Bericht von der Konferenz der War Resisters’ International
(20.08.2014) Kapstadt im Winter: In der Nacht war es kalt, auf dem Tafelberg lag am Ende sogar leichter Schnee, am Tag war es angenehm warm. Die erste Konferenz der War Resisters´ International auf dem afrikanischen Kontinent, organisiert zusammen mit der südafrikanischen Organisation Ceasefire Campaign, Kampagne Waffenstillstand, fand vom 4.-8. Juli 2014 im Zentrum der Stadt, in der 1905 von den Engländern erbauten City Hall statt. Dort, wo schon zu Apartheidzeiten 1985 der inzwischen verstorbene Kriegsdienstverweigerer und Mediziner Ivan Toms drei Wochen gegen den Einsatz der Apartheidarmee in Townships fastete, wo 1989 Bischof Desmond Tutu zum legendären Friedensmarsch sprach und wo Nelson Mandela seine erste Rede nach seiner Freilassung hielt.
Im großen Saal, mit überwältigender Orgel, gab es die Auftaktveranstaltung mit gut 300 Gästen, wozu auch viele aus Kapstadt gekommen waren. Reden hielten u.a. die Stellvertreterin der Bürgermeisterin und Desmond Tutu, der alte Rebell. Mit Käppi, Charme und Witz erreichte er die Herzen der Leute, ganz wie der alte Niemöller, mit seinem Appell an die Macht der Gewaltfreiheit. Überzeugend kam auch die Rede des Palästinensers Omar Barghouti rüber. Er appellierte, Produkte aus den von Israel besetzten Gebieten zu boykottieren, forderte Firmen auf, sich zurückzuziehen und die Staaten, Sanktionen zu verhängen.
Schon vor der Konferenz hatten sich in der Pan-Afrika-Arbeitsgruppe der WRI Menschen aus 30 afrikanischen Ländern getroffen, ausgetauscht und eine bessere Zusammenarbeit vereinbart. Die WRI hatte erfolgreich versucht, Aktive aus den verschiedensten Organisationen aus diesen Ländern in Südafrika zusammenzubringen und dafür Gelder einzuwerben. Das ist sicherlich ein Erfolg. Auf der Konferenz mussten wir allerdings feststellen, dass wir nicht immer wirklich auskunftsfreudige Gesprächspartner hatten. In einem Interview gab uns ein Teilnehmer zu einer Frage über den Einsatz der Bundeswehr in seinem Land zur Antwort, dass er dazu nichts sagen möchte, schließlich würde seine Organisation von der Bundesregierung finanziert. In der Arbeitsgruppe zuvor klang das noch ganz anders. Schon allein bei solchen Erlebnissen spiegelt sich die Abhängigkeit vieler Organisationen in Afrika von westlichen oder anderen Geldgebern wider.
Plena
Auf der Konferenz selbst gab es am Anfang des Tages jeweils ein Plenum aller etwa 200 TeilnehmerInnen zu Gewalt und Gewaltfreiheit in Bezug auf politische Veränderungen, die Umwelt, das Zusammenleben und die Erziehung in verschiedenen Ländern. Leider sprang der Funke nur selten über. Oft erinnerten die Plenen an Expertenbefragungen bei Talkshows im Fernsehen. Und es entspann sich nur selten eine kurze Diskussion zu den Beiträgen.
Elf Themengruppen
Daran schlossen sich Themengruppen an, die sich an allen Konferenztagen trafen und so eine längere gemeinsame Arbeit ermöglichen sollten. Wir teilten uns dies auf. Franz besuchte die Themengruppe „Gegen die Militarisierung der Jugend“. Hier fanden sich vor allem Europäer ein, die detailliert über die Werbemaßnahmen der jeweiligen Militärs berichteten. Da kann die Bundeswehr noch manches lernen – und verschiedene Ansätze des Counter-Recruitment sind eine gute Anregung für die Arbeit hier.
Rudi besuchte die Themengruppe „Militärallianzen und Militärinterventionen“. Hier berichteten Emanuel Matondo und Jan van Criekinge ausführlich über die Hintergründe, Interessen und Zusammenhänge zu Allianzen und Militärinterventionen in verschiedenen afrikanischen Ländern. Klar wurde dabei, dass es in jedem Einzelfall sinnvoll und notwendig ist, alternative Informationen heranzuziehen, um wirklich Stellung beziehen zu können. Das Plus der Themengruppe war das wirklich umfangreiche Wissen der Referenten. Offen blieb, wie dies sinnvoll anderen zugänglich gemacht werden kann.
Mehr als 50 Arbeitsgruppen
Nachmittags boten die TeilnehmerInnen der Konferenz zu den verschiedensten Themen Arbeitsgruppen an, teilweise mehr als 15 zur gleichen Zeit. Schade, dass wir jeweils nicht mehr als zwei besuchen konnten.
