"Ich erklärte 2010 meine Kriegsdienstverweigerung"
Mein Name ist Myungjin Moon. Ich erklärte 2010 meine Kriegsdienstverweigerung in Südkorea. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Tag und wie kalt es war. Ich hoffte, dass einige Journalisten kommen würden, um die Gründe für meine Verweigerung weiter zu verbreiten, aber keiner war da. Stattdessen kamen viele meiner Freunde, um mich zu unterstützen. Es war der Tag, an dem ich einberufen wurde.
Um zu erläutern, wann ich das erste Mal über den Dienst in der koreanischen Armee wirklich nachgedacht habe, muss ich ins Jahr 2003 zurückgehen. Wie Sie sich erinnern, begann damals der von den USA angeführte Krieg gegen den Irak. Zu der Zeit war ich Student im ersten Semester. Ich ging zu einer Demonstration, die sich gegen die Entscheidung der Regierung wandte, südkoreanische Truppen in den Irak zu schicken. Nachdem ich erlebte, wie die Polizei mit Gewalt die Demonstration zerschlug, dachte ich zum ersten Mal darüber nach, wofür Staat, Armee und Krieg stehen. Und ich stellte zum ersten Mal auch die Phrase von den „nationalen Interessen“ in Frage. Vorher hatte ich einfach das im Kopf, was ich in der Schule gelernt hatte. Aber mit den Erfahrungen des Protestes verstand ich, dass ich nur ein guter Junge gewesen war, der gehorsam war und weder Medien, noch Schule oder Regierung in Frage stellte.
Meine Gedanken zur Kriegsdienstverweigerung wurden klarer und fester, als ich mich an den Protesten gegen die Ausweitung der US-Militärbasis in Pyeongtaek 2006 beteiligte. Die Menschen, die dort lebten, wollten einfach ihr Leben führen und das Land bestellen, auf dem sie aufwuchsen. Stattdessen mobilisierte die Regierung nicht nur die Aufstandspolizei, sondern auch die Armee, um sie gewaltsam zu vertreiben.
Sie sagen, dass die Armee dazu da ist, die Bevölkerung gegen den Feind zu beschützen. Und ich wurde Zeuge, dass ich der Feind sein konnte, nur weil ich nicht mit der Regierung einverstanden war.
Nachdem ich meine ersten Erfahrungen mit der „wirklichen Welt“ gemacht hatte, begann ich mich bei World Without War zu engagieren und mir wurde immer deutlicher, dass ich kein Soldat sein kann. Seine Rolle ist es, vor allem dem Staat zu gehorchen, selbst wenn der Befehl unrechtmäßig ist.
2006 nahm ich an einer Konferenz der War Resisters‘ International,, einem internationalen Bündnis von Friedensorganisationen, in Paderborn teil. Mit anderen Aktivisten aus unserer Gruppe bin ich zuvor mit dem Fahrrad entlang des Rheins, von Frankfurt nach Paderborn gefahren.
2009 hatte ich die Möglichkeit als Praktikant im Büro der War Resisters‘ International in London zu arbeiten. Es gibt einen Tag, den Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, der jedes Jahr am 15. Mai begangen wird. Der Schwerpunkt 2009 lag auf der Situation in Südkorea. Sie wollten deswegen gerne jemanden haben, der die Aktion im Büro in London mit vorbereitet. So erhielt ich die Chance, dort eine Weile zu arbeiten. Dabei traf ich Julian aus Deutschland, der dort im Büro seinen Auslandsdienst ableistete. Ich war überrascht zu sehen, und zugleich neidisch, dass er seinen Militärdienst in einem Büro ableisten konnte, in dem er das gleiche machte wie ich, während ich nach meiner Rückkehr nach Südkorea die Einberufung zum Militär erhalten würde.
