Hartes Vorgehen gegen griechische Kriegsdienstverweigerer war zu erwarten
(15.05.2013) Seit Anfang diesen Jahres wird in Griechenland hart gegen Kriegsdienstverweigerer (und vermutlich auch gegen Militärdienstentzieher) vorgegangen. Die Verhaftungen des 44-jährigen Nikolaos Karanikas im Februar, wie auch des 37-jährigen Haralampos Akrivopoulos im März und des 30-jährigen Menelaos Exioglou im April waren die ersten nach einer relativen Ruhe über viele Jahre hinweg. In den vorangegangenen Jahren wurden Totalverweigerer oder Verweigerer, die es ablehnten den mit einem Strafcharakter versehenen Ersatzdienst abzuleisten, strafrechtlich verfolgt und von einem Militärgericht gewöhnlich zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt, aber nicht inhaftiert.
Alle nun verhafteten (und später wieder freigelassenen) Kriegsdienstverweigerer sind in der Vergangenheit bereits verurteilt worden. Karanikas war bereits 1995 inhaftiert worden, bevor das Recht auf Kriegsdienstverweigerung teilweise anerkannt wurde. Ihre Verhaftungen erfolgten jetzt durch die Polizei aufgrund des Vorliegens einer „kürzlich begangenen Straftat“, ein Vorgehen, das seit Jahren nicht gegen Kriegsdienstverweigerer angewandt wurde. Hintergrund dafür ist, dass der griechische Staat die Militärdienstentziehung und Desertion als fortwährende Straftat ansieht. Das bedeutet in der Theorie: Ein griechischer Kriegsdienstverweigerer, wie auch ein Militärdienstentzieher, sieht sich der Gefahr ausgesetzt, jederzeit zwischen seinem 18. und 45. Lebensjahr verhaftet zu werden. Auf der anderen Seite zeigt die Tatsache, dass Karanikas freigesprochen wurde und die Verfahren von Akrivopoulos und Exioglou vertagt wurden – auch wenn sie erneut Einberufungsbescheide erhielten – dass sowohl Solidarität aus Griechenland wie auch auf internationaler Ebene, insbesondere von Amnesty International, der War Resisters‘ International und dem Europäischen Büro zur Kriegsdienstverweigerung eine Rolle spielen kann, um das Schlimmste zu verhindern.
Weitere Verfahren werden kommen
Abgesehen von den jederzeit möglichen Verhaftungen wird es nun mindestens zwei Verfahren gegen Kriegsdienstverweigerer im Mai geben, darunter gegen den 47-jährigen Dimitris Sotiropoulos, der wegen Befehlsverweigerung angeklagt ist, weil er der Einberufung nicht nachkam. Er ist deswegen bereits 1994 verurteilt worden!
Sotiropoulos droht keine Verhaftung, da er nicht länger wehrpflichtig ist, seit 2008 sein drittes Kind geboren wurde. Griechenland schließt Personen mit drei Kindern von der Einberufung zum Militärdienst aus. Aber das Strafverfahren ist weiter anhängig und er könnte eine Bewährungsstrafe erhalten.
Wenn wir uns ansehen, wie viele Totalverweigerer es in den letzten Jahren gab, müssen wir mit weit mehr Verfahren (und Verhaftungen) in den nächsten Monaten rechnen.
Ein Rückschritt
Auch darüberhinaus hat sich die Situation für griechische Kriegsdienstverweigerer in der letzten Zeit verschlechtert. 2012 wurden vom Verteidigungsministerium deutlich mehr Anträge von Kriegsdienstverweigerern abgelehnt.
Und auch Kriegsdienstverweigerer, die den 15 Monate langen Ersatzdienst ableisten, sehen sich größeren Problemen gegenüber, der Verzögerung des Dienstbeginns um Monate, komplizierte Verfahren, um den monatlichen Sold von 223 € zu erhalten, was für einige lebensnotwendig ist, um z.B. Miete zu bezahlen, wenn der zugewiesene Dienstort nicht der Wohnort ist. Unterdessen verbreiten die Neonazis im Parlament, wie auch einige Blogs im Internet, Lügen über den angeblich „höheren Sold von Kriegsdienstverweigerern im Vergleich zu Soldaten“.
