Israel: „Alle sind Produkt eines Systems das Hass und Tod schafft und vermehrt“
(16.11.2016) Mein Name ist Tamar Alon. Ich bin 18 Jahre alt. Am 16. November 2016 verweigere ich mich dem Dienst in der israelischen Armee. Wahrscheinlich werde ich dafür inhaftiert werden. Meine zivile Dienstpflicht möchte ich im nationalen Dienst erfüllen.
Ich traf die palästinensischen Freunde meiner Eltern schon von jungen Jahren an. Ich traf Menschen, die als meine Feinde angesehen wurden, aber sie lachten mich an, spielten und redeten mit mir. Diese frühen Erfahrungen haben mich gelehrt, auf die tägliche Realität der PalästinenserInnen zu schauen und die Realität meines eigenen Lebens mit kritischen Augen zu sehen. Ich kann nicht akzeptieren, dass davon ausgegangen wird, dass die Unterdrückung einer anderen Nation, die Versagung von grundlegenden Menschenrechten, Rassismus und Hass lebenswichtig für die Existenz Israels sein sollen.
Ich mache mir nicht vor, dass diese Realität eindimensional ist oder dass die Lösung einfach ist und sofort umgesetzt werden kann. Aber ich glaube, dass der Weg des Krieges, der Gewalt, der Unterdrückung und der Vorherrschaft uns auf Dauer die Aufrechterhaltung eines demokratischen Landes verwehren wird, 'eine freie Nation im eigenen Land' zu sein. Ich weigere mich, der Einberufung in die israelische Armee zu folgen, trotz meiner Sorgen und meiner Liebe für das Land, zu dem ich gehöre – und mit der Erwartung, eine öffentliche Diskussion über das Selbstbild und die Zukunft anzustoßen.
Meine Entscheidung, zu verweigern, ist Ergebnis eines langen und schwierigen Prozesses. Aber der entscheidende Moment, in dem ich realisierte, dass ich mich weigern muss, dem Kreislauf von Opfer hier und Opfer da zu verweigern, war während des 10. israelisch-palästinensischen Gedenktages, an dem ich teilnahm. Die beiden letzten Sprecher waren zwei trauernde Brüder: Yigal Elchanan, der bei einem Bombenattentat 1998 in Jerusalem seine 14-jährige Schwester verlor und Arab Aramin, der 2007 seine 10-jährige Schwester durch Schüsse der Grenzwachen der israelischen Armee in der Nähe ihrer Schule in Anata verlor. Sowohl Yigal wie auch Arab sahen auch die Mörder ihrer Schwestern als Opfer. Das öffnete mir die Augen, die Realität von Besatzung und Unterdrückung zu sehen, sowohl für die Herrschenden wie für die Beherrschten, die Unterdrücker wie für die Unterdrückten. Alle sind Produkt dieser Methoden und eines Systems, das Hass und Tod schafft und vermehrt. Der Geist aller ist verwundet. Schmerz und Leid ist auf allen Seiten gleichermaßen vorhanden. Die zwei trauernden Brüder haben mein Verständnis dafür gestärkt, dass es einen anderen Weg gibt und dass es meine Verantwortung ist, mich für diesen Weg zu entscheiden. Ich verweigere mich ganz bewusst, in dem Wissen, dass nicht jede junge Frau so entscheiden kann.
Ich weiß, dass ich im Militärgefängnis junge Frauen treffen könnte, die nicht das Privileg hatten, sich für eine Verweigerung zu entscheiden. Ich bin nicht blind gegenüber dem Kreisläufen der Unterdrückung, die gegenüber Frauen, den (vor allem aus dem Nahen Osten stammenden) Mizrachi-Juden, Einwanderern und anderen marginalisierten Bevölkerungskreisen in der israelischen Gesellschaft existiert. Ich bin nicht blind gegenüber den Kreisläufen, die sich auch in der Armee widerspiegeln – und dort gestärkt werden. Ganz im Gegenteil, mit meiner Weigerung, dem unterdrückerischen System meine Hand zu leihen, sehe ich mich in Solidarität mit denjenigen, denen die Freiheit der Wahl vorenthalten wird.
Tamar Alon: „Everyone is a product of this system which generates and duplicates hatred and death“. 16. November 2016. www.wri-irg.org/en/node/26903. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2017.
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