Ja, ich werde eine Behandlung zur Geschlechtsumwandlung erhalten
Aber ich kann immer noch für meinen Selbstmordversuch bestraft werden
(20.09.2016) Es ist absurd, dass das Militär schließlich doch der Behandlung zustimmte, während es zugleich eine Disziplinarmaßnahme gegen mich vorbereitet, weil ich vorher so verzweifelt war.
Letzte Woche wurde mir die „gute Nachricht“ mitgeteilt, dass das Verteidigungsministerium meinem Antrag zustimmt, einen Arzt für eine Behandlung meiner Geschlechtsumwandlung aufsuchen zu können. Obwohl ich noch nichts Schriftliches in den Händen halte, so wurde mir doch ein Memorandum gezeigt, auf dem mein Name verzeichnet ist und das bestätigt, dass das Militär meinen Antrag weiter bearbeitet. Nach den Unterlagen, die ich gesehen habe, werden sie mir die Behandlung zukommen lassen, die mein Arzt empfohlen hat. Ich hatte das bereits vor fast einem Jahr beantragt.
In der selben Woche wurde mir auch die „schlechte Nachricht“ überbracht: Ich könnte wegen meines Selbstmordversuchs im Juli bestraft werden. In der letzten Woche war ich daher damit beschäftigt, mich auf die Disziplinarverhandlung vorzubereiten. Das Disziplinargremium hat die Macht mich zu unbefristeter Einzelhaft zu verurteilen. Sich auf eine Verteidigung vorzubereiten, braucht sehr viel Zeit: für Recherchen, Sammeln der Beweise und das Organisieren der Verteidigung. Das ist sehr stressig. Ich muss das alleine machen, da ich dafür keinen Anwalt oder eine andere Person hinzuziehen kann.
Letzte Woche wurde ich zur Einsichtnahme der Beweise ins Gericht eskortiert. Da liegen nun ungefähr 100 Seiten vor. Es ist für mich nicht einfach, Zugang zu erhalten. Ich habe keine Kopie. Ich kann es mir nur für eine Stunde ansehen. Es war sehr mühsam, die Beweise durchzusehen und in aller Eile Notizen zu machen.
In den Unterlagen sah ich auch ein Foto von mir, das kurz nach meinem Selbstmordversuch aufgenommen worden ist. Das Bild verfolgte mich die ganze Woche. Es hat mich durcheinander gebracht. Es hat mich richtiggehend runtergezogen. Es hat mich mehr getroffen, als die ganzen körperlichen Verletzungen oder die Not, die ich erlitten habe. Dies Verfahren hat mich dazu gezwungen, einen der schlimmsten Momente meines bisherigen Lebens erneut zu erleben.
Ich sah das Gesicht einer Frau, die aufgegeben hatte. Ich sah das Gesicht einer Frau, die seit Jahren höflich um Hilfe gebeten hatte, dafür formale Anträge stellte, und schließlich verzweifelt darum bettelte.
Ich stehe mit meiner Auseinandersetzung nicht alleine da. Selbstmorde gibt es überall in der Transgender-Community. Unser Risiko, keine oder nur eine unzureichende Behandlung zu erhalten, ist erschütternd. Im Vergleich mit der normalen Bevölkerung hat es höhere Ausmaße. Da es keine Zahl zu den Selbstmorden von inhaftierten Transgender gibt, liegen nur Schätzungen vor, dass ihre Zahl höher ist, als bei den anderen.
Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie besorgt meine Familie und Freunde über das Disziplinarverfahren sind. Mir fehlen die Worte, auszudrücken, wie sehr ich unter diesem Verfahren leide und unter der Tatsache, dass die Regierung meine Verfolgung so aggressiv betreibt. Wie soll ich dies meiner Familie erzählen? Wie werde ich es den zukünftigen Generationen erklärten, wenn sie zurückblicken und fragen, warum ich wegen meiner eigenen Verzweiflung verurteilt worden bin? Ich habe keine Idee dazu. Ich weiß nicht, wie ich das alles erklären kann.
Chelsea Manning: Yes, I’ll get gender surgery. But I may still be punished for my suicide attempt. Guardian, 20. September 2016. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2016
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