Mark Sanad

Mark Sanad

Ägypten: Mein Wehrpflicht-Tagebuch

von Mark Nabil Sanad

Dienstag, 13. Mai 2014

Um 7 Uhr Morgens ging ich zum Rekrutierungsbüro in Assiut zur Musterung. Alles begann ganz normal. Ich hatte meine Papiere vorbereitet und gab sie ihnen. Sie machten ein Bild von mir, um es meiner Akte beizufügen, falls ich für tauglich erklärt würde. Die Musterung begann, sie maßen meine Größe, Gewicht usw. Das alles dauerte bis 8.30 Uh. Später gingen wir zur Musterungskommission. Wie zu erwarten, war während der gesamten Musterung kein einziges medizinisches Gerät benutzt worden. Der einzige Test war ein Bluttest für Hepatitis, wofür sie eine Spritze verwendeten. Und das war es auch schon.

Ich wurde eingestuft als tauglich A, sollte einen Fragebogen beantworten und auf meine Militärdokumente (110 soldier document) warten. Mir wurde eine Kopie des Fragebogens ausgehändigt, der folgende Fragen enthielt:

1. Möchten sie nach den Ereignissen, die kürzlich in Ägypten stattfanden, als Angehöriger der bewaffneten Streitkräfte Soldat oder Offizier werden? (Ich bin einverstanden – Ich bin nicht einverstanden)

2. Die bewaffneten Streitkräfte unterstützen den Willen des ägyptischen Volkes. (Ich bin einverstanden – Ich bin nicht einverstanden)

3. Die bewaffneten Streikräfte erfüllten ihre Pflicht zum Schutz der nationalen Sicherheit Ägyptens nach dem 30. Juni. (Ich bin einverstanden – Ich bin nicht einverstanden)

4. Sind Ihrer Auffassung nach die bewaffneten Streitkräfte eine patriotisch loyale Institution? (Ich bin einverstanden – Ich bin nicht einverstanden)

5. Sind Sie davon überzeugt, dass die ägyptische Armee fähig ist ihren Auftrag zur Vernichtung des Terrorismus auf Sinai fortzusetzen? (Ich bin einverstanden – Ich bin nicht einverstanden)

Meine Antwort zu allen Fragen war klar: Ich bin nicht einverstanden.

Nachdem sie mir den Fragebogen abgenommen hatten zeigten sie sich über die Tatsache verblüfft, dass ich mit keiner der Aussagen einverstanden war. Sie fragten: „Was haben Sie gemacht?“ „Ändern Sie das und wir werden so tun, als ob wir nichts gesehen hätten.“ „Sie müssen das ändern, bevor der Offizier kommt.“ Sie forderten mich auf, alle Antworten zu ändern und mich mit den Aussagen einverstanden zu erklären, genau das, was ich vollkommen ablehnte.

Später fand ich heraus, dass es bei der Musterung zwei weitere gab, die ähnliche Antworten wie ich abgegaben und einige der Erklärungen im Fragebogen abgelehnt hatten. Auch in ihren Fällen versuchten die Soldaten sie zu überzeugen, ihre Antworten zu ändern, ähnlich wie bei mir, und es gelang ihnen. Aber als sie feststellten, dass sie mich nicht dazu überreden konnten, schickten sie mich zum Hauptmann *** im Büro für die Militärische Sicherheit im Rekrutierungsbüro in Assiut. Dieser begann ebenfalls mit dem Versuch, mich davon zu überzeugen, die Antworten zu ändern. So erzählte ich ihm also, dass ich ein Pazifist bin und nicht daran glaube, irgendeine Waffe zu tragen oder mich irgendeiner Organisation anzuschließen, die Gewalt oder bewaffnete Streitkräfte gegen Zivilisten oder zur Konfliktlösung oder zur Auflösung von Demonstrationen oder Sit-Ins benutzt. Daraufhin versuchte er, an meine religiösen Überzeugungen zu appellieren und sagte in etwa: „Ihr Christen wäret mehr als jeder andere davon betroffen gewesen, wenn die Armee das Volk nicht gegen Mursi unterstützt hätte“. Ich antwortete, was auch immer Mursi tat, war nicht mehr, als was Tantawi mit den Christen tat. „Wie meinen Sie das?“, gab er zurück. Ich erinnerte ihn an das Maspero-Massaker und die Angriffe auf die Klöster. Er gab vor, dass er davon nichts wüsste und wechselte das Thema.

Nachdem er realisierte, dass es keine Hoffnung gab, dass ich meine Meinung ändern würde, sagte er dem Schreiber, er solle einen Bericht mit dem aufsetzen, was ich gesagt habe, der dann am Donnerstag an den Militärischen Geheimdienst geschickt werde. Der Soldat nahm mich für vier Stunden in Gewahrsam, damit ich meine Meinung ändere. Als ich das nicht tat, schrieb er eine meine Erklärung auf und schickte mich mit zwei Soldaten raus. Sie schikanierten mich weiter, einer von ihnen sagte mir, ich würde gefickt werden, Du wirst Elektroschocks kriegen, Du wirst von dem „Mukhabarat“ (ägyptischen Geheimdienst) verurteilt werden. Er wusste nur wenig davon, dass es über mich ohnehin eine Akte beim Mukhabarat gibt. Der andere erzählte mir, dass Mukhabarat die Elite der Armee sei und sie mich am Donnerstag in den Arsch treten werden.

Meine Musterung endete um 9.30 Uhr. Danach war ich bis 16.30 h im Büro der Militärischen Sicherheit. Auch nachdem sie einen Bericht aufgesetzt hatten, sagten sie mir, dass das Dokument 110 für mich noch nicht ausgestellt worden sei. Ich war der einzige, der es nicht bekam. Einer sagte mir dann: „Du wirst Donnerstag kommen und wir werden uns morgen darum kümmern.“

Ich werde am Donnerstag um 8 Uhr zum Hauptquartier des Militärischen Geheimdienstes nach Rabaa‘ El Adaweya st. gehen, da sie mich dazu aufforderten, auf Grundlage des heute erstellten Berichtes. Nebenbei gesagt, das ist der gleiche Ort, wo Maikel 2011 gefoltert wurde.

Ich mache die bewaffneten Streitkräfte und den Militärischen Geheimdienst für jede Schikane oder Bedrohung verantwortlich, die in den nächsten paar Tagen gegen mich erfolgt. Ich gehe davon aus, dass sie hinter jedem Versuch stehen, mich zu schikanieren.

Donnerstag, 15. Mai 2014

Heute Morgen kam ich um 8.00 Uhr zum ägyptischen Geheimdienstzentrum in Nasr City. Zunächst gab es zwölf Personen, die vor dem Eingang zum Gebäude warteten, alle wegen Sicherheitsfragen. Die meisten hatten andere Staatsangehörigkeiten oder hatten Verwandte, die der Muslimbruderschaft angehören oder anderen islamischen Gruppen.

Wir alle warteten auf den Vertreter des Einberufungsbüros in Assiut, der die Aufgabe hatte, uns in das Gebäude zu bringen und uns Papiere auszuhändigen und den Beamten zuzuweisen.

Obwohl wir einen Termin um 8.00 Uhr hatten, kam der Vertreter erst fünf Stunden später. Die ganze Zeit warteten wir vor dem Gebäude, bei sehr heißem Wetter, ohne zu wissen, ob er überhaupt kommt.

Wir versuchten, den Vertreter des Rekrutierungsbüros über das Telefon zu erreichen. Jedes Mal sagte er, dass er in fünf Minuten kommen werde. So gingen die fünf Stunden dahin.

Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was wir in dieser Zeit litten. Einige von uns waren schon um 4 Uhr morgens nach Assiut gekommen, um ja zur rechten Zeit da zu sein. Sie warteten also neun Stunden.

Dann kam er und wir konnten um 13 Uhr in das Gebäude gehen. Sie durchsuchten unsere Taschen und Kleidung, nahmen uns unsere Telefon, Uhren, Ringe und alle anderen Metallgegenstände ab. Wir kamen in den Eingangsraum, der 3 x 4 Meter groß ist und in dem 15 Stühle stehen. Der Raum war für uns alle sehr klein, insbesondere, wo wir schon fünf Stunden in der glühenden Sonne gewartet hatten. Wir waren alle erschöpft. Ich selbst hatte das Gefühl, dass ich zu niedrigen Blutdruck hatte, weil der Raum keine Lüftung hatte.

Es war etwa 13.30 h. Wir wussten es nicht genau, weil sie ja unsere Uhren konfisziert hatten. Wir fühlten uns wie im Gefängnis.

Dann warteten wir für annähernd zwei Stunden bis ein Wehrpflichtiger in den Raum kam und vier von uns zum Verhör aufrief. Das Verhör dauerte bei jedem nicht länger als fünf Minuten. Dann ging der Zuständige und bis 18.30 Uhr rief uns niemand weiter auf.

Die ganze Atmosphäre war sehr irritierend. Die Soldaten ließen alle, die auf ein Verhör warteten, aufstehen, und riefen sie dann zum Verhör. Ich war einer der letzten, die aufgerufen wurde, weil der Leiter der Abteilung gekommen war.

Ich ging in das Büro des zuständigen Offiziers. Er war etwa 30 Jahre alt und in Zivilkleidung. Ich vermutete, dass es beim Verhör um den Fragebogen in Assiut gehen werde und meine Meinung zum Militärdienst und zum ganzen militärischen Establishment. Aber ich war überrascht, als er den Fragebogen ignorierte und mich zu meinem Bruder Maikel Nabil Sanad zu fragen begann:

Frage: Warum war Maikel inhaftiert?

Antwort: Aufgrund eines Artikels, den er schrieb.

Frage: Welchen Titel hatte der?

Antwort: Die Armee und das Volk haben nie an einem Strang gezogen.

Frage: Wann wurde er inhaftiert?

Antwort: Am 28. März 2011.

Frage: 2011 ist nicht lange her. Für wie lange kam er ins Gefängnis?

Antwort: Er wurde erst zu drei Jahren, nach der Berufung dann zu zwei Jahren verurteilt. Dann wurde er durch Tantawi freigelassen.

Frage: Hat Ihr Bruder Militärdienst geleistet oder ist er geflohen?

Antwort: Er wurde Ende 2011 entlassen.

Frage: An welcher Fakultät hat er seinen Abschluss gemacht?

Antwort: Fakultät für Veterinärmedizin.

Frage: Was sind ihre religiösen Überzeugungen?

Antwort: Ich denke, dass dies eine persönliche Sache ist (wahrscheinlich fragte er mich danach, weil ich im Fragebogen keine Antwort dazu gegeben hatte).

Frage: Waren Sie schon einmal beim Militärischen Geheimdienst?

Antwort: Nein

Frage: Waren Sie schon einmal bei der Nationalen Sicherheit?

Antwort: Nein

Frage: Allgemeiner Geheimdienst in Koubry El-Qobba?

Antwort: Nein

Frage: Staatssicherheit?

Antwort: Nein

Frage: Arbeitet Ihr Vater?

Antwort: Ja

Frage: Arbeitet Ihre Mutter?

Antwort: Ja

Frage: Werden Sie von Ihren Eltern unterstützt?

Antwort: Ich verweigere die Antwort, weil es eine persönliche Sache ist.

Frage: Möchten Sie irgendetwas ergänzen?

Antwort: Ich gehe davon aus, dass Sie bereits genug haben.

Das Verhör endete um 19.30 Uhr und ich konnte gehen.

Am Sonntag, den 18. Mai, ist ein Termin im Rekrutierungsbüro in Assiut angesetzt worden, bei dem ich erfahre, wie sich meine Situation nach dem Verhör bei dem Militärischen Geheimdienst darstellt.

Nachtrag

Hier endet das Tagebuch von Mark. Bei seinem folgenden Termin wurde er kurzzeitig zurückgestellt, mit dem Hinweis der Armee, dass die Armee erst über eine Einberufung oder Entlassung entscheiden müsse. Dies geschah wiederholt bis zum heutigen Tage, so dass er alle paar Wochen vergeblich beim Rekrutierungsbüro vorsprach.

Infolgedessen erhielt er auch nicht die Militärpapiere, die als „110 Wehrpflicht“ bezeichnet werden und gewöhnlich die Wehrpflicht bestätigen. Er erhielt auch keine Bescheinigung über die Wehrpflicht, mit der er von einer Ableistung des Militärdienstes ausgenommen würde - wie vor einigen Jahren sein Bruder Maikel Sanad. Ohne dieses Dokument kann er nicht arbeiten, nicht studieren und nicht reisen. In dieser Situation lebt er nun seit einem Jahr. Das ägyptische Militär ist auch nicht dazu verpflichtet, solch ein Dokument innerhalb einer bestimmten Frist auszustellen, so dass es sein kann, dass sich Mark über Jahre in dieser illegalisierten Situation befindet. Sein Bruder Maikel Sanad geht davon aus, dass „sie das als eine Art Bestrafung für seine Aktivitäten machen“.

Mark Nabil: My conscription diaries. 13. und 15. Mai 2014. Übersetzung: rf. Quelle: http://marknabilsanad.blogspot.de. Nachtrag vom 1. September 2014. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2014

Stichworte:    ⇒ Ägypten   ⇒ Kriegsdienstverweigerung   ⇒ Mark Sanad