Agustín Aguayo

Agustín Aguayo

In Mannheim inhaftiertem US-Kriegsdienstverweigerer droht Anklage von sieben Jahren

US-Zivilgericht könnte morgen Verfolgung von Agustín Aguayo stoppen

von Connection e.V., MCN und AVA - Military Project

Pressemitteilung vom 20. November 2006

Der 34-jährige US-Sanitäter Agustín Aguayo muss mit einer Anklage von bis zu sieben Jahren Haft rechnen, weil er sich im September 2006 einer erneuten Verlegung in den Irak verweigerte. Er befindet sich derzeit im US-Militärgefängnis in Mannheim.

Zugleich ist noch immer ein Verfahren wegen seines Antrages auf Kriegsdienstverweigerung anhängig. Agustín Aguayo hatte diesen Antrag bereits im Jahre 2004 gestellt, als er zum ersten Mal mit seiner Einheit in den Irak verlegt wurde. Über die ablehnende Entscheidung der Armee wird voraussichtlich morgen, dem 21. November 2006, das Berufungsgericht für das Bundesgericht (Court of Appeals, U.S. District Court, District of Columbia) in den USA befinden. Falls das Gericht im Fall Aguayo gegen den Leitenden Sekretär der Armee zu dem Schluss kommt, dass sein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu Unrecht abgelehnt wurde, könnte er sofort aus der Armee entlassen werden.

Einen ähnlichen Fall hat es seit Jahrzehnten nicht mehr in den USA gegeben. Das letzte derartige Verfahren hat zur Zeit des Vietnamkrieges im Jahre 1971 stattgefunden.

Connection e.V., American Voices Abroad (AVA) Military Project und das Military Counseling Network sind tief betroffen darüber, wie die US-Armee den Kriegsdienstverweigerer Agustín Aguayo dazu zwingen will, gegen sein Gewissen zu handeln. Angesichts einer zunehmenden Ablehnung des Irakeinsatzes in den USA will hier die US-Armee offensichtlich Härte demonstrieren. Die Organisationen fordern die zuständigen Richter Douglas H. Ginsburg (Vorsitz), David R. Sentelle und A. Raymond Randolph dazu auf, endlich die Verfolgung von Agustín Aguayo zu beenden und ihn als Kriegsdienstverweigerer anzuerkennen.

Zum Hintergrund

Agustín Aguayo ist Sanitäter der 1. Infanteriedivision, der er schon vor Beginn der US-Invasion im Irak angehörte. Er wurde zunächst einer US-Einheit in Schweinfurt zugewiesen. Im Februar 2004, bei seiner ersten Verlegung in den Irak, stellte er einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Zur Vorbereitung seines Antrages wurde er vom Military Counseling Network in Bammental beraten, einem Projekt des Deutschen Mennonitischen Friedenskomitees. Während seiner Zeit im Irak weigerte sich Aguayo, sein Gewehr während der ihm befohlenen Wachdienste zu laden.

Obwohl die für seinen Antrag zuständigen Offiziere und Gutachter Aguayos Aussagen als ehrlich einstuften und seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer befürworteten, wurde der Antrag im August 2004 schließlich von höherrangigen Offizieren abgelehnt - ohne Angabe von Gründen. Mit Unterstützung des American Voices Abroad (AVA) Military Project, einem Netzwerk von US-FriedensaktivistInnen in Europa und dem Center on Conscience and War, USA, gelang es Aguayos Ehefrau, Helga Aguayo, so viel Geld zu sammeln, um nach einigen Monaten die Anwälte Peter Goldberg und Jim Feldman aus Philadelphia zu beauftragen, eine Klage gegen den Leitenden Sekretär der Armee einzureichen. Die Klage reichte er beim Bundesgericht in Washington D.C. ein, das für die Rechtsprechung zu allen US-Militärangehörigen zuständig ist, die außerhalb der USA stationiert sind. In seiner Klage führt Agustín Aguayo aus, dass die Armee keine Begründung für die Ablehnung gegeben habe. "Unter dem Zwang des Gewissens", schrieb er in seiner Erklärung an das Gericht, "werde ich eher ein Militärgerichtsverfahren und Haft riskieren, als ins Kriegsgebiet verlegt zu werden." Am 24. August 2006 sprach der Richter Royce Lamberth das Urteil. Er verwarf die Klage von Aguayo und entschied zugunsten der Armee.