Hartes Vorgehen war zu erwarten
Das harte Vorgehen gegen griechische Kriegsdienstverweigerer war angesichts der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Situation des Landes zu erwarten. Die aktuelle Finanzkrise und harte Sparmaßnahmen haben zu heftigen Attacken gegen das gesamte Spektrum der Menschenrechte geführt, zivile wie politische, soziale und ökonomische. Zunehmende und massive Repressionen, darunter fast gegen jede Demonstration, Folter von Verhafteten, massenhafte Verhaftungen von Immigranten, sogar Haft für Prosituierte, die HIV haben und eine Polarisierung der politischen Situation in eine radikale Linke und die stark gestärkte Neonazi-Partei sowie das allgemeine Erstarken des Nationalismus, zu sehen bei Reden der Regierung wie auch bei denen, die in Opposition zur Regierung und zu der Sparpolitik stehen, sind einige Aspekte einer hochexplosiven sozialen Situation. Das unglaublich Anwachsen des Nazismus mit 7% bei den Wahlen im letzten und derzeit 10%, womit sie die drittgrößte Partei in den Umfragen sind in Verbindung mit fast täglichen Angriffen gegen Immigranten und Flüchtlinge, gegen Linke, Anarchisten, LGBT1 usw ist eine höchstgefährliche Situation. Die gegenwärtige Regierung, eine Koalition der rechten Partei, der Sozialisten und der Demokratischen Linke zeigt unter dem Druck der Nazis keinerlei Toleranz gegenüber allen sozialen Bewegungen, insbesondere nicht gegenüber den Anarchisten.
Es wäre naiv zu erwarten, dass inmitten dieses Armageddon2 die Kriegsdienstverweigerer ungeschoren davon kämen. Mehr noch, mit der dramatischen finanziellen Situation stieg die Geldstrafe für Militärdienstentzieher auf 6.000 €, eine nützliche Quelle für die Regierung angesichts von Tausenden, die sich dem Militärdienst entziehen.
Wir brauchen eine internationale Kampagne
Seit Jahren haben es die griechischen Kriegsdienstverweigerer versäumt, eine Massenbewegung aufzubauen. Die Linke hat sie nur bezüglich ihrer Rechte unterstützt, aber nicht die Kriegsdienstverweigerung als eine politische Haltung und auch nicht die Forderung auf Abschaffung der Wehrpflicht. Viele junge Männer ziehen es vor, sich dem Dienst durch Ausmusterung zu entziehen. Nur die Anarchisten haben in den letzten Jahren zu einer ernsthaften Arbeit dazu zurückgefunden. Sie stehen für die Totalverweigerung, verachten aber diejenigen, die sich zur Ableistung des Ersatzdienstes entscheiden.
Es ist wahr: Die Kriegsdienstverweigerung ist vielleicht das einzige soziale Gebiet, in dem es einige Siege und einen gewissen Fortschritt gegeben hat. Aber das ist teilweise auf die internationale Solidarität zurückzuführen. Heute ist es zweifelhaft, angesichts der Angriffe auf ganzer Linie, die die sozialen Bewegungen erleiden, ob sich die griechischen Kriegsdienstverweigerer alleine gegen das harte Vorgehen stellen können. Was mit ihnen geschieht, das ist klar, hängt vor allem davon ab, wie sich die Situation im Land entwickeln wird. Aber auf jeden Fall brauchen wir eine zwingende und ernsthafte internationale Solidaritätskampagne, mehr als jemals zuvor, wenn wir nicht Zeugen davon werden wollen, wie sich die Situation massiv verschlechtert.
Fußnoten
1 LGBT: Eine aus dem englischen Sprachraum kommende Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Trans: Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender bzw. Transsexualität
2 Armageddon: Eigentlich eine endzeitliche Entscheidungsschlacht
George Karatzas, Kriegsdienstverweigerer: Crackdown on Greek COs was expected and may intensify. The Broken Rifle Nr. 96, Mai 2013. Quelle: www.wri-irg.org/node/21732. Übersetzung: rf, Connection e.V. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2013
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