Es war auch interessant zu erleben, dass fast jeder in London mir sagte, wenn er von meiner Kriegsdienstverweigerung hörte, dass es nicht in Ordnung ist, wenn jemand für seine Überzeugung als Kriegsdienstverweigerer ins Gefängnis gehen muss. Ich wollte nicht mehr nach Südkorea zurückkehren, in ein Land, das ich nicht mehr verlassen darf, bis ich „die heilige Pflicht der Verteidigung der Nation“ erfüllt hätte.
2010 absolvierte ich ein vierwöchigens Praktikum in einer Grundschule. Ich erinnere mich noch gut an den Moment und wie ich merkte, dass ich von den SchülerInnen geliebt und akzeptiert wurde, und dass es mir wirklich möglich war, mit ihnen respektvolle Beziehungen aufzunehmen. Das Pädagogikstudium warf für mich einige philosophische Fragen auf: Wofür dient Erziehung und Ausbildung? Was bedeutet es, mit Kindern zu arbeiten? Mir wurde bewusst, dass es für mich bedeutet ,zu lernen, sich gegenseitig zu lieben und zu achten. Aber wenn ich daran denke, Soldat zu sein, dann bedeutet das für mich zu lernen, andere Menschen gerade nicht als Menschen zu sehen, sich gegenseitig zu hassen, um schließlich mit einer Waffe zu schießen.
Der bewaffnete Konflikt zwischen Nord- und Südkorea war ein heißes Thema, als ich meine Erklärung vorbereitete. Während die südkoreanische Regierung erklärte, dass es gälte, robuster gegenüber dem Norden aufzutreten und sich beeilte, von der Situation zu profitieren und sie als Ausrede zu benutzen, um mehr Geld für den Kauf von Waffen einzusetzen, schrieb ich folgendes: „Niemand verdient es getötet zu werden. Südkorea wie auch die das Land umgebenden Staaten sollten aufhören, zu pokern und immer mehr für den Krieg auszugeben. Nur wenige aus der herrschenden Klasse und der Rüstungsindustrie profitieren von den ständigen Feindseligkeiten und den wachsenden Ausgaben für Waffen. Meine Kriegsdienstverweigerung ist beides: Die letzte und die beste Haltung, die ich gegen den Teufelskreis der Gewalt einnehmen kann.“ Dies erklärte ich vor dem Verteidigungsministerium auf einer Pressekonferenz, die wir dort von World Without War organisiert hatten.
Zu meiner Gerichtsverhandlung kamen viele Freundinnen und Freunde. Die Anwesenheit von all diesen Menschen, insbesondere als ich vor dem Richter stand, tröstete mich und half mir sehr. Im Rückblick auf das Verfahren muss ich sagen: Ich hätte ausdrücklicher betonen sollen, dass ich nicht schuldig bin und den Richter klarer hätte bitten müssen, über seine Entscheidung nachzudenken, Kriegsdienstverweigerer ins Gefängnis zu schicken. Aber es war dann einfach die gleiche Haftstrafe, die der Richter bei weiteren 600 Kriegsdienstverweigerern im Jahr aussprach.
Die Zeit im Gefängnis
Wie war es im Gefängnis? Ich war mehrere Monate in einer Zelle gemeinsam mit 15 weiteren Gefangenen inhaftiert. Aber der eigentlich entscheidende Punkt ist, dass du nichts selbst entscheiden kannst. Und du musst dich manchmal bei den Wächtern für Dinge entschuldigen, für die du dich in keinster Weise schuldig fühlst.
Wenn Sie mich fragen, wie schwierig es für mich im Gefängnis war und ob ich Probleme hatte: Ich kann nicht sagen, dass es schön war und eine einfache Erfahrung. Aber wenn das Leben so ist, gibt es doch etwas, was dich erfreut, was du bedauerst, was du lernst, während du anderthalb Jahre an einem Ort bist.
Und ich danke Amnesty International in Südkorea für deren Unterstützung. Katherine Barraclough, Koordinatorin des Ostasienteams von Amnesty International besuchte mich einmal im Gefängnis und interviewte mich.
