Justin Colby

Justin Colby

“Die US-Armee ließ mich im Stich”

US-Deserteur nach Rückkehr aus Kanada zu 15 Monaten Haft verurteilt

von Justin Colby

(22.03.2013) Der US-Deserteur Justin Colby hatte in Kanada gelebt, um einen erneuten Einsatz im Irak zu verweigern und um sich besser um seine Familie kümmern zu können. Im Sommer 2012 ging er zurück in die USA. Dort wurde er vom Militär verhaftet und ein Militärgerichtsverfahren wegen Desertion gegen ihn eröffnet. Am 22. März wurde er zu 15 Monaten Haft, unehrenhafter Entlassung, Degradierung auf den niedrigsten Rang und Verlust aller Vergütungen verurteilt. Nur aufgrund einer Vereinbarung im Vorverfahren muss er nur neun Monate in Haft bleiben.

Einige Stunden vor seiner Verurteilung schrieb Justin Colby folgende Erklärung.

Courage to Resist bittet um Unterstützung von Justin Colby

Schreiben Sie an Justin Colby, 1450 Alder Rd., Box 339536, Joint Base Lewis-McChord, WA 98433-9536.

Schreiben Sie auch an General LaCamera mit der Bitte, Justin Colby früher aus der Haft zu entlassen: Maj. General Paul J. LaCamera, Public Affairs Office, 1626 Ellis Street, Ste. 200, Bldg.118, Fort Carson, CO 80913, USA, Fax: 1-719-526-1021

„Mein Name ist Justin Colby, ich bin Angehöriger der US-Armee. Ich schreibe heute, um über einige meiner Erfahrungen während des Dienstes in der US-Armee zu berichten. Es gab sehr viele positive Erfahrungen während meiner Zeit in der Armee und ich habe großen Respekt und große Dankbarkeit denen gegenüber, die in der Armee dienen. Aber hier will ich vor allem auf die schlechten Erfahrungen zu sprechen kommen, die meine Eignung formten, in dieser Organisation Dienst zu leisten.

Ich schrieb mich im Mai 2003 ein. Mein erster Einsatzort war Südkorea. Als ich dort war, erfuhr ich vom Krieg im Irak. Krasse Gegensätze wurden deutlich. Ein Professor sagte, dass der Irak niemals die Vereinigten Staaten angegriffen habe. Als ich darüber mit anderen Soldaten sprach, konnte mir niemand von ihnen erklären, warum wir ein Land angreifen sollten, das uns niemals angegriffen hatte. Wenn ich auf der Kommandeursebene nachfragte, warum wir den Irak angriffen, wurde meine Frage abgetan.

Nach elf Monaten in Korea erhielt ich die Nachricht, dass ich in den Irak geschickt würde. Ich begann zu recherchieren und stellte immer mehr Fragen. Als meine Einheit sich bereit machte, von Kuwait aus die Grenze in den Irak zu überschreiten, erklärte ich meinem Hauptfeldwebel, dass ich nicht an den offensiven Operationen gegen ein Land teilnehmen könne, das uns niemals angegriffen hat. Ich wollte einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen. Mein Hauptfeldwebel ließ mich daraufhin Liegestütze machen, bis ich völlig fertig war. Er erzählte mir, ich könnte ‚dies‘ die ganze Befehlskette hoch melden, wenn ich das wünsche, aber ich würde dann nur als ‚einheimischer Terrorist‘ angesehen werden. Diese Einschüchterung wirkte und ich ging wie befohlen über die Grenze.

Unser Ziel war Ar-Ramadi in der Provinz Al Anbar im Irak – im Herzen des sunnitischen Dreiecks. Ich war sofort voller Angst und Schrecken. Unsere Kaserne wurde täglich mit Mörsern angegriffen. In Kämpfen verwundete und getötete Angehörige der Streitkräfte der Koalition und Kämpfer des irakischen Widerstands wurden täglich in unserer Sanitätseinheit eingeliefert. Es war für mich sehr schwierig weinende Mütter zu sehen, während wir versuchten, das Leben von Frauen zu retten, die durch die US-Armee verwundet worden waren. Bei vielen Gelegenheiten eröffneten Soldaten das Feuer auf Fahrzeuge, in denen unbewaffnete Frauen und Kinder waren. Das geschah aus vielerlei Gründen, zumeist aber, weil die Soldaten sie aufforderten, anzuhalten und sie dies nicht taten. Dann war der tödliche Einsatz erlaubt. Gleich aus welchem Grund zu erleben, wie ein Dreijähriger sein Leben verlor, war für mich und die Mutter verheerend.