Fast zur gleichen Zeit hatte Aguayo in Schweinfurt den Befehl erhalten, einer erneuten Verlegung für einen einjährigen Einsatz in den Irak nachzukommen. Damit einher ging eine erneute einseitige Vertragsverlängerung seitens der Armee. Er hätte im Januar 2007 aus dem aktiven Dienst entlassen werden sollen, nun wurde er verpflichtet, bis September 2007 Dienst zu leisten.

Am 25. August 2006 legte er Berufung gegen das Urteil des Richters Lamberth ein. Sein zugleich gestellter Eilantrag, seine Verlegung in irgendein Kriegsgebiet bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts auszusetzen, wurde abgelehnt.

Am 1. September 2006 wurde Aguayos Einheit, die 1. Infanteriedivision, ein zweites Mal in den Irak verlegt. Dieser Verlegung kam Agustín Aguayo nicht nach. Er meldete sich am 2. September selbst bei der US-Militärpolizei in Schweinfurt, mit der Erwartung, eine Haftstrafe zu erhalten. Der zuständige Offizier befahl jedoch, ihn in den Irak zu bringen, zur Not auch mit Gewalt. Durch ein rückwärtiges Fenster seiner Wohnung im US-Areal in Schweinfurt konnte Aguayo, bereits in Uniform, fliehen. Damit war er unerlaubt abwesend (AWOL).

Agustín Aguayo gelang es in den nächsten Wochen, seine Familie in Kalifornien zu erreichen. Nach einer Pressekonferenz am 26. September in Los Angeles fuhr er mit seiner Familie und UnterstützerInnen nach Fort Irwin, dem Ausbildungszentrum der Armee in der Wüste Mojave, und stellte sich dort den Militärbehörden.

Anfang Oktober schickte Aguayos Einheit in Deutschland Soldaten nach Fort Irwin, um ihn in das Militärgefängnis nach Mannheim zu bringen, das größte US-Militärgefängnis außerhalb den USA für schätzungsweise 200 Häftlinge. Gegenwärtig befindet er sich dort in Untersuchungshaft.

Nach Angaben der Armee könnte Aguayo nun wegen "Desertion zur Vermeidung eines gefährlichen Einsatzes und Verpassen der Verlegung der Einheit" angeklagt werden, was eine Anklage von sieben Jahren Haft zur Folge hat. Die endgültige Anklage wird nach einer Voranhörung vor einem US-Militärgericht in Deutschland festgelegt werden, die voraussichtlich Anfang Dezember stattfinden soll.

Aguayos Anwalt, Peter Goldberger, sagte, dass alle Handlungen von Aguayo aus seiner ernsthaften Überzeugung als Kriegsdienstverweigerer rühren, die zu Unrecht von der Armee abgelehnt wurden. Deshalb müssten die Anklagen fallengelassen werden, wenn das Berufungsgericht seiner Berufung gegen die Armee zustimmt. Die Armee beantragt hingegen, das Berufungsgericht solle die "Fachkompetenz" der Armee akzeptieren, wonach allein die Armee über den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung von Aguayo zu entscheiden habe. Der Ausgang dieses Verfahrens wird, so Rechtsanwalt Goldberger, "wahrscheinlich starken Einfluss auf die Bereitschaft von Zivilgerichten haben, die Ablehnung von Anträgen von US-Militärangehörigen in Frage zu stellen, die ihr Recht auf Freiheit der Religion ausüben, einschließlich des Rechtes, aufgrund einer Gewissensentscheidung nicht an einem Krieg teilzunehmen".

Aguayos Familie ist im September aus Schweinfurt nach Los Angeles zurückgekehrt. Ihre Kontakte mit Agustín wurden auf kurze Telefonanrufe beschränkt, die er aus dem Militärgefängnis in Mannheim führen darf. "Niemals zuvor hat er gegen das Gesetz verstoßen", sagt Helga Aguayo. "Er ist ein Kriegsdienstverweigerer, aber die Armee hat ihn in den Widerstand gezwungen. Wenn er wirklich ein Kriegsdienstverweigerer ist, was hätte er denn sonst tun sollen? Wir sind seit 15 Jahren verheiratet. Ich kenne ihn besser, als alle anderen. Und ich weiß, dass er es Ernst meint."

 

gez.

Elsa Rassbach, American Voices Abroad (AVA) Military Project

Rudi Friedrich, Connection e.V.

Connection e.V., Military Counseling Network (MCN) und American Voices Abroad Military Project: Pressemitteilung vom 20. November 2006

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