Türkei: Zunehmend Strafverfahren gegen Kriegsdienstverweigerer
Solidaritätsaktion in Izmir
(02.06.2017) Anlässlich der Eröffnung eines Strafverfahrens gegen den Kriegsdienstverweigerer Murat Kırmızıoğlu erklärten vor einer Woche, am 25. Mai, in den Räumen des Menschenrechtsvereins İzmir weitere vier Wehrpflichtige ihre Kriegsdienstverweigerung.
Merve Arkun vom Verein der Kriegsdienstverweigerer (VR-DER) betonte, dass die Zahl der gegen Kriegsdienstverweigerer eröffneten Verfahren zunehme. „Seit 2013 werden Wehrflüchtige und damit auch Kriegsdienstverweigerer bei Kontrollen mit einem Bußgeld belegt. Kommen sie auch weiter nicht der Aufforderung nach, den Militärdienst abzuleisten, werden sie vor Gericht gestellt, so wie Murat Kırmızıoğlu.“
Am Morgen des 25. Mai 2017 war der Prozess gegen Murat Kırmızıoğlu vor dem 7. Strafgericht in İzmir eröffnet worden. Er hatte 2004 seine Verweigerung öffentlich erklärt und sich in den darauf folgenden Jahren dem Militärdienst entzogen. 2014 war er schließlich zu einer Geldstrafe verurteilt und aufgefordert worden, der Wehrpflicht nachzukommen. Da er dieser Aufforderung nicht nachkam, klagte ihn die Staatsanwaltschaft wegen Militärdienstentziehung an.
Da die Türkei die Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennt, unterliegen Verweigerer dem Artikel 3 des Militärdienstgesetzes, wonach der Militärdienst die Einberufung, den Militärdienst und den Reservedienst umfasst. Die Einberufung beginnt mit Erreichen des Einberufungsalters und besteht bis zum Eintritt in den Militärdienst fort. Die normale Dauer des Militärdienstes beträgt 12 Monate. In der Praxis existiert keine Altersbeschränkung für die Einberufung.
Ein Kriegsdienstverweigerer, der zwangsweise rekrutiert wurde und die Zusammenarbeit mit dem Militär verweigert, hat eine Haftstrafe zwischen drei Monaten und einem Jahr wegen Befehlsverweigerung zu erwarten. Zudem droht eine Strafverfolgung wegen Desertion mit Haftstrafen von einem bis zu drei Jahren. Der Kreislauf von Strafverfolgung und Inhaftierung kann ein Leben lang fortbestehen. (...mehr)
Vor Gericht erläuterte der 36-jährige Murat Kırmızıoğlu seine Motivation zur Kriegsdienstverweigerung. „Ich verweigere den Militärdienst, zu dem ihr mich zwingen wollt. Ich werde nie Soldat irgendeines Staates oder einer Institution werden. Ich werde keine Uniform tragen, keinen Krieg unterstützen.“ Am Ende der Verhandlung vertagte der Richter die Urteilsverkündigung auf den 28. September 2017 ohne eine Festnahme von Murat Kırmızıoğlu anzuordnen.
„Wir erleben derzeit eine Repressionswelle“, so heute Rudi Friedrich von Connection e.V., „die sich gegen große Teile der Opposition richtet, gegen Abgeordnete, BürgermeisterInnen, JournalistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen. Auch die Kriegsdienstverweigerer, die sich seit nunmehr 25 Jahren für die Anerkennung des Menschenrechts einsetzen, stehen im Fokus der staatlichen Verfolgung. Sie brauchen weiter dringend unsere Unterstützung.“
Connection e.V.: News vom 2. Juni 2017. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2017
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