Anmerkungen zum Mediterranen KDV-Treffen
(04.02.2014) Seit Jahren erleben und lesen wir vieles über Besatzungen, Grenzen zwischen Staaten, über Drahtzäune, verminte Felder, enteigneten und zum Verfall verdammten Wohnhäusern oder Passkontrollen. All dies wird verursacht durch Staaten, die das Gewaltmonopol innehaben. Aber all dies und noch viel mehr mit eigenen Augen zu sehen und zu erleben ist etwas Besonderes. Wir trafen uns zu einem Mediterranen Kriegsdienstverweigerungstreffen vom 31. Januar bis 3. Februar in Zypern. Ich weiß nicht, ob es so etwas woanders auf der Welt gibt. Dadurch, was ich alles in Nikosia innerhalb von vier Tagen erlebt habe, habe ich sehr viel über die obengenannten Themen erfahren. Nun würde ich sagen, dass ich mein Leben lang darüber sprechen könnte, ohne zu all diesen Fragen auch nur ein Wort gelesen zu haben.1
An dem Mediterranen Treffen2 nahmen AntimilitaristInnen und KriegsdienstverweigerInnen aus Palästina, Israel, Ägypten, aus der Türkei, aus Zypern, Griechenland, Deutschland und England teil. Das Treffen fand in einem Gebäude im besetzten Gebiet in Nikosia statt, umgeben von Mauern und Stacheldraht.
Seit vielen Jahren versuchen wir Informationen und Erfahrungen zu sammeln, was an verschiedenen Orten gegen Antimilitarismus und Kriegdienstverweigerung getan worden ist. Manchmal organisierten wir Aktivitäten und Aktionen, um unsere Solidarität mit den Kriegsdienstverweigerern und Antimilitaristen aus Israel, aus Palästina, aus Griechenland oder anderswo in der Welt angesichts der Ungerechtigkeit zu zeigen.
Noch einmal zu Zypern: Alles, was ich in meiner gesamten Schulzeit über Zypern gehört hatte, war vom Staat bestimmt. Aber nachdem ich vor Ort war, erkannte ich, wie wenig ich darüber wusste. Nun kann ich sagen, dass ich während meines viertägigen Aufenthaltes dort viele wahre Erkenntnisse durch Erzählungen von Freunden aus Zypern gewonnen habe. Ich erinnere in der jüngsten Geschichte Zyperns an die Ereignisse in den Jahren 1960-63, 1974 und 1983. Um alles, was geschah und erlebt wurde, zu hören und zu versuchen es zu verstehen, können weder vier Tage noch 14 Tage genügen. Denn dann würden andere menschliche Geschichten ans Licht kommen: Wer wohl in den verlassenen Wohnhäusern gelebt hat, welche Erfahrungen sie machen mussten. Gesperrte Straßen... Du läufst eine Straße entlang. Am Ende der Straße steht ein Schild “Verbotene Zone”. Dahinter: die UN (United Nations), und dann: Nordzyperns türkisch-zypriotische Flagge oder die griechisch-zypriotische Flagge. Immer noch sind an einigen Gebäuden die Spuren des Krieges zu sehen, Einschusslöcher in den Wänden und Sandsäcke.
Und wir, KriegsdienstverweigerInnen, KriegsgegnerInnen und AntimilitaristInnen trafen uns an so einem Ort. TeilnehmerInnen aus der Türkei waren in einem Hotel im Nordteil, die anderen in einem Hotel im Südteil untergebracht. Der Tag fing an, wir standen auf, frühstückten im Hotel und machten uns dann auf den Weg zum Tagungsraum. Der interessanteste Teil von dem, was wir in diesem Prozess erfuhren, war, dass wir (aus der Türkei kommend) der türkischen Grenzpolizei unsere Pässe zeigten, um ein Visum zu bekommen, und die anderen Teilnehmer erlebten das Gleiche an der griechisch-zypriotischen Grenze. Unter diesen Umständen erreichten wir täglich den Tagungsort. Ein Ort, also eine “Pufferzone” (unter der Aufsicht der Vereinten Nationen), der auch für gemeinsame Aktivitäten errichtet worden war, mit einem Gebäude umgeben von Mauern und Stacheldraht. Wir kamen dort zusammen, mitten in einer verlassenen Gegend, deren Bewohner gezwungen waren, ihre Wohnhäuser zurückzulassen.
