang steht, an die ich glaube. Deshalb bitte ich darum, einen öffentlichen Dienst ableisten zu können, der mich nicht an meinen familiären Verpflichtungen hindert, der nicht meine Religion oder meine Gewissensfreiheit einschränkt. Im anderen Falle ist es mir aufgrund der Worte Gottes, die für mich die höchste Autorität darstellen, nicht möglich, gewissenhaft der Amtsgewalt nachzukommen. Wenn ich keine Möglichkeit eines anderen Dienstes habe, werde ich mich den vom Gesetz vorgesehenen Strafen stellen.

Ich bete dafür, dass Hass und Rache, die seit so vielen Jahren unter uns sind, enden werden. So könnten Lasen und Tscherkessen, Türken und Kurden, Aleviten und Sunniten, Muslime und Christen in Frieden zusammenleben und sich in einem Land respektieren und lieben, in dem alle Rassen, Religionen und Sprachen gleich behandelt werden und in dem Brüder nicht länger ihre Brüder töten.

Nach dem Vermächtnis der Heiligen Bibel lebt ein Christ in dieser Welt, gehört dieser Welt aber nicht an. Deshalb kann ich mich nicht nationalistischen Slogans unterwerfen wie „Jeder Türke ist als Soldat geboren“, oder Philosophien, mit denen dem Land und der Flagge eine höhere Bedeutung eingeräumt wird, als den Menschen, mit denen nur die als Helden angesehen werden, die bereit sind, zu sterben oder andere zu töten. Diese Weltsicht kann und will ich nicht akzeptieren.

Hiermit erkläre ich meine Kriegsdienstverweigerung, als ein Mann, der in einer Militärfamilie aufwuchs, als Sohn eines Unteroffiziers der Türkischen Streitkräfte. Und ich verweigere alle Privilegien, die mir aufgrund des Militärdienstes meines Vaters zustehen.

Ich bin kein Deserteur. Ich laufe nicht weg. Ich weigere mich nur aus obengenannten Gründen, einen bewaffneten Dienst abzuleisten.

Gesegnet seien die, die Frieden schaffen.

Pastor Kerem Koç: Declaration to the Turkish military authorities. 12. November 2012. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2013

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