Militärtransport. Foto: bc

Militärtransport. Foto: bc

Eritrea: Keine Ausreden mehr zur Aufrechterhaltung des zeitlich unbefristeten Nationaldienstes

von Fisseha Tekle

(28.07.2018) Das jüngste Friedensabkommen mit Äthiopien würde den eritreischen Behörden die Möglichkeit bieten, die Praxis des unbefristeten Nationaldienstes (Militärdienstes) zu beenden. Sie wird weithin kritisiert und beraubt der Jugend des Landes ihre Träume und schuf eine ganze Generation eritreischer Flüchtlinge.

Die eritreische Regierung führte 1995 die Wehrpflicht zum Nationaldienst ein. Durch das Gesetz [sind alle ab 18 Jahren, Männer wie Frauen], zur Ableistung eines 18 Monate langen Nationaldienst verpflichtet, der eine sechsmonatige militärische Grundausbildung einschließt. Als sich die Beziehungen nach dem bitteren Grenzkrieg mit dem benachbarten Äthiopien 1998 bis 2000 verschlechterten, wurde die Dauer des Nationaldienstes auf unbestimmte Zeit verlängert.

Der Nationaldienst unbefristeter Dauer hat viele Familien und auch das Gefüge der Gesellschaft zerrissen. Es ist üblich, dass mehrere Mitglieder derselben Familie zur selben Zeit Dienst in verschiedenen Teilen des Landes leisten. Viele Kinder wachsen ohne ihre beiden Elternteile auf und Mädchen werden früh verheiratet, um die Ableistung der Dienstpflicht zu vermeiden.

Der 18-jährige Binyman berichtete Amnesty International, dass sein Vater schon vor seiner Geburt eingezogen worden war. Die Familie ist froh, wenn sie ihn alle sechs Monate sieht. Einige Wehrpflichtige sind Jahre im Dienst, ohne ihre Familie zu sehen, weil ihnen kein Jahresurlaub gewährt wird.

„Ich möchte keine Kinder haben, die mich nur alle sechs Monate sehen: Ich möchte meine Kinder jeden Tag sehen“ sagte uns Binyam in einem 2015 veröffentlichten Bericht. Seitdem hat sich in Eritrea an der unbefristeten Länge des Nationaldienstes nichts geändert.

Die ebenfalls 18 Jahre alte Mariam berichtete uns von der schweren Last, die der Nationaldienst ihrer Familie auferlegte. Sowohl ihr Vater wie auch ihr ältester Bruder wurden rekrutiert. Als sie an der Reihe war, floh sie, weil sie die Vorstellung nicht ertragen konnte.

In ihrem Abschlussjahr am Gymnasium kommen die SchülerInnen in das berüchtigte Militärlager in Sawa, wo Essen und Wasser miserabel sind und die Temperaturen extrem hoch. Für geringfügige Übertretungen werden harte Strafen verhängt.

Die SchülerInnen sehen das Bildungssystem als eine Falle an, die sie direkt in den Rachen des Nationaldienstes führt. Einige brechen die Schule ab, um der Wehrpflicht zu entgehen, aber dies ist eine Sackgasse. Ohne Unbedenklichkeitsbescheinigung für den Nationaldienst können sie keine Lebensmittelrationen beziehen, sie können kein Geschäft anmelden oder ein Mobiltelefon, sie können keinen Führerschein erwerben und kein Bankkonto eröffnen. Außerdem führt das Militär aus dem Stegreif Durchsuchungen von Haus zu Haus durch, um alle aufzugreifen, die verdächtigt sind, sich dem Nationaldienst zu entziehen.

Der Nationaldienst ist nicht nur ohne ein Ende abzuleisten, es wird auch ein Hungerlohn gezahlt – sicherlich nicht genug, um in Würde davon zu leben und das Recht auf Nahrung, Unterkunft und Gesundheitsversorgung zu genießen.

Der 29-jährige Filmon floh einen Monat nach seiner Desertion aus Eritrea. Bevor er im September 2017 desertierte, hatte er bereits 7 Jahre Militärdienst abgeleistet. Wie viele andere eritreische Jugendliche, die wir interviewten, beklagte sich Filmon über den Mangel an Freiheit und das Fehlen verlässlicher Aussichten in seinem Land.

„Mein Gehalt betrug nur 1.500 Nakfa (etwa 90 €) [pro Monat], was höher war als das von Soldaten, weil ich in einem Job in einem zivilen Bereich Dienst leistete. Ich lebte bei meiner Mutter, die kein Einkommen hatte. Es war unmöglich, sie zu unterstützen und von meinem Einkommen zu leben“, sagte er.

Deshalb haben eritreische Jugendliche zur zwei Möglichkeiten: Sie müssen der Wehrpflicht nachkommen, also einen Nationaldienst unbefristeter Länge ableisten unter Bedingungen, die der Zwangsarbeit nahekommen oder sie müssen aus dem Land fliehen und ihr Leben riskieren auf der Suche nach einem besseren Leben in Übersee.

Ehemalige Wehrpflichtige vergleichen den Nationaldienst mit moderner Sklaverei und sagen, dass sie Folter erlitten wie auch andere Misshandlungen, dass sie willkürlich verhaftet wurden und grundlegende sanitäre Grundversorgung und Hygiene fehlt.

Eine UN-Untersuchungskommission kam im Juni 2016 zu dem Schluss, dass „in weit verbreiteter und systematischer Weise in eritreischen Militär-Ausbildungslagern und an anderen Orten Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden.“

Neben dem Militärdienst arbeiteten die RekrutInnen auch für weniger als 60 US-Dollar pro Monat auf Farmen, in Minen oder auf Baustellen. Dies System einer unbefristeten Wehrpflicht stellt Zwangsarbeit dar und verletzt somit nach dem internationalen Recht die Menschenrechte.

Es ist daher nicht überraschend, dass Tausende von EritreerInnen jedes Jahr aus dem Land fliehen und tückische Reisen nach Europa auf sich nehmen mit dem Risiko von Menschenhändlern entführt, von feindseligen Regierungen verhaftet zu werden oder im Mittelmeer zu ertrinken.

Der Grenzkonflikt zwischen Äthiopien und Eritrea war eine bequeme Ausrede für die Zwangsrekrutierung und weitreichende Menschenrechtsverletzungen in Eritrea. Mit der jetzt aufgelösten Pattsituation muss die eritreische Regierung die Wehrpflicht und den unbefristeten Nationaldienst beenden und es der Bevölkerung ermöglichen, ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung, Bewegungsfreiheit und faire Verfahren wahrzunehmen.

Die Behörden müssen jetzt dringend einen klaren und zeitlich bindenden Plan vorlegen, um die im endlosen Nationaldienst gefangenen Menschen zu demobilisieren. Zugleich muss sichergestellt sein, dass neue Wehrpflichtige nicht in den nationalen Dienst gezwungen werden. Die Regierung muss zudem Regelungen für Kriegsdienstverweigerer vorsehen.

Jetzt ist die Zeit gekommen, die Wehrpflicht zu beenden.

 

* In [] gesetzte Ergänzungen vom Übersetzer nach Rückfrage beim Autor eingefügt.

Fisseha Tekle ist bei Amnesty International zuständig für Recherchen zu Äthiopien und Eritrea. Der Artikel erschien am 28. Juli 2018 zuerst in der Zeitung EastAfrica und ist hier entnommen der Website von Amnesty International. Übersetzung: rf

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