Ich erinnere mich auch an die Marines, die besonders brutal mit den toten Körpern von Irakern umgingen, die bei Einsätzen getötet worden waren. Sie warfen die Leichen in der Nähe unserer Sanitätseinheit regelmäßig aus ihren Fahrzeugen in den Dreck. Blutige und verletzte Körper zu sehen, die im Dreck liegen: Das war für mich einfach nicht normal. Ich erinnere mich, wie wir offen über irakische Opfer als ‚Übungspatienten‘ sprachen. Wir erlaubten Sanitätern Behandlungen auszuführen, die nicht Teil ihrer Ausbildung waren. Als Sanitäter hatten wir nur eine Ausbildung von 16 Wochen absolviert.

Damit Sie das nachvollziehen können: Stellen Sie sich vor, ihre Mutter hat einen Herzanfall und stirbt. Sie müssen ins Krankenhaus gehen, um sie zu identifizieren, aber wenn sie ihren Körper sehen, stellt sich heraus, dass er von jemandem seziert worden ist, der nur eine 16-wöchige Ausbildung gemacht hat – und das zu ‚Übungszwecken‘.

Ich hielt das eine Jahr im Irak nur aus, weil ich dann im August 2005 zurückkehren konnte. Im Spätherbst fand ich heraus, dass meine Freundin schwanger war. Ich heiratete sie daraufhin, worüber ich sehr glücklich war, aber es endete in einem Albtraum. Im Dezember 2005 fand ich heraus, dass meine Freundin abhängig war von Methamphetaminen und eine Affäre mit einem Kameraden hatte, der wegen häuslicher Gewalt verurteilt worden war. Ich informierte unverzüglich die Polizei in Colorado Springs und den Kinderschutzdienst. Ich beantragte auch die Scheidung und beantragte das Sorgerecht für meinen zukünftigen Sohn. Mir wurde gesagt, dass dies der einzige Weg sei, um meinen Sohn zu schützen.

Im Juni 2006 wurde die Situation dramatisch. Ich stand nur noch wenige Wochen vor meiner Scheidung mit dem Sorgerecht für meinen Sohn. Aber Ende Juni wurde mir gesagt, dass ich für Anfang Juli zum Nationalen Trainingscenter einberufen werde, um mich für einen erneuten Einsatz im Irak vorzubereiten. Damit hätte ich meinen Sohn nicht weiter schützen können. Ich war niedergeschlagen und fertig, körperlich wie auch seelisch. Ich bat meine Vorgesetzten mehrfach, von meiner Entsendung abzusehen, ohne Erfolg. Mein Leben verwandelte sich in einen Albtraum. Ich fühlte, ich musste gehen, bevor es noch schlimmer wurde. Als ich seelisch extrem aufgewühlt war, verließ ich meine Einheit und entfernte mich unerlaubt von der Truppe. Kurze Zeit später ging ich nach Kanada, um dort einen legalen Status zu erhalten aufgrund der Not meiner Familie und meiner moralischen Ablehnung der Teilnahme am Krieg. Nachdem ich gegangen war, gab der Kinderschutzdienst meinen Sohn seiner Mutter. Ich konnte ihm wegen meines Status' mit der Armee nicht mehr schützen, etwas, was mich am meisten bedrückt. Ich kann nur sagen, dass ich jeden Glauben an das Rechtssystem verloren hatte.

Als ich in Kanada war, versuchte ich, das Beste aus meinem Leben zu machen. in den kommenden Jahren gründete ich eine neue Familie. Mit meiner Ehefrau habe ich zwei Kinder. Die Umstände, weshalb ich gehen musste, schmerzen mich immer noch, aber ich fühlte mich von der Armee betrogen. Ich hatte das Gefühl, dass ich meine eigenen moralischen Bedenken zurückzustellen hatte angesichts des Treueschwurs für mein Land und für meine Kameraden, als es um meinen ersten Einsatz ging. Aber als ich später eine schwere Familienkrise durchmachte, ließ mich die Armee im Stich.

Im Sommer 2012 traf ich die Entscheidung, zurück in die USA zu gehen. Ich hatte die erste Stufe für einen legalen Status in Kanada erreicht, da ich eine Familie in Kanada habe. Ich wurde also nicht abgeschoben. Aber ich traf die Entscheidung zurückzugehen, weil ich für meine Handlungen Verantwortung übernehmen wollte und um nicht mehr von meiner weiteren Familie ausgeschlossen zu sein. Ich wollte mein Kind aufwachsen, die Großeltern, Tanten und Onkels in den USA sehen. Im Juli kehrte ich zurück und wurde nach Fort Carson überstellt. Ich setzte meinen Dienst fort und machte alles, was man mir sagte, von Juli 2012 bis März 2013. Ich beantragte eine Entlassung aus formalen Gründen ohne Militärstrafverfahren, was abgelehnt wurde. Heute werde ich mich der Desertion schuldig bekennen.”

Courage to Resist: Justin Colby sentenced to 9 months jail. March 22 and April 19, 2013. Übersetzung: rf. Quelle: www.couragetoresist.org/news/984-justin-colby.html. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2013

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