Franz war in der AG „Wer kontrolliert die Waffenkontrolleure?“ Dort verglich Ceasefire Campaign die südafrikanischen Ausfuhrrichtlinien mit denen der Europäischen Union. Sie sind sehr viel unklarer, was den Export sehr erleichtert. Aber sind diese Richtlinien wirklich dazu da, den Export zu be- bzw. gar zu verhindern – oder doch mehr um ihn zu legitimieren?
In einer anderen Arbeitsgruppe wurde mit einem Film der Kampf um die südkoreanische Insel Jeju gezeigt. Dort gibt es einen breiten Widerstand um die Errichtung einer großen US-Militärbasis zu verhindern. Das war ansprechend gemacht und beeindruckend.
Eine spontan ins Leben gerufene Arbeitsgruppe zu Eritrea, an der eritreische Aktive aus Großbritannien, Südafrika und Deutschland sowie Unterstützer aus Schweden und der Schweiz teilnahmen, diskutierte sehr konzentriert über die nächsten Aktionsmöglichkeiten zur Unterstützung der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Eritrea und zur Arbeit gegen die Diktatur.
Die AG zur Diskussion über die Rezeption des I. Weltkrieges in den jeweiligen Ländern war von europäischen Teilnehmern geprägt. In Frankreich und Großbritannien wird der Sieg über Deutschland noch immer als große Heldentat gefeiert. In Deutschland dagegen ist man, angespornt durch das Buch „Schlafwandler“, bemüht, zu zeigen, dass man nicht die Alleinschuld daran hat – wohl auch um eine zukünftige Kriegsbeteiligung als normal darstellen zu können. Interessant waren die Ansätze der Kriegsgegner mit dem Thema umzugehen: In Frankreich hat man mit einem Tribunal die Generäle angeklagt, in Großbritannien in einer Broschüre das gegen den Krieg gerichtete Wirken der Kriegsdienstverweigerer dargestellt.
Die von uns mit durchgeführte Arbeitsgruppe „Menschenrechtssystem für die Kriegsdienstverweigerung nutzen“ war äußerst dürftig besucht mit gerade mal fünf TeilnehmerInnen. Vorgestellt wurde der von der WRI und den Quäkern erstellte Leitfaden zur Kriegsdienstverweigerung im internationalen Menschenrechtssystem, der viele Hinweise gibt, wie die internationalen Gremien bei Repressionen und Verhaftungen von Verweigerern genutzt werden können. Dargestellt wurde auch die Arbeit für türkische Kriegsdienstverweigerer auf internationaler Ebene. Wir selbst stellten die aktuellen Entwicklungen im Fall von André Shepherd vor, dessen Fall im Juni 2014 vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt worden ist – mit noch offenem Ausgang.
In einer Arbeitsgruppe zu Lateinamerika, mit TeilnehmerInnen aus verschiedenen Ländern wurde ein (neuer?) Begriff vorgestellt: „Extraktion“. Der engen Auslegung der Ausbeutung der Bodenschätze, stellten die RednerInnen eine weite Definition entgegen, um die aktuelle Situation und die dazu notwendige Auseinandersetzung besser beschreiben zu können: „Ausbeutung von Mensch und Natur“. Das Fazit war, dass sich sowohl rechte wie linke Regierungen darin nicht unterscheiden. Das mag richtig sein, verwischt aber doch für die Bevölkerung entscheidende Unterschiede, wie Partizipation, Programme gegen Armut etc.
Nicht vergessen werden darf die wirklich gelungene Veranstaltung zum Tod des all zu früh verstorbenen WRI-Vorsitzenden Howard Clark. Jede und jeder durfte eine Anekdote beisteuern. So berichtete z.B. jemand von der WRI-Konferenz in Indien. Als Howard sah, dass eine Toilette verstopft war, hat er sie mit den Händen wieder freigeräumt. Ja, zwischendurch war es auch ganz lustig. Das war wohl ganz in seinem Sinne.
Rahmenprogramm
Neben der eigentlichen Konferenz gab es noch ein umfangreiches Rahmenprogramm. Verschiedene Ausstellungen präsentierten z.B. die Arbeit der End Conscription Campaign in Südafrika, die wir über viele Jahre mit begleitet hatten. In einer Fotoausstellung wurden zudem die damaligen Verweigerer mit aktuellen Bildern präsentiert. Und in einer weiteren Ausstellung gab es die Möglichkeit, mit Stoffen Bilder zu gestalten, um so traumatische Erlebnisse und Kriegssituationen, aber auch Hoffnungen und Perspektiven sichtbar zu machen.