Die Tagung begann mit Berichten und ziemlich guten Diskussionen. Organisiert wurde die Tagung von der War Resisters‘ International (Internationale der KriegsgegnerInnen - WRI) und Connection e.V. Die Gastgeber waren die Freunde aus der Initiative für Kriegsdienstverweigerung in Zypern. Sie waren sehr gut organisiert. Alles war so vorbereitet, wie es notwendig war. Dass die Tagung mit einem Vortrag zum Thema Gender3 anfing, war ein weiterer guter Punkt. Es wurde gemeinsam entschieden, dass bei diesem und bei weiteren Themen ein Beobachter ernannt werden sollte. Diese Entscheidung fand ich gut, auch wenn dies im praktischen Teil nicht immer nötig war. Am ersten Tag sprachen die Gruppen4 aus unterschiedlichen Ländern über ihre eigenen Erfahrungen.
Am zweiten Tag wurden die Themen zu Antimilitarismus und Kriegsdienstverweigerung mit kleineren Gruppen in Workshops bearbeitet.
Zum einen lernten sich die TeilnehmerInnen aus verschiedenen Ländern näher kennen und tauschten ihre Erfahrungen aus, zum anderen fanden Diskussionen über Strategien zum Widerstand und zum Austausch statt. Dies dauerte den ganzen Vormittag. Wir hatten die Themen fast fertig durchgesprochen. Es wurde daraufhin entschieden, dass aus dieser Tagung eine gemeinsame Erklärung hervorgehen sollte und dafür Stichpunkte gesammelt. Mit den vorgeschlagenen Empfehlungen hatte sich eine kleine Gruppe zurückgezogen, um eine gemeinsame Erklärung vorzubereiten. Auf der anderen Seite wurde weiter daran gearbeitet, was wir uns für das nächste Jahr gemeinsam vornehmen sollten.
Man könnte sagen, dass diese Erklärung der schwierigste Text in meinem Leben war. Zunächst haben drei Personen aus der Gruppe alle Punkte, die wir in der Erklärung haben wollten, zusammengefasst. Danach haben wir in der gesamten Gruppe begonnen, diese Punkte zu einem Text zu verarbeiten. Wir versuchten Wort für Wort über Diskussionen voranzukommen. Es vergingen Stunden, ohne dass wir einen gemeinsamen Satz geschafft hatten, obwohl doch dafür eine Stunde ausreichen sollte. Es stellte sich heraus, dass wir im Kontext Gewalt, Krieg, antimilitaristischer Bewegung nicht in einer gemeinsamen Sprache dachten. Unser Text machte keine Fortschritte. Die TeilnehmerInnen aus Palästina und aus Israel sorgten für eine intensive Debatte. Später gab es eine ähnliche Diskussionsgruppe aus Palästina und aus Ägypten, die sich richtiggehend stritt.
Wir konnten also bis Mitternacht keinen Text zuwege bringen. Die TeilnehmerInnen aus Palästina erklärten: “Ihr versteht uns nicht” und meinten: “Hier wird nichts herauskommen”. Das Treffen fand statt zwischen Mauern, unter Stacheldraht und Grenzen. Am Ende scheiterten wir bei einer gemeinsamen Erklärung. Alle unsere Bemühungen waren umsonst. Ich fühlte mich für einen Moment in der Mitte der Genfer Gespräche unter UN-Schirmherrschaft. Wir waren in so einer schwierigen Geographie zusammengekommen. Seit Jahren stehen wir im Kampf gegen Kriege, Gewalt und Grenzen. Wenn wir nicht in der Lage sind, einen gemeinsamen Text zu verfassen, ist der Frieden in diesem Land in der Tat sehr, sehr weit entfernt...
Fußnoten
1 Ich komme aus dem Verein für Kriegsdienstverweigerung, Istanbul. Alles, was ich hier schreibe, sind ganz allein meine eigenen Gedanken.
2 Die TeilnehmerInnen aus Palästina bezeichnen sich nicht als Kriegsgegner. Sie seien gegen die israelische Besatzung und kämpften gegen diese.
3 Gender bezeichnet die soziale, gesellschaftlich konstruierte oder psychologische Seite des Geschlechts einer Person im Unterschied zu ihrem biologischen Geschlecht (Anm. d. Red.)
4 An dem Mediterranen Treffen zur Kriegsdienstverweigerung, 31.1.-3.2.2014, nahmen folgende Gruppen teil:
Türkei: Verein für Kriegsdienstverweigerung
Zypern: Initiative für Kriegsdienstverweigerung in Zypern
Ägypten: Bewegung Nein zum Kriegsdienstzwang
Israel: New Profile und Drusisches Initiativkomitee
Palästina: Kulturzentrum Dschenin
Griechenland: Amnesty International
Deutschland: Connection e.V.
Großbritannien: War Resisters international (WRI)
Schweiz: UN Büro des American Friends Service Committee (Quäker) und Europäisches Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO)
Ercan Jan Aktaş: Akdeniz Vicdani Ret Buluşmasından Notlar. 4. Februar 2014. Übersetzung aus dem Türkischen: S.B. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2014.
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