Offen gesagt, ich freute mich über ihren Besuch nicht so sehr, weil sie von Amnesty International kam und das Einfluss auf die Situation haben konnte, sondern mehr, dass ich eine Pause von der endlosen Arbeit hatte. Ich arbeitete in der Küche, die 900 Gefangene zu versorgen hatte, von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr Abends, 12 Stunden am Tag. Nur alle zwei Wochen hatte ich einen freien Tag. Immer wieder dachte ich daran, dass es doch eine Ironie ist, dass ich wegen meiner Kriegsdienstverweigerung an einer Arbeitsstelle hocke, die so strikt hierarchisch ist. Dabei wollte ich mit meiner Verweigerung die Kultur der Hierarchie, des Machismo und des Militarismus vermeiden.
Das sind einige der Briefe, die ich aus der ganzen Welt erhielt, Neuseeland, Australien, USA und aus den meisten westeuropäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich, Schweiz und Großbritannien. Die Briefe halfen mir sehr, um mich daran zu erinnern, warum ich die Ableistung des Militärdienstes verweigert habe.
Manchmal fühle ich mich unwohl, wenn ich Phrasen sehe wie „Du bist der wahre Held“ oder „Du bist so mutig mit Deiner Entscheidung, wo Du doch deswegen im Gefängnis sitzen musst“. Ich verweigerte auch aus feministischen Gründen. Ich wollte nicht als mutig und heldenhaft angesehen werden, was mit der Auffassung verbunden wird, dass es „ein Job für harte Männer ist um schwache Frauen zu schützen“.
Ich wollte auch nicht einfach als Opfer gesehen werden. Ich glaube, die Frage ist nicht, ob du mutig genug bist, ein Kriegsdienstverweigerer zu sein. Vielmehr ist es eine Frage, dass Menschen sich vorstellen können, dass man auch dann den Kriegsdienst verweigern kann, wenn man keine „guten Gründe“ oder „schönen Worte“ hat, um andere zu überzeugen. Wenn es für ganz normale Menschen einfacher wäre, solch eine Entscheidung zu treffen, würde es die Überzeugung des Mainstreams deutlich schwächen, die davon ausgeht, dass „unser Land eine starke Armee braucht“, dass „Du zum Militär gehen musst um ein richtiger Mann zu sein“. Und es würde den Militarismus an sich schwächen. Dann würde es nicht mehr heißen: „Du musst zum Militär gehen, um ein echter Mann zu werden.“
Nach der Haft
Nach meiner Haftentlassung brauchte ich eine Zeit des Übergangs. Ich musste selbst wieder lernen, mich im „Zivilleben“ zurecht zu finden und mit anderen Menschen in gleichwertigen Beziehungen zu leben. Ich war damals von den Gedanken besessen, wie ich mit meinen Gefühlen von Hilflosigkeit umgehen könnte. Viel Hilfe bekam ich durch das Programm der kollektiven Beratung von Kriegsdienstverweigerern, die aus dem Gefängnis entlassen wurden.
Da ich entsprechend der Werte leben wollte, die ich eingeschlagen hatte, suchte ich Themen und Gruppen, die dem entsprachen. Jetzt arbeite ich bei der Organisation Deul, einem Zentrum für Menschenrechtserziehung in Seoul und bin sehr zufrieden damit, insbesondere, weil ich mit verschiedenen Menschen etwas machen und mich austauschen kann.
Ich habe nach wie vor Interesse am Thema Antimilitarismus und möchte mich weiter dort engagieren, wo es mit meiner Vorstellung übereinstimmt: von einer Welt, in der ich leben möchte.
Myungjin Moon: Redebeitrag auf der Veranstaltungsreihe „Kriegsdienstverweigerung in Südkorea“, 16.-29. April 2015. Übersetzung: rf. Der Beitrag erschien in: Connection e.V., Deutsche Ostasienmission und Ev. Mission in Solidarität (Hrsg.): Broschüre "Südkorea: 700 Kriegsdienstverweigerer in Haft", Juli 2015
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