An allen Abenden gab es ein fulminantes Kulturprogramm, das keine Wünsche offen ließ: Trommler, Gedichte, Jazz, Chor, Tanz, Hip-Hop ....
Ein Abend war einem Film vorbehalten, der zweifelsohne ein Höhepunkt war: Marikana in Südafrika. Wie an so vielen Stellen haben dort letztes Jahr Minenarbeiter für höhere Löhne gestreikt. Sie wollten etwa 800 € monatlich. Der engl. Konzern Lonmin holte die Polizei – und schließlich gab es 34 Tote. Die Apartheid ist vorbei, aber überwunden ist sie nicht. Der Film zeigte überzeugend den entschlossenen und gewaltfreien Kampf der Streikenden und die eskalierende Taktik der Polizei. Anschließend stand ein Gewerkschafter und der Filmemacher Rede und Antwort. Eine wesentliche Ursache für das Problem, das zeigte der Film und es wurde im Anschluss noch einmal deutlich gemacht, ist, dass der Gewerkschaftsdachverband COSATU an der südafrikanischen Regierung beteiligt ist. Was gleich nach der Apartheid vielleicht Sinn machte, ist jetzt das Problem. Die Einbeziehung der Gewerkschaft in die Regierung beraubt den Arbeitern ihre Interessensvertretung. COSATU verurteilte den Streik, gab damit der Polizei grünes Licht - und hilft so, die ungerechten Verhältnisse zu zementieren.
Ein weiterer Höhepunkt war die im Anschluss an die Konferenz angebotene Tour. Sie führte uns zunächst in das Distriktmuseum in Kapstadt. Straßen und Häuser des „Distrikts“, in dem bis in die 70er Jahre hinein eine gemischte Bevölkerung wohnte, wurden komplett zerstört, die Bevölkerung vertrieben, um ein Viertel für Weiße zu errichten. Das Museum zeigt das Leben in verschiedenen Straßen, dokumentiert die damaligen Wohnverhältnisse, zeigt aber auch die Bemühungen, ehemalige Bewohner wieder anzusiedeln. Die Referentin der Führung machte dabei ein entscheidendes Problem des heutigen Südafrika deutlich. Die Verhandlungen für das Ende der Apartheid schlossen ein, dass die damaligen Besitzverhältnisse nicht angetastet wurden. Damit ist ein großer Teil des Landes nach wie vor in der Hand von Weißen und muss jeweils angekauft werden. Im Anschluss daran fuhren wir in ein Township, etwa 30 Kilometer entfernt von Kapstadt. Zwanzig Jahre sind seit der Überwindung der Apartheid vergangen, aber noch immer sind die Verhältnisse in vielen Townships trostlos. Die Aufbauprogramme sind zwar an verschiedenen Stellen sichtbar, neue, kleine Häuser, fließendes Wasser und Elektrizität, aber es ist nach wie vor eine immense Aufgabe, die Verhältnisse zu verbessern.
Am selben Tag gab es schließlich noch eine kleine Kundgebung und eine Mahnwache gegen den Krieg in Gaza, der wenige Tage zuvor begonnen hatte. Vorbereitet war dies von der Palästinagruppe in Kapstadt, die TeilnehmerInnen der Konferenz konnten sich später daran beteiligen und damit zu einem aktuellen Konflikt praktisch Stellung beziehen.
Fazit
Die große Beteiligung aus Afrika an der Konferenz bot große Chancen, deren Themen zu hören, Diskussionen zu erleben und Menschen aus den verschiedensten afrikanischen Ländern kennenzulernen. So ging es um die Ureinwohner Südafrikas, um Menschenrechte in Zimbabwe, um Extraktion, um die Interessen der Industrieländer, aber auch von China und Russland in Afrika, um Militärinterventionen. Verblüffend war jedoch, dass oft der Krieg, der in verschiedenen Ländern herrscht, nicht wirklich Thema war, wie auch der praktische Widerstand dagegen. Und die Kriege, die uns hier beschäftigen, in Syrien, der Ukraine oder auch in Israel/Palästina, spielten in den Plenen faktisch keine Rolle.
Unabhängig von diesen Diskussionen ist solch ein Kongress aber auch immer ein Forum, um alte MitstreiterInnen zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen. Daraus entstehen schließlich praktische Ansätze für die internationale Arbeit. Auf einem Kongress, der Freude bereitete, blieben Ideen nicht aus, wie wir zukünftig besser mit den Aktiven zu Eritrea, Südkorea, Angola, Südafrika, Ruanda und anderen Ländern zusammen arbeiten können.
Franz Nadler und Rudi Friedrich: Bericht von der Konferenz der War Resisters' International, 21. August 2014. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2014
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