Der Fall Yasar

Vom deutschen und vom türkischen Staat in die Zange genommen

von Gürsel Yildirim

Yasar (41) lebt seit 30 Jahren in Deutschland und hat sich so gründlich im türkisch-deutschen Paragraphendschungel verheddert, dass er weder ausreichenden Unterhalt für seine Kinder verdienen, noch die Kopfgeldforderung der türkischen Armee bezahlen kann. Er kann sich nicht scheiden lassen und die Türkei nicht besuchen. Wenn er als Taxifahrer unterwegs ist, muss er jede Verkehrskontrolle fürchten, Behördengänge werden für ihn zum unlösbaren Problem. Denn Yasar Ö. hat zwar einen unbefristeten Aufenthaltsstatus, aber keinen gültigen Pass.

Yasar kam 1977 im Alter von elf Jahren als Familiennachzügler nach Deutschland und lebt seitdem hier. Nach seinem Abitur studierte er einige Semester, bis er aus gesundheitlichen Gründen das Studium abbrechen musste. Danach hatte er verschiedene Jobs und machte sich schließlich in der Gastronomie selbstständig.

Als sein Betrieb in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, sammelten sich Verbindlichkeiten an, wie das in dieser Branche häufig der Fall ist. Schließlich bestand ein Gläubiger auf Abgabe eines Offenbarungseides. Der Verlust seiner Kreditwürdigkeit warf ihn ökonomisch vollends aus der Bahn.

Hinzu kam ein Scheidungsprozess, in dem er sich noch immer befindet. Aus der Ehe von 1990 gingen zwei Kinder hervor, denen gegenüber er unterhaltspflichtig ist. Trotz eines Ganztagsjobs kann er seine Unterhaltspflicht nicht in voller Höhe erfüllen. Das Jugendamt schießt den Differenzbetrag zwar monatlich zu, wodurch Yasar aber nun auch immer höhere Schulden beim Jugendamt hat.

Diese Schulden sind der Grund, dass Yasar keine Einbürgerung beantragen konnte, denn Voraussetzung zur Erlangung der Staatsbürgerschaft ist, dass man keine Verbindlichkeiten hat; schon gar nicht dem deutschen Staat gegenüber.

Der türkische Staat verweigert ihm andererseits eine Verlängerung seines Passes, solange er nicht das Kopfgeld bezahlt hat - offiziell nennt man diese Problematik "Bedelli Askerlik", Ersatzleistung für Wehrpflicht. Eine Ableistung des Wehrdienstes kommt für Yasar allein schon deshalb nicht in Frage, weil dann das Jugendamt den vollen Unterhalt für seine Kinder bezahlen müsste und damit die Schulden noch rasanter anstiegen.

Yasar beschreibt seine Lebensverhältnisse wie folgt: "Ich stamme ursprünglich aus der Türkei. Bei uns gilt die Militärpflicht. Für im Ausland lebende türkische Männer gilt: Der Wehrdienst muss bis zum 38. Lebensjahr abgeleistet werden, verkürzt auf einige Wochen nach einer Zahlung eines "Kopfgeldes" in Höhe von bis zu 10.000 Euro. Ich lebte jahrelang mit der Hoffnung, dieses "Kopfgeld" würde abgeschafft werden. Diese Hoffnung wurde einerseits durch die Aufnahmebestrebungen der Türkei in die EU und andererseits durch eine vorhergehende Reduzierung des zu zahlenden Betrags genährt. Nichts von alldem traf ein.

Vor zwei Jahren wurde mein Pass vom türkischen Konsulat in Hamburg um drei Monate verlängert, mit dem Hinweis, ich solle die Medien hinsichtlich einer Bekanntmachung bzw. Gesetzesänderung verfolgen. Seitdem lebe ich in einer Grauzone. Der unbefristete Aufenthaltsstatus nützt mir wenig, da der legale Aufenthalt die Gültigkeit des Passes erfordert. So lebe ich quasi illegal in Deutschland.

Eine direkte Abschiebung droht mir glaube ich nicht, zumindest wenn man der Auskunft eines Mitarbeiters des Bezirksamtes Glauben schenken darf. Mir droht lediglich ein Bußgeld in Höhe bis zu 5000 Euro für dieses "Vergehen", falls man zufällig erwischt wird.

Ich würde gern die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen, um aus diesem Dilemma herauszukommen. Jedoch gibt es etliche Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Einerseits lässt mich die türkische Seite nicht aus der Staatsbürgerschaft austreten, da der "Dienst am Vaterland" nicht erfüllt ist. Andererseits ist der Austritt aus der jeweiligen Staatsbürgerschaft jedoch Bedingung für die deutsche Seite zur Erlangung der hiesigen Bürgerrechte. Darüber hinaus muss man "solvent" sein, heißt, keine Verbindlichkeiten insbesondere dem deutschen Staat gegenüber haben.

So beißt sich die Katze in den Schwanz - oder sollte man an die Schlange denken, die sich selbst auffrisst? Die Spirale dreht sich immer weiter.

Dies bedeutet im Alltag, dass ich erforderliche Behördengänge einfach nicht mache und hoffe, in keine Verkehrskontrollen zu geraten. Wenn dies doch geschieht, zeige ich den Führerschein und hoffe, dass alles glatt geht, da ich logischerweise den Pass nicht bei mir habe. Meine Scheidung kann ich nicht durchführen, weil ich befürchte, dass vorm Familiengericht beim Vorlegen des Passes zur Identifikation alles auffliegt. Ich bin froh, dass das türkische Konsulat mit der Ausländerbehörde keinen Informationsaustausch in dieser Hinsicht unterhält. An einen Urlaub außerhalb der Bundesrepublik ist nicht zu denken. So zieht sich dies wie ein roter Faden durch meinen Alltag.

Die Liste ließe sich verlängern. Albträume beschert mir der Gedanke, dass ich mich von meiner Mutter oder meinem siebzigjährigen Vater nicht verabschieden kann, wenn ihnen in der Türkei etwas passiert. Dies würde mich mein Leben lang verfolgen."

Immerhin hat Yasar Ö. inzwischen von der zuständigen Ausländerbehörde ein auf sechs Monate begrenztes Ausweisersatzdokument bekommen.

Der Beitrag erschien in: Connection e.V. und AG "KDV im Krieg" (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, November 